Unter dem Motto "Menschenrechte achten - Vertreibungen ächten" fand der Festakt am 2. Sept. im ICC Berlin statt. Die Vorsitzende des BdV Erika Steinbach begrüßte u.a. den Preisträger 2005 des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises Bischof Dr. Franjo Kamarica aus Banja Luka wie auch andere geistliche Würdenträger und diplomatische Vertreter aus 9 Ländern. Ein besonderer Willkommensgruß galt dem Bundespräsidenten Horst Köhler und dem Bundesminister a.D. Otto Schily.
Frau Steinbach erinnerte an das Kriegsende vor 61 Jahren und daran, dass die geordneten Zwangsausweisungen danach neue "Unmenschlichkeiten" brachten. Die "New York Times" berichtete im Oktober 1946 u.a. "Der Umfang dieser Umschichtung und die Verhältnisse, unter denen sie vor sich geht, haben in der Geschichte nichts Vergleichbares. Niemand kann daran zweifeln, dass es sich um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt". Zu den Leidenswegen der Vertriebenen gehören auch die Deportationen der Russlanddeutschen vor 65 Jahren. Weiter sagte sie, dass alle Bundeskanzler betonten, dass Vertreibungen rechtswidrig sind. Sie bat den Bundespräsidenten, sich für dienen nationalen Gedenktat für die Vertriebenen einzusetzen. Es folgte eine Totenehrung für alle Opfer von Krieg, Flucht und Vertreibung, in der auch die verstorbenen Peter Glotz (2005) und Herbert Hupka (2006) einbezogen wurden. Zu dem geplanten "Zentrum gegen Vertreibungen" erklärte Frau Steinbach u.a., dass es auch Deutschland zugebilligt werden sollte, über erfahrenes Leid zu sprechen und Opfer zu betrauern. Ohne die Stiftung wären unsere europäischen Nachbarn nicht so hellhörig geworden. Weiter, die Ausstellung "Erzwungene Wege" soll all dies Geschehen der Vergessenheit entreißen. Sie relativiert nicht, sondern zeigt Fakten auf. Sie dankte dem ungarischen Parlament für die Absicht, einen Gedenktag für die aus Ungarn vertriebenen Deutschen abzuhalten. Weiterhin legte sie dar, dass die grenzüberschreitende Kulturarbeit der Mitgliederverbände zum europäischen Miteinander oft mehr beiträgt als politische Erklärungen aus den Hauptstädten. Zum anderen hat die Verbandsarbeit bewirkt, eine lebhafte öffentliche Debatte zu entfachen und das öffentliche Bewußtsein wachzurütteln. Bei der Bewertung des Verständnisses und der Empathie der Nachbarländer sagte sie zu "drastischen Formulierungen und schrillen Tönen, dass sie sich frage, was aus der wunderbaren Botschaft der polnischen Bischöfe 1965:"Wir vergeben und bitten um Vergebung" übrig geblieben ist. Ihr Schlusssatz: "Wir reichen allen unseren Nachbarn freundschaftlich die Hände und laden ein zum Dialog."
In seiner Festrede umriss der Bundespräsident das Leid von Millionen Menschen, das durch Hitlers Krieg hereingebrochen war. Über 1 Million Polen wurden deportiert und vertrieben. 5 - 6 Mill. Polen kamen unter deutscher Besatzung ums Leben, davon 3 Mill. Juden. Am Ende schlug die Gewalt grausam zurück. Etwa 15 Mill. Deutsche verloren durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat. 2 Mill. überlebten die Flucht nicht. Abertausende Deutsche wurden ermordet, ungezählte Frauen vergewaltigt. "Deutschen Vertriebenen ist Unrecht angetan worden". Er erwähnt positiv die "Charta der Vertriebenen" von 1950 und bezeichnet den Neubeginn als Wunder. Dieser Abschnitt läuft darauf hinaus: Die Integration der Vertriebenen war auch das Ergebnis der Bereitschaft, sich auf Neues einzustellen und auf einander zuzugehen."
