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GLÜCK ZU! In sieben Mühlen
Im Gespräch mit Ortsfremden hörte ich meinen Vater öfter sagen, zwar nicht klagend, doch betont darauf verweisend: "Wir sind sechs Bäcker im Dorf; da ist es manchmal nicht einfach, mit der Konkurrenz Schritt zu halten." Das stimmt, wie jeder Gramschützer weiß. Aber wie ist das mit den sieben Müllern? "Nä, nä, 's woarn err blauß fimwe!" höre ich einwenden. Da freue ich mich diebisch, euch das "ausnander posamentieren" zu dürfen. Zuerst also die drei Windmühlen. Ja drei!
Das eigentliche Land der Windmühlen war in Nordschlesien die Gegend um Sprottau, Guhrau, Fraustadt und Schlichtingsheim. Dort sagte man, es drehten sich stets nur 99, die hundertste sei immer abgebrannt.
Es stockt der Wind im weiten Land, viel Mühlen stehn am Himmelsrand.
Es hält die Nacht den Sturm im Schoß, und morgen geht die Arbeit los.
Es fegt der Sturm die Felder rein, es wird kein Mensch mehr Hunger schrein. Mahle, Mühle, mahle!
Richard Dehmel
Aus Schlichtingsheim stammt das Müllergeschlecht der Hoffmänner. Aus den alten Taufregistern konnte ich Ende der zwanziger Jahre herausschreiben, dass der älteste nachweisbare Vorfahr "Johannes, des Martin Hofmann in der Windmühle Sohn", hieß. Alle bis zu meinem Großvater waren Windmüller. Er erwarb Anfang der siebziger Jahre die Niedermühle und wurde der erste Wassermüller. Auch meine Mutter entstammte einer alten Windmüllerfamilie im Kreise Steinau a.0., der Fellgiebelschen. Unser schlesischer Schriftsteller Paul Keller (1873-1932) beginnt so seine Erzählung VERGRABENES GUT: "In meinem schlesischen Heimatdorf ist ein Hügel, welcher der Windmühlenberg heißt. Auf den Titel "Berg" hat er ja wohl nicht Anspruch, denn er ist eben so hoch, dass man von ihm, wenn man sich auf die Zehen stellt, über unsern Dorfkirchturm hinweggucken kann. Und der ist nur 20 Meter hoch. Aber es liegt sich gut auf dem Windmühlenberge, wenn die alte Windmühle ihre großen, klapperdürren Gespensterarme hebt und dreht, ein bisschen stöhnt und ächzt, wie eine alte Frau, die für ihre Kinder Brot schafft - fleißig, ehrlich und treu. Und es ist eine goldene Aussicht da oben, eine viel schönere als von manchem berühmten Berg." Da lacht jedes Windmüllers Herz.
Aber drehen wir uns wieder in den Wind unserer heimatlichen Mühlberge und lassen uns unter dem Sausen der hölzernen Flügeltüren altvertraute Geschichten erzählen! Vielleicht hört der eine oder andere auch etwas Neues heraus.
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Fangen wir bei der Nerlich-Mühle an. Sie war eine Bockmühle, also ganz aus Holz und stand auf der höchsten Erhebung unmittelbar nördlich des Dorfes, vffm Miehlberg, der nach Westen ziemlich steil in eine Sandgrube abfiel. Diese Ablagerungen sind Zeugen eines Urstromtales, des Glogau-Barucher Tals. War der Mühlberg früher oft Ziel eines Sonntagnachmittag-Familienspaziergangs, so zog uns Jungen mehr die Sandgrube an.
Im Sommer konnte man dort unverboten "mit Steinen schmeißen", und wenn Schnee lag, probierten wir immer wieder einmal, mit dem schweren Mühlschlitten den Abhang hinunterzufahren, aber es gelang einfach nicht. Und Rodelschlitten gab es bei uns im Flachland nicht. - Da wir mit dem Besitzer, Müllermeister Albert Nerlich, in geschäftlicher Verbindung standen, kamen wir oft auf die Mühle. Das war immer lustig für uns, denn Nerlich Albert war stets zu Spaß aufgelegt. Schon während wir mit dem Leiterwägelchen den kurzen Feldweg zur Mühle hinaufzockelten, - meist waren leere Säcke abzuholen - amüsierten wir uns, wem er wohl diesmal die längst bekannte Frage stellen würde: "Na, ähr Jung, wenn hutt derr Miller `s mehrschte uff derr Meioa?" (Er sagte Meioa, nicht Miehle). Natürlich stellten wir uns immer von neuem dumm, um ihm selbst die Antwort zu entlocken: "Wenn ar a Kupp zum Fanster nausstackt." Nerlich Albert war von urwüchsiger Bauernschläue, dabei rührend gutmütig. Uns kam er bärenstark vor, wenn er, die strapazierte, arg verstaubte Manchesterhose in Halbschäftern, in offener Weste, offenem Hemd, die Ärmel aufgekrempelt, die verschwitzte Mütze verwegen auf dem weißgewordenen Haarschopf, gern einen Zigarrenstummel unter dem herunterhängenden Schnurrbart, vor uns stand, groß und kräftig. Mit Stolz erzählte er von seiner aktiven Dienstzeit bei der Artillerie. In der kleinen Wohnstube hing das große bunte Soldatenbild gerahmt an der Wand: ein stattliches Mannsbild! Auf seiner Meioa führte er den Besucher bestimmt an den Balken, den er mit kleinen bunten Soldatenbildern beklebt hatte, wie sie damals jeder Tafel Schokolade beilagen. Und in Erinnerungen schwelgend, verkündete er, auf ein Bild weisend, wie einen Elementarsatz: "Unter Hagel, Donner und Blitz schuf Gott den Schießplatz Döberitz." Dann staubte er mit lautem Geknall und Schütteln die Kleiesäcke aus und hüllte uns im Nu in so dicke Staubwolken, dass eins schnell die Mühltür aufreißen musste.
Auch sein Kollege Otto Wittwer entsinnt sich, "dass er alles voller Bilder geklebt hatte, auch den ganzen Zylinderkasten. Wenn nun Kunden nach Mehl kamen, sahen sie sich die Bilder an; und in dieser Zeit konnte Albert ungestört alles fertig machen." Es sei hier eingefügt, dass auf dem Lande die Rede ging - sehr zum Ärger der Müller, versteht sich -, dass der Müller gleich hinter dem lieben Gott käme. "Der liebe Gott gibt's, und der Müller nimmt's", hieß es. Das Nehmen war auf das Metzen bezogen. Ehe ein fester Mahllohn eingeführt wurde, durfte der Müller eine bestimmte Menge Mehl und Kleie als Entgelt für sich behalten. Das hieß "metzen". Die Metze war ein altes Hohlmaß.
Jemand sagte von ihm, dass er "durch allerhand Aussprüche bekannt war und viele zum Lachen brachte, aber manches war nicht für empfindliche Ohren bestimmt." So kannte ich ihn nicht. Kirchgang war nicht seine Stärke. Wenn aber der Kriegerverein dazu antrat, fehlte er nicht. Er hat, als er 1936 starb, ein feierliches Begräbnis bekommen, und seine Müllerkollegen, darunter Otto Wittwer, Richard Hahn und mein Bruder Georg trugen ihn zu Grabe.
So pfiffig er sonst war, wenn er auf seinem Kastenwägelchen saß, schien er klein und bedrückt, und wenn er seine Mütze mal lüftete und damit den Hinterkopf kratzte, konnte man vermuten, dass er auch Sorgen hatte. Neben der Mühle betrieb er auch eine kleine Landwirtschaft, wobei ihm Frau und Kinder halfen. "Sein Sohn Georg hatte nicht Müller gelernt, hat aber nach Vaters Tode weitergemahlen. Doch was ist eine Windmühle schon, wenn kein Wind geht und kein Motor da ist! Georg lebte sehr zurückgezogen und ließ sich in der Öffentlichkeit fast gar nicht sehen, außer auf landwirtschaftlichen Versammlungen und zum Innungs-Quartal in Glogau. Wann sein Vater gestorben ist, weiß ich nicht. In der Kirche saß Ihr Bruder Georg neben mir. ' Schade um ihn, wir haben uns gut mit ihm verstanden', sagten wir."
