Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 4, April 2009

Rabsen - das verschwundene Dorf

 

von A. Palissa / M. Streibel

 

Angeregt durch die „Erinnerungsfahrt" der Berliner Heimatfreunde des GHB, machten wir auf der Rückreise von Glogau/Glogów auch kurz Rast in Rabsen, genau an der Stelle, wo früher das Dorf Rabsen lag. Wir sahen uns um und hörten auf die Worte von Frau Maria Streibel, Tochter des ehemaligen dortigen Dorfschullehrers Paul Streibel. Von dem Dorf Rabsen war nur noch die Ruine der katholischen Kirche zu sehen und der schmale Nachkriegs-Betonweg, auf dem wir parkten und der noch ein paar Meter weiter bis zum Oderdamm geht (vergl. NGA 2008, Heft 12). Rabsen , ein zerstörtes, verlorenes, vergessenes Dorf - wir waren alle ergriffen, erschüttert. Was ist doch in diesen 64 Jahren seit der Vertreibung aus unserer schönen Heimat geworden? Zum Glück nicht überall im heutigen Schlesien, anderenorts keimt neues Leben (polnisches), und die Erneuerung ist deutlich zu spüren.
Unser Halt in Rabsen hat mich so beeindruckt, dass ich beschloss, etwas mehr über das Dorf Rabsen und seine Geschichte zu erfahren. Frau Streibel hat mir dabei sehr geholfen, und in alten Heften des NGA fand ich auch Artikel und Bilder über Rabsen. Ich selbst bin zwar Schlesier, aber nicht aus Rabsen. Trotzdem will ich versuchen, das Dorf aus dem Dunkel der Vergangenheit und des Vergessens herauszuholen. Auch wenn das Dorf heute nicht mehr besteht und seine letzten deutschen Bewohner weit zerstreut in Deutschland sind, es gibt noch Zeitzeugen aus Rabsen unter unseren Heimatfreunden, die die Erinnerung an ihr Dorf in Ehren halten. Und auch uns Glogauer/Schlesier sollte es ein Anliegen sein, das Dorf und seine Geschichte nicht zu vergessen.

Rabsen, Chronik bis Kriegsende 1945: Es ist eine lange Geschichte. Sie beginnt schon im 13. Jahrhundert. Die angesiedelten Bauern waren sehr sesshaft. Die meisten betrieben wie ihre Vorfahren auf dem fruchtbaren Boden Ackerbau und Viehzucht. Aber wie überall, gab es in der Dorfgeschichte von Rabsen auch drangvolle Zeiten. Nicht so sehr durch Kriegsereignisse, vielmehr durch andere Katastrophen. Belegt ist z.B. das große Oderhochwasser im September 1854, wo auch die Felder des Dorfes überflutet und die Ernte fortgeschwemmt wurde. Durch das Hochwasser gab es auch Sandablagerungen auf den Äckern und damit eine Beeinträchtigung der Bodenqualität. Später, am 13. August 1904, vernichtete ein Großfeuer 18 Wohn- und Wirtschaftsgebäude von Rabsen, die damals strohgedeckt waren und schnell ein Raub der Flammen wurden. Das Dorf wurde aber wieder aufgebaut, die Häuser nunmehr mit Dachziegeln.
Die Herkunft des Namens Rabsen ist umstritten. Manche leiten ihn von dem früher vorherrschenden Rapsanbau ab, andere sehen in ihm einen slawischen Ursprung von 1297 nach einem Gründer namens Rapozin.
Rabsen liegt dicht am rechten Oderufer, etwa 5 km in westlicher Richtung von Glogau entfernt. Ein typisches, langgezogenes Reihendorf. Es war in der Odermarsch gelegen, vom Oderhochwasser meist ausreichend durch einen Deich geschützt, ein kleines Dorf mit etwa 300 Einwohnern. Die Häuser lagen an der Dorfstraße vom Abzweig der Landstraße aus Glogau nach Beuthen a.d.Oder bis hin zum Oderdamm. Ziemlich am Dorfeingang war die Poststelle Neumann, dann kam die Gaststätte/Dorfschenke Richter, die Bäckerei mit Kolonialwarengeschäft von Albert Schenk.

Dazwischen und danach lagen auf beiden Seiten große Bauernhöfe. Dazu einige Namen ehemaliger Dorfbewohner: Matuschke, Strauchmann, Habisch, Stock, Hoppe, Weidner, Feiereis, Eckert, Schubert, Kunze, Gutsche, Urban, Grunwald, Steinert, Linke, Thamke, Zielinski, Baberske, Prätzel, Riedel, Scharte, Knorr.
Die Mehrzahl der Bewohner war katholisch und hatte in der St. Laurentius-Kirche, einem Backsteingotik-Bau aus dem 15. Jahrhundert, ihr religiöses Zentrum.

