Es ist lange her; wir sind inzwischen recht alt geworden! Und doch weilen wir mit unseren Gedanken oft in der alten Heimat. Dann stehen wir plötzlich wieder mitten drin in den alten, vertrauten Straßen und Winkeln und unterhalten uns mit guten Freunden und lieben Bekannten. Dabei dürfte in der Erinnerung noch einmal manche schöne Stunde erlebt werden.
Besonders lebhaft sind die Erinnerungen während der Wochen vor dem Weihnachtsfest. So will ich mich heute zurückversetzen in die Weihnachten meiner Glogauer Kinderjahre, in die Zeit nach der Jahrhundertwende. Glogau war schon damals eine aufstrebende Verkehrs- und Geschäftsstadt. Doch bei aller Geschäftigkeit und Betriebsamkeit waren die Wochen vor dem Fest von einem eigenartigen Zauber erfüllt. Vorweihnachtliche Stimmung lag über der ganzen Stadt. Meistens deckte schon eine dicke Schneelast alles zu, was auch dazu beitrug, die Weihnachtsstimmung zu heben. Unsere Straßenbeleuchtung war noch nicht von solcher strahlenden Helle, wie wir sie heute gewöhnt sind. Deshalb hatten die langen Schaufensterreihen unserer großen Geschäftshäuser mit ihren damals üblichen Leuchteffekten, mit den bunten Dekorationen und Auslagen doppelte Wirkung. In dieser Beziehung hat sich wirklich etwas in unserem Heimatstädtchen an der Oder getan. Noch heute sehe ich die strahlenden und die Beschauer anziehenden Fensterfronten des Hauses Scheier in der Grützner-, Mälz- und Taubenstraße und in noch größerem Ausmaße im späteren Kaufhof. Im großen Eckgrundstück Preußische Straße - Mohrenstraße der Firma Haurwitz - später Hähnel - und bei der Firma Pizkowsky (Vogel und Baude) und Kronheim am Markte warben Schaufensterreihen und Passagen für das Weihnachtsgeschäft. Die großen Schuhgeschäfte wie der Schuhhof Plachte (Schunder) und Leyser (Wesner) standen in ihrer Weihnachtswerbung nicht zurück.
Für uns Kinder hatten die Auslagen der Süß- und Spielwarengeschäfte besondere Anziehungskraft, deshalb waren sie immer belagert. In den Schaufenstern mit Schokoladen- und Zuckerwaren lagen ja in unvorstellbarer Menge und für uns freilich unerreichbar die herrlichsten Leckereien. Wir Kinder hatten damals - im Gegensatz zu heute - kein Geld in der Tasche. Hatten wir uns einmal selbst etwas verdient, durften wir auch darüber noch nicht selbst verfügen. Die Schaufenster von Engwitz und Sattig am Markte und Weißstein (Brose) in der Mälzstraße hatten es uns besonders angetan. Hier war immer ein begeistertes Publikum von Kindern anzutreffen, welches die vielen Spielsachen bestaunte und darüber debattierte.
Ein nickender Zirkusclown, der mit dem Stock an ein Fenster bei Sattig in der Baudenstraße klopfte, und ein nickender Bär im Schaufenster von Pelz-Gruhn erregten die Bewunderung der Kleineren. Unsere Glogauer Bürger machten in diesen Abendstunden der Tage vor dem Fest gern einen Bummel durch die Straßen, um die Schaufenster zu betrachten.
Auch in den Glogauer Haushalten deutete erhöhte Geschäftigkeit auf das nahende Fest. Würziger Duft der gebackenen Pfefferkuchen durchzog die Häuser. Überall war die Weihnachtsbäckerei in vollem Gange. Und unsere Glogauer Hausfrauen hatten sich wahrlich allerhand vorgenommen; außer dem beliebten Streuselkuchen sollten ja Christstollen, Mohnstrietzel und vielleicht gar auch Bienenstich auf den Tisch kommen, da gab es viele Vorbereitungen zu treffen. Meistens sollte der Kuchen auch noch eine Zeit über die Festtage hinwegreichen, da war es schwierig, alle Kuchen in den oftmals engen Wohnungen unterbringen zu können.
Am Heiligen Abend kam in den meisten Familien Bratwurst auf den Tisch, entweder mit Quetschkartoffeln und Sauerkraut oder in polnischer Sauce. Auch Karpfen war sehr beliebt. Am ersten Feiertage setzten die Mütter ihren Familien meistens eine knusprig gebratene Gans mit Kartoffelklößen und Rotkohl vor. Erwähnen möchte ich auch unsere Mohnklöße, die schön kalt zu einem Glas Grog recht gut schmeckten.
Unsere Weihnachtsfeiern im „Schifflein Christi" und in der Garnisonkirche, die Messen in der Pfarr- und Domkirche waren meistens überfüllt. Auch zu den Gottesdiensten an den Weihnachtsfeiertagen versammelte sich immer eine große Gemeinde. Bürger, die etwas darstellen wollten, gingen mit dem Zylinder zur Kirche.
Zur Einbescherung versammelte sich die Familie am Heiligen Abend nach dem Abendessen unter dem Christbaum. In manchen Familien erfolgte die Einbescherung erst am ersten Feiertage nach der Frühmesse. Auch das Choralblasen des evangelischen Posaunenchors vom Rathausturme gehörte zum richtigen Weihnachten.
Weihnachten in der schlesischen Heimat war ein rechtes Familienfest, während der Feiