Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2007

Das Jahr der Katastrophe 1945

Erinnerungen von Georg Gürich (1884-1970), ehemals Gärtnereibesitzer in Glogau, im Winter 1945/46 in Erbendorf seiner Schwägerin Frieda Neumann in ein Oktavheft diktiert

von Ulrich Skriebeleit

 

Das Weihnachtsfest im 6. Kriegsjahr 1944 stand bereits im Schatten der kommenden Ereignisse: Zwar konnten wir in den Feiertagen noch ruhige und besinnliche Stunden in unserem geräumigen und behaglichen Heim in Glogau in der Bismarckstr. 20 und in der Wohnung meiner Tochter Dorothea Skriebeleit, Promenade 12, verleben. Von Tag zu Tag hörten wir jedoch schlimmere, alarmierende Nachrichten von der Ostfront. Die Russen bedrohten und besetzten Teile von Oberschlesien und von Ostpreußen. Schließlich brach auch unsere Verteidigungslinie im Weichselbogen zusammen, und auch unsere Stellungen an der Warthe und Netze konnten die vordringenden russischen Truppen nicht mehr aufhalten. Mit Beginn der zweiten Hälfte des Monats Januar begannen bereits die Flüchtlinge aus dem Osten durch Glogau zu kommen. Bei strenger Kälte und Schnee zogen endlose Trecks Tag und Nacht durch unsere Stadt. Auch durch die Eisenbahn wurde zum Teil in offenen Güterwagen die fliehende Bevölkerung durch Glogau nach dem Westen befördert, ein endloser Zug des Elends, alte und kranke Menschen, Mütter mit kleinen Kindern bei unzulänglicher Verpflegung, Tag und Nacht unterwegs und der Kälte ausgesetzt. Glogau war eine frontnahe Stadt geworden. Das Geschäftsleben hörte auf, auf den Straßen patrouillierten Polizei und militärische Doppelposten.
An den Scheiben der ausgeräumten Schaufenster klebten große Plakate: „Wer plündert, wird erschossen!" Teile der Bevölkerung verließen bereits mit dem beginnenden Flüchtlingsstrom ihre Heimat in Glogau. Auch meine Familie musste sich entschließen, Glogau zu verlassen. Im Hause meines Schwagers Eugen Neumann in Dresden sollte sie Aufnahme finden. Am Sonntag, den 28. Januar, verließen meine Frau und meine Tochter Christa zuletzt aus meiner Familie unser Heim. Ich begleitete sie zum Bahnhof; bei meiner Rückkehr in die leergewordene Wohnung überfiel mich das Gefühl des Alleinseins.
Ich war zum Volkssturm vereidigt, meine Einberufung war nicht erfolgt, weil ich den Auftrag erhalten hatte, meinen Gartenbaubetrieb betriebsfähig zu erhalten. Alle meine Gefolgschaft hatte Glogau verlassen, die männlichen Lehrlinge waren von der H.J. erfasst worden, nur mein alter Kutscher Anton Stephan und ein Lehrmädchen, Christine Hennig, waren mit ihren Familienangehörigen noch in Glogau zurückgeblieben und halfen mir, die nötigsten Arbeiten zu verrichten.
Am 2. Februar trafen meine beiden Basen Martha und Anna Arlt auf der Flucht aus Urschkau bei mir ein. Sie blieben über Sonntag in meinem Hause und verließen mit einem der letzten verkehrenden Eisenbahnzüge am Dienstag, den 6. Februar, Glogau. Die Front rückte immer näher, Tag und Nacht war Artilleriefeuer mit zunehmender Stärke zu hören. Etwa 150 m von unserer Gärtnerei war ein schweres deutsches Geschütz in Stellung gegangen, dessen Abschüsse durch ihre Detonation von Stunde zu Stunde größeren Schaden durch das