Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2006

Die Gramschützer Mühlen

Auszug aus "Heimatbuchblätter"

von Oskar Hoffmann +

3. Fortsetzung und Schluss aus NGA 06/06


Obwohl wir immer wieder hörten: "In der Mühle habt ihr nichts zu suchen!" (wegen der Unfallgefahr), brachte er uns auf dem 2. Boden eine Schaukel an, mit starken Ketten. Dort durften wir an Regentagen und wenn die Mühle stand, uns vergnügen. Älter geworden, durften wir vom 3. Boden aus durch eine Luke auch das Flachdach ersteigen und die nähere und weitere Umgebung staunend aus luftiger Höhe betrachten. Und photographieren ließ es sich dort oben auch gut.

Nur in einer Weise durften wir uns in der Mühle auch mal nützlich machen. Wo man keine Nahrungssorgen kannte, lebten gern Mäuse und - vom Wasser her - auch Ratten. Die brachten ihren unangenehmen Geruch und Schmutz mit, die unter keinen Umständen geduldet wurden. Wir stellten also Fallen auf und kriegten für die Maus fünf, für die Ratte zehn Pfennig in die Sparbüchse. Einmal- o Schreck! - kam ich mit der großen Zehe in ein Ratteneisen und hinkte heulend in die Stube, wo gerade Besuch war. Als ich befreit und verbunden war, wurde über die komische Situation gelacht. - Viel gefährlicher war es, als ich an der laufenden Haferquetsche mit der rechten Hand zwischen Wellenende und Antriebscheibe geriet. Der schnell laufende Treibriemen riss die Haut des Handgelenks "bis aufs Weiße" herunter, und es grenzte ans Wunderbare, dass ich den Arm zurückreißen konnte. Sonst wäre er mir ausgerissen worden. An Lätare 1913 saß ich, als die Sommersinger kamen, auf der Hausbank und musste immer wieder erzählen. Kurz vorher war in der Schiebler-Mühle (Suckau) der junge Müllerssohn Arthur vom Getriebe erfasst und buchstäblich zerrissen worden.

Doch zurück: Nach kurzer Krankheit starb Vater am 15. November 1934 im Krankenhaus Bethanien in Glogau und fand am 19. November auf dem Heimatfriedhof im Grabe seines Vaters die letzte Ruhe. Herr Pastor Wieder hatte den Schwerkranken besucht und auch die letzte Wegzehrung, das Heilige Mahl, verabreicht. Wo wir 1924 fröhlich die Silberhochzeit der Eltern gefeiert hatten, in der kühlen, mit Grün ausgeschmückten Untermühle, dort war er 10 Jahre später vor schwarz verkleideten Wänden aufgebahrt. Still stand die Mühle, still stand das Herz des Meisters! Die Grabrede über Römer 8, 28 und Psalm 121, 1 habe ich mir seinerzeit von Herrn Pastor Wieder erbeten und habe sie noch in Verwahrung. Als ich sie meinen Geschwistern zum Jahrestage abschriftlich mit der letzten Aufnahme von Anfang Oktober übersandte, schrieb ich im Begleitbrief u.a.: "Ein köstliches Leben voll Mühe und Arbeit ist abgelaufen, verronnen aus der Zeit in die Ewigkeit. Dort ist uns bewahrt, was unvergänglich an ihm war: Die Güte und Lauterkeit seines Wesens, die Liebe zu uns und seinem Lebenswerke. Über seiner letzten Ruhestätte aber steht unsichtbar, nur lesbar für uns, die wir ihm am nächsten waren: "Ach, sie haben einen guten Mann begraben, und mir war er mehr!"

Nur durch eine mehrmonatige Zeit "in der Fremde" (Niederlausitz) unterbrochen, hatte unser jüngster Bruder Georg, von vornherein für die Fortführung beider Geschäftszweige bestimmt und im Besitz beider Meisterprüfungen, unserem Vater immer mit seiner jungen Kraft und guter Eignung zur Seite gestanden. So setzte er im Auftrag der Erbengemeinschaft (Mutter und fünf Geschwister) die Arbeit dort fort, wo sie der Tod dem Altmeister aus der Hand genommen hatte. Mit dem 1. Januar 1936 wurde er Alleinbesitzer. Mutter blieb wohnen und führte Haushalt und Laden weiter, bis am 18. Mai des gleichen Jahres in Hermsdorf (Jakobskirch) Hochzeit gehalten wurde und die junge Frau Mutters Pflichten übernahm. Von ihrer im 1. Stock gelegenen Wohnung aus stand sie natürlich jederzeit gern zur Verfügung. Es wurde, wie schon angedeutet, wieder um- und neugebaut. Alles lief gut - da kam der Zweite Weltkrieg mit seinen besonders auch für die Bäckerei und Müllerei einschneidenden Maßnahmen.