Der letzte deutsche Geistliche in Rabsen war Pfarrer Hans Bauch. Die Kinder der wenigen evangelischen Eltern mussten täglich mit der Fähre über die Oder nach Oderhorst (Beichau) oder über Land ins zwei Kilometer entfernte Nachbardorf Biegnitz. Erst ab dem Schuljahr 1939/40 hörte die Trennung der Kinder nach ihrer Konfession auf. Alle Dorfkinder gingen nun zusammen in die Schule von Rabsen.
In Richtung Oderdamm gab es zwei Abzweigungen von der Dorfstraße. Nach links ging es zur Schule und zum Pfarrhaus, nach rechts zur Kirche und zum Schloss.

Die kath. Kirche lag ziemlich in der Mitte des Dorfes, etwa gegenüber auf der anderen Straßenseite lagen Pfarrhaus und katholische Schule. Letztere hatte, wie das in vielen kleinen schlesischen Dörfern häufig war, einen Anbau, in dem die Wohnung des Lehrers war. Bis zur Vertreibung der Schlesier aus der Heimat 1945 lebten dort Lehrer und Kantor Krübel sowie auch Lehrer Streibel mit seiner Familie.

Rabsen war ein ausgesprochen landwirtschaftlich orientiertes Dorf. Der Boden lieferte gute Erträge, und deren Abnahme war durch die nahe Stadt Glogau stets gesichert. Zum Schloss gehörte ein Dominium mit den Oderwäldern und etwa 1000 ha Land, das von einem Gutsherren, zuletzt Hauptmann Oskar Pohl, bewirtschaftet wurde. Es gab im Dorf aber auch einige Geschäfte und Gewerke, z.B. eine Mühle, einen Bäcker, einen Schuster und die Schmiede.
Es ist erstaunlich, wie viele schlesische Sitten und Bräuche auch in Rabsen lebendig waren. Im NGA 3/67 schreibt Artur Jakob ganz anschaulich darüber: 'Die Kirchenfeste wurden von der ganzen Gemeinde gefeiert. Besonders beliebt und bekannt war das Patronatsfest des hl. Laurentius am 10. August. Meist war es verbunden mit dem Erntedankfest. Nach der festlichen Vormittagsmesse in der Kirche ging es am Nachmittag hoch her. Es waren Verkaufsbuden mit Süßigkeiten da, Glücksräder, auch ein Karussell, und im Gasthaus Richter spielte eine Kapelle zum Tanz auf. So konnte sich Jung und Alt ausgelassen vergnügen. Ein Höhepunkt für die Dorfjugend war immer der Samstag vor Laetare mit dem Austreiben der bösen Geister, hier dem bösen „Leist".

Laut und hell klang es dann durchs Dorf „Der Leist ist tot, der frisst kein Brot, Butter lässt er liegen, Käse lässt er fliegen. Zum Schuckschwerenot, den schlagen wir tot." Anschließend gingen die Leiste-Todaustreiber von Haus zu Haus und wurden mit kleinen Gaben beschenkt.' Auch das Fronleichnamsfest wurde feierlich begangen. Die Prozession bewegte sich zu den 4 im Dorf aufgestellten, festlich geschmückten Altären. Auf dem Weg dahin wurden von den sonntäglich gekleideten Kindern Blumen gestreut.
Das „Sommersingen“ war ein Festtag für die Dorfjugend. Mit frischen grünen Sträußen oder Bäumchen zogen sie von Haus zu Haus und sangen den Sommer herbei. Zur Belohnung wurden sie dafür mit kleinen Gaben beschenkt.
Neben diesen Höhepunkten gab es für die Kinder und Jugendlichen noch manche anderen Vergnügungen, angepasst an die jeweilige Jahreszeit. Im Sommer war planschen und baden im See am Oderdeich angesagt, ganz mutige versuchten sich auch direkt in der Oder. Natürlich wurden auch die auf der Oder auf- und abwärts fahrenden Kähne und Dampfer begutachtet und bestaunt. Im Winter konnte man Schlittschuhlaufen oder auf dem Oderdamm rodeln. Außerdem war noch der Oderwald da, in dem man herumtollen konnte oder mit den Erwachsenen Beeren pflücken oder Pilze sammeln gehen. Als Senior möchte ich heute sagen - welch eine gesunde, friedliche Idylle - und welcher Gegensatz zur Gegenwart, wo die Jugend oft stundenlang vor dem Fernseher hockt oder sich von Computerspielen faszinieren lässt.

Rabsen, Krieg und Nachkriegszeit: Der Krieg ging auch an Rabsen nicht spurlos vorüber. Im Kampf um die Festung Glogau wurde auch Rabsen einbezogen. Durch Bombentreffer wurden viele Häuser zerstört. Auch die Kirche wurde schwer beschädigt. Zum Kriegsende war Rabsen menschenleer. Die Neubesiedlung durch eingewiesene Polen ging in Rabsen sehr zögerlich voran.


