Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2006

Zwischen Skylla und Charybdis

Zwischen Flucht und Vertreibung

1. Fortsetzung aus NGA 02/06

Teil 2

Die bedrohliche Front zwang zwei befreundete Glogauerinnen, die in Töschwitz und Roggenfelde im Schuldienst wirkten, in den letzten Januartagen 1945 zur Flucht. Mit ihren Fahrrädern und dem allernötigsten Gepäck quälten sie sich bei klirrender Kälte über verschneite und vereiste Bergstraßen nach Aussig im Sudetenland. Wieder wurden sie im Schuldienst in Böhmisch-Pockau und Malschen eingesetzt.

Mit allen Deutschen und der inzwischen von Glogau nach Malschen geflohenen Mutter und Tante von Ruth wurden sie am 15. Mai 1945 von den Tschechen aus dem Sudetenland vertrieben. Zu Fuß und mit einem kleinen Handwagen kamen sie bis Tetschen-Bodenbach, von dort mit einem Elbschiff bis Pirna und weiter im Güterwagen bis Dresden. Die Vier zogen wie viele Vertriebene zu Fuß täglich 20 - 25 km zurück nach Glogau. Keiner von ihnen hatte Verwandte oder eine andere Anlaufstelle jenseits von Schlesien.

Das vor 60 Jahren zwischen der Flucht, der ersten Vertreibung aus dem Sudetenland und der zweiten aus Schlesien Erlittene ist eindrucksvoll in Briefen dokumentiert. Sie konnten in dieser Zeit nicht versandt werden, wurden ins Tagebuch geschrieben und blieben so erhalten. Der authentische Originaltext wird in der Rechtschreibung jener Zeit wiedergegeben. Auf persönliche Passagen wird verzichtet, siehe :::

Dem Tagebuch entnommen und redaktionell bearbeitet von Walter Römhildt


Roggenfelde, den 27.1.46

Im ersten Quartier nach Dresden, in Fischbach, kam zum Abend russische Einquartierung - GPU - ins Dorf. Jedes Haus bekam Russen und auch unsere Quartiersleute 7 Mann. Unsere Angst war groß. Es war gegen 6 Uhr abends, als der erste Russe zu uns kam. Ruth und ich sprangen durchs Fenster in den Garten; wir wussten in dem fremden Dorfe nicht wohin. Auf dem Wege standen schon wieder Russen, so sprangen wir über den Zaun, liefen ein Stück weg und fanden ein Kornfeld, in das wir uns verkrochen. Wir kauerten nun voll Angst darin. Sitzen konnten wir nicht, denn dazu war das Korn im Mai noch zu niedrig. Es regnete und war sehr kühl und wir hatten nichts an. Ringsum hörte man nur das Gröhlen der Russen. Vier Stunden hockten wir so. Der Mond schien hell, als uns unsere Wirtsfrau, die uns gefunden hatte, holte. Auf Socken schlichen wir die Hintertreppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Auf demselben Flur hatten die Russen ihr Zimmer und vor der Haustür stand einer Wache beim Pferd. Aber die Russen wussten nicht, daß junge Mädel im Haus sind, und daher blieb alles ruhig.

Am anderen Tag ging es weiter. Wir hielten die Köpfe immer nach unten, daß uns die vorbeikommenden Russen gar nicht so ansehen konnten, und hatten die Tücher weit im Gesicht. Wie oft bangten wir um unseren Wagen und die paar Sachen, wenn Ostarbeiter und Polen vorbeizogen, aber wir hatten immer noch Glück. Trotzdem waren wir manchmal verzweifelt und niedergeschlagen, aber wir machten uns gegenseitig wieder Mut. Mit Nachtquartieren hatten wir meist Glück. Wenn es auch vorkam, daß wir auf der blanken Erde schliefen. Da wir keine Lebensmittel zu kaufen bekamen, denn jeder Ort hatte andere Marken, war der Hunger sehr groß. Wir bekamen aber meist ein paar Kartoffeln und kochten uns zum Abendbrot. Für unterwegs bereiteten wir Kartoffelsalat. Manchmal bekamen wir auch Quark oder eine Suppe. Brot war überall sehr knapp. Aber wir schlugen uns durch. Wir kamen durch Bautzen, Löbau, Görlitz und waren nun schon in Schlesien. In Güntersdorf, unser Quartier hinter Görlitz, hatten wir noch eine schlimme Nacht. Durchziehende Russen kamen in unser Zimmer, nahmen als erstes Ruths Regenumhang mit und wollten dann ihre Mutter und ihre Tante aus dem Zimmer stoßen, um uns beide Mädel allein im Zimmer zu haben. Doch die Damen schrieen laut um Hilfe, und da gingen die Russen los. Wir bebten wieder am ganzen Körper und gingen zu den anderen Leuten, da wir nicht mehr allein im Zimmer bleiben wollten.

In Petersdorf bei Primkenau kamen am Abend russische Viehtreiber ins Dorf und natürlich auch in unser Haus. Sie besahen sich alle Zimmer und leuchteten mit ihren Taschenlampen hinein. Wir krochen ganz unter unsere Decken. Einige blieben im Hause über Nacht, aber trotzdem unser Zimmer nicht abzuschließen ging, hatten wir Ruhe.

Unser letztes Quartier vor Glogau war Wiesau bei sehr netten Leuten. Hier ruhten wir uns erst einen Tag aus, ehe wir den Weg nach Glogau antraten. Von unserer Heimkehr erfährst du das nächste Mal.

Roggenfelde, den 4.2.46

::: Für eine kleine Weile hat jetzt unsere Arbeit aufgehört, denn wir sind mit dem Dreschen fertig. Bald werden aber die Frühjahrsarbeiten beginnen. Acht Monate habe ich nun schon die Landarbeit mitgemacht, und es ging besser, als ich es je gedacht hätte. Ich freue mich nur, daß ich körperlich so beschaffen bin, diese Arbeit zu leisten, ja, sie bekommt mir sogar sehr gut. Wer weiß, wozu es gut ist, auch die Landarbeit einmal kennen zu lernen. Und ich fühle mich dabei immer noch wohler als in Glogau Eisen zu sammeln oder für Polen zu waschen. In Glogau ist es überhaupt sehr schlecht. Frau S::: war über Sonntag bei uns. Sie wohnt in Glogau. Der Hunger ist dort sehr groß. Die Leute arbeiten für die Polen und bekommen weder Geld noch Essen, nur wer Sachen zu verkaufen hat, kann sich Lebensmittel kaufen. Sachen haben nur die, die zeitig zurück waren und aus den leeren Häusern holen konnten. So ist es jetzt überall, die einen haben etwas, und die anderen müssen sehen, wie sie durchs Leben kommen.

In den letzten Arbeitstagen gab es noch eine Aufregung. Der Posten, ein Kerl von 19 Jahren, hatte ein paar Taschen mit Körnern gefunden, die sich die Frauen versteckt hatten. Er schimpfte und schlug die Frauen. Wenn man sich das so ansehen muß, da könnte sich alles in mir aufbäumen. Aber was will man machen? Ich mußte nur froh sein, daß der Posten meine Tasche nicht gefunden hat.

6.2.46.

Ich schreibe erst heute weiter. Heute hat Reinhard Geburtstag. Ob er wohl noch lebt? Mein Vater wird viel an ihn denken, und ich habe jetzt auch wieder ein klein wenig Hoffnung. Die Russen können doch nicht alle Gefangenen zu Tode martern. Aber wann werden die Männer einmal heimkommen?

Gestern waren wir in Gramschütz auf der Post. Da hatte eine Frau aus unserem Dorf Nachricht von ihrem Mann aus amerikanischer Gefangenschaft. :::

Nun will ich Dir von unserer Ankunft in Glogau erzählen.

