Worüber ich hier berichte, ist das Hohelied einer tapferen Frau, die seit vielen Jahren ihrem Alter, ihren körperlichen Beschwerden und allen Unbillen ihrer durch den Krieg entfremdeten Umwelt trotzt und sich unbeirrt seit 1995 bemüht, aus einer Ruine, dem Schloss ihrer Vorfahren, eine neue Heimstätte entstehen zu lassen. Es geht um die Baronin, Sigrun Freifrau von Schlichting und ihr Schloss Rothenhorn in Schlichtingsheim (Szlichtyngowa) bei Glogau/Niederschlesien. Mehr durch Zufall bin ich 2005 mit einer Reisegruppe von Heimatfreunden aus Glogau und Umgebung auf der Suche nach einer möglichst billigen Unterkunft auf dieses Schloss gestoßen. Also waren wir dort. Unverkennbar eine Ruine, zu 1/3 etwa wieder aufgebaut. Entsprechend die Gegebenheiten eher romantisch als komfortabel. Jedoch die Zimmer waren sauber, die Betten gut, die hygienischen Einrichtungen tadellos und der Preis mit 24 Euro, einschließlich Frühstück, sehr billig. Wir waren dort gut verpflegt, haben gefrühstückt und z.T. auch abends gegessen - reichlich und gut. Beeindruckt hat uns aber die Hausherrin. Abends, wenn es ihre Zeit erlaubte, hat sie uns von ihrem Schloss und ihrem Leben in Schlichtingsheim erzählt. Es gab keinen in unserer Gruppe, der sich davon nicht berührt fühlte. Frau von Schlichting hat es verstanden, dem Schloss eine warme, anheimelnde Atmosphäre zu geben, die jeden Besucher gefangen nimmt und den Wunsch zur Wiederkehr aufkeimen lässt. Wir haben auf Grund dieses Besuches in unserer Heimatzeitung (NGA 52. Jg., Nr. 9/2005) berichtet und auch einen Artikel über die Geschichte des Schlosses abgedruckt. Im Sommer 2007 war ich wieder im Feenschloss. Es hat sich im Inneren vieles verändert. Doch zunächst, wie kommt es eigentlich zu dem Namen Feenschloss"? Nach einer alten Überlieferung erhielten die v. Schlichtings von einer Fee ein Jagdhorn mit Zaubereigenschaften, ein Glückshorn. Dieses Glückshorn spielt auch in einem anderen Zusammenhang eine große Rolle. Aber das ist eine andere Geschichte, die mit dem Namen Rothenhorn zusammenhängt. Der Name hat eine interessante Vorgeschichte, er ist historisch bedingt. Frau von Schlichting erzählt: Als seinerzeit der König Sigmund-August mit seinem Gefolge zur Jagd ritt, wurde er von Räubern überfallen, die ihm nach dem Leben trachteten. Die Höflinge des Königs flohen, und nur Ambrosius v. Schlichting blieb an seiner Seite. Er blies auf seinem Jagdhorn, eben diesem Glückshorn, worauf Bauern aus der Umgebung zu Hilfe eilten und die Räuber verjagten: Als Dank erhielt er dafür 1556 das Recht, künftig das rote Jagdhorn an goldener Kette in sein Wappen aufzunehmen. Seitdem besteht das Familienwappen der von Schlichtings aus 3 schwarzen Hirschgeweihen auf silbernem Schild und dazwischen an der goldenen Kette das rote Jagdhorn.