Weiter: "Wir müssen darüber sprechen, weil die Menschen, denen unermessliches Leid widerfahren ist, Anspruch auf unser Mitgefühl und unsere Solidarität haben. Und wir müssen das Gespräch darüber mit unseren polnischen, tschechischen, slowakischen und ungarischen Nachbarn und Freunden suchen, weil zu einer gemeinsamen guten Zukunft auch gehört, dass wir aufrichtig und auf Versöhnung bedacht mit unserer Vergangenheit umgehen." Er führte weiter aus, dass zum Verständnis der deutschen Geschichte auch die Geschichte und Kultur des ehemaligen deutschen Ostens gehört. Dafür stehen Namen wie Andreas Gryphius, Immanuel Kant, J. Gottfried Herder, Josef v. Eichendorff, E.T.A. Hoffmann und Käte Kollwitz (ließe sich noch weit ergänzen). Darum ist es wichtig, dass gerade die jungen Deutschen mehr über die Geschichte des Ostens erfahren. Zu der Debatte um das "Zentrum gegen Vertreibungen" mahnt er an, die Besorgnisse der Nachbarn nicht zu ignorieren. Er meint zu der Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" (DHM), dass sie zeige, dass es möglich ist, an das individuelle Leid der Opfer zu erinnern und den historischen Zusammenhang im Blick zu behalten. Er habe keinen Zweifel, dass es im gemeinsamen Europa gelingen wird, Erinnerung und Versöhnung zu verbinden. Horst Köhler nennt im Schluss seiner Rede viele Beispiele des Austauschs und der Gemeinsamkeiten. Er schließt mit den Worten: "Vertreibungen sind Unrecht, und sie dürfen kein Mittel der Politik sein. Es ist Aufgabe der Völkergemeinschaft, dieser Erkenntnis überall auf der Welt zum Durchbruch zu verhelfen."
Im Anschluss daran überreichte Frau Steinbach Frau Felicitas Walch-Glotz posthum die Ehrenplakette des BdV für Peter Glotz. Frau Walch-Glotz bereinigte bei ihren Dankesworten manch falsches Bild von ihrem Mann. Mit Temperament und Engagement hielt Otto Schily die Laudatio für Peter Glotz. Glotz war ein witziger, zorniger Politiker, dem man viel Ideen, Gedanken, positives Wirken verdankt. Er bezeichnete sich selbst einmal als Grenzgänger, wahrscheinlich auch, weil sein Vater Deutscher und seine Mutter Tschechin war und Eger sein Geburtsort ist. Peter Glotz war ein überzeugter Demokrat, der für Freiheit und Demokratie gestritten hat, der auch zuhören konnte. Er verteidigte auch das Bemühen für ein Zentrum gegen Vertreibungen. Otto Schily endete seine Laudatio mit den Worten, dass er hofft, dass das Wirken von Peter Glotz hilft, Vertreibungen zu ächten und sie für immer zu verhindern.
Mit der Nationalhymne endete die Veranstaltung.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Frankfurter Bläseroktett.
Im Anschluss fand ein ökumenischer Wortgottesdienst statt, der von Weihbischof Gerhard Pieschl und Bischof i.R. Klaus Wollenweber gestaltet wurde.
Persönlicher Nachtrag
Nicht nur bei den Vertriebenen stoßen die Kritiken und Reaktionen von polnischer Seite auf Unverständnis. So sagte der Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski zu der Teilnahme H. Köhlers: "Das ist eines der beunruhigenden Ereignisse, die in jüngster Zeit in Deutschland stattfinden." An anderer Stelle: "Eine Weile habe der Eindruck bestanden, die Vertriebenenverbände hätten sich geändert, aber dann kam Frau Steinbach und es wurde ein neues Ausmaß erreicht." Zum anderen allerdings zeigt die einflussreiche polnische Zeitung "Gazetta Wyborcza" kein Verständnis für solche Meinungen. Sie lobt die Worte Köhlers als "positiv aus polnischer Sicht". Die Berliner Morgenpost schreibt am 5.9.: "H. Köhler sprach im Geist der Versöhnung. Premier Kaczynski sprang dennoch gleichsam in den Schützengraben, um den angeblich auf Ländereien hungrigen Deutschen abzuwehren. Beständig bemüht K. das Bild vom revanche-lüsternen Deutschen, um seinen antiwestlichen Kurs abzusichern, der im eigenen Land umstritten ist.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Mit heimatliche Grüßen
Euer Hans-Günter Szymanski