Zertrümmern der Gewächshausscheiben anrichteten. Nachdem auch die ersten feindlichen Artilleriegeschosse nicht mehr weit von uns einschlugen, musste ich die Nächte im Keller zubringen. Mein alter Kutscher Stephan leistete mir dabei Gesellschaft, und unser treuer Hund Schuftel wich nicht von uns. Täglich trafen versprengte deutsche Soldaten ein und forderten Verpflegung und Nachtquartier. Die Kommandantur hatte der zurückgebliebenen Bevölkerung von Glogau durch Flugblätter bekannt gegeben, dass es verboten sei, Soldaten zu verpflegen und zu beherbergen. Alle, die darum nachsuchten, sollten nach der Lüttichkaserne verwiesen werden; aber alle von der Ostfront zurück kommenden Soldaten waren durch wochenlange Märsche bei Frost und Schnee zermürbt und hatten keinen Kampfgeist mehr. Wollte man sie nach der Lüttichkaserne verweisen, so machten sie keinen Hehl daraus, dass sie nicht mehr kämpfen wollten, und fragten nur, wo sie auf die Chaussee nach Sagan gelangten. Es war dies die einzige Straße, die noch frei war. Am Sonntag, den 11. Februar, morgens kam ein Zug von 18 bewaffneten deutschen Soldaten in mein Grundstück. Bevor ich es verhindern konnte, drangen sie durch Hausflur und Wohnzimmer in die Speisekammer ein und ergriffen von den noch vorhandenen Nahrungs- und Genussmitteln, was ihnen begehrenswert erschien; als ich dem Zugführer, einem blutjungen Feldwebel, erklärte, dass das Grundstück noch bewohnt sei, erwiderte er mir, er habe Befehl, die Gärtnerei mit seinen Leuten zu besetzen, und da sie schon längere Zeit unzulänglich verpflegt seien, wären sie genötigt zu requirieren. Bald darauf kam auch ein Offizier, von dem ich erfuhr, dass die bisherige Verteidigungslinie im Süden, die auf den Gurkau-Sieglitzer Höhen lag, aufgegeben und an den Stadtrand zurückgenommen sei. Ich wurde aufgefordert, mein Grundstück zu verlassen. Ich löschte nun das Feuer in den Gewächshauskesseln und legte einen Schlauch an die Heizungsleitung, um sie vom Wasser zu entleeren und so vor Frost zu schützen. Ebenso entleerte ich die Wasserleitung. Die Türen verschloss ich nicht, um ein Einschlagen derselben zu verhüten.
Der Nachmittag war darüber herangekommen. Ich nahm meinen Rucksack und einen Koffer, der mit Reisegepäck bereit stand, ergriff noch ein Fahrrad und verließ das Grundstück. Im Luftschutzkeller unseres Hauses Promenade 12 wollte ich zunächst Unterkunft nehmen; als ich dort eintraf, waren die im Hause zurückgebliebenen Bewohner, Gasmeister Scholz mit Frau und Tochter, der Vater der
Hausmeisterfrau, Herr Rein, und unser Kutscher Anton Stephan mit seiner Frau und seiner Schwester beim Einpacken ihrer Sachen. Ein Oberfeuerwerker, der in der Wohnung meiner Tochter Dorothea Skriebeleit einquartiert war, hatte die genannten letzten Bewohner des Hauses aufgefordert, das Haus zu verlassen, weil in unmittelbarer Nähe im Stadtpark sehr große Mengen Munition lagerten, mit deren Sprengung beim Eindringen des Feindes zu rechnen sei. Wir mussten also in das Zentrum der Stadt, und die genannten Mitbewohner unseres Hauses in der Promenade 12 waren froh, als ich sie aufforderte, den Arbeitsraum meines Blumengeschäfts Markt 11 als Unterkunft mit mir zu teilen.

