Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2006

Geschichte der Stadt Beuthen

von Rektor Adolf Schiller +

3. Fortsetzung aus NGA 05/06

Einer der entsetzlichsten Schreckenstage Beuthens war der 5. Mai 1694. An diesem Tage wurde die Stadt von einem verheerenden Brande heimgesucht, der sämtliche Gebäude vernichtete. Unter diesen befand sich auch das alte Gymnasium. Am Morgen des folgenden Tages bildete die Stadt einen einzigen Trümmerhaufen. Nur einzelne Häuser der Glogauer Straße und der Fischerei waren der Zerstörungswut der rasenden Flammen entgangen. Doch die Bürger verzweifelten nicht. Sie bissen herzhaft die Zähne zusammen und rührten fleißig die schwieligen Hände. In wenigen Tagen entstand eine Reihe von Holzbaracken zur Aufnahme der Obdachlosen. Edelgesinnte Mitmenschen in Stadt und Land überwiesen der Stadt alles, was zur Leibesnahrung und Notdurft gehörte. Noch in demselben Jahre wurde die Stadt aufgebaut: Das inwendig ausgebrannte Rathaus erhielt seine heutige Gestalt und Größe mit dem 50 Meter hohen Turm.

In dem nordischen Kriege, den die Russen, Polen und Sachsen gegen Schweden führten, wurde auch die Nachbarschaft der Stadt in Mitleidenschaft gezogen. Am 13. Februar 1706 schlug der Schwedenkönig Karl XII. seine Feinde bei Fraustadt entscheidend auf das Haupt. Bei der Verfolgung sächsischer Reiterei soll er im Walde bei Lessen (Lessendorf) Evangelische gesprochen und in Freystadt empfangen haben. Die Vermutung, dass er dabei Beuthen berührt habe, ist nicht von der Hand zu weisen. Jedenfalls verdankten ihm die Evangelischen der Stadt die Einführung der Religionsfreiheit. Der Vertrag von Altranstädt bei Leipzig (1707), den er mit den Oberherrn Beuthens, dem Kaiser Joseph I. von Österreich, beschloss, gestattete evangelischen Geistlichen, Kranken und Sterbenden die Tröstungen der Religion zu spenden und Hausandachten zu halten. Freystadt erhielt eine der sechs Gnadenkirchen.

Die Berührung mit den Schweden gab Veranlassung zu der Erscheinung der „Betenden Kinder". Im Heere Karls XII. sammelten Feldprediger jeden Tag ihre Regimenter zur Morgenandacht um sich. Diesen frommen Brauch ahmte die Jugend nach. Die Beuthener Kinder versammelten sich täglich auf dem Oderberge, schlossen einen Kreis um einen Kameraden, sangen ein Lied, lasen einen Psalm und sprachen ein Gebet.

Die Erwachsenen erklärten die Andacht als Wunder Gottes oder als Werk des Teufels. Später verlor dieser Brauch seinen ursprünglichen Charakter und ging in ein inhaltloses, kindisches Spiel über, ja nahm hin und wieder einen tumultartigen Verlauf an. Deshalb verbot am 10. Januar 1708 die Grundherrschaft dies unwürdige Treiben bei 50 Mark (16 Silbergroschen) Strafe. Verständige Eltern vereinigten kleine Kindergruppen zu gemeinsamer häuslicher Andacht. Dadurch verlor sich der Beteifer der Kinder von selbst.

Die Jahre 1736 und 1737 brachten anhaltende Regengüsse. Das Flussbett der Oder vermochte die gewaltigen Wassermengen nicht zu fassen. Sie überfluteten deshalb die Dämme, ergossen sich tief in das Land hinein und bildeten einen See, der 10 und mehr Kilometer breit war und von Neusalz bis Köben reichte. Beuthener Kähne verkehrten querfeldein nach allen Himmelsrichtungen. Die Ernte wurde vernichtet und die Äcker und Wiesen mit Sand überschüttet. Misswuchs und Hungersnot verursachten Krankheit und Elend. Handel und Gewerbe stockten. Die österreichischen Zunftartikel vom Jahre 1731 beschränkten die Selbständigkeit des Handwerks, und die hohe staatliche Lebensmittelsteuer steigerte die Entbehrungen der Bürger derart, dass sich ihrer eine große Unzufriedenheit bemächtigte.

In dieser Zeit starb der Landesherr, Kaiser Karl Vl. von Osterreich, der von 1711 bis 1740 regierte. Er hinterließ nur eine Tochter, Maria Theresia. Von dieser verlangte Friedrich der Große, der von 1740 bis 1786 regierte, unter Hinweis auf den Erbfolgevertrag zwischen dem brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. und dem schlesischen Herzog Friedrich II. vom Jahre 1537 die Herzogtümer Liegnitz, Brieg und Wohlau. Zur Sicherung der Ansprüche rückte Friedrich Mitte Dezember in Schlesien ein. Am Nachmittag des 2. Adventssonntags ritt keck das rote Zieten-Husaren-Regiment in Beuthen ein und sprengte nach kurzer Rast auf Glogau zu. Sofort zogen die Vertreter vieler evangelischer Gemeinden in das Hauptquartier des Königs nach Rauschwitz bei Glogau. Sie erhofften von ihm sofortige Zurückerstattung aller früheren besessenen Kirchen und Güter. Aber sie hatten sich getäuscht; denn Friedrich erklärte, in kirchlichen Dingen den gegenwärtigen Zustand aufrecht erhalten zu wollen. Doch gestattete er ihnen, überall Prediger anzustellen und Kirchen bauen zu dürfen. Schon am 24. Januar 1741 überwies er 12 Gemeinden evangelische Geistliche. Beuthen hatte das Glück, auf die Losnummer 1 den Prediger Kunowsky aus Blindow in der Uckermark zu erhalten. Am Sonntag Septuagesimä 1741 fand nach 87jähriger Pause der erste evangelische Gottesdienst vor dem Rathaus statt.