Ich nenne nur Brotkarten und Mahlkarten. Schon 1940 wurde Georg eingezogen und nur zu den dringendsten Arbeiten (Weizenvermahlung) mehrmals kurzfristig beurlaubt. Sonst stand die Mühle. Mit einem dienstlichen Auftrag kam er Anfang Juli von Caen nach Paris. Dort sahen wir uns gerade am 9., Mutters Geburtstag, zum letzten Male und standen zusammen unter dem Eiffelturm, am Trocadero und im Invalidendom. Ich kam nach Italien, er in Südfrankreich in Kriegsgefangenschaft. Später entlassen, schleppten ihn die Russen in Görlitz von der Seite seiner wiedergefundenen Frau weg bis nach Sibirien. Schwach und krank wurde er vorzeitig entlassen und konnte in der Niederlausitz, wo er mal als Geselle gearbeitet hatte, Fuß fassen. Schwere Arbeit, zuletzt als Lagerverwalter und für die Getreideablieferung der Bauern verantwortlich, was ihn körperlich und vor allem seelisch stark forderte, kleine und feuchte Notwohnung, das alles führte in dem durch Sibirien stark mitgenommenen Körper zu einer plötzlich und heftig auftretenden Lungenentzündung. Die verzögerte Einlieferung ins Krankenhaus Finsterwalde konnte keine Hilfe mehr bringen: Am 10. Februar 1953 verlöschte sein junges Leben. In Kirchhain NL. liegt er beerdigt. Die Schwägerin muss sich heute noch schwer durchschlagen, die beiden Nichten sind inzwischen verheiratet.

Die Bilanz des unglücklichen Krieges und Verlustes der Heimat: Vater ruht in der Heimaterde, Mutter in Görlitz, Bruder Richard in Rostow am Don, Schwester Lina in Miersdorf b/Berlin. Und daheim: Die Bäckerei wurde mit Hilfe des letzten Gesellen (Buckwitz) von den Russen weitergeführt, aber die Mühle - - gerüchteweise verlautete, man habe eine Lokomobile von Anton Müller mit großen Schwierigkeiten durchs Buchholz/Leiska-Gässel an die Mühle herangefahren, auf Balken über den Untergraben gesetzt und versucht, die Mühle anzutreiben. Das Gestühl und das Holz der Emporen der evangelischen Kirche sollen als Feuerung gedient haben. Ein schrecklicher Gedanke! Herrn Edmund Müller, darum befragt, ist davon nichts bekannt bzw. erinnerlich. Meine Schwägerin hat bei ihrem Besuch der Niedermühle, von dem an anderer Stelle zu lesen ist, beim Öffnen der Mühltür nur einen großen Schutthaufen in der Untermühle liegen sehen und vor Grausen die Tür gleich wieder zugemacht. Schließlich: Von jemand, auf den ich mich nicht entsinne, hörte ich, dass die Frau des ersten polnischen Bäckers verstorben sei und die Leiche solange in unserem Laden gelegen habe, bis der Verwesungsgeruch zu Zwangsmaßnahmen führte. Unvorstellbar, dass so etwas in den Räumen geschehen sein soll, in denen drei Generationen lebten, schafften und glücklich waren!

Ob sich heute noch eine Mühle in Gramschütz dreht? Wohl nicht.

Gern würde ich aufhören, denn dieses Thema ist lang und breit ausgewalzt worden. Ich bitte um Nachsicht. Schließlich habe ich neun Generationen der "weißen Kunst" vor mir. Und ausgerechnet mir, dem ersten in direkter Linie, der ihr untreu wurde, fällt es zu, alles niederzuschreiben. Alles? Ach, es könnte noch viel mehr werden.

