Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2009

Das staatliche evangelische

(Reform-Real-)Gymnasium

2. Fortsetzung und Schluss aus NGA 12/08

von Lau-Henze

 

Das Jahr 1937 brachte tiefgreifende Veränderungen im Leben der Schule mit sich. Es sollte sogar von entscheidender Bedeutung für ihr Schicksal werden. In der Obersekunda wurde eine Gabelung des weiterführenden Unterrichts in einen sprachlichen und einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig vorgenommen, um unterschiedlichen Neigungen der Schüler entgegenzukommen. Beide Zweige fanden etwa gleich starken Zuspruch. Noch einmal änderte sich der Name des Gymnasiums. Er lautete nun „Hindenburg-Schule, Staatliche Oberschule für Jungen in Glogau". Im Zuge einer allgemeinen Schulreform wurde durch Verfügung vom 19. November 1937 der Abbau der Anstalt angeordnet. Schon ab Ostern 1937 fiel die Sexta fort. Seitdem sanken zwangsläufig die Schülerzahlen. Staatspolitische Einsätze der Schüler im Rahmen der Erzeugungsschlacht beeinträchtigten den Unterricht erheblich. Im Herbst 1938 mussten die Klassen V - U II drei Wochen zur Hilfe bei der Kartoffelernte in Kuttlau und Karitsch abgestellt werden. 14

Am 1. Februar 1938 wurde StD. Eichhorn nach 4 ½ jähriger Amtszeit als Schulleiter, aber wesentlich längerer Zugehörigkeit zum Lehrkörper, pensioniert. Ihm folgte Dr. Willy Lehmann, dem die traurige Aufgabe blieb, das Ende des alten Gymnasiums würdig zu gestalten." Der inzwischen ausgebrochene Zweite Weltkrieg beschleunigte den Abbau. Im Herbst 1939 legte noch ein Schüler das Abitur ab. 10 Primaner gingen ohne Abschlussprüfung ab. Die jungen Männer drängten zur Wehrmacht. Ab Sommer 1939 fand ein Lehreraustausch mit dem Katholischen Gymnasium statt, der dann im Krieg beibehalten wurde. Viele Lehrer mussten zu politischen Schulungen abgestellt werden. Der Unterricht beider Gymnasien wurde zum Teil im Gebäude des Fridericianums in der Breslauer Straße und zum Teil in dem der Hindenburg-Schule abgehalten, bis diese zum zweiten Mal innerhalb von 29 Jahren für die Aufnahme eines Lazaretts geräumt werden musste."

„Gebäulichkeiten in gutem Zustand"
Im Bericht über das Schuljahr 1927/28 findet sich der lapidare Satz: „Die Gebäulichkeiten der Anstalt sind in gutem Zustand." Was waren das für „Gebäulichkeiten", in denen sich die Schüler um eine gehobene Bildung als Grundlage für den späteren Existenzkampf bemühten?

Am Giebel über dem Portal des Gymnasiums ermahnte den Eintretenden als Leitwort in drei Sprachen:
ERKENNE DICH SELBST
NOSCE TE IPSUM GNOTI SE AUTON

Allmorgendlich drängten sich hier die Sextaner hindurch, ohne zu wissen, was dies bedeutete. Erst Jahre später erkannten sie, wo ihre Fähigkeiten und wo ihre Grenzen lagen.


Beim Betreten des Gebäudeinneren glaubte man eher in einen orientalischen Raum als in die Vorhalle einer modernen Schule zu kommen. Gedämpftes Licht verstärkte diesen Eindruck. Das von vier dicken Marmorsäulen getragene Kreuzgewölbe war mit Arabesken verziert, wie sie in arabischen Ländern zu finden sind. Eine mit glasierten farbigen Kacheln ausgekleidete gewölbte Wandnische zur Linken, die eine Trinkstelle enthielt, ergänzte die orientalische Wirkung. Links des Eingangs lagen das Konferenzzimmer mit der Lehrerbibliothek und rechts davon die Hausmeisterloge und die Schülerbücherei. Von der Vorhalle aus gingen im rechten Winkel zueinander die Flure zu den Klassenzimmern ab. Dazwischen schwang sich eine breite Steintreppe mit Marmorbrüstung zum Obergeschoß empor.