Schon 1744 wurde der Bau eines Gotteshauses in Angriff genommen. Es ist dies die heutige evangelische Kirche. Der Fürst Hans Karl von Carolath-Beuthen überließ der Gemeinde den Platz und die Fundamente des 1694 niedergebrannten Gymnasiums als Baustelle und schenkte ihr alles dazugehörige Bauholz und Steinmaterial. Die Kirche durfte aber weder Glocken noch Turm erhalten und führte den Namen Bethaus. Glocke und Kirchhof hatten Katholiken und Protestanten gemeinsam zu benützen. Seit dieser Zeit leben die Anhänger beider Konfessionen in Beuthen friedfertig nebeneinander und ehren das Bekenntnis der Gegenseite. Turm und Glocken erhielt die evangelische Kirche im Jahre 1861. Der Turm hat eine Höhe von 164 Fuß (= 55 Meter), die Halle, welche Turm und Kirche verbindet, ist 16 Fuß (= 5 Meter) lang.

Der 1. und 2. schlesische Krieg brachte der Stadt weder Einquartierungen noch Drangsale, da sie ziemlich weit vom Kriegsschauplatz entfernt war. Der Siebenjährige Krieg (1756 bis 1763) ging nicht so spurlos an ihr vorüber. Wiederholt drangen feindliche Kriegsvölker, besonders die Russen, in Beuthen ein, durchsuchten alle Häuser nach Nahrungsmitteln und Wein, plünderten die Geschäfte und erpressten von den städtischen Behörden kleinere und größere Geldsummen und Warenlieferungen, so dass die Stadt mit einer Schuld von 5000 Reichstalern aus dem Kriege hervorging. Wohl drückte die Steuerlast die Schultern der Bürger schwer, aber die Beuthener trugen sie willig und geduldig im Blick darauf, dass es den Russen nicht gelungen war, der Stadt das Schicksal der Neusalzer Brüdergemeinde zu bereiten. Dieses Vorhaben wäre den Russen beinahe im September 1759 gelungen. Nach der Schlacht bei Kunersdorf rückten die siegreichen Russen und Österreicher in Schlesien ein, um die Festung Glogau zu stürmen. Bei Beuthen sollten Brücken geschlagen und die Nenkersdorfer und Baunauer Höhen besetzt werden. Doch Friedrich der Große kam ihnen zuvor. Da brannten sie Neusalz nieder, gingen bei Költsch über die Oder und zogen plündernd das rechte Oderufer aufwärts. Zur Erinnerung an das Lager des großen Königs ist hinter Beuthen an der Beuthen - Freystädter Kunststraße ein Gedenkstein errichtet worden. Dieser trägt die Inschrift: „Friedrich der Große biwakierte hier im Siebenjährigen Krieg".

Die Wintermonate des Jahres 1784 und 1785 waren außerordentlich hart. Die Kälte vernichtete nicht nur viele Weinberge sondern auch ganze Obstanlagen. Mitte April trat plötzlich Tauwetter ein. Dieses schmolz die gewaltigen Schneemassen des Hochgebirges in wenigen Tagen. Die Flüsse traten aus ihren Ufern und überfluteten die Felder und Wiesen. Das Wasser der Oder stieg so hoch, dass es durch die Fenster in das Innere der Odermühle eindrang. Sämtliche Bewohner der Neustadt verließen ihre Häuser, und der Besitzer des grünen Baums, konnte seine letzten Habseligkeiten nur mit Hilfe eines Kahnes retten.

Die anhaltenden Regengüsse und das Hochwasser im Juni des Jahres 1804 vernichteten die gesamte Ernte der Provinz Schlesien. Die Folge davon war eine allgemeine Hungersnot. König Friedrich Wilhelm III. öffnete die Militärmagazine an der Ostsee und ließ eine stattliche Anzahl von Oderkähnen mit Roggen beladen. Doch der Winter trat so zeitig ein, dass die Schiffe Stettin nicht verlassen konnten. Da stieg die Not immer höher und mit ihr die Teuerung. Damals kostete der Scheffel (80 Pfund) Roggen 12 Reichstaler. Im Frühjahr 1805 traf endlich ein Getreidekahn in Neusalz ein. Die Schiffsladung wurde mit 3,5 Taler für den Zentner an die notleidende Bevölkerung abgegeben.

Fortsetzung folgt …

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