Glogau, Markt

Glogau, Markt - ganz rechts das Blumengeschäft G.Gürich

Der Abend war hereingebrochen, als wir dort eintrafen. Ich meldete uns bei dem dortigen Hausmeister an, der uns für die erste Nacht in eine leerstehende Wohnung im 1. Stock einließ. Wir verbrachten diese Nacht dort auf den vorhandenen Sitzgelegenheiten. Am nächsten Tage wurde der Arbeitsraum als Quartier eingerichtet. Anton Stephan erwies sich hier wieder als treuer Gefährte, der auch in schwierigsten Fragen Rat wusste. Wir beschafften Strohsäcke aus dem leergewordenen Volkssturmquartier des Konzerthauses, ebenso einen eisernen Füllofen von dort. Stephan organisierte auch die Ofenrohre und stellte den Ofen im Arbeitsraum auf. Die vorhandene Zentralheizung konnten wir nicht benützen. Wir hatten nun für die nächsten Nächte für die vier Frauen und uns vier Männer je ein Nachtlager. Mit der sich steigernden Artilleriebeschießung mussten wir die Nächte zum Teil im Keller verbringen. Sonst konnten wir aber den Arbeitsraum ordentlich einheizen, auf dem Ofen Kaffee kochen und Mahlzeiten bereiten. Ich sorgte für strenge Hausordnung, die Männer mussten zuerst aufstehen und Wasser und Brennstoff heranschaffen, die Wasserleitung war zerstört, und vom frühen Morgen ließ der Andrang an der nächsten Wasserstelle, einer Pumpe am Markt, nicht nach. Brennholz wurde aus den Trümmern der zerschossenen Häuser beschafft. Tagsüber wurden die Strohsäcke in einen Nebenraum gelagert und der Arbeitsraum als Aufenthaltsraum hergerichtet. Am zweiten Tage nach unserer Übersiedlung in das Stadtinnere wollten Stephan und ich noch einmal in die Gärtnerei zurückgehen, um das im Stall zurückgebliebene Pferd und eine Ziege hereinzuholen. Wir kamen jedoch nur bis zum Anfang der Bismarckstraße, wurden dort von in Stellung befindlichen Soldaten nicht weitergelassen, weil die Russen bereits unser Grundstück besetzt hatten. Ich erfuhr später von dem bereits vorher erwähnten Oberfeuerwerker, dass meine Gebäude in der Gärtnerei in der Nacht vom 12. zum 13. Februar vor der Besetzung durch die Russen von unseren Panzerabwehrkanonen in Brand geschossen waren. Der Oberfeuerwerker sagte mir noch, dass die Tiere aus dem Stall vorher noch herausgelassen worden seien.
Von Tag zu Tag steigerte sich die Zertrümmerung des Stadtinneren durch feindlichen Artilleriebeschuss und Fliegerangriffe. Durch die zerschlagenen Schaufensterscheiben drangen Soldaten und Zivilbevölkerung in die Geschäftsräume ein, um sich mit Kleidungsstücken und Nahrungsmitteln zu versorgen. Für die Zivilbevölkerung bestand zwar eine Gemeinschaftsküche, aber bei Artilleriebeschuss war es nicht möglich, dort die Verpflegung abzuholen. So bestand während der Belagerung keinerlei Mangel an Lebensmitteln. Auch Genussmittel, die während des Krieges immer seltener oder gar nicht zu beschaffen waren, gab es wieder. Am Markt standen zerschossene und verlassene Verpflegungsautos der Wehrmacht. Brot und Konserven mit Butter und Fleisch lagen eines Tages auf der Straße. Anton Stephan hatte auch ein Fass mit Rum unter einem zerschossenen Auto entdeckt und davon mehrere Flaschen abgefüllt, sodass uns abends als Schlummertrunk auch Grog geboten wurde. Beim Brande eines Magazins der Wehrmacht wurden Reis und Bohnenkaffee auf die Straße geworfen. Durch immer häufiger werdende Fliegerangriffe entstanden Brände, die nicht mehr gelöscht werden konnten. Ein schaurig schönes Bild bot eines Abends der brennende Rathausturm, der schließlich nach der Richtung der Preußischen Straße und der Mälzstraße zusammenstürzte und Brände in diesen Straßen verursachte, von denen nur wenige Gebäude verschont blieben. - Die erwähnten Munitionslager im Stadtpark sind noch nicht bald nach der Räumung unseres Hauses Promenade 12 gesprengt worden.
Promenade 12