Am 5. Juni 45 gingen wir nun frühzeitig von Wiesau weg. Wir hörten unterwegs schon, daß Glogau sehr kaputt sei. Aber richtig vorstellen konnten wir es uns nicht. In Brostau wohnten schon viele Glogauer. Dann sahen wir die Hindenburgkaserne, sehr beschädigt, aber doch von Deutschen bewohnt. Ringsum sah man nur zerschossene und ausgebrannte Häuser. Zuerst gingen wir nun zu unserem Haus. Auf der Holteistraße fingen manche schon wieder an, sich kleine Häuser in Ordnung zu bringen. Mir klopfte mein Herz zum Zerspringen, denn unser Haus war schon ausgebessert und bewohnt. Sollten meine Eltern schon zurück sein? Ich hatte den Hausschlüssel in der Tasche, aber er schloss nicht. Da kamen die Bewohner unseres Hauses, ein Ehepaar P. aus dem Flemminghaus und eine Frau S. . Der Mann war gleich sehr unfreundlich, sagte, daß mein Vater ja PG war und hier kein Recht mehr zu wohnen hätte. Das tat mehr weh, als hätte ich einen Trümmerhaufen vorgefunden. Ich wollte mir doch das Haus ansehen. Vom Herrenzimmer zum Flur war die Wand eingestürzt. Ich fand noch viele unserer Möbel vor. Ach, es war bitter, so die fremden Leute darin wohnen zu sehen. Auch Bilder fand ich noch, die ich einsteckte. Am nächsten Tag holte ich mir noch etwas Geschirr und ein paar Lumpen aus dem Keller. Seither habe ich das Haus bis heute nicht mehr betreten. Doch die P.’s hat auch ihr Schicksal ereilt. Sie wurden ein paar Wochen später von den Polen ausgetrieben. Jetzt sitzt der polnische Milizkommandant darin.

Von uns aus gingen wir nun weiter in die Stadt. Auf der Königstraße gingen noch ein paar Häuser in Ordnung zu bringen, und in der Pestalozzischule saß der russische Kommandant. Aber die Hohenzollernstraße war ein Trümmerhaufen. Auch Ruths Elternhaus ist niedergebrannt. Das Pionierwäldchen ist zu einem großen Russenfriedhof mit Denkmal geworden. Vor Schutthaufen konnten wir gar nicht in die Stadt, sondern gingen den Leopoldring entlang. Die ganze Innenstadt ist ein Trümmerhaufen. Kein Haus ist zu bewohnen. Die Promenade ist wie abgeholzt. Auch die Vorstadt liegt in Trümmern. Glogau war einmal. So etwas kann man sich nicht vorstellen, das kann man auch nicht beschreiben, das muß man sehen.

Wir hatten genug gesehen und übernachteten in Brostau. Die Deutschen wohnten alle in der Hindenburgkaserne oder in Brostau. Einen Tag ruhten wir dort aus, und dann machten wir uns nach Odertal auf, um zu sehen, ob von Ruths Sachen noch etwas erhalten war.

Roggenfelde, den 20.2.46

::: Gerade sind wir von der Arbeit zurückgekommen, da es sehr zu schneien begann. Wir haben jetzt wieder eine neue russische Kommandantur ins Dorf bekommen. Da müssen wir aufräumen und Hof säubern. Ruth geht jetzt auch mit, da sie ja keine Schule halten darf. Vielleicht sorgt die neue Kommandantur wieder für Nachtruhe, denn bis jetzt schlafen wir noch immer in unserem Versteck.

Wir haben nun sehr gehofft, daß es zum Frühjahr hier in Schlesien anders werden wird. Vor allen Dingen sollten die Polen abziehen und die Trecks heimkommen. Täglich kommen neue Parolen. Bald heißt es, wir bleiben deutsch, dann wieder, die Polen bleiben hier. Die Leute sind schon nervös, bald voller Hoffnung, bald ganz verzagt. Bis jetzt hat sich noch keine Parole als wahr erwiesen. Ich glaube niemanden, denn es weiß ja keiner etwas Genaues. Ich lebe von einem Tag zum anderen, verrichte meine Arbeit. ::: Ich habe ja Ruth bei mir; mit ihr teile ich Freud und Leid. Wir können uns über all' unsere Gedanken unterhalten. Ich sehe der Zukunft ernst, aber ruhig entgegen. Sollte unsere Heimat wirklich polnisch werden, und wir müssen noch einmal auf die Landstraße, so wird auch das zu ertragen sein. :::

3.3.46.

Erst heute komme ich dazu, meinen Brief weiter zu schreiben. Da wir jetzt wieder vor- und nachmittags arbeiten gehen, ist meine Zeit wieder sehr knapp geworden. In der knappen Mittagsstunde sind Sachen ganz zu machen, Holz zu hacken usw., und am Abend wird es noch zu schnell dunkel. So bleibt nur noch der Sonntag für eine ruhige Stunde. Doch unser Mistbreiten strengt ja den Geist nicht an, so daß meine Gedanken trotz der Arbeit weiter gehen.

