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Frau Christa Krüger geb. Morgenbesser aus Hamburg schreibt am 23.11.2006 folgenden Brief an den Neuen Glogauer Anzeiger:
Bei einem Telefongespräch mit einer Dame vom Glogauer Heimatbund e.V. im November 06 erzählte ich, dass ich vor 2 Tagen die Nachricht vom DRK bekommen habe, unser Vater, der Apotheker Kurt Morgenbesser aus Glogau, Langestr. 42, ist am 4. Mai 1945 im Zuchthaus Oppeln als Gefangener der Russen verstorben. Die GUS-Staaten hätten jetzt erst Archive mit den Daten von Zivilgefangenen herausgegeben, wo man dann Namen fand, die bisher unter Verschluss waren. - - - In Berichten im Glogauer Heimatblatt wurde ja mehrmals von den Apotheken in Glogau berichtet. Bei der Schlossapotheke stand dann immer: über den Verbleib des Inhabers ist nichts bekannt. - - -
Bei diesem Gespräch erzählte mir auch die Dame, mit der ich sprach, man wolle im nächsten Jahr (Januar bis April 07) Berichte über die Vertreibung bringen, und so kam mir die Idee, Ihnen ein paar Aufzeichnungen aus dem Nachlass meiner Mutter zu senden, die über diese Zeit berichten. . . .
Die Eltern waren in Glogau recht bekannt, und in den ersten Nachkriegsjahren hat Mutter immer wieder Post bekommen, die über die Arbeit von Vater und das Geschehen beim Ende von Glogau berichtete. Wir wussten also, Vater lebt nicht mehr, aber keinen Todestag oder Datum usw. So ist diese Nachricht jetzt ein gewisser Abschluss, und wir wissen, Vater ist viel erspart geblieben, denn die Kameraden, die mit ihm zusammen waren, sind alle unter menschenunwürdigen Verhältnissen in Russland festgehalten worden.
- - - Ein Erlebnis in diesem Zusammenhang kommt mir da wieder in Erinnerung. Bei einem Schlesiertreffen, es muss in den 80er Jahren gewesen sein, da kam ich mit einer Dame ins Gespräch: "Ach, Sie sind die Tochter vom Apotheker in der Schlossapotheke! Sie können auf Ihren Vater stolz sein, denn hätten wir ihn nicht in der Festung gehabt, dann lebte ich heute wahrscheinlich nicht mehr!" - - -
Ich selbst habe nicht lange in Glogau gelebt, da ich am 1.3.1939 in die Ausbildung ging, während mein Bruder, der jünger ist, seine gesamte Schulzeit, Freunde und so weiter in Glogau erlebte und erst am 8./9. Februar 1945 aus Glogau mit einer der letzten Möglichkeiten weg kam. - - Ich habe Glogau am 23.1. verlassen. Ich war von einem Einsatz im RAD erst am 11.1. nach Hause gekommen und hatte die Genehmigung, meine Großmutter, die bei uns lebte, nach Hirschberg zu bringen, wo wir Haus- und Grundbesitz hatten. - - -
Berichte aus den Jahren 1945-46 bis 1972 von verschiedenen Glogauern, die mit meinem Vater gemeinsam die Festungszeit erlebten oder ihn nach der Kapitulation im Zuchthaus Oppeln sahen oder von ihm hörten:
Nach einem Bericht über die Glogauer Apotheken um 1971/72 erhielten wir folgenden Bericht von einem Herrn Erwin Menz, Ludwigsburg, 4.2.1972.
„Gewiss ist es eine lange Zeit her, als wir nach Glogaus Ende als Gefangene in Oppeln landeten. Nun um kurz zu illustrieren, wurden fast alle Glogauer in 6-tägigen Märschen bis Sorau - Sommerfeld gebracht, um dann in Kontopp per Güterwagen nach wieder X Tagen in Oppeln zu landen. - Ich selbst wurde am 30. März am Bahnhof Glogau verwundet. Schulterdurchschuss, Durchtrennung von Nerven und Sehnen, völlige Lähmung des rechten Armes. - - Gleich nach den ersten Tagen des Eintreffens in Oppeln bekam ich Diphterie und wurde von einem Kuttlauer Arzt, der auch als Gefangener dort fungierte, innerhalb des Gefängnisses in einem gesonderten Raum untergebracht. Dort lag bereits ihr Vater mit Ruhr oder Typhus, Genaueres kann ich nach den Jahren nicht mehr sagen. Der Zeitpunkt müsste etwa Mai - Anfang Juni 1945 gewesen sein. - - - Auf ihren Vater entsinne ich mich insofern, dass er als Sanitäter im Einsatz um Glogau war. Ihr Vater sah die Aussichtslosigkeit seines Leidens. Der Arzt, dessen Name mir entfallen ist, übergab mir nach dem Ableben ihres Vaters außer der Anschrift der Angehörigen noch ein Amulett (ich glaube ein Armband oder Kettchen), womit ihr Vater sich während der letzten Tage und Stunden viel beschäftigte. - - - Leider wurde uns von den Russen alles abgenommen“ ... Der Arzt war Dr. Müller aus Kuttlau (nachträglich von Frau Krüger hinzugefügt).
Herr Menz war lange in Gefangenschaft und dadurch verlor sich das Zeitgefühl.
Bericht von Herrn Walter Rauhut vom 3.8.1947:
„Ich möchte mich heute auf die Zeit des gemeinsamen Erlebens mit ihrem Gatten beschränken. ... Nach dem Eindringen der Russen in die Stadt wurden wir zusammengetrieben und in Gruppen zu je 100 aufgeteilt. Ihr Gatte hatte die Rote-Kreuz-Binde angelegt. Wir wurden dann aus den Trümmern herausgeführt in die Umgebung, ausgeplündert, verhört, sortiert. Unser Leidensweg führte uns von Glogau nach Schwarztal, Heerwegen, Primkenau, Sprottau, Sorau, Triebel, bis hinter Sommerfeld. Hier stand bei Guben noch die Front, und wir vermuteten, noch zu Schanzarbeiten herangezogen zu werden. Unser Plan stand fest, sobald als möglich die deutschen Linien zu erreichen. Leider kam alles anders. Es ging nach Grünberg. In den Kellern von Krempler (Sekt) wurden wir mit noch vielen hundert anderen Leidensgefährten im Eilmarsch nach Kontopp gebracht und verladen - 60 Mann in kleinen Viehwagen (zum Stehen gerade ausreichend). Richtung Osten, ein Stück im Warthegau ging es über Kreuzberg nach Oppeln. Aufnahme fanden wir in dem großen Gefängnis, 5 - 7 Mann in Einzelzellen. Erwähnen muss ich noch, dass während dieser Zeit etwa 3 Wochen verflossen, ausgefüllt mit Verhören, Schlägen und Misshandlungen, besonders während der Nachtzeit. Unser Quartier: Nasse, muffige Kellerräume ohne Stroh und ohne Fenster. Treu und brav hielt ihr Gatte mit allen Schritt, schüttelte zwar manchmal den Kopf und meinte: "Das stehen wir nicht durch". ... Nach der Einlieferung in die Krankenstube verlor ich ihn aus den Augen, konnte nur noch gelegentlich den Arzt nach ihm fragen. Nach kurzer Zeit teilte der uns mit, ihr Gatte ist verstorben und beerdigt worden. Er hat sehr ruhig und geduldig sein Los getragen. Gern hätte man geholfen, da er sich großer Beliebtheit erfreute.“ …
Ausschnitt aus einem Brief von Adolf Gersten vom 14.2.1947:
„.... gerne will ich ihrem Wunsch nachkommen und ihnen berichten, was sich in der schrecklichen Zeit in ihrer Apotheke zugetragen hat:
Gegen Ende Februar - die Stadt war schon zur Hälfte zerstört - bekam ich als Verpflegungsoffizier eines Volkssturmbattl. einen Kohlenkeller von Streifling angewiesen. Der Keller war durch Mauerdurchbruch mit dem Apothekenkeller verbunden. Da bei Streifling keinerlei Luftschutzmaßnahmen getroffen waren, suchten wir bei Artilleriebeschuss und Fliegerangriffen Schutz im Apothekenkeller. Dort wohnte ihr Gatte, Herr Morgenbesser, mit einem Herrn, bei Streifling ich mit einem Unteroffizier. Später wurde dieser durch den Hut-Roesner vom Markt abgelöst. Da wir 4 Mann Tag und Nacht aufeinander angewiesen waren, entwickelte sich auch bald eine Kameradschaft im besten Sinne. Ihr Gatte versorgte die Apotheke - die einzige der Stadt - sie ging ihm über alles. Unerschrocken saß er selbst bei größter Gefahr in der Rezeptur und fertigte Medikamente. Oft mussten wir ihn zur Vorsicht mahnen, und manchmal brachte ihn erst ein naher Einschlag zum verlassen des Arbeitsplatzes. Abends wurden gewöhnlich die Zerstörungen an Fenstern,, Regalen und Schränken notdürftig beseitigt, Schutt weggeräumt und die Apotheke für den nächsten Tag betriebsfertig gemacht. Einmal jagte uns ein Blindgänger, der nach einem Beschuss hinterm Ladentisch landete, keinen kleinen Schreck ein. Auch in der Brandbekämpfung war ihr Gatte unverwüstlich. Es ist uns gelungen, die Polizei, das Streiflinghaus und die Apotheke vor der gänzlichen Zerstörung zu bewahren. - - - Hungern brauchten wir nicht. Die Warmverpflegung nahm ihr Gatte bei Frau Zigarren-Lange und Frau Krügler vor. Abends gönnten wir uns eine gemütliche Stunde. Da wurden Tagesereignisse besprochen und oft auch ein kleiner Skat bei einem Glas Wein oder einer Tasse Bohnenkaffee gemacht. - - Mit der Nachtruhe ging es so: Herr Morgenbesser hatte sich ein Nachtlager im Luftschutzkeller der Apotheke eingerichtet. - - Flieger kamen nur am Tage. Die letzten 2 - 3 Wochen kam die größte Nervenprobe. Täglich von früh bis abends standen die Flieger über der Stadt und vernichteten das Letzte. Wir konnten unseren Dienst nur nachts erledigen.
Am 1.4., dem Tag der Kapitulation, nahmen wir voneinander Abschied. - - Wir, Soldaten wie Zivilisten, voneinander getrennt, durch viele Lager geschleppt, bis wir ebenfalls in Oppeln landeten. Dort traf ich einige Glogauer (Theiler, Kaufmann Kunze, u.a. ). Dort hörte ich die unfassbare Nachricht vom Tode ihres Mannes. So ist er von uns gegangen, er, der durch seinen Mut und seine Ausdauer selbst uns Soldaten ein Vorbild war.“
Bericht über Glogau
Am 9. und 12.2.1945 Beginn der Belagerung, am 14. 2. waren die Russen schon am kath. Kirchhof (Sternplatz). Kämpfe in der Promenadenstraße. Mitte Februar ist auch die Innenstadt vernichtet: Rathaus, Straße der SA und Lange Straße. Es wurden Geschütze mit Flammenölzündern benutzt (hergestellt in der A.E.G.). Lebensmittelversorgung war gut, es bestand eine Volksküche. Nur das Essenholen war mit Lebensgefahr verbunden. Lazarette waren die Keller von Kahl am Markt, NoTa, Deutsches Haus, Dresdner Bank, Grasemann und Zein. Der kath. Kirchturm hatte 30 - 40 Volltreffer, ist nach dem Innenschiff hineingebrochen und hat die Orgel mitgerissen. Die Domkirche ist in den letzten Tagen ganz zerstört, nur die Tür steht noch. In der Innenstadt ist nicht ein ganzes Haus mehr, nur noch einige Häuser in der Vorstadt und am Friedhof können instandgesetzt werden. Wasser gab es nur noch an einer Pumpe auf dem Markt (Stadttheater). Der Brand des Flemminghauses wurde mit Wein gelöscht (Bauch'sche Kellereien). Im Schlossgarten sind 3 Massengräber von 150 - 200 Personen, ebenfalls an der Pestalozzischule und auf dem Garnisonfriedhof 400 Personen; auf dem Wilhelmplatz und dem Zirkusplatz sind auch Friedhöfe.
Am Gründonnerstag sind die Feinde bis zum König-Friedrich-Platz vorgedrungen. Dann ging der Kampf noch 4 Tage.
