Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2009

Der Kirchturm - ein Wahrzeichen

 

von Hans-Joachim Breske

 

Wenn ich am Wochenende nach der Schule auf der Heimfahrt von Glogau nach Brieg a/O fuhr, nachdem der Bahnhof Fröbel passiert war, erfreute ich mich am Anblick der dunkelgrün gefärbten Bewaldung der Dalkauer Berge und an dem imposanten Kirchturm, der sich langsam vor dieser Kulisse vorbeischob. Es war der Kirchturm der Dorfkirche meines Heimatdorfes, zu dem ich unterwegs war: Groß Kauer, oder - wie jetzt der Ort auf Polnisch heißt, Kurów Wielki. Nach der Bahnfahrt musste ich bis dorthin noch einen ca. 4,5 km langen Feldweg gehen. Nähert man sich dem Ort von dieser Seite (von Mangelwitz), kann leicht erkannt werden, dass die dortige Kirche auf einem Hügel steht. (siehe Foto).
Aus meteorologischen Beobachtungen ist bekannt, dass Blitze besonders oft in einzelstehende Bäume oder höher gelegene Objekte einschlagen. Dem zu Folge kann vermutet werden, dass der Turm der Kirche von Groß Kauer, als höchstes Bauwerk der Umgebung, diese Voraussetzungen erfüllt und von Blitzschlägen öfters heimgesucht wurde und auch wird.
Um das zu klären, habe ich in der „Chronik der Kirche, Schule und Gemeinde Groß Kauer" geblättert und siehe da, die Chronikschreiber (meistens die Lehrer der dortigen Dorfschule) haben diese nicht alltäglichen Ereignisse genauestens und gewissenhaft registriert. So können wir nachlesen, dass:
„Im Mai 1906 wurden Kirche und Turm mit Schindeln doppelt gedeckt, da die in den Jahren 1891 und 1892 aufgelegten Schindeln vielfach undicht sich zeigten. Die Deckungsarbeiten hatte die Firma Gimmer aus Breslau übernommen.
Zuerst wurde die Deckung des Turmes vorgenommen. Zum Verdruss der Arbeitsleute reichten die Turmschindeln nur etwas über die Hälfte und deshalb musste einstweilen mit der Deckung des Kirchendaches begonnen werden. Wahrscheinlich schickte das Gott zum Glück der Arbeiter. Am 16. Mai war ein schwüler Tag, nur kleine unscheinliche Wölkchen zeigten sich am Himmel, aber ganz plötzlich und unvermutet fuhr ein Blitzstrahl am Turm nieder. Er löste vielfach die neuen Latten am Turm und spaltete einen Balken. Östlich vom Turm an der Nordseite des Kirchendaches sprang der Blitz von der eisernen Dachrinne in einen Balken und zündete denselben. Glücklicherweise wurden die mit Ausführung ihrer Arbeit beschäftigten Dachdecker nicht betäubt, nur der gerade in der Vorhalle befindliche Handlanger Raschke aus Ketschdorf Kr. Schönau wurde betäubt und niedergeworfen. Dem mutigen Eingreifen des Dachdeckers Hande aus Ketschdorf, welcher sofort von der Leiter sprang und, mit einem Eimer Wasser zurückkehrend, die Flammen löschte, ist es zu verdanken, dass die Kirche nicht ein Raub der Flammen wurde. Der mutige und besonnene Mann erhielt von der Aachener, der Münchener und Stettiner Feuerversicherung eine Belohnung von je 20 Mark."
Fantastisch! Man bedenke, 60 Mark waren damals viel Geld, und durch glückliche Umstände und Mut dieses Dachdeckers sind die Versicherungen sehr günstig davon gekommen.
Wäre die Kirche abgebrannt, so glaube ich, hätte man sie wahrscheinlich nicht wieder aufgebaut, da damals in den 11 Dörfern der Pfarrei nur ca. 230 kath. Christen lebten, und Kauer war und ist ein kleines Dorf (18 Hausnummern).
Im Jahr 1908 berichtet der Chronist:
