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Fast jeder Heimatvertriebene wird sich vielleicht diese Frage schon einmal gestellt haben, ob 60 Jahre nach der Vertreibung aus unserer Heimat, der Grafschaft Glatz, eine solche Zeitung überhaupt noch eine Existenzberechtigung hat.
Die Frage muss mit einem eindeutigen „Ja" beantwortet werden. Zu dieser Erkenntnis bin ich gelangt, als ich in den vergangenen zwei Jahren das Wagnis unternommen habe, ein Heimatbuch über unser Dorf Bobischau zu schreiben. Zum Zeitpunkt der Vertreibung - am 20. März 1946 - war ich elf Jahre alt. Zwar sind mir die Kriegsjahre, die Russen- und die Polenzeit noch deutlich in Erinnerung, weil ich sie selbst intensiv miterlebt habe, jedoch die weiter zurückliegenden Zeiträume kannte ich nur aus den Erzählungen meiner Eltern und aus zahlreichen Gesprächen mit ihnen und vielen älteren Bobischauern. Doch leider wird die Zahl der Wissensträger von Jahr zu Jahr geringer, und es ist der Zeitpunkt abzusehen, wann die letzen dieser Erlebnisgeneration zu Grabe getragen werden und damit ihr unfangreiches, vielfältiges und wertvolles Wissen nicht mehr zur Verfügung steht, ja, für immer verloren ist, wenn es nicht rechtzeitig in Wort und Bild festgehalten wird. Der Zeitpunkt dafür ist fast schon zu spät, wie ich aus eigener Erfahrung heute sagen kann.
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Für die aus ihrer Heimat vertriebenen Grafschafter war und ist der seit 1950 erscheinende „Grafschafter Bote" ein Stück Heimat. Er war das Band, das fern der Heimat die Verbindung zu den Menschen aufrechterhielt und herstellte, die plötzlich und grausam aus ihrer vertrauten Umgebung, aus ihrer Dorfgemeinschaft mit all ihrem kulturellen Leben und menschlichen Bindungen herausgerissen worden waren. Die räumliche Trennung von der Heimat, ihren Verwandten, Bekannten, Nachbarn und Freunden war nicht nur ein Schock, sondern eine Entwurzelung aus der fest gefügten und vermeintlich sicheren Lebensbahn.
Durch die Heimatzeitung erfuhren sie vielfältige Unterstützung und für sie wichtige Informationen: Familiennachrichten, Termine von Wallfahrten und Heimattreffen, Literaturveröffentlichungen in Mundart, Gedichte und Prosa, Berichte über Besuche in der Heimat, verstärkt in den letzten Jahren. Hier begegneten ihnen die bekannten Namen von Ortschaften, Menschen, kulturellen Ereignissen, Sitten und Brauchtum aus dem Glatzer Land, ebenso die Wallfahrtsorte, geographische Namen, die ihnen aus der Heimat seit ihrer Kindheit vertraut waren.
Während meiner Arbeit über Bobischau, bei der mir die Unterstützung durch den „Grafschafter Boten" eine unverzichtbare, wertvolle Hilfe war, ist mir eigentlich erst bewusst geworden, dass vieles an heimatlichem Brauchtum, der Grafschafter Literatur, Mundart und Geschichte längst in Vergessenheit geraten und wohl auch verloren gegangen wäre, gäbe es den „Boten" nicht.
Unterstützen wir unsere Heimatzeitung, indem wir sie beziehen und lesen, auch, wenn der eine oder andere Beitrag nicht nach unserem Geschmack ist und wir manchmal anderer Meinung sind; das geht uns doch bei jeder anderen Zeitung ganz genau so. Außerdem kann jeder von uns von dem Grundrecht der Pressefreiheit Gebrauch machen und seine Meinung kundtun! Wir sollten vielmehr die große heimatpolitische Bedeutung, auch „in kultureller und kirchlicher Hinsicht" erkennen und dieses Bemühen durch den Bezug des „Grafschafter Boten" unterstützen und dazu beitragen, dass unsere schöne Grafschaft Glatz den jüngeren Generationen, auch in der Zukunft, noch etwas bedeutet und die Erinnerung an sie wach gehalten wird.
Ein französisches Sprichwort lautet: „Abschied nehmen ist immer ein Stück Tod." Sollte eines Tages unser „Grafschafter Bote" sein Erscheinen tatsächlich einstellen müssen, weil nicht genügend Abonnenten die wirtschaftliche Existenz sicherstellen, dann würde fürwahr wohl nicht nur ein Stück „geistige" Heimat aufgegeben werden, sondern auch die Spuren zu den Wurzeln unserer Vorfahren würden für immer verwischt und für spätere Generationen nicht mehr sichtbar sein. Deshalb sollten Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln über dieses Thema offen und ohne Pathos reden, damit nicht als erste Maßnahme beim Ableben der älteren Generation die Abbestellung des „Grafschafter Boten" erfolgt.
Der Gründer unserer- Heimatzeitung, Geistlicher Rat Georg Goebel, wählte als Motto vor 54 Jahren: „Fern, doch treu!" Was damals galt, gilt heute nicht minder. Bewahren wir das geistige Erbe unserer Vorfahren in Geschichte, Kultur, Mundart, Religion und Brauchtum, indem wir dazu beitragen, dass diese Spuren erhalten und sichtbar bleiben, auch für die uns nachfolgenden Generationen.
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