Ich bin dann noch öfter in das Haus gegangen, der Turm desselben, der die Nachbargebäude weit überragte, war zuerst zerschossen, die Trümmer bedeckten den Vorgarten des Hauses. Auch auf der Südseite des Hauses waren dann Artilleriegeschosse eingeschlagen und durch die Detonationen im Inneren arge Zerstörungen entstanden. Im Kellergeschoss hatte ein Batl. Kommandeur seinen Kampfunterstand eingerichtet. In den Kellerräumen hatten die Bewohner des Hauses vor ihrer Abreise Betten, Wäsche und Bekleidung u.s.w. untergebracht, in der Hoffnung, dass bei einem Brande des Hauses die Kellerräume nicht ausbrennen würden. Diese Kellerräume waren von unseren Soldaten gewaltsam geöffnet worden. Als ich mit dem Batl. Adjutanten eine Unterredung in dieser Angelegenheit hatte, sagte er mir, seine Soldaten brauchten die Kellerräume, Betten und Decken, um in ihren Ruhepausen schlafen zu können. Natürlich nahmen die Soldaten auch Lebens- und Genussmittel und Kleidungsstücke, die sie brauchen konnten, an sich und suchten das ganze Haus danach ab.

Vom Volkssturm hatte ich Anfang Januar einen Bereitstellungsschein für die Verpflegungskompanie der Versorgungsregimenter erhalten. So meldete ich mich einige Tage nach meiner Übersiedlung in das Stadtinnere bei dieser Stelle. Kompanieführer war der frühere Stabsleiter der Kreisbauernschaft, Herr Woitusch. Bei der Kompanie traf ich viele mir bekannte Glogauer Geschäftsinhaber aus der Nahrungs- und Genussmittelbranche sowie die in Glogau gebliebenen Volkssturmpflichtigen - Fleischer- und Bäckermeister. Das Kompanie-Geschäftszimmer befand sich in dem Hause der „Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft" Ecke Schloss- und Potsdamstraße in den Kellerräumen. Durch einen Kellerdurchbruch gelangte man in die Kellerräume der bekannten Weingroßhandlung Johann u. Carl Bauch, von denen einige zu unserem Quartier gehörten. In den ersten Tagen war ich einem Kommando zugeteilt, das die tägliche Kontrolle der in der Vorstadt befindlichen Getreidemagazine vorzunehmen hatte. Bald aber erhielt ich den Auftrag, Gemüse sicherzustellen, hauptsächlich Möhren und Kohlrüben, von denen einige große Mieten auf dem freien Platz vor den Garagen des Hotels „Hindenburg" in der Königstraße lagerten. Vom Arbeitsbatl. „Laube", das im Keller des Kreishauses sein Geschäftszimmer hatte, wurden für diese Arbeiten polnische Frauen zur Verfügung gestellt. In einem Bunker der alten Befestigungsanlagen am Stadtpark mit dem Zugang vom Rosengarten aus (früherer Wallgraben) waren über 300 Frauen aus den Ostgebieten - Polen, Russen und Ukrainerinnen interniert. Diese Frauen lebten dort unter den ungünstigsten Bedingungen, nur durch die Tür fiel Licht in die unterirdischen Räume, in denen Bett an Bett je drei übereinander standen. Mütter mit kleinen Kindern hausten dort eng zusammengepfercht neben alten und kranken Frauen unter unbeschreiblichen, hygienischen Verhältnissen. Jeden Morgen ging ich nun in das Lager „Rosengarten", um zehn bis zwölf arbeitsfähige Frauen abzuholen und an unseren Arbeitsplatz bei den Hindenburggaragen zu führen. Dort wurde das Gemüse herausgenommen, ausgewogen und an die N.S.V.