1958 ist die Kirche noch eine Ruine, mit einem Storchennest auf dem Kirchturm - wie ein Besucher schreibt (NGA1958, Nr. 1). Die Friedhofsmauer steht aber noch und ist einigermaßen intakt, ebenso die „Ölberg" genannte kleine Friedhofskapelle. Auch der Friedhof um die Kirche ist intakt geblieben, er ist aber ungepflegt und zwischen den Gräbern wuchern Sträucher und Bäume. Schulgebäude und Pfarramt sind zerstört, ebenso das Schloss und viele Häuser. Selbst Reste dieser Häuser sind nicht mehr erkennbar. Überall verstreut liegt Schutt. Einzelne Häuser sind von Polen bewohnt. Sie machen einen ärmlichen Eindruck. Insgesamt wohnen vielleicht 70 - 80 Polen im Dorf. Gegenüber den deutschen Besuchern aus Rabsen zeigen sie sich misstrauisch, häufig auch ablehnend bis feindselig. Am Oderdamm und an der Oder sind noch Panzerreste und Schützengräben zu erkennen - Zeichen des erbitterten Kampfes um Glogau. Der Oderwald ist verschwunden.

1975 war die katholische Kirche dann wieder aufgebaut, und auch im Dorf waren die beschädigten Häuser instandgesetzt.
Neugebaute Häuser gab es zwar noch nicht, aber Rabsen fing wieder an zu leben (vergleiche die Bilder von 1975 der Dorfstraße und der Kirche).

Rabsen, 2008: Und nun standen wir hier, hergeleitet von Hfdin Streibel, auf einem schmalen Betonweg, unmittelbar neben der Kirche von Rabsen. Vom Dorf weit und breit nichts zu sehen. Keine Ruinen, nur die halbzerfallene Kirche (vergl. NGA 12/2008), Brennnesseln und Unkraut, wuchernder Jungwuchs von Bäumen auch auf dem Friedhof. Ein Durchkommen nach rechts oder links von der Straße fast unmöglich, ein Bild wie die Fortsetzung der beschriebenen Situation von
1958. Aber was war nach der Neubesiedlung von Rabsen durch die Polen, was war seit 1975 (vergl. Abb. 8 + 9 aus dem Jahre 1975) geschehen? Wo sind die angesiedelten Polen geblieben? Ein Hinweis gibt der Reisebericht von Frau Hildegard d'Oroille geb. Pohl aus Rabsen aus dem Jahre 1987: „Von Rabsen und seiner Umgebung bin ich noch immer erschüttert. Ich wusste wohl, dass unser (mein väterliches) Gut dem Erdboden gleich gemacht wurde, aber nicht, dass das Land - hunderte von Quadratkilometern - verseucht ist, die polnischen Bauern nach 40 Jahren jetzt umgesiedelt worden sind, die gut erhaltenen, kleinen Bauernhöfe dem Verfall überlassen werden müssen.
An der Katastrophe ist die Kupferhütte schuld, die auf der anderen Oderseite steht und keine Entgiftungsanlage hat. Der Wind weht die Abgase herüber, es stinkt, uns kratzte der Hals, wir mussten husten und verließen bald die schaurige, menschenleere Landschaft, über der ein grauer Schleier lag. Auf dem Friedhof nur Kindergräber ..."

Wenn auch die Anlagen zum Abbau der Kupferlagerstätten heute modernisiert sind, der Boden ist und bleibt auf lange Zeit verseucht und ist für den Anbau von Nahrungsmitteln nicht mehr verwendbar.
Und so musste Rabsen zweimal sterben. Einmal durch den Krieg und die Vertreibung der deutschen Einwohner und ein zweites Mal durch die Vergiftung der Lebensgrundlage der inzwischen angesiedelten Polen, verbunden mit Zwangsumzug und dem Schleifen aller verbliebenen Häuser des Dorfes. An Rabsen erinnert heute nur noch die zwar nach dem Kriege erneuerte, aber inzwischen dem langsamen Verfall ausgelieferte Kirche.

Sie wird wohl noch über Jahrzehnte hinweg ein Mahnmal bleiben und uns erinnern an Grausamkeiten und die Zerstörungswut des Krieges sowie die lebensfeindlichen, ungebremsten Aktivitäten profitgesteuerter Unternehmen.
Mögen die Rabsener die Erinnerung an ihr friedliches kleines Dorf an der Oder bewahren, das ihr Heimatdorf war, ein reales Dorf Rabsen existiert heute nicht mehr! Aber wer wird in ein paar Jahren noch daran denken können, dass hier einmal ein kleines, idyllisch gelegenes Dorf lag?

 

Quellennachweis:
Jakob, A. (1955): Erinnerungen an Rabsen. – Glogauer Heimatzeitung, Nr. 7/1955, S. 8
NGA 1958, Nr. 1,
NGA 1976, Nr. 3, S. 4
Palissa, A. (2008): Unsere Fahrt nach Glogau - Reise i unsere Vergangenheit. - NGA Jg. 55, Nr. 12, S.4-5
Streibel, M: (2009): Fotos und alte Postkarten von Rabsen; mündliche und schriftliche Mitteilungen

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