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2. Fortsetzung aus NGA 05/06
Im Laden hing eine vergiIbte Zeichnung aus der Schulzeit unsers Vaters, rot angedeutet ein Stück Mauerwerk der Grundmauer, schwarz die Balken der Lehmwand. So war es um 1890. Das hat mich angeregt, der Geschichte des Grundstücks nach zugehen. So saß ich eines heißen Sommertags im Grundbuchamt des Amtsgerichts Glogau und schrieb vor- und nachmittags aus dem freundlich vorgelegten Band V des "Grundbuchs von Gramschütz" alles ab, was "Blatt 58" über die "Häuslerstelle Nr. 58 Gramschütz, Gebäudesteuerrolle Nr. 90" enthielt. Unter "Bezeichnung des Grundstücks" sind aufgeführt; Wohnhaus, Mühle mit Hofraum und Garten, Auszugshaus, Stallung, Schweine- und Holzstall, Scheune und Acker am Kriegerlichtgraben. Größenangaben, jährlicher Reinertrag und Nutzwert fehlen nicht. Am 6. Juni 1928 zahlte der erstangeführte Besitzer Johann Gottlieb Kinzel den Preis von 660 Thl (Taler). Als Müllermeister Friedrich August Hoffmann, mein Großvater, am 23. Februar 1877 das freilich schon mehrfach veränderte, verbesserte Anwesen erwarb, hatte es neun Vorbesitzer gehabt. Nun sind aufgeführt: "Die Niederwassermühle Haus Nr. 58, Acker am Kriegerlichtgraben und desgl. Als Kaufpreis sind 2950 Thaler gleich 8850 Mark verabredet," Carl Heinrich Kinzel, der Sohn des Obengenannten, hat lt. Vertrag vom 29. Januar 1866 von diesem Grundstück "zwei Streifen Ackerland nebst dem an der Dorfstraße gelegenen, mit Obstbäumen bepflanzten Garten im Gesamtflächeninhalt von 76 Quadrat-Ruthen (Rute: altes deutsches Längen- und Flächenmaß, 1 Rute = 2 Klafter = 12 Fuß = 3,76 m) an den Häusler Carl Seidel für 300 Reichsthaler verkauft." Meinem Vater war das bekannt, und es ist verständlich, dass wir von der Niedermühle den späteren, "Judegarten" mit anderen Augen ansahen.
Nach dem Tode des Großvaters übernahm mein Vater, Müller- und Bäckermeister Carl Hoffmann, nach Kaufabschluss vom 1. Juni 1894, das Grundstück Nr. 58, (Haus-Nr. 88) als Alleineigentümer und hatte Mutter und vier Schwestern abzufinden. Er war 1888 auf Wanderschaft gegangen und wurde im Dreikaiserjahr als Ersatz-Reservist zum Inf. Rgt. 31 Hamburg-Altona eingezogen. 10 Wochen diente er 1891 beim Inf. Rgt. 58 in Lerchenberg ab. Von einer weiteren Fortbildung in Norddeutschland wurde er wegen schwerer Erkrankung des Vaters, die zum Tode führte, unerwartet heimbeordert. Er war damals 32 Jahre alt und Bräutigam. Am 20. Juni 1899 fand die Trauung in Klein-Gaffron statt. Eine Zeitungsnotiz (Niederschlesischer Anzeiger Nr. 27 vom 2. Februar 1927) erinnerte an das 50-jährige Bestehen der Firma und berichtete u.a.: "Durch viel Umsicht und Tüchtigkeit hat es Herr Hoffmann verstanden, sein Geschäft in verhältnismäßig kurzer Zeit in die Höhe zu bringen. Nach seinem am 2. Mai 1891 erfolgten Tode führten seine Erben das Geschäft in unveränderter Weise weiter, bis es sein Sohn, Müller- und Bäckermeister Carl Hoffmann, im Juni 1899 käuflich übernahm. Das Mühlengebäude ist im Jahre 1893, das Wohnhaus im Jahre 1902 neu erbaut worden." Damit war das Bild erstellt, das jeder Gramschützer kannte: zweistöckiges Mühlengebäude mit aufgesetztem niedrigen Bodenraum, Wohnhaus mit Laden und rechtswinklig angeschlossenem einstöckigen Mietshaus (mit 6 Wohnungen), alle Gebäude mit flachem Pappdach und weiß gestrichen. An die Mühle schloss sich, am Untergraben entlang, ein einstöckiger Speicher an, der anfangs im Erdgeschoss Backofen und Backstube aufnahm. An der Grenze zu Cohns Garten standen ein Schuppen für die Mieter und ein kleines Waschhaus. Bald schon, etwa 1905/06 (ich ritt noch auf dem Schaukelpferd), wurde der Backofen nach vorn, eine Backstube nach dem Hof hin angebaut, der Laden näher an die Straße gelegt und ein Schaufenster durchgebrochen. So blieb es bis zuletzt. Der letzte Besitzer, mein jüngster Bruder Georg, erbaute im Hof ein massives Wirtschaftsgebäude mit Aborten und eine Garage. Er trat damit in Vaters Fußstapfen, der auch immer wieder durch bauliche Verbesserungen mit der Zeit ging. Scherzhaft wurde er hin und wieder gefragt, ob er "Freimaurer" sei, was so viel heißen sollte wie: "Wo kommt das Geld dazu her?" Nun, ich weiß, wohin ich "zum Quartal" die Zinsen trug!