Ganz nüchtern waren dagegen die Flure gehalten, durch deren große Südfenster das Tageslicht drang. Die an den Straßenfronten nach Norden und Osten gelegenen Klassenräume des in L -Form errichteten Baues waren weder grellem
Sonnenlicht noch großer Erwärmung im Sommer ausgesetzt. Der Lärm vom Pausenhof störte nicht bei längeren Klausuren in den Klassen. Straßengeräusche beeinträchtigten damals noch nicht den Unterricht. Am Ende des kurzen L -Schenkels waren Sprech- und Arbeitszimmer des Direktors untergebracht.
Diese vorteilhafte Raumanordnung wiederholte sich im Obergeschoss, das am Ende des langen Korridors durch eine zweite Treppe mit dem Erdgeschoss verbunden war. Oben lagen alle Fachräume. Dazu gehörten der große Zeichensaal, das Chemiezimmer, der Physikraum mit ansteigendem Gestühl und das Musikzimmer. Leider fehlte ein Verdunklungsraum für Lichtbildprojektion. Als Notbehelf diente dafür ein Teil des Dachbodens.


Das Prunkstück der Anstalt war zweifellos die große Aula über dem Eingang und der Vorhalle. Sehr hohe Fenster sorgten am Tage und drei mächtige Kronleuchter am Abend für gute Beleuchtung. Die ringsumlaufende drei Meter hohe Eichenvertäfelung gab der Aula einen festlichen Charakter. Darüber symbolisierten zwei große Wandgemälde von Prof. Jordan das Griechentum und die deutsche Dichtkunst. Die hohe, tonnenförmig gewölbte Decke mit Kassettenfeldern verlieh dem Raum eine gute Akustik. Auf der über die Gesamtbreite eingebauten Bühne fanden Konzerte und Theateraufführungen statt. Sie konnte vom nebenliegenden Musikzimmer direkt begangen werden. In der Aula fanden alljährlich in sehr würdigem Rahmen die Entlassfeiern für die Abiturienten statt. Zwischen den zwei breiten Eingangstüren war an der Flurwand eine große steinerne Gedenktafel mit den Namen der 1914/18 gefallenen 63 Schüler des Gymnasiums angebracht. Die genaue Zahl derer, die 1939/45 ihr Leben für die Heimat ließen, ist nicht mehr feststellbar. Soweit bekannt, wurden die Namen von 57 ehemaligen Schülern ermittelt. Die wirkliche Zahl wird wahrscheinlich wesentlich höher liegen. Ihre Namen konnten keinen Platz des Gedenkens mehr in ihrer Schule finden.

Als großer Mangel erwies sich das Fehlen einer Turnhalle mit Sportplatz bei der Schule. 1936 erwarb der Staat ein Nachbargrundstück zum Bau einer solchen Anlage. Als die Halle zwei Jahre später fertiggestellt war, wurde sie gleich zweckentfremdet. Statt körperlicher Ertüchtigung zu dienen, wurde sie als Getreidelager im Rahmen des Vierjahresplanes genutzt.

BILD TEMPEL
Durch die L -Form des Gebäudes war der Pausenhof von den Straßen völlig abgeschirmt. Ein kleiner Rundtempel, dessen mit Kupfer belegte Kuppel von acht Säulen getragen wurde, zierte den geräumigen Hof. Er enthielt eine zweite Trinkstelle. Auf den Stufen des Tempelchens vor der Kulisse antiker Säulen entstanden viele Gruppenaufnahmen des Lehrkörpers und der verschiedenen Klassen.
Die gesamte Schulanlage war damals sehr fortschrittlich gestaltet worden. Nicht nur die gute Raumanordnung, sondern auch die Ausstattung des Baues mit drei
Kreisläufen der Zentralheizung, elektrischem Strom und Wasseranschlüssen in den Räumen erwiesen sich im Schulalltag als überaus günstig.18 Das sehr solide ausgeführte Gebäude überstand den siebenwöchigen Beschuss Glogaus im Februar/März 1945 durch die Rote Armee ohne bedeutende Schäden. Eine russische Granate fegte nur den Dachreiter hinweg.

15) Bericht über das Schuljahr 1934-35
16) Bericht über das Schuljahr 1937-38
17) Bericht über das Schuljahr 1939-40
18) Der Neubau des Königlichen Evangelischen Gymnasiums in Glogau, in: Zentralblatt der Bauverwaltung,
Berlin, XXXII. Jahrgang, Nr. 69, v. 24. August 1912, S. 437-440

Dieser Beitrag wurde dem Buch „Das war Glogau 1913-1945“, Herausgeber: Glogauer Heimatbund e.V., entnommen.

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