Doch nun zum Schloss. Das Feenschloss Rothenhorn ist nicht eigentlich ihr Geburtshaus. Der Stammsitz der Familie war das Schloss in Schlichtingsheim-Gurschen, das in den Nachkriegswirren 1957 restlos zerstört wurde. Schloss Rothenhorn war aber im Laufe der Geschichte vielfach mit dem Stammsitz der von Schlichtings verbunden, zumal es das Elternhaus der Gründerin des Ortes Schlichtingsheim, Hedwig von Kurzbach-Seydlitz, war. Schlichtingsheim und Umgebung ist also die Heimat der Baronin. Wie viele unserer ehemaligen Schlesier musste sie 1945 flüchten, am 21. Januar bei -21° Kälte verließen die Eltern mit ihren Kindern mit einem Pferdefuhrwerk ihren Stammsitz. Am 1. August kamen sie schließlich in Bayern an und fanden bei Verwandten Unterkunft. Unsere Freifrau v. Schlichting war damals erst viereinhalb Jahre alt. Die Erinnerung an diese schlimme Zeit ist aber noch heute bei ihr wach, ebenso die Erinnerung an ihre Heimat, an Schlichtingsheim. Nach einem langen, bewegten Lebensabschnitt, in dem sie in verschiedenen Ländern tätig war, wurde ihr Vorsatz immer stärker, in ihre ehemalige Heimat zurückzukehren und sich dort eine endgültige Heimstatt zu schaffen, für sich, ihre 8 Kinder und inzwischen 19 Enkel. Sie hatte den Mut, die Kraft und den Willen, das auch allein zu schaffen, denn ihre Kinder hatten sich inzwischen in der Bundesrepublik etabliert und zogen nicht mit. Der Bürgermeister von Schlichtingsheim hatte ihr die Reste des Schlosses Rothenhorn als Ersatz für den Stammsitz der Schlichtings zum Kauf angeboten. Sie wollte es zur alten Schönheit wieder aufbauen: Aber wie sollte und konnte das gelingen? Nach eigenen Angaben verfügte die Baronin 2006 über eine Rente von 150,12 Euro, hinzu kommen noch monatliche Zuwendungen ihrer nicht in Polen lebenden Kinder, sowie gelegentliche Spenden von Privatpersonen, zusammen etwa 1200.- Euro. Wie kann man damit aus einer Ruine ein Schloss aufbauen? Staatliche Zuschüsse von polnischer Seite gab und gibt es nicht, abgesehen von gelegentlichen Zuwendungen für konkrete Objekte in und am Schloss. Das Schloss war durch Kriegseinwirkungen stark beschädigt. Es gab nach Kriegsende 4 polnische Besitzer, die sich aber wegen der zu erwartenden Kosten nicht um eine Instandhaltung bzw. Wiederaufbau kümmerten. So konnten noch verwertbare Teile (Holz, Steine usw.) geplündert werden. Das Schloss verfiel immer mehr. Der letzte Vorbesitzer verkaufte auch noch die verwertbaren Dachziegeln, so dass der alte Dachstuhl samt den hölzernen Geschossdecken zusammenstürzten. 6 Jahre hindurch konnten Frost, Wind und Wetter ihr Zerstörungswerk fortsetzen. In diesem Zustand erwarb die Baronin ihr Schloss, eine dem Verfall preisgegebene Ruine. Immerhin mussten dafür damals 100.000,- DM bezahlt werden, wohl mehr für das große Grundstück als für die Schlossreste, die nicht mehr bewohnbar waren. So hielt die Frau Baronin am 5.2.1995 Einzug in das ehemalige Schloss ihrer Vorfahren, armselig, aber mit dem festen Willen, es wieder bewohnbar und in alter Schönheit neu entstehen zu lassen. Als Notunterkunft diente ein ganzes Jahr lang ein Container, der auf dem Schlosshof aufgestellt war. Als erster Raum wurde im vorderen Teil des Schlosses" dann eine Küche eingerichtet, provisorisch, denn sie diente im Winter 1995/96 auch als Wohnraum, obwohl der Putz noch nass war und die Decke noch mit Pappe und Folien bespannt war. Damit war der Anfang gemacht. Material und polnische Arbeitskräfte waren damals billig, der Umrechnungskurs zur DM hoch, sodass die Finanzspritzen ihrer Kinder aus der Bundesrepublik überhaupt erst einen Neuanfang ermöglichten. Inzwischen sind die Jahre vergangen und die Preise auch in Polen stetig angestiegen. Das Baumaterial ist um 150%, z.T. sogar bis 400% gestiegen. Auch für die Lohnkosten gab es erhebliche Preissteigerungen, so dass viele Bauarbeiter entlassen werden mussten - staatliche Hilfen sind nach wie vor nicht in Aussicht. Sobald es der Zustand des Schlosses erlaubte, wurde deshalb versucht, durch gastronomische Angebote (Hotel - Restaurant - Cafe) zusätzliche Finanzen zu erwirtschaften. Inzwischen ist im Lande bekannt, dass man im Schloss Rothenhorn gut essen und trinken kann. Entsprechend kommen nicht nur Reisegruppen. Die freundlichen, geschmack- und stilvoll eingerichteten Räume werden auch für Familienfeiern (Hochzeiten, Taufen, Erstkommunion, Betriebsfeiern u.a.) genutzt. Besonders die beiden Festsäle bieten sich für größere Feiern an. Sie sind wunderschön restauriert und haben Atmosphäre