In der Hindenburgkaserne wohnten Zivilpersonen, 18 - 20 Personen in einer Stube.
2.300 Russen fielen im Kampf um Glogau. 10.000 Mann waren in der Festung, die Friedhöfe vermint. Bis Ende Juni waren 2.500 Rückwanderer zurück. Viele wurden von den Polen ausgewiesen und erreichten in 10 Tagen Forst. Das Christliche evangelische Gemeindehaus ist Staatshotel der Polen, 200 waren geblieben, jetzt sollen es 1.200 sein. Mit Zuckersäcken sind die Straßen verbarrikadiert gewesen. Die Nazis sollen noch 25 Glogauer aufgehängt haben (N.S.V.-Dittmann und Studienrat Frank). Meine Schwägerin war, nachdem Glogau gefallen war, noch 2 Mal in der Stadt; das eine Mal hat der Schutt kniehoch in der Mälzstraße und am Kaufhof gelegen. Sie konnte sich wegen Minengefahr und Einsturzgefahr nicht hinbegeben. Sie hatte mir berichtet, dass die Keller nach der Übergabe mit Flammenwerfern ausgebrannt seien. (Dasselbe berichtete mir Fleischermeister Böhm, Lange Straße, der im Oktober 1945 noch einmal in Glogau war.) Also würden wir auch nichts finden, wenn wir unter den Trümmern nachgraben würden. Ein Fleischermeister vom Markt (Bischoff?) hat über 6 m hohen Schutt kriechen müssen, um in seine Frühstücksstube zu gelangen. Alles kaputt, Maschinen und alles. Ein Fräulein Franke von der Lange Str., die geblieben war, schrieb mir: die Belagerung hat 6 Wochen gedauert. Feuer bekamen wir von allen Seiten, als wenn die Welt untergehen sollte, im April ist sie auch untergegangen. 3 Wochen sind wir von Fliegern bearbeitet worden, alle Tage von früh um 7 Uhr bis nachmittags 18 Uhr. 7 Wochen haben wir im Keller zugebracht und waren moralisch vollkommen fertig. Am 1. Osterfeiertag, also am 1. April, wurde die Stadt weiß geflaggt und der Trümmerhaufen dem Feind übergeben. Die Einwohner wurden auf die Dörfer und die Hindenburgkaserne verteilt. 5 Tage hatten die Russen die Freiheit zur Plünderung. Die Frauen haben Furchtbares durchmachen müssen. Dazu haben sie in den Kellern unter der Garnisonkirche soviel Wein gefunden.
Der Treck der von den Polen ausgewiesenen Glogauern bestand aus ca. 2.000 Menschen, die ziellos auf die Landstraße getrieben worden waren und meistens nach Cottbus kamen. Mein Chef, Herr Brase, Inh. der Firma Weiß´stein, Mälzstraße, ist auch Mitte September in Cottbus gestorben. Sie sollen dort in einer Laube gehaust und sich von den Russen immer etwas Suppe geholt haben. Kreisstadt soll Oberquell/Quaritz sein, da Glogau nur noch ein unbewohnbarer Trümmerhaufen war.“
Von wem Mutter diesen Bericht hat, kann ich nicht mehr sagen. -
Vater war vom Festungskommandanten verpflichtet und gehörte zur Wehrmacht dort in Glogau. - Er hatte die Schlüssel zu allen 3 Apotheken und durfte an das dortige Material. 1944 hatte er das Apothekenlager und betreute die zum "Unternehmen Berthold" gehörenden Leute.
Verstorben und gefallen:
Optiker Dressler, Gebrüder Kendler, Goldschmied Sendler, Apotheker Günther hat sich vergiftet, Dr. Fritsche und Frau ebenfalls, Sanitätsrat Herfarth und Frau ebenfalls, Herr Mehlhose vom S.H.D., Hauptmann Hutter, Herr Hilpert, Herr Laube (Standesamt), Baumeister Greulich, Oberst Schön, Graf Eulenburg, Kaufmann Gorek – Markt, Kaufmann Mucha – Markt, Kaufmann Römhildt, in Chemnitz bei Angriff umgekommen, Frau Sensen - Hutgeschäft, in Dresden bei Angriff umgekommen, Herr G. O. Schultz, in Dresden bei Angriff umgekommen. |
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