Vorige Woche hatten wir am späten Abend Russenbesuch. Zwei Kerle schlugen die Scheiben ein und kamen oben in die Schlafstube. Sie haben nichts weggenommen, aber Frl. B..., als sie um Hilfe rief, mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen. Ruth und ich waren zum Glück in unserem Versteck. Da die Russen gar nichts bei uns suchten, vermuten wir, daß sie von Deutschen hergeschickt wurden. Leider sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß viele Deutsche noch schlechter als die Russen sind. Der Russe ist immerhin unser Feind, aber wie gemein die eigenen Deutschen sind, habe ich hier erst kennen gelernt. Ich habe nie gewusst, daß Menschen so falsch sein können und habe immer viel zu gut von ihnen gedacht. ::: Wenn Ruth nicht hier bei mir wäre, da könnte ich wohl manchmal an der ganzen Menschheit verzweifeln. Aber so weiß ich, daß es doch noch bessere Menschen gibt, mit denen und für die das Leben lohnt. Ich sage mir immer, es rächt sich alle Schuld auf Erden, denn ich habe auch dafür schon Beispiele erlebt. :..

Doch nun will ich Dir von der Ankunft in Roggenfelde berichten. Am 7.6.45 kamen wir am Nachmittag hier an. Es waren schon eine ganze Menge deutsche Familien im Dorf, die Ruth zum Teil durch die Kinder kannte. Die Schule stand noch wohlbehalten. Überhaupt hat Roggenfelde nicht viele Verwüstungen aufzuweisen. Ein paar Siedlungen sind ausgebrannt, während im Ortsteil Schabitzen fast alle Dächer abgedeckt und Häuser eingestürzt sind durch Luftminen. In Ruths Zimmer standen nur noch der Kleiderschrank und der Schreibschrank. Ihre Bücher lagen auf der Erde verstreut. Sonst war von den vielen Möbeln und Kleidungsstücken, die Ruth zurückgelassen hatte, nichts mehr zu sehen. Aber nicht etwa die Russen hatten so ausgeräumt, sondern die lieben Deutschen. Doch da kamen wir erst so nach und nach dahinter. Wir blieben bei einer Bauersfrau über Nacht, die jetzt unsere größte Feindin ist, denn sie hat bei Ruth so restlos ausgeräumt. Die Möbel bekamen wir fast alle wieder, d. h. wir holten sie uns von den Leuten, aber weder von Geschirr noch von Sachen bekamen wir etwas zurück.

Ruth und ich blieben gleich in Roggenfelde und räumten auf, während Frau R... und Frl. B... nach unserem Handwagen mit den Sachen gingen, die wir in Wiesau zurückgelassen hatten.

In Roggenfelde war russische Kommandantur und wir mußten jeden Tag ins Feld gehen und arbeiten. Als Lohn bekamen wir ein Pfund Brot am Tag. Ruth übernahm den Kindergarten. Mir bekam die Feldarbeit ganz gut. In der zweiten Woche fiel ich vom Heuwagen und zog mir im linken Arm eine Nervenlähmung zu, so daß ich ihn 3 Wochen in der Binde tragen mußte. In den Nächten war Ruhe. Am Tag kamen manchmal Russen ins Dorf. Dann türmten wir sofort ins Freie. So war es die erste Zeit ganz erträglich und wir erholten uns etwas von den Strapazen der Landstraße.

Roggenfelde, 24.3.46.

Heute soll Sonntag sein und wir sind eben vom Felde gekommen. Nicht genug, daß wir die ganze Woche von früh bis spät arbeiten mit einer Stunde Mittag, muß nun auch noch der Sonntag so vergehen. Ich bin recht müde heute. Wir haben für uns selbst überhaupt keine Zeit mehr. :::

Diese Woche haben R...s den ersten Brief von ihrem Sohn aus Kalifornien bekommen. Da war die Freude natürlich groß. ::: Vorige Woche war ich beim Zahnarzt in Glogau. Seit meiner Ankunft hatte ich Glogau nicht wieder betreten. Der Anblick meiner Heimatstadt hat mich wieder von neuem aufgewühlt. Es ist gut, daß wir es nicht alle Tage vor Augen haben. Die Trümmer liegen noch unberührt. In die Stadt darf man überhaupt nicht, und man kommt auch nicht weit vor Schuttbergen. Der Verkehr der Polen spielt sich nur außerhalb ab. Mitunter haben sich die Polen ausbesserungsfähige Häuser in den Außenbezirken instand gesetzt. Wenn ich so die Brostauer Straße, in der jetzt durch die Kaserne der meiste Verkehr ist, entlang gehe, muß ich nur immer vergleichen, wie es früher war. Auch bei unserem Haus bin ich vorbeigegangen. Der Garten sieht noch sehr wild aus. Und dann war ich am Grabe meiner Mutter. ::: Eben wurden wir wieder zur Arbeit bestellt, so kann ich den Brief doch nicht beenden.

