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Alltäglich lesen wir in den Zeitungen und hören in allen Medien, dass die Welt (wieder mal) von finanziellen Schwierigkeiten erschüttert wird. Kein noch so großer Fachmann kann voraussagen, wie es weiter gehen wird und wie diese Schwierigkeiten zu bewältigen sind. Aber das ist nichts Neues. Schon vor ca. 75 Jahren wurde die Welt auch von finanziellen Turbulenzen erschüttert. Der letzte Lehrer, mein Lehrer in der Grundschule in Groß Kauer, Herr Herrmann Kurzbuch, hat in der „Chronik der Kirche, Schule und Gemeinde Groß Kauer" genau diese Zeit im Jahre 1923 beschrieben. Er persönlich hat alle Daten zusammengetragen, aber lesen wir selbst. Ich habe die Eintragungen nur genau wörtlich abgeschrieben, da die Sütterlinschrift für viele schwer zu lesen ist.
Das Jahr 1923 stand unter dem Zeichen der ungeheuerlichen Geldentwertung. Der amerikanische Dollar wurde das Wertmuster unseres Geldes. Sein Kurs stieg von Tag zu Tag, der Wert unserer Mark sank im gleichen Verhältnis.
Folgende Zusammenstellung zeigt die immer schneller fortschreitende Entwertung des Geldes.
(Nur einige Angaben)
Zeit
Wert von Papiermark
Wert von Goldmark
1918 Januar, Juni 10
8
1918 Dezember
10
5
1922 Januar
100
2,52
1922 Oktober
1000
2,13
1922 Dezember
10.000
5,80
1923 Januar
10.000
4,94
1923 Februar
10.000
1,86
1923 Juni
1 Million
4,37
1923 Oktober
100 Million
2,57
1923 November
1 Billion
1,00
Die natürliche Folge dieser Geldentwertung war das unaufhaltsame Steigen der Preise für alle Lebensbedürfnisse. Die Preise stiegen von Tag zu Tag mit dem Dollar. Im Februar 1923 stand der Dollar auf 49000. In folgendem will ich eine Preisaufstellung für die wichtigsten Lebensgegenstände für diese Zeit geben:
(Nur einige Angaben)
1 l Petroleum 1500 M
1 l Brennspiritus 2600 M
1 Pack Streichhölzer 750 M
1 Pfd Margarine 4200 M
1 Pfd Mostrich 1000 M
1 Glas Bier 400 M
1 Milchziege 60 – 80000 M
1 Postkarte 40 M
Bahnfahrt 4 kl. Brieg – Glogau 200 M
1 Pfd Reis 1000 M
1 Pfd Salz 80 M
1 Pfd Palmin 4400 M
1 Pfd Kaffee 14000 M
1 Pfd Kernseife 2500 M
1 Paar Schnürsenkel 300 M
1 Pferd – bis 16 Millionen M
1 Briefporto 100 M
1 Pfd Nägel 2000 M
Die vorstehend angeführten Preise gelten bei einem Dollarstand von 40.000 im Februar 1923. Es versteht sich von selbst, dass sie bei dem dauernden Steigen des Dollars auch sprungweise in die Höhe gingen. Die Notenpresse war dauernd in Betrieb, ein Geldscheinwert löste die anderen ab, sogar Städte und Betriebe gaben Notgeld heraus, um den ungeheueren Geldbedarf decken zu helfen. Für die Nachwelt lege ich eine Auswahl von Geldscheinen aus der Nachkriegs- und Inflationszeit bei.
Die als Folge der Geldentwertung entstehende Teuerung war für alle erdenklichen, fleißigen und sparsamen Deutschen der schwerste Schlag nach dem verlorenen Kriege. Jeder, der sich einen Notpfennig gespart hatte, um im Alter sorgenfrei leben zu können, verlor sein Geld und musste von seinen Kindern und Angehörigen unterhalten werden, oder von der Gemeinde Armenunterstützung erhalten. Alle Lebensversicherungen waren wertlos geworden. Das mühsam erworbene Geld war dahin. Ebenso war es mit den Kriegsanleihen. Das gesamte sparsame deutsche Volk war verarmt. Viele starben an Entbehrungen, während einige, die Kriegs- und Revolutionsgewinner ein gutes Leben führten.
