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Im Juli dieses Jahres habe ich - gemeinsam mit meinem Vater - eine Reise nach Breslau und Glogau gemacht. Es war das erste Mal, dass ich im ehemaligen Schlesien mit unserer familiären Vergangenheit konfrontiert wurde. Wir haben die neu eingerichtete Flugverbindung zwischen Dortmund und Breslau genommen und sind nach ca. 1 1/2 Stunden sicher am Breslauer Flughafen, der den Namen von Nikolaus Kopernikus trägt, gelandet. Nach dem üblichen Geldtausch hatten wir vor dem Flughafengebäude einen Bus ausfindig gemacht, der uns in das Zentrum von Breslau bringen sollte. Eine erste Freundlichkeit: Wir hatten beim Geldtausch einen 100-Zloty Schein bekommen, den uns der Busfahrer nicht wechseln konnte, und statt dass er uns aufforderte, das Geld zu wechseln, nahm er uns mit, ohne dass wir bezahlt hatten. Wir haben ihm dann anschließend ein 2 Euro-Stück gegeben, womit die Fahrt gut bezahlt war, einfach um seine Freundlichkeit zu belohnen. Breslau machte zumindest im Bereich des Zentrums auf uns einen sehr gepflegten Eindruck. Hier sind offensichtlich in den letzten Jahren viele Geldmittel hineingeflossen, um die gute Stube von Breslau, den Ring, in eine repräsentative Form zu bringen. Wunderschön die restaurierten Giebel, die geschmackvoll angestrichenen Häuser und die Bedachungen, alles ist wie im schön hergerichteten Modell zu bewundern. Das Ambiente am Ringplatz ist fast italienisch mit den Restaurants, die zum Platz hin angeordnet sind, man kann unter Markisen geschützt sitzen und sich von vielen verschiedenen Küchen kulinarisch verwöhnen lassen. Sogar ein japanisches Restaurant gab es dort!
Im Gegensatz zum Zentrum überwiegt die bauliche Tristesse am Stadtrand und außerhalb von Breslau. Am Bahnhof machten wir uns dann auf die Suche nach dem Zug, der uns nach Glogau bringen sollte, Tickets zu kaufen (bei der eine freundliche Polin meine Wünsche am Ticketschalter übersetzte) und den richtigen Bahnsteig zu finden (wenn man nicht weiß, was Abfahrt und Ankunft auf Polnisch heißt). Als das alles geschafft war und wir im richtigen Zug nach Glogau saßen (ein richtiger alter uriger Zug), bekamen wir das richtige „Bahnfahr-Feeling“, so wie man es bei uns aus den Zeiten der Schienenbusse und Dieselzüge kennt. Vom Zug aus wechselten sich verfallene Dörfer (Vater kennt all die deutschen Namen, die polnischen klingen alle irgendwie ähnlich), Felder und Wiesen ab, und das schöne Wetter tat sein Übriges daran, dass ich dieses Land und diese Weite als sehr schön und ursprünglich wahrnahm. Unweigerlich kamen mir die Worte des Liedes in den Sinn "Es dunkelt schon in der Heide", warum weiß ich nicht, aber es klingt etwa so melancholisch wie das Land. Wahrscheinlich waren es die kleinen Birkenwälder entlang der Strecke.
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In Glogau kamen wir am Nachmittag an, der Bahnhof hat den Charakter einer Ruine, die umliegenden Gebäude sind schon etwas ansprechender. Das Zentrum Glogaus zeugt von einer enormen Bautätigkeit, so als wollte man die vielen Jahre der Untätigkeit wieder aufholen. Die beiden Fußgängerstraßen sind allesamt mit kleinen Kaufhäusern bebaut, die unterschiedliche Giebel und Farben haben, fast ein bisschen so, als wollte man Breslau nacheifern. Denn diese Art der Bebauung hat ja keinen historischen Ursprung, die Häuser sahen früher, d.h. vor dem Krieg, ja ganz anders aus. Beim Durchgang durch Glogau erlebt man sehr Gegensätzliches, Baugruben, in denen nur die Fundamente der Häuser zu sehen sind, die vor 60 Jahren zerstört wurden, andererseits das schön hergerichtete Rathaus und die Ladenstraßen. Interessant auch, wie die ehemalige ev. Kirche im Zentrum ("Schifflein Christi") nur noch als Grundriss erahnbar ist, man aber, statt die Grundmauern dem Erdboden gleichzumachen, diesen Ort jetzt als Platz umfunktioniert hat, auf dem man den Grundriss der Kirche nachempfinden kann. Ein kleiner Schaukasten erinnert an den Standort der Kirche, und ein Modell zeigt sie in ihrer ursprünglichen Erscheinung. Ein Verdienst der Heimatvertriebenen ist sicher, dass an vielen Orten in Glogau der alten Stadt und der deutschen Kultur gedacht wird, und die Vergangenheit sehr neutral dargestellt wird, so wird man den Opfern auf beiden Seiten gerecht. Das Haus, in dem mein Vater und seine Familie gewohnt haben, steht schon lange nicht mehr, und an der Stelle befindet sich jetzt ein Gewerbegebiet. So ist außer der Erinnerung an das alte Glogau nichts greifbar Heimatliches geblieben. Die Reise in die Vergangenheit wird sicherlich noch über Jahre eine solche bleiben, da die Spuren der Zerstörung noch an vielen Orten vorhanden sind. Aber irgendwie spürt man vielerorts den Willen, diese Spuren verschwinden zu lassen
und die Stadt lebenswerter zu machen. Unser Eindruck war, dass nicht der Wille, sondern die finanziellen Mittel diese Entwicklung einschränken.
So bleibt der Eindruck, dass vieles noch verbesserungswürdig ist, die Menschen, die eine persönliche Perspektive sehen (man sagte uns, dass viele Polen in andere Länder auswandern, um Arbeit zu finden), aber motiviert sind, ihre Umgebung schön zu gestalten.
Mit herzlichen Grüßen an die Glogauer,
Jörg-Walter Bartsch
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