Vater war mehr Müller als Bäcker. So war es kein Wunder, dass ihn neben der Sorge, wie mehr- Wasserkraft zu ermöglichen war, andererseits stets der Gedanke beschäftigte, wie das alte schwere Werk leichter und leistungsfähiger zu machen sei. Das ungefüge oberschlächtige Wasserrad in der eingebauten Radstube, das in strengen Wintern oft wochenlang völlig vereiste und die Mühle stilllegte, die schweren eisernen Kammräder und die veralteten Mahl- und Schrotgänge hatten ausgedient. Nach der Elektrifizierung des Ortes (1915) wurde eins ums andere erneuert. Dabei kam ein besonderer Umstand zugute, den Kollege Otto Wittwer so beschrieb: "Carl Hoffmann war, so klein er war, ein Mann voll Energie und Tatkraft. Und durch seine Heirat mit der Schwester des Inhabers der bekannten Mühlenbauanstalt Fellgiebel & Zierenberg, Hermsdorf/Kynast, konnte er seine Mühle, die ja schon wie neu war, vollkommen umbauen mit allen Errungenschaften. Er war auch stolz darauf, und ein wenig habe ich ihn beneidet." Ja, das geschah im wesentlichen 1920. Frau Roter wusste das sehr genau: "Als ich am 11. Februar 1920 heiratete, war mein Mann noch am Hochzeitsmorgen in der Mühle mit dem Einbau von Mauerankern beschäftigt, denn Ihr Herr Vater ließ gerade die Turbine einbauen." Ganz recht: Am 18. Februar ging ich in die 1. Lehrerprüfung (Liegnitz) und kam als glücklicher junger Mann bei der Heimkehr ins Elternhaus mitten in die wochenlange, umfangreiche Montagearbeit hinein.
Und nun hat mein Bruder Erich das Wort: "Ich weiß nicht, ob ich alles richtig und vollständig wiedergeben kann. Ich war ja damals noch Schuljunge. So kann ich mich z.B. nicht entsinnen, wer die Maurerarbeiten ausgeführt hat. Für alle Schmiedearbeiten war Herr Czerwinski (später Roter) zuständig, Tischler waren die Mühlenbauer Gebr. Mende aus Hermsdorf/Kynast. Von der eingebauten liegenden Turbine wurde mittels Treibriemen eine an der Ostseite der Mühle auf Betonpfeilern gelagerte Welle betrieben, von der aus sämtliche auf dem 1. Boden befindlichen Maschinen angestellt (in Gang gesetzt) wurden. Neu angeschafft wurden: 1 Schälmaschine, 1 Walzenstuhl, 1 Plansichter und Stampfen für Grütze und Graupe (der Bedarf daran war "kriegsbedingt"). Sie waren direkt an die Turbinenwelle angeschlossen. Zur Reinigung wurde das Getreide, dessen Einschüttstelle auf dem 1. Boden lag, durch Transmissionen zum 3. Boden befördert, mittels Exhaustor, und gelangte von dort aus in einen großen Trichter, der über dem Walzenstuhl eingebaut war. Alle Arbeitsvorgänge liefen automatisch ab. Auch der Fahrstuhl und eine Mohnmühle wurden über Transmission in Gang gesetzt. Da nun oft im Sommer Wassermangel herrschte, musste ein 5 PS-Elektromotor als Aushilfskraft angeschafft werden. Dadurch ergaben sich aber andere Arbeitsweisen als vorher. Weil der Nachtstrom billiger war, wurde der Motor meistens nur abends bis nachts angelassen und tagsüber leichtere Arbeiten wie Schroten und Quetschen verrichtet. Die Leistung der Mühle ist mir leider nicht mehr bekannt. Sie reichte für den eigenen Bedarf in der Bäckerei und für das Umtauschverfahren." Ich füge hinzu, dass eine Anzahl Bauern Getreide lieferten und Brot dafür holen ließen oder ins Haus geliefert bekamen. Die ’Brotbichl' wurden beiderseits sehr genau geführt und eines Winternachmittags bei uns abgerechnet. Auch Dominiumleute brachten ihre Deputat-Getreide und holten dafür Brot, auch Kleie für die Schweine. Früher brachten auch große Güter der Umgebung und Bauern des Dorfes fuderweise Getreide zum Schroten und Hafer zum Quetschen. Später hatten sie eigene Maschinen dafür oder kauften Viehfutter en gros. Als Vater jünger war, betrieb er auch Getreide- und Futtermittelhandel. Mit den Dampfmühlen in Priedemost, Zarkau, Suckau und Polkwitz bestanden rege Geschäftsbeziehungen. Im Herbst wurden mehrmals Waggonladungen (200 Ztr.) Kleie bezogen, die die Besteller direkt an der Ladestraße des Bahnhofs abholten. Der Rest wurde auf Lager genommen. Die ganze Arbeit in zwei Geschäften bewältigte Vater bis zu seiner Erkrankung (Sommer 1934) mit einem ständigen Gesellen und einem Lehrling in der Bäckerei und einem Müllerlehrling. Der "Stift" in beiden Handwerken war viermal ein eigener Sohn. Trotz seiner vielen und vielseitigen Arbeit hatte Vater Zeit und Lust, seinen Neigungen nachzugehen. In der Jugend gehörte er dem kirchlichen Bläserkorps unter Kantor Willenberg, seinem verehrten Lehrer, als Klarinetten- und Traversflötenspieler an. Bei Marschmusik (Kriegerverein, Feuerwehr) schlug er die kleine Trommel. Er spielte aber auch leidlich Geige. Als ich dann mit meiner oder mit der Gitarre und Freund und Kollege Fechner mit dem Cello dazu kam, gab' s oft, besonders im Winter, die schönste Hausmusik bei uns.
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