Aber wenden wir uns dem Schluss zu! Denn nun sind wir auf die siebente Mühle neugierig. Wie ich darauf komme? Nun, von selbst nicht. Am 25.3.1964 schrieb mir Frau Roter: "Durch die Februar-Nummer der Heimatzeitung habe ich erst erfahren, dass das mit Efeu bewachsene Haus am Teich, das Bauer Buckwitz gehörte, früher eine Mühle, und zwar die Teichmühle gewesen ist. Eine Frau Rudolf, geb. Pusewei hat mich darauf gebracht. Bothe Paul, dessen Eltern früher in diesem Hause wohnten, kann sich entsinnen, dass ein alter Schäfer, der Pusewei hieß, mit ihnen dort gewohnt hat." Neugierig fragte ich sofort zurück, musste aber unterm 7.5. erfahren: "Über die Teichmühle kann ich Ihnen leider weiter nichts berichten, als was in der, Januar- oder März-Nummer stand. Da wurde einer Frau Rudolf, geb. Pusewei, früher Gramschütz (Teichmühle), zum Geburtstag gratuliert. Leider habe ich die Zeitung nicht zurückerhalten. Sie nannte die Adresse von Frau Rudolf." Vertrauens- und hoffnungsvoll wandte ich mich an Alfred Schulz und erhielt prompt eine Abfuhr: '"Wie kann im Buckwitzschen Hause noch eine (4.) Wassermühle betrieben worden sein! Ist das ein verspäteter Aprilscherz? Als Müllerssohn müssten Sie doch wissen, welche Voraussetzungen geschaffen werden mussten, z.B. Aufschütten des Mühlendammes, um das GefäIle für das Wasser zum Betreiben des Wasserrades oder der Turbine zu schaffen und anderes mehr." Inzwischen hat sich Frau Keilich (Bernburg/Saale) auf meine Anfrage dahingehend geäußert, dass sie sich weder des Namens Pusewei noch der Erwähnung einer "Teichmühle" erinnere. Der Chronist aber darf die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass es die in der Urkunde vom 1. August 1298 genannte gewesen sein könnte; Dorfmitte, Gutsnähe, Teichnähe. Was lag näher als das? Der Lauf des Dorfgrabens war auffallenderweise von der Gemeinde-Schmiede ab verändert und etwas höher eingedämmt worden. Es wäre durchaus denkbar, dass der an dem erwähnten Buckwitzschen Hause vorbeiführende Graben das ursprüngliche Mühlgrabenbett war. Ein unterschlächtiges Wasserrad konnte bei diesem Wasserstande gut betrieben werden. Wie lange sie, wenn überhaupt, bestand, wer wollte das sagen? Auch das Gründungsjahr der Niedermühle, die sie evtl. abgelöst haben könnte, ist unbekannt. Teichmühle hin - Teichmühle her - sie durfte nicht unerwähnt bleiben.

War die Erwähnung der Niedermühle ein willkommener Anlass zur Reverie (Träumerei), so die der Teichmühle, der Beschluss der sieben Mühlen - immer noch mit Fragezeichen dahinter -, eine Fantasia. In welche Ferne müssten wir wohl unsere Phantasie spielen lassen, um uns das Gramschütz zur Zeit der Gründung vorstellen zu können und in die Zeit, "in der der Herzog Konrad von Glogau seinen Schulzen gestattet, daselbst, am fließenden Wasser eine Mühle zu bauen" (zu erblichem Besitz und frei von allen Diensten)? Die erste Mühle im Dorfe war es bestimmt! Aber war es auch die siebente unserer "Rückblende"?

Berichtigung betr.: Holländer-Mühle

Der Wahrheit die Ehre! Herr Alfred Schulz schreibt nach Kenntnisnahme des Vorstehenden: "Die Holländer-Mühle ist nicht durch Beschuss abgebrannt, sondern durch Selbstentzündung in der Sturmnacht des 13. Dezember 1945. Da der Elektromotor, der die Mühle angetrieben hatte, nicht mehr vorhanden war, musste sie mit Wind in Gang gesetzt und gehalten werden. Anstelle der Jalousien, die der Krieg verweht hatte, spannte Gaska, Pole und gelernter Müller, die Tücher von Garbenbindern, starkes Segeltuch, in die Mühlenflügel. Sie erfüllten zur Not tatsächlich ihren Zweck - bis zu eben dieser Sturmnacht. Sei es, dass Gaska die drehbare Kappe der Mühle nicht fest genug verankert hatte oder dass das prall gefüllte Segeltuch keinen Wind mehr durchließ - die Windmühlenflügel drehten sich immer schneller und schneller, die geölten Lager wurden heiß und heißer, bis Funken stoben und die Mühle in kurzer Zeit in Flammen stand, gänzlich ausbrannte und in sich zusammenstürzte. Niemand hat es gesehen, auch Gaska nicht, aber so nur ist es zu erklären. Deutsche Frauen, die die Polen aus Quilitz zur Arbeit holten, waren die ersten, die den ausgebrannten "Holländer" sahen."

Diese Berichtigung steht in dem sechs Seiten langen Brief vom 6.2.69, dem letzten, den ich erhielt. "Ihr Brief vom 3.7. wird der letzte gewesen sein, den mein Onkel hat lesen können", schreibt sein Neffe Helmut Neumann. Und Ida Hahn, die letzte Mitbesitzerin des Holländers ist am 20. Mai 1970 heimgegangen. So schließt sich ein Vorhang nach dem andern.

Ende

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