„Sonntag, den 26. Juli 1908, schlug der Blitz in den hiesigen Kirchturm, zerschmetterte einen Sparren und lockerte auch an verschiedenen Stellen die Schindeln, ohne glücklicherweise zu zünden. Die Kosten der Ausbesserung sind durch Versicherung gedeckt worden. "
Es vergingen einige Jahre, und möglicherweise dachte man sich schon in Sicherheit, bis dann:
„Am 2.5.34 wäre unser altwürdiges Kirchlein beinah ein Opfer der Flammen geworden. In der 10. Abendstunde dieses Tages entlud sich über Groß Kauer ein heftiges Gewitter. Ein Blitzstrahl traf ungefähr in der Mitte des Dachfirstes die Kirche, riss das Dach auf, schleuderte die Schindeln weit fort, fuhr an einem senkrechten Stützbalken herab, setzte diesen in Brand und wurde dann durch die elektrische Lichtleitung weitergeleitet, an der er noch größeren Schaden anrichtete. Zunächst wurde der entstandene Balkenbrandrand nicht beobachtet. Der Gastwirt Jahn trat vor seine Haustür und sah sich um, ob etwa der Blitzschlag in seinem Gehöft Schaden angerichtet hätte. Da sah er durch die Dachfenster der Kirche den roten Feuerschein hervorleuchten. Der Pfarrer musste erst geweckt werden, da nur er die Kirchenschlüssel hatte. Kostbare Zeit verging. Als er herbeikam, gab er die Kirche schon verloren und wollte das Allerheiligste aus der Kirche retten und das, was sich sonst noch herausschaffen ließe.
Der Gastwirt Konstantin Jahn aber und sein Sohn Alfons stürmten mit Wassereimern versehen auf das obere Chor, die verschlossene Falltür zum Kirchboden wurde geöffnet, und nun konnte der Brandherd erblickt werden. Das Feuer, das durch den entstandenen Gegenzug noch mehr angefacht wurde, loderte gewaltig auf. Aber furchtlos und unerschrocken erkletterte Alfons Jahn das Gebälk, und es gelang ihm, mit wohlgezielten Wassergüssen die Macht des Feuers zu brechen. Die Kirche war gerettet, und wir konnten dem lieben Gott in der Frühe des nächsten Morgens beim heiligen Opfer Dank sagen für die glückliche Abwendung der Gefahr. "
Das Jahr 1934 war gewittermäßig wohl sehr aktiv, denn schon drei Monate später konnte der Chronist und mein Lehrer, Herr Kurzbuch, notieren:
„Am 1.8.34 gegen 9 Uhr abends schlug der Blitz wieder in unsere Kirche.
Der Blitzstrahl fuhr in den Kirchturm und riss die Schindeln teilweise herunter. Glücklicherweise zündete er nicht.
Von seiten des Pfarrers (meines Onkels - Kommentar H.-J. Breske) wurden mit dem Patron Verhandlungen wegen der Anlage eines Blitzableiters eingeleitet. Der Patron nimmt eine ablehnende Haltung ein. "
(Patron der Kirche und Schule von Kauer war damals Graf von Schlabrendorf von und zu Seppau - Kommentar: H.-J. Breske)
Die Angelegenheit „Blitzableiter" hat sich aber positiv erledigt. Die jetzt weltweit
bekannte Erfindung des Herrn Franklin wurde an der Kirche installiert und hat sie bis heute zuverlässig geschützt. Ich glaube zu wissen, dass die Kosten dieser Anlage teilweise von meinem Onkel persönlich getragen wurden.
Am 20.06.1951 habe ich persönlich einen Blitzeinschlag in die Kirche miterlebt. Es war für mich ein unheimliches Erlebnis. Ein starkes Gewitter war von Süd-Ost also aus der Richtung Glogau aufgezogen. Der Einschlag hatte uns sehr erschreckt. Tante bekreuzigte sich erschrocken, und Onkel sprang sofort zum Fenster. Da er wegen der Wassermassen an der Scheibe nichts erblicken konnte, stürzte er vor das Pfarrhaus ins Freie und schaute zur Kirche. Es war nichts passiert, der Blitzableiter hatte das Schlimmste verhindert.