- und Wehrmachtsverpflegungsstellen verabfolgt. Oft wurde die Arbeit durch nahende feindliche Flieger unterbrochen. In Windeseile ging es dann über die Königstraße in den Keller des Hauses Nr. 48, das Nachbargebäude des Hotels Hindenburg. Abends brachte ich die Frauen dann wieder in ihr Lager zurück, sie waren glücklich, wenn sie sich eine Tasche voll Möhren für die Kinder oder Kranken mitnehmen durften. Die Verpflegung für die ausländischen Zivilarbeiter war unzureichend. Am 1. März sah ich von unserem Arbeitsplatz aus, dass durch Fliegerangriff am Markt wieder große Brände entstanden waren. Abends ging ich dann zu den Brandstellen. Von dem Hause Markt 10, in dem sich das Geschäft von G.O. Schulz befunden hatte, und dem Nachbarhause Markt 11, in dem unser Blumengeschäft war, waren nur noch rauchende Trümmer zu sehen. Leider waren in dem Hause Markt 11 auch die Kellertreppe und Kellerräume bereits so stark vom Feuer angegriffen, dass ich mich nicht mehr in den Keller wagen konnte, um meinen Koffer mit Kleidung und Wäsche herauszuholen. Auch unsere wertvolle Registrierkasse, die Uhr und andere Gegenstände, die ich aus den Geschäftsräumen in den Keller geräumt hatte, waren ein Raub der Flammen geworden. Von den Bewohnern war niemand zu Schaden gekommen. Es war aber sehr schwierig, für sie eine neue Unterkunft zu finden, weil mit dem Zunehmen der Brandruinen oft auch die Kellerzugänge mit solchen Massen von Schutt und Trümmern bedeckt waren, dass sie nicht freigelegt werden konnten.
Ein denkwürdiger Tag wurde dann wieder für mich der 11.März, an dem feindliche Flieger stundenlang ihre schweren Bomben über Glogau warfen. Der Angriff erfolgte meist nur durch kleinere Geschwader von 7 - 14 Stück, nur am Tage und nur durch kurze in ungleichmäßigen Abständen erfolgende Pausen unterbrochen. Ich befand mich mit den polnischen Arbeiterinnen bei den Gemüsemieten an der Königstraße. Eine der Frauen musste ständig auf das Nahen der Flieger achten. Schon bald nach Aufnahme der Arbeit mussten wir in den Kellerräumen Königstr. 48 Schutz suchen. Dort befand sich ein vorschriftsmäßig ausgebauter Luftschutzraum. Eiserne Träger unter der Decke, von starken hölzernen Stempeln getragen, erweckten den Eindruck eines sicheren Schutzraumes, auch ein Küchenherd befand sich in dem Raum; bis vor einigen Tagen hatte die Frau des Schützenhauswirtes, Frau Strauchmann, den Raum für sich und ihre Kinder als Unterkunft. Ich habe mich in den vorangegangenen Tagen während der Fliegerangriffe öfter bei ihr aufgehalten. Sie klagte mir dabei ihr Leid, weil sie zur Räumung dieses Kellers gezwungen wurde. Der Stab des Volkssturm-Batl. Weckler, der im Nachbarhaus Hotel Hindenburg lag, hatte eine Handwerkerstube in diesem Keller eingerichtet. Am 11. März hatten die Schuhmacher und Schneider im Luftschutzraum des Hauses Königstr. 48 zum ersten Mal gearbeitet.

