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Als die Wunden, die die Hungersnot geschlagen hatte, zu heilen begannen, überzog der französische Kaiser Napoleon I. (1804 bis 1815) das Königreich Preußen mit Krieg. Anfang November 1806 überschritt Jerome Bonaparte die schlesische Grenze: Schon am 3. November 1806 vormittags 9 Uhr ritt die erste französische Patrouille, 28 Mann stark, in Beuthen ein. Ihr Anführer forderte seine Kriegssteuer von 600 Dukaten, begnügte sich aber schließlich mit einem Betrage von 800 Reichstalern und einer Taschenuhr. Drei Tage später erschien die Kavalleriebrigade Lefebre (3000 Bayern), plünderten die Lebensmittel und Bekleidungsgeschäfte und setzte sich dann nach Glogau in Marsch.
Am 6. November quartierten sich 2500 Mann der bayerischen Infanterie-Division Wrede in der Stadt ein. Alles, was halbwegs erreichbar war, wurde „requiriert". Die Nacht vom 9. zum 10. November gehört zu den qualvollsten, die Beuthener Bürger durchlebt haben. Die Soldaten drangen in alle Behausungen ein, belästigten und quälten Alte und Junge und nahmen alles weg, was begehrenswert erschien oder irgendwelchen Wert besaß. Rings um die Stadt loderten riesige Wachtfeuer auf. In allen Höfen qualmten Holzhaufen, um den Bürgern das Schreckgespenst einer Feuersbrunst recht deutlich und anschaulich vor Augen zu führen, sie damit zu ängstigen und den Wünschen der Besatzung gefügig zu machen. Die Schreckensnacht war nur das Vorspiel zu einer langen Kette schwerer Bedrückungen für die Stadt. Durchmärsche und Einquartierungen aller Art drückten die Bewohner ohne Ende. Das nebelige Herbstwetter verursachte allerlei Krankheiten unter den Glogauer Belagerungstruppen. Deshalb richteten die Franzosen zahlreiche Lazarette ein. Eins davon erhielt Beuthen. Die Verpflegung hatte die Stadt zu besorgen. Am 22. Dezember wurde ihr eine Kriegssteuer von 1962 Reichstalern auferlegt. Der Friede zu Tilsit (1807) erweckte die Hoffnung, dass die unerhörten Drangsale des Krieges bald ein Ende nehmen würden. Das war aber nicht der Fall. Ein großer Teil der französischen Armee blieb in der Glogauer Gegend zurück und wurde auf die einzelnen Ortschaften verteilt. Alle Dörfer und Städte, die Glogau in einem Umkreis von 30 Kilometern umgaben, hatten Festungs-Verpflegungsgelder, Einquartierungskosten, Soldzuschüsse und Tafelgelder für die französischen Offiziere zu zahlen. Dazu kamen noch unerhörte Naturallieferungen und Kontributionen. An Kriegssteuern wurden der Stadt Beuthen 7473 Reichtaler und 15 Silbergroschen auferlegt. Groß war die Empörung der Bürger, als sie die neue Last auf ihre Schultern nehmen mussten. Aber sie fügten sich bald der Gewalt und trugen zähneknirschend das verhasste Franzosenjoch.
Während die Feinde noch im Lande waren, bemühte sich Friedrich Wilhelm IIl., die staatliche Verwaltung heilsam auszugestalten. Am 19. November 1808 erschien die preußische Städteordnung. Das war ein Hoffnungsschimmer in dunkler Nacht; denn sie gab den Städten das Recht der Selbstverwaltung, die Magistrats- und Stadtverordnetenwahl und damit die Befugnis, die Gemeindeangelegenheiten selbst zu ordnen. Die Einführung ging in Beuthen ziemlich schnell vonstatten. Am 24. Februar 1809 fand die Stadtverordneten- und am 25. Februar die Magistratswahl statt. Die Einführung der städtischen Körperschaften erfolgte im Juli durch den Regierungsrat Gringmuth aus Liegnitz.
Die städtischen Körperschaften fanden auch bald Gelegenheit zu uneigennütziger Betätigung im Dienste der Stadt. Der Februar 1809 brachte starkes Tauwetter. Der Eisgang nahm ungewöhnliche Formen an. Gewaltige Schollen fingen sich in dem Stammgewirr des Eichenwerders, türmten sich oberhalb der Stadt zu einem Eisberg auf und verstopften das Flussbett. Da grub sich der Strom mitten durch den Lantsch einen neuen Weg. Die hochgehenden Wogen stießen machtvoll gegen die Fischerei vor und schufen am Töpferberg einen Strudel. Dieser nagte sich tief in den Fuß der steilen Höhe hinein. Bald hing die Krone des Berges frei in der Luft. Und eines schönen Tages löste sich der ganze Gipfel vom Baugrunde und stürzte mit allem, was darauf war, in die kreiselnde Tiefe hinab. Mit schauerlichem Getöse brachen die Häuser, Brennöfen und. Schuppen der Töpfer Ehrlich und Kahl auseinander und rollten mit den Baumriesen der Höhe in das Wasser. In Eile wurden die Nachbarhäuser geräumt, denn sie schauten schon bedenklich zur Tiefe hinab. In der höchsten Not brach der Strom den Eisdamm des Fischerei-Werders mitten durch, bahnte sich einen neuen Weg zum alten Bett und befreite damit den Töpferberg von den nagenden Fluten. Mit großer Energie gingen die städtischen Körperschaften an die Ausbesserung der Schäden und die Befestigungen des ganz und gar vernachlässigten Oderufers. Die Maschinen dazu schenkte der Fürst von Carolath.