Bei der zunehmenden Geldentwertung musste auch das Gehalt in kurzen Zeitabständen gezahlt werden. Eine Teuerungszahlung folgte auf die andere. Sofort musste das Geld von der Bank abgehoben werden, sonst entwertete es vollständig, sofort musste man Lebensmittel und Bedarfsartikel dafür kaufen. Es dürfte für die Nachwelt von Interesse sein, was z. Zeit d. Schreiber dieser Zeilen im November 1923, dem Monat der schnellsten Geldentwertung an Gehalt erhalten hat:
(Nur einige Angaben)
01. Nov. 548 746 000.000, M
05. Nov. 517 296 000.000, M
13. Nov. 2.808 000 000.000, M
17. Nov. 7.210 000 000.000, M
27. Nov. 2.528 000 000.000, M
30. Nov. 12.600 000 000.000, M
(Man lese: 12 Billionen 600 Milliarden Mark oder, da 1 € = 2,4 mm dick ist so würde ein Stab von 1€ Münzen eine Länge von 30,4 Millionen km erlangen, den man mit 200 km/h - non stop fahren, in 6333,3 Tagen oder in 17,35 Jahren langfahren könnte - Kommentar H.J. Breske)
Das Gehalt wurde an die Kreissparkasse in Glogau überwiesen. Der verehrte Leser kann sich leicht vorstellen, dass es nicht immer möglich war, sofort das Geld abzuheben und er kann sich eine Vorstellung davon machen, welche Verluste die Gehaltsempfänger durch die Inflation erlitten haben. Da hielt endlich Ende Dezember die wertbeständige Rentenmark ihren Einzug. Jeder atmete auf. Wenn auch das Gehalt nach Einführung der Rentenmark sehr gering war, so wusste doch jeder, dass ihm sein Einkommen nicht mehr entwertet werden konnte. Man vergleiche mit den ungeheuren Zahlen des Novembergehaltes die nüchternen, schlichten Zahlen der Rentenmark.
Für Januar 1924 erhielt ich am 31.12.1923 - 89,75 R. M. und am 14.01.1924 - 85,55 RM. an Gehalt. Sicherlich nicht viel für eine 6-köpfige Familie! Und wie froh waren wir trotzdem, dass wir wieder auf einer soliden, sicheren Grundlage standen.
Zu diesem Elend der Inflation kamen noch andere Sorgen. In den letzten Kriegsjahren waren die Lebensmittel sehr knapp geworden. Nach dem Kriege wurde es auch nicht besser. Die unwissenden, darbenden Menschen wurden besonders in den Städten durch Hetzer irregeführt. Man redete ihnen vor, dass die Bauern Lebensmittel zurückhielten. Es entstand bald eine Kluft zwischen Stadt und Land.
Überall im Lande brachen Feuersbrünste aus. Z.B. in Mahnau, das Schloss in Herrndorf, die Odermühle in Beuthen. Dem Besitzer Kern in Kladau brannte eine Scheune ab, ebenso dem Gutsbesitzer Haesner in Mangelwitz. Ähnliche Brände in Kosel und Brostau. Ungeheure Verluste hat unsere Volkswirtschaft durch diese Brände erlitten. Kein Dorf war mehr sicher vor einem solchen Brandunglück. Überall wurde ein verstärkter Nachtwachdienst eingerichtet und die Gründung freiwilliger Feuerwachen wurde zur Notwendigkeit.
Von Wichtigkeit für die kleinen Besitzer unseres Dorfes war es, das es ihnen gelang, auf den Wegen der Anliegersiedlung von der Gutsherrschaft den Grafen von Schlabrendorf (Patron der Kirche und Schule - Kom. H.J. Breske) zu Seppau Siedlungsacker zu erwerben. Der Kauf erfolgte im Oktober 1923 zu einem Preise von 14 Zentner Roggen pro Morgen. Es erwarben auf diese Weise die Besitzer: Alfred Baier (Nr. 12) - 5 Morgen, Bernhard Sommer (Nr. 2) - 5 Morgen, und andere, Ackerland. Der Kauf wurde für die Besitzer dadurch noch günstiger, dass es ihnen gelang, den Kaufpreis noch mit Inflationsgeld zu zahlen. Die Anerkennung ihres neuen Besitzes haben sie allerdings noch nicht erhalten.
Aus dem Jahre 1923 wäre noch zu erwähnen, dass Ostern die feierliche Mission, gehalten durch den Redemptoristenpater Rinke stattfand.
In den Sommerferien versah der Lehrer auf eigene Kosten auch die große Wohnstube mit einem Fußbodenanstrich.
Der Gastwirt Jahn erbaute im Sommer anstelle des alten Wohngebäudes ein schönes neues Wohnhaus.
Das Leben begann sich in Groß Kauer, damals im Januar 1924, langsam zu normalisieren. Bis Oktober 1944 lebte mein Lehrer, Herr Kurzbuch, mit seiner Familie im Gebäude der Schule in Groß Kauer. Er war mein erster Lehrer in der ersten Klasse der Grundschule, er war auch der letzte Lehrer der in der Schule in Kauer Unterricht gegeben hat.
Ich hoffe, dass die beschriebenen Erlebnisse und Preisturbulenzen aus dem Jahr 1923 uns allen erspart bleiben.
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