Hier brechen die diktierten schriftlichen Aufzeichnungen ohne Begründung ab.

Im Jahr 1967 entstand für eine Familienchronik ein Tonbandinterview. Hier erzählte Georg Gürich: Es gab in Glogau unter anderem eine Transportkompanie, da waren sämtliche Autos, also Personen- und Lastautos, auch noch Pferdegespanne. Dann gab es eine Handwerkerkompanie, da waren alle Handwerker, Schlosser, Tischler und was nötig war, wenn nach Beschuss irgendwo Reparaturen nötig waren, damit diese eingesetzt werden konnten. Und dann gab es noch eine Verpflegungskompanie. Privathaushalte gab es ja damals nicht mehr in Glogau, die Bewohner mussten ja alle raus. Es waren nur noch Krankenschwestern in der Stadt, sonst keine Frauen. Da waren öffentliche Küchen: die Garnisonsküchen, die Lazarettküchen, dann hatten wir hier drei Krankenhäuser mit drei Krankenhausküchen und dann noch eine Zivilküche, wo alle die, die z.B. das E-Werk versorgen mussten, das Gaswerk usw., wo die Männer, die zurückbleiben mussten, sich warmes Essen holen konnten. Ich musste in der Verpflegungskompanie mit meinen polnischen Frauen diese Küchen mit Kartoffeln aus den Kellern, auch mit Sauerkraut, und mit Suppenkräutern versorgen.
Die Luftschutzkeller für die einzelnen Formationen waren nicht im Stadtzentrum, wo die meisten Bomben fielen und wo deshalb die meisten Keller verschüttet wurden; die „amtlichen" Luftschutzkeller befanden sich am Stadtrand. Der Verpflegungsabteilung war dort ebenfalls draußen in einem auf drei Seiten bebauten Häuserblock, nahe am Bahnhof, ein Keller zugewiesen. Nach hinten war eine große, freie Fläche: Wäschetrockenplatz, Kinderspielplatz und für jede Wohnung ein kleiner Nutzgartenanteil. In dem hinteren Gebäudeteil hatten die Handwerker ihren Luftschutzkeller, während unser Keller nach der Straße zu lag. Beim Fliegeralarm am 16.März traf ich mit einem mir bekannten Handwerksmeister zusammen, der riet mir: „Komm bei uns mit rein, bei uns ist's sicher. Wir haben Eisenbahnschienen unter der Decke eingezogen. Da ist's bombensicher." Ich überlegte kurz, aber dann entschied ich mich, bei den polnischen Frauen und Mädchen zu bleiben, für die ich die Verantwortung hatte - nicht nur während der Arbeit, auch im Luftschutzkeller.
Da ging in nächster Nähe eine schwere Bombe nieder. Es war, als wenn die Mauern erzitterten. So ein Luftangriff dauerte nicht lange, und als ich hinaus und nach hinten ging, sah ich das Elend: Etwa 20 bis 30 Meter vor dem Handwerkerabteil war eine schwere Bombe niedergegangen. Diese hatte die Wand des Kellers, in dem die Handwerker waren und auf der die Eisenbahnschienen ruhten, eingedrückt, und die Eisenbahnschienen waren auf die Handwerker, die sie schützen sollten, herunter gekommen. Es befanden sich 14 Handwerker dort drinnen. Zwölf hat man tot geborgen und zwei sind den Ärzten noch auf dem Operationstisch hinübergegangen. Wenn ich dort mit hineingegangen wäre, wäre ich heute nicht hier.

Schlussbemerkung: Mein Großvater Georg Gürich meinte damit: Hier in Vohenstrauß/Oberpfalz im Kreis seiner Familie. Nachdem er die Kapitulation Glogaus am 1.April 1945 vor Ort miterlebt hatte und in Tauer kurz in russische, darauf polnische Gefangenschaft geraten war, gelangte er nach einer Zwischenstation in einem Gartenbaubetrieb in Cossebaude bei Dresden nach Erbendorf in der Oberpfalz wieder zu seiner Familie. Er hatte das Glück, dort eine Gärtnerei zu pachten und in Eigenverantwortung zu betreiben. 1958 setzte er sich zur Ruhe und übersiedelte zu seiner Tochter Christa nach Vohenstrauß, wo er 1970 starb.

Nachtrag: In Heft 16/1995, „Streifzüge", des Heimatkundlichen Arbeitskreises Vohenstrauß mit dem Thema „Stunde Null - Zeitzeugen berichten" findet sich in einem Beitrag „Die Stadt Vohenstrauß im Jahre 1945" von Karl Waetzmann (Oberlehrer a.D., 1885 Groß-Wartenberg/Schlesien - 1966 Vohenstrauß) auf S. 6 f. folgende Notiz:
„Am 28. Februar abends 8 Uhr Ankunft von zwei Lastwagen, von Tachau/Tschechoslowakei kommend, mit etwa 90 Flüchtlingen aus Glogau/Schlesien. Sie werden verpflegt und untergebracht. Der Monat März brachte Kälte und reichlich Schneefall. Dadurch wurde die Not der Flüchtlinge noch größer. Dazu kam noch die Kohlenknappheit. Beide Kindergärten, die so dringend notwendig waren, mussten geschlossen werden. Die Räume wurden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Die Sterblichkeit der durch Flucht sehr geschwächten Menschen war groß. Wie dankbar waren sie, die oft viele Tage frierend auf Wagen und Autos gesessen und nichts Warmes bekommen hatten, nun in ein warmes Zimmer zu kommen und warmes Essen in Empfang nehmen zu dürfen. ... Am 2.März kamen zwei Lastwagen, vollständig verschneit, mit Flüchtlingen aus Bunzlau/Schlesien. ..."
In dem Heft sind dazu mehrere Fotos aus dem Privatarchiv Dr. Volker Wappmann, Vohenstrauß, abgedruckt.

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