Natürlich ist das Geld auf Schloss Rothenhorn immer noch knapp. Ein Beispiel: Als ich im vorigen Sommer mit einer kleinen Glogauer-Gruppe nach Schlichtingsheim kam, begrüßte ich die Frau Baronin ohne einen Blumenstrauß, weil ich unterwegs keinen auftreiben konnte. Ich entschuldigte mich, und sie antwortete nur kurz 'ein Sack Zement wäre mir ohnehin lieber gewesen . Schloss Rothenhorn ist heute nicht mehr nur Die gemütliche Baustelle", es bietet neben den Annehmlichkeiten einer guten Bewirtung Ruhe und eine anheimelnde Atmosphäre. Besonders zu erwähnen ist auch die Bibliothek. Es ist der Ort der Stille. Man kann dort stundenlang in gut sortierten deutschen, klassischen und auch modernen Büchern stöbern Was hat sich im Schloss verändert? Der hintere Teil des Schlosses zeigt noch die Zerstörungen; er ist durch einen Bauzaun abgesperrt. Der große Platz davor ist inzwischen teilweise gepflastert. Die herrschaftliche Freitreppe
ist eindrucksvoll, sie führt aber noch nicht zum Festsaal, weil er innen noch nicht restauriert ist. Zurzeit liegt der Schlosseingang noch zu ebener Erde neben der Schlosstreppe. Am auffälligsten war mir anfangs die wunderschöne Eichenholztreppe,
die nun bis in die oberen Stockwerke zu den Turmzimmern führt. Auch viele Türen sind durch geschmackvolle Eichenholztüren ersetzt
Was hier durch handwerkliches Geschick von einem Tischler geleistet wurde, verdient ein Lob. Dabei muss daran erinnert werden, dass die meisten Arbeiter im Schloss früher ungelernt waren. Für den Wiederaufbau des Schlosses waren aber Fähigkeiten als Maurer, Stuckateur, Tischler, Elektriker, Fliesenleger, Ofensetzer, Maler usw. nötig. Aber Fachkräfte sind auch in Polen teuer. So mussten zunächst arbeitswillige Leute aus der Umgebung angestellt werden. Manche haben sich durch und mit ihrer Arbeit qualifiziert und sind bis heute geblieben. Die meisten konnten aber nicht mehr beschäftigt werden, weil die Löhne in Polen so gestiegen sind. Konnten in den ersten Jahren noch 14 Arbeiter bezahlt werden, so ist es heute nur möglich 2-3 Arbeiter dauernd einzustellen. Zurzeit sind im Schloss noch 1 Maurer, 1 Tischler und 1 Elektriker beschäftigt, dabei arbeitet der Tischler auch als Fliesenleger, der Maurer auch als Maler und der Elektriker als Schlosser.
Große Sorgen und Mühen bereitete die Instandsetzung und Modernisierung der Heizung. Die vorhandenen Kaminblöcke sind 400 Jahre alt, z.T. sogar entsprechend den verschiedenen Bauetappen des Schlosses noch älter. Die Kaminblöcke sind verrottet und müssen vom Keller aus neu gemauert werden, was inzwischen bis zum 2. Obergeschoss erfolgt ist. Anschließend konnte ein neues Holzvergasungssystem eingebaut werden.
Das alles hat natürlich viel Kraft und Geld gekostet. Aber es geht voran, wenn auch viel langsamer, als gewünscht war.
Besonders aufwendig war in den letzten Jahren der Einbau einer Ziegeldecke über dem Erdgeschoss. Es ist nun nach 17 Jahren endlich wieder stabil überdacht
Dabei war auch die Abtragung und Erneuerung von Fassadenteilen notwendig, sowie der Einbau von Kanälen für Wasser-, Heizungs-, Telefon- und Stromleitungen. 2007 musste auch das provisorische Foliendach über dem Ruinenteil erneuert werden. Etwa 600 m2 Dachfläche sind nun durch ein massives Holzdach mit Dachpappe und Bitumenbeschichtung gesichert.
Zurzeit können im Schloss 12 -13 Personen untergebracht werden. Gegenwärtig erhält das 1. Obergeschoss eine völlig neue Ziegeldecke, sodass künftig 7 weitere erneuerte und ansprechende Gästezimmer verfügbar sein werden, sowie auch 3-4 Komfortwohnungen.