Man kann also mit Recht behaupten, dass nur durch glückliche Umstände die sehenswürdige Kirche bis zum heutigen Tag für viele Menschen erhalten blieb.
Die am Anfang hier zitierte „Chronik" informiert weiter, dass sich über Groß Kauer auch andere Naturereignisse abspielten.
Aus dem Jahre 1902 wird berichtet, dass:
„Der Winter 1902/1903 war bezüglich der Witterung für den Schulbesuch günstig. Ein gewiss höchst seltener Nachwinter, welcher nach den Zeitungsnachrichten in Schlesien wohl mehr als 60 Menschen das Leben kostete, stellte sich am Sonnabend, den 18. April 1903, nachmittags ein, begleitet von ziemlich starkem Frost. Die fürchterlichen Schneestürme wüteten ununterbrochen bis Montag, den 20. April, so dass jeglicher Verkehr unterbrochen war. Mit größter Anstrengung konnten Sonntag, den 19. April (Weißer Sonntag), Leute aus Seppau und Gr. Kauer zur Kirche gelangen
Montag, den 20. April, fiel der Unterricht ganz aus, weil kein Kind die Schule zu erreichen vermochte. "
Und es wird noch über einen starken Frosteinbruch berichtet, so lesen wir:
„Nach Weihnachten 1928 brach ein unheimlich kalter und langer Winter ins Land ein. Die Schulstube konnte nicht mehr erhitzt werden. Vom 11 bis 14. 2. 29 musste deshalb der Unterricht ausfallen. Hoher Schnee bedeckte das Land. Die kältesten Tage waren nachts der 10. u. 11. 2. 29. Bei eisigem Ostwind wurden 37° C Kälte gemessen. Der Frost hat ungeheuerliche Schäden angerichtet. Viele Obstbäume erfroren oder kränkelten dahin und gingen nach und nach ein. Der gesamte Bestand an Walnussbäumen ging zugrunde.
Die Wasserleitung (von einem Brunnen zur Schule - Kommentar H-J. Breske) zerfror, auch die Pumpe (im Keller der Schule - Kom. H-J. Breske.) wurde durch den Frost beschädigt. Die Reparatur kostete 172,- M."
Aber zurück zum Kirchturm von Groß Kauer.
Die imposante Form dieses hohen, fast quadratischen, aus Feldsteinen erbauten Turmes, das Wahrzeichen des Ortes, ist etwas Seltenes. Besonders die Form der Turmhaube ist nicht typisch für die Umgebung von Glogau, anders ausgedrückt, sie ist in dieser Gegend einmalig.
Alle Kirchen im Umkreis haben zwar Türme, einige sind sogar sehr mächtige Bauwerke, (z.B. der immer noch zerschossene Kirchturm der Pfarrkirche St. Nikolaus in Glogau), aber bedeckt sind diese mit einem einfachen Pyramiden- oder Zeltdach (siehe Zeichnungen des Herrn Gatzka: NGA - Nr. 9/2007, oder NGA - Nr. 8/2006 - Beuthen).
Die Turmhaube des mächtigen Turmes in Kauer hat zwar eine pyramidale Basis, geht aber in eine achteckige, steile, ca. 12 m hohe Spitze über, die mit einer Kugel (auch Knopf genannt), einer Wetterfahne (mit Inschrift „IHS 1607") und dem Kreuz abgeschlossen ist.
Als ich noch in Kauer bei meinem Onkel (dem Pfarrer) wohnte, waren die Dächer der ganzen Kirche mit Holzschindeln gedeckt. Zwangsweise mussten diese oft repariert werden. In der „Chronik" sind sechs Dachreparaturen: 1792, 1863, 1891/92, 1906, 1908 und 1934, vermerkt worden.
Vor einigen Jahren wurden die Dächer der Kirche in Kurów Wielki mit Kupferblech gedeckt. Ich darf nur hoffen, dass die hölzernen, Jahrhunderte alten Balken der Dachkonstruktionen, die noch Brandspuren des Blitzeinschlages von 1934 aufweisen, dieser Belastung standhalten.

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