Albert Nerlich war eins von den immer seltener werdenden Originalen. Wir werden ihm in diesen Blättern nochmals begegnen.
Nachdem die Hahn-Mühle durch Beschuss abgebrannt war, wurde die Nerlich Mühle durch Keilich Paul und Ismer Richard wieder so weit wie möglich in Gang gebracht. Gaska, ein Dominium Arbeiter, war gelernter Müller und Pole zugleich und konnte sich mit den Russen verständigen. Georg Nerlich aber war im zweiten Weltkrieg gefallen.
Gehen wir nun zum benachbarten Mühlberg. Dort stand ein Holländer. Der Rundbau der Mühle war massiv und nur die Kappe mit dem Windflügelrad drehbar. Im Gegensatz zu den hier in Friesland üblichen, weit größeren, deren Einstellung in die Windrichtung selbständig geschieht, musste es bei uns von Hand getan werden. Mein Queissener Onkel spannte manchmal den Rappen ein. Den Holländer habe ich als Schuljunge mal zeichnen müssen, später machte der Photoapparat ein besseres Bild, sogar von beiden Mühlen. Was wissen wir nun, und was können wir festhalten? Zuerst dies: Als dem Urgroßvater der Leiska Trude, der oft erwähnten Frau Roter, dem Müllermeister Johann Karl Friedrich Glogner (1784-1862) seine Windmühle in Primkenau abgebrannt war, "kam er nach Gramschütz und übernahm die Holländermühle. Leider ist das Jahr nicht bekannt. Sein Sohn Hermann (1820-1892) sollte Müller werden wie alle seine Vorfahren und später die Mühle übernehmen. Aber .... Früher gab es strenge Winter, und die Mühle stand ein ganzes Stück vom Dorfe ab. Also hat Großvater gewiss sehr gefroren. Vielleicht hat man ihn auch furchtsam gemacht oder ihm sonst etwas in den Weg gelegt. Jedenfalls ist er in der Lehrzeit von daheim fortgerannt und nach Neustädtel zu seiner verheirateten Schwester geflohen, die ihn Schuhmacher lernen ließ. Die Mühle ist dann in fremde Hände übergegangen."
Dieser Vorgeschichte schließt sich gut an, was Hahn Ida zu berichten weiß: "Soviel mir bekannt ist, stand unsere Holländer-Mühle unter Denkmalsschutz. Früher gehörte sie zur Bäckerei Karl Neumann, und mein Vater hat als junger Mann in der Mühle gearbeitet. Er heiratete 1896, und Herr Neumann verkaufte die Mühle an Herrn Gutsbesitzer Hermann Schröter. Vater wurde nun Pächter der Mühle. Später wurde sie an Herrn Müllermeister Emil Rückert aus Trebitsch verkauft. Von diesem haben wir sie dann käuflich erworben. Das muss 1911 oder 1912 gewesen sein. Weil wir vom Wohnhaus aus keinen Zugang, auch keine Zufuhr hatten, pachtete Vater den Durchgang von Janders Restgut, zwischen Gutsbesitzer Schröter und der Gärtnerei Gürich gelegen. Kurze Zeit später kauften die Eltern Bäckerei und Landwirtschaft von Karl Neumann. Die Mühle wurde bis dahin nur vom Wind getrieben. Vater ließ aber nun einen Rohöl-Motor einbauen, um unabhängiger und leistungsfähiger zu werden. Um 1936 wurde der Betrieb nochmals durch einen Elektro-Motor verbessert. Die Stromzuführung erfolgte mittels hoher Masten durch Gürichs Garten.
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