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Sie hing in unserem Klassenzimmer, die berühmte "Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer aus Basel" (natürlich als Druck! Gemalt von Hans Holbein dem Jüngeren), als wir 1936 als Sextanerinnen ins Glogauer Lyzeum Einzug hielten. Wochen- und monatelang fiel unser Blick auf sie, besonders in Phasen der Unaufmerksamkeit. Details des Bildes prägten sich visuell tief ein. Wohl kaum eine von uns Zehnjährigen hat damals nach der Geschichte und Bedeutung des Bildes gefragt, das 1526, genau 400 Jahre bevor wir das Licht der Welt erblickten, vom Baseler Bürgermeister Jacob Meyer als Votivbild in Auftrag gegeben wurde, um die Genesung seines kleinen Kindes zu erflehen. Mit dem Wechsel des Klassensaales entschwand es unseren Blicken.
Fünfzig Jahre danach - Flucht und Vertreibung lagen lange zurück - sollten wir der Madonna wieder begegnen, nun aber dem Original von unschätzbarem Wert im Schlossmuseum in Darmstadt, als Wissende um die Bedeutung des Bildes. Es war ein eigenartiges Wiedersehen mit emotionaler Betroffenheit. Nie wäre das möglich gewesen, wenn die Madonna, wie um ein Haar beinahe geschehen, den Russen als Kriegsbeute in die Hände gefallen wäre. Schlesiens letzter Landeskonservator, Professor Günther Grundmann, bewahrte sie vor solchem Schicksal. Er rettete sie in letzter Minute vor dem Zugriff der Russen und nicht die Amerikaner, wie die Boulevardpresse seinerzeit fälschlich berichtete. Die dramatische Rettungsaktion kann man im letzten Kapitel seines 1972 erschienenen Buches "Erlebter Jahre Widerschein" nachlesen. Im gleichen Jahr verfasste Grundmann ein Büchlein mit dem Titel "Die Darmstädter Madonna" - der Schicksalsweg des berühmten Gemäldes von Hans Holbein d. Jüngeren - , das ich besitze. Beim Lesen darin gewinnt man den Eindruck, dass ihm dieses Bild besonders ans Herz gewachsen war, so warmherzig und anschaulich ist es geschrieben.
Während der vergangenen Jahrhunderte wechselte das Bild mehrmals den Besitzer, ehe es 1851 nach Hessen gelangte. Nach dem Tod Prinz Wilhelms von Preußen ging es im Erbgang an dessen Tochter Elisabeth, die mit dem Prinzen Carl von Hessen und bei Rhein verheiratet war. Zum Besitz der hessischen Großherzogsfamilie gehörte auch Schloss Fischbach im Riesengebirge. Dorthin ließ Prinz Ludwig von Hessen 1943 wertvollen Kunstbesitz, dabei auch die Holbein Madonna, verwahrt in einer stabilen Holzkassette, in Sicherheit? bringen. In der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1945 gelang es Grundmann (der selbst auf der Flucht aus Breslau kommend war), in letzter Minute vor den anrückenden Russen einen Teil der Hessischen Kunstschätze, dabei das Madonnenbild, auf einen Laster zu verfrachten und zur Veste Coburg zu bringen. Die Fahrt von Fischbach nach Coburg fand unter gefährlichsten Bedingungen statt und dauerte 18 Tage und 18 Nächte. Sie sollte eigentlich über Dresden gehen, das in der Nacht vom 13./14. Februar ausgelöscht wurde. Leicht hätte Grundmann mit der kostbaren Fracht mit in das Inferno geraten können. Straßensperrungen erzwangen einen Umweg über Nordböhmen.
Noch im Dezember 1945 konnte er das kostbare Bild dem Prinzen Ludwig von Hessen in Schloss Wolfsgarten übergeben. In seinem Geleitwort, das dem vorher erwähnten Buch von Grundmann vorangestellt ist, heißt es:
"Der Verfasser der vorliegenden Schrift hat mich als den Eigentümer des herrlichen Holbein-Bildes um einige einführende Worte gebeten. Ich komme diesem Wunsche um so lieber nach, als mir hierdurch Gelegenheit gegeben wird, dem Verfasser, Professor Dr. Günther Grundmann, noch einmal von ganzem Herzen meinen und den Dank aller kunstliebenden Menschen auszusprechen. Die Erhaltung dieses einzigartigen Kunstwerkes in schwerster Zeit ist allein seiner Opferbereitschaft, Tatkraft und Umsicht zu danken. Prof. Gr. rettete damals kein einziges Stück seiner eigenen bedeutenden Sammlung an Altertümern, um eine möglichst große Zahl der ihm als Provinzialkonservator zur Betreuung anvertrauten Kunstgüter vor den Greueln des Krieges zu bewahren..."
1947 kam die Madonna als unentgeltliche Leihgabe für 11 Jahre in ein Museum in Basel. Sie wurde sogar in diesen entbehrungsreichen Jahren zur Wohltäterin, denn als Entgelt durften sich jedes Jahr 20 erholungsbedürftige, ärmere Kinder aus Darmstadt 4 Wochen lang in Davos in der Schweiz erholen. "Madonnenkinder" nannte man sie, die sich noch heute dankbar daran erinnern und kürzlich zu einem Treffen - nun als ältere Bürger - animiert wurden.
Zwei Mal hat es auch erbitterten Streit um das Madonnenbild gegeben. Zuerst 1871, als die weltberühmte Dresdner Madonna den Anspruch erhob, die "echte" zu sein. Experten konnten damals die Übermalungen und Änderungen am Darmstädter Bild nachweisen und den Streit schlichten. Jacob Meyer hatte Holbein 1528 damit beauftragt. Seine erste Frau wurde rechts im Hintergrund eingefügt, seiner zweiten Frau die Kinnbinde übermalt, damit ihr schönes Profil besser zur Geltung käme und schließlich der frisch verlobten Tochter statt des lang herabfallenden Haares eine Brauthaube auf die hochgesteckte Frisur gesetzt. All das war am Dresdner Bild nicht nachweisbar.
Erneut gestritten wurde um die Madonna in jüngster Zeit, worüber die Presse mehrfach berichtete. Prinz Moritz von Hessen, derzeitiger Besitzer des Bildes und Erbe der 1997 kinderlos verstorbenen Prinzessin Margret, wollte das Bild im Ausland verhökern, um mit dem Erlös die hohen Erbschaftssteuern bezahlen zu können. Es scheint jedoch zu einer für beide Teile befriedigenden Lösung gekommen zu sein, denn es ist still geworden um das Bild. 2003 wanderte es noch einmal zu einer Holbein-Ausstellung nach Den Haag. Vom 3. März bis zum 23. Mai 2004 ist es jetzt in einer Sonderausstellung im Frankfurter "Städel" zu sehen, die den Titel hat "Der Bürgermeister, sein Maler und seine Familie" und in die Skizzen und Vorstudien, die Holbein erstellte, mit eingebunden sind. Anschließend wird die "Darmstädter Madonna", die diese Bezeichnung wohl zur Unterscheidung von der "Dresdner Madonna" bekam, nach Darmstadt zurückkommen, wo sie im "Hessischen Landesmuseum" einen würdigen Platz erhalten soll. Dass wir ihr dort oder schon in Frankfurt wieder begegnen können, verdanken wir einzig und allein unserem letzten schlesischen Landeskonservator, der dieses kostbare Gemälde, das eine ganze Familiengeschichte erzählt, für uns gerettet hat. |
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