Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2007

Der Schatz der Roten Penne

von Winfried Ackermann

 

Tatsächlich! Die Oberrealschule zu Glogau besaß einen Schatz, wie ihn meines Wissens keine andere Schule in Deutschland je hatte.
Wie es dazu kam und wer zuerst die Idee gehabt haben mochte, weiß ich nicht und kann es deshalb auch nur vermuten; denn ich bin erst später in diese Geschichte hineingeraten. Aber ich glaube, sie begann mit dem ‚Kö’.
Studienrat Könnemann (Damals war Wöhrmann noch der Direktor.) gab an der Schule die Fächer Mathematik, Physik und Geographie. Sein besonderes Interesse galt dabei wohl vor allem der Astronomie. Ich erinnere mich gut daran, wie er mit uns auf dem Balkon über dem Haupteingang der Penne stand, uns die Milchstraße erklärte und die Sternbilder zeigte. Er erzählte uns dabei die Sagen von der Kassiopeia, dem Orion und von anderen und machte so den Himmel für uns lebendig. Er verstand es, uns für die Sternenguckerei zu begeistern.
Ein Höhepunkt war es jedesmal, wenn er das große Fernrohr aufbaute. In den lauen Sommernächten und den klaren Winterabenden, wenn die während des Krieges herrschende Verdunkelung der Stadt den Blick auf den Himmel begünstigte, warteten wir zitternd vor Ungeduld (und manchmal auch vor Kälte) darauf, an die Reihe zu kommen, um auf den Mond in seinen verschiedenen Phasen, auf den Jupiter und seine Monde oder auf den Saturn mit seinem Ring schauen zu dürfen.
Auf diese Weise musste Kö` vor uns auch Schüler früherer Jahrgänge begeistert haben. Und das dürfte die Ursache dafür gewesen sein, dass die Schule zu ihrem einmaligen Schatz kam.
Es muss in den Jahren 1938 oder '39 gewesen sein. Kö' war damals inzwischen schon zum Direx aufgestiegen. Da führte er uns eines Tages in das Dachgeschoss der Schule. In dem Flügel; in dem darunter der Physik- und der Chemiesaal lagen, gab es ein kleines Kämmerchen. Darin war ein seltsamer Apparat aufgestellt: eine Kugel wie ein Globus, nur ohne Landkarte darauf. Dafür mit vielen kleinen Löchern. Dazu gab es ein Gewirr von kleinen Lämpchen, die sich bewegen ließen. Das ganze Kämmerchen war abgedunkelt und wurde von einem großen weißen Schirm überspannt.
Als wir neugierig und erwartungsvoll ringsum standen, schaltete Kö` das Deckenlicht aus und dafür die Beleuchtung in der Kugel ein. Plötzlich erschienen auf dem Schirm viele kleine Lichtpünktchen, und wir erkannten staunend die Sternbilder. Schnell entdeckten wir den Großen Wagen, den Polarstern und in der Milchstraße den Schwan, so wie wir das alles draußen sonst nur nachts und bei klarem Himmel beobachten konnten. Hier nun aber sahen wir es viel deutlicher und ..... bequemer!
Mit einer Taschenlampe, die einen Lichtpfeil auf den künstlichen Himmel warf, wies uns der Kö` auf noch viele andere Sternbilder hin. Dann hantierte er sachkundig an dem Gerät, das er ’Planetarium’ nannte. Es begann sich zu bewegen, sodass er uns jetzt den Lauf der Sonne im Sommer und den kleineren Bogen im Winter zeigen konnte. Er simulierte die Mond- und die Sonnenfinsternis. Wir verfolgten die Bahnen der Planeten und sogar ihren scheinbaren Rücklauf. Selbst den Himmel über Kapstadt mit dem berühmten Kreuz des Südens konnte der Kö` einstellen. So leistungsfähig war dieser Apparat!
Ein Wunderwerk! Ein echter Schatz! Präzise durchdacht und gebaut wie ein großes Planetarium. Und solche Einrichtungen gab es damals in ganz Deutschland nur wenige und die auch nur in großen Städten. Zwei ehemalige Schüler der Roten Penne, ihre Namen sind mir leider unbekannt geblieben, hatten diesen Apparat in ihrer Freizeit konstruiert. Sie müssen wohl noch begeistertere Sternengucker als wir gewesen sein. Obwohl sie inzwischen erfolgreiche Ingenieure geworden waren, hatten sie ihr Hobby nicht vergessen. Wieviel Engagement und Eifer, welch fundiertes astronomisches Wissen und technisches Können müssen sie besessen haben! Wir schauten staunend auf dieses Werk und verstanden jetzt viele Vorgänge am Himmel, weil wir hier im Schnelldurchgang sehen konnten, was da draußen Stunden, Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre dauerte. Wir konnten den Apparat und seine Konstrukteure nur bewundern.
Doch irgendetwas fehlte dem Planetarium noch. Aber was? Da formulierte unser Klassenphilosoph dieses Manko ein wenig großsprecherisch, aber mit einem verschmitzten Augenzwinkern, etwa so: „Die technische Vollkommenheit des Apparates verlangt ihre Entsprechung in der optischen Vollkommenheit einer scheinbaren Wirklichkeit."
Na klar! Der ’Himmel’ war noch nicht fertig! Am Rand des großen, weißen Schirmes gähnte eine trostlose Leere. Man sah nicht, wo Nord, Süd, Ost und West lagen, und es fehlten die Türme und Dächer unserer Stadt, die den Horizont beschrieben. Da musste etwas geschehen!
Und hier kamen wir Schüler, also auch ich, in die Geschichte. Jetzt konnten wir, gemäß der so ’genial’ postulierten philosophischen Maxime, etwas Konkretes für das Planetarium tun. Der Ehrgeiz packte uns, und mit Feuereifer und der Hilfe unseres Zeichenlehrers Willibald Paschke machten wir uns daran, die Silhouetten der markanten Gebäude unserer Stadt aus schwarzem Karton anzufertigen: den Rathausturm, den Dom, den Schornstein des E-Werkes, den Kessel der Gasanstalt, die Türme von ‚Schifflein Christi` und den dicken Quader der Stadtpfarrkirche.
Auf diese Weise entstand rings um den Rand des ‚Himmels’ die ‚skyline’ Glogaus. Zum Schluss fixierten wir mit je einem großen Buchstaben auch noch die Himmelsrichtungen. So schufen wir einen dem Betrachter bekannten Horizont und machten das künstliche Sternenzelt für ihn ’heimischer’. Wir waren stolz auf unser Werk und verbrachten viel Zeit in unserem ’Planetarium’. --

Planetarium Rundbild
Was mag daraus geworden sein? Als ich nach dem Kriege Glogau besuchte und natürlich auch in unsere alte Penne ging, konnte ich das kleine Kämmerchen im Dachgeschoss nicht mehr finden. Russische Granaten hatten 1945 bei den Kämpfen um die Festung das Dach abgedeckt. Das Obergeschoss war zerstört und dabei wohl auch das Planetarium.
Schade, dass Lehrer und Schüler unserer Penne sich nur noch so wenige Jahre an diesem stolzen Besitz hatten erfreuen können. Ich kann mir kaum denken, dass es jemals wieder eine Schule geben könnte, die solch ein Planetarium ihr Eigen nennen dürfte. Das Werk der beiden ehemaligen Absolventen der Oberrealschule zu Glogau war wirklich ein einzigartiger, eben ein echter Schatz!

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