Zum Schloss gehört auch ein schöner Garten mit Sitzbänken, arrangiert um einen zentralen Springbrunnen, sowie ein anschließender riesiger Waldpark mit schönem alten Baumbestand und Spazierwegen, die genutzt sein wollen. Wir haben das auch versucht, aber uns bald von den Mücken wieder verjagen lassen. Dafür haben wir in der Gartenanlage bis in die Nacht hinein gesessen, erzählt, Witze gemacht und viele Lieder gesungen, schlesische Heimatlieder. Vom Garten aus hat man auch einen guten Blick auf die Westfront des ganzen Schlosses. Der Ruinenteil ist eingerüstet. Es sind keine Metallgerüste, wie wir sie in Deutschland gewöhnt sind. Hier wurden Holzbalken und Holzstämme verwendet - und sie halten seit Jahren: Wenn man das so sieht, dann wird einem bewusst, wieviel Mut es kostet und wieviel Arbeit und Geld, um aus dieser Ruine wieder das alte schmucke Schloss entstehen zu lassen. Im zunehmenden Dämmerlicht des Tages schlägt auch die Nachtigall. Dabei kommen einem in dieser Kulisse auch wieder Gedanken an die eigene schlesische Heimat, an glückliche und traurige Tage. Inzwischen ist es dunkel geworden, und
plötzlich drängt sich zutraulich eine feuchte Hundeschnauze in die Hand. Es sind Ali und Bero, die beiden großen Schäferhunde. Sie werden am Abend freigelassen und sind friedlich und kontaktfreudig gegenüber allen Schlossbewohnern - auch gegenüber den Besuchern - aber was außerhalb der Umzäunung des Schlosses sich nähert, wird kräftig verbellt.
Frau von Schlichting kümmert sich um alles in ihrem Schloss: Baugeschehen, Materialbeschaffung, Behördenangelegenheiten, Finanzplanung, Anleitung und Einweisung des Personals, Küchenangelegenheiten, Begrüßung und Kontakte zu den Gästen usw. Oft reicht der Tag nicht aus, um alles, was ansteht, zu bewältigen. Und dann ist da noch der Garten. Es sind nicht nur die Blumen im großen Feengarten, die zur Dekoration gebraucht werden und natürlich auch gepflegt werden müssen. Die Baronin hat auch eine große Vorliebe für Küchenkräuter. Während eines Abendessens wies sie uns auf die geschmacklichen und gesundheitlichen Vorzüge von frisch gebrühtem Kräutertee hin. Und kaum ausgesprochen, war sie in ihrem Garten und pflückte hier und da eine Blüte, ein Blatt (Ringelblumen, Minze, Holunderblüten u.a.). Unsere Damen waren ganz versessen auf diesen Tee. Ich selbst habe auch eine Tasse davon getrunken, ich stehe aber eher auf eine Mischung aus Darjeeling und Earl Grey. Natürlich ist auch das hier zu haben. Bleibt bei solcher Beanspruchung unserer Gastgeberin die Frage, gibt es noch Zeit für private Dinge, für Ruhe und Entspannung/Erholung? Die Baronin schöpft ihre Kraft offenbar in den wenigen Mußestunden, die sie meist in ihrer geliebten Bibliothek verbringt. Und da sind auch noch die Besuche ihrer Kinder und Enkel,
meist in den Sommermonaten und viel zu kurz. Es sind immer besondere Höhepunkte und Quelle der Erneuerung für sie. Frau von Schlichting hat eine starke spirituelle Ader. Sie ist fromm und betet viel, nicht zum personalen Gott einer Religion, für sie ist Gott in der Natur, in der Welt, im Kosmos. Er lenkt die Konstellation der Sterne und beeinflusst und lenkt auch unser Leben. Der Wiederaufbau des Schlosses soll die Krönung ihrer Lebensleistung sein. Und sie hofft, dass sie ihr vollendetes Werk einem ihrer zahlreichen Kinder, Enkel oder Verwandten übergeben kann. Freifrau von Schlichting hat ihre ganze Persönlichkeit in diese Aufgabe eingebracht. Sie hat sich durch ihre Art, ihren Einsatz und ihre Leistung nicht nur Anerkennung und Respekt bei der polnischen Bevölkerung erworben. Sie hat auch beispielhaft gezeigt, wie gut und problemlos sich ein deutsch-polnisches Nebeneinander gestalten kann. Das Feenschloss Szlichtyngowa ist heute überall im Kreis Glogów bekannt, und es ist auch für alle unsere Heimatfreunde eine Reise wert!" Nach den Vorstellungen der Schlossherrin soll es auch künftig ein Ort der Gastfreundschaft, der Begegnung, der Kommunikation sein, der allen offen steht.