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Ein schwerer Schlag traf ein Jahr später die Ackerbürger: Die Rinderpest, die polnische Zugochsen eingeschleppt hatten, vernichtete 131 Ochsen, 146 Kühe und 106 Stück Jungvieh. Der fruchtbare Sommer des Jahres 1811 suchte die Verluste, die die Seuche verursacht hatte, zu verringern, denn er bescherte der Landwirtschaft eine vorzügliche Getreide-, Kartoffel- und Heuernte. Die Obstbäume trugen hundertfältige Frucht, und die Weinberge lieferten unheimliche Mengen von Trauben mit einem Blut, das einen selten guten Wein lieferte.
Das Jahr 1812 brachte neue Lasten. Napoleons „Große Armee" marschierte nach Russland. Die Truppenbewegungen und die damit verursachten Einquartierungslasten wollten kein Ende nehmen. Und was forderten die Fremdlinge nicht alles von den Einquartierungswirten! Der Durchmarsch war beendet. Allerlei Siegesnachrichten trafen ein. Der Einzug Napoleon I. in Moskau wurde mit besonderem Nachdruck bekanntgegeben. Dann ebbte der Nachrichtendienst ab. Allerlei unkontrollierte Gerüchte erfüllten die Stadt. Endlich brachten zurückflutende Leichtverletzte und Kranke die Nachricht von der Zertrümmerung der Großen Armee auf den Eis- und Schneefeldern Russlands. Ihnen folgten Tausende jammernswürdige Gestalten mit eingefallenen Augen, angstverzerrten Gesichtern und erfrorenen Gliedern. Die Körper waren in zerschlissene Uniformen, abgetragene Frauenröcke, Tuchlappen, Pelzfetzen oder Wandtapeten gehüllt.
Ansteckende Krankheiten machten ihre Nähe furchtbar. Viele Bürgerfamilien bezahlten ihre Bereitwilligkeit zu wohltätiger Hilfe mit dem Ansteckungstode. Den fliehenden Franzosen folgten die Russen auf dem Fuße. Schon im März 1813 erschienen die ersten Kosaken in Beuthen. Sie bemühten sich, als Verbündete aufzutreten, aber ihre Wildheit und Unkultur machte sie zu furchtbaren Freunden. Der Waffenstillstand zu Pläswitz bei Jauer wies ihnen das rechte Oderufer als vorderste Aufmarschlinie zu. Am 11. Juni bezogen sie die neuen Stellungen. Am nächsten Tage besetzten junge französische Garden die Stadt. Die ganze Gegend wimmelte von feindlichen Truppen. Die Kranken wurden in die Lazarette gebracht, die aus den Scheunen vor dem Würbitzer- und Freystädter Tore entstanden waren; das Schützenhaus wurde Offizierslazarett. Alles, was die Krankenhäuser brauchten, hatte die Stadt unentgeltlich zu liefern. Die Zahl der Einquartierungstage stieg auf 96915. Dazu kamen in dieser kurzen Zeit noch 10751 Reichstaler und 15 Silbergroschen Kriegssteuern.
Am 15. August wurde Napoleons I. Geburtstag in dem Barackenlager zwischen Malschwitz und Krolkwitz mit Festgottesdienst, Festessen und Feuerwerk gefeiert. An dieses erinnert heute noch die dortige Franzosenkiefer. Eine ungeschickte Hand veranlasste einen Brand. Ihm fiel das Bild des Korsen zum Opfer. Der Vorgang erschütterte in den Franzosen den Glauben an Napoleons göttliche Sendung. Die Beuthener Bürger erblickten in ihm das Anzeichen des erlöschenden französischen Waffenglücks. Elf Tage darauf fanden viele Mannschaften der Beuthener Besatzung in der Schlacht an der Katzbach den Tod in der Katzbach oder in der wütenden Neisse. Allmählich rückte der Kriegsschauplatz weiter nach Westen. Damit hörten für Beuthen die Durchmärsche und Einquartierungen auf. Großen Jubel entfachte die Nachricht von dem Siege bei Leipzig und dem Einzug der Verbündeten in Paris. Der Friede kam und mit ihm neue Soldatendurchmärsche. Sie bildeten zwar eine schwere Last, wurden aber geduldig ertragen; denn die Russen mussten in die Heimat zurückbefördert werden.
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