Nun sind wir eben von der Arbeit zurück. Wir mußten Pferdestall kalken, heute, zum Sonntag-Nachmittag! Weißt Du, diese Wirtschaft haben wir bald satt. Wir hoffen jeden Tag, daß es hier einmal anders wird. Über der Neiße sind die Verhältnisse doch schon lange geregelt, da muß doch hier auch einmal Ordnung werden!

Roggenfelde, den 7.4.46

Wir haben heute endlich wieder einen Sonntag frei bekommen. Die Sonntage könnten sie uns wenigstens lassen, damit man sich einen Tag wieder mit sich selbst beschäftigen kann und der tägliche geisttötende Lebenswandel ab und zu unterbrochen wird. Ruth ist jetzt als Hilfskraft im Büro bei der russischen Sekretärin, die wir hier haben. Es ist gut für sie, denn Ruth ist körperlich doch nicht so beschaffen, daß sie bei dieser langen Arbeitszeit die Feldarbeit aushalten würde. :::

Manchmal denke ich, es kann so nicht mehr weitergehen, es muß einmal eine Entscheidung kommen, die eine Klärung über Schlesien bringt. Wenn man hier unterwegs ist, weiß man überhaupt nicht, was das für ein Land ist. Manche Dörfer sind voller Polen, andere voller Russen, manche ganz leer oder nur ein paar Deutsche da. Bei uns sind viele Deutsche, eine Menge Polen und ein großes Russenkommando. Jeder hat was zu bestimmen, die Deutschen natürlich am wenigsten. Aber das ist doch kein Dauerzustand! Wieviel tausend Morgen bleiben wieder unangebaut liegen! Vielleicht müssen wir Deutschen alle noch einmal Schlesien verlassen oder es gibt noch einen Krieg. Wie es auch sei, wenn nur bald eine Entscheidung käme. Jetzt hoffen wieder alle auf den Mai, der soll Genaueres bringen. Ich kann bald nicht mehr hoffen, denn seit vorigen Mai gibt es immer neue Parolen und Termine, und bis jetzt hat sich noch nichts als wahr erwiesen. Wenn ich mir dann überlege, daß Schlesien, dieses reiche Ackerland, an Polen fallen soll, dann weiß ich überhaupt nicht mehr weiter. Im Reich sitzen doch die Menschen schon so übereinander, und wo kommen die Nahrungsmittel her? Und nun sollen wir vielleicht auch noch dorthin, ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wir können nur abwarten, denn wir sind wie von der Welt abgeschnitten. Aber das Warten wird mit jedem Tag schwerer. Das Schlimmste ist ja, daß ich keine Post von meinen Angehörigen bekomme. Und doch will ich mich nicht zermürben lassen, manchmal bin ich gereizt, dann wieder traurig, dann hoffnungsvoll. ::: Ruth ist bei mir, sodaß wir uns gegenseitig Mut machen. So wird auch diese Zeit vorüber gehen.

Roggenfelde, Ostern 1946

::: Ich muß sagen, daß ich das vorige Osterfest schon in ziemlich niedergedrückter Stimmung verlebt habe. Die Lage war Damals doch sehr kritisch. Hätte ich allerdings gewußt, was mir im kommenden Jahr bevorsteht, dann wäre es noch weit schlimmer gewesen. Wieviel Enttäuschung, Leid, Angst und Strapazen liegen zwischen diesen beiden Festen und was steht uns noch in der nächsten Zeit bevor! Doch bis jetzt ist es ja immer weiter gegangen, also wird auch das Kommende zu ertragen sein.

Wir haben es uns im Zimmer so gemütlich gemacht, wie es möglich ist. Auch zu einem Kuchen und Fleisch hat es gereicht, so daß alle äußeren Bedingungen zu einer Feiertagsstimmung gegeben sind.

::: Neulich wurden wir alle gegen Typhus geimpft. Die Spritze bekamen wir in den Rücken. Viele hatten tagelang danach Beschwerden, aber mir hat es nichts ausgemacht.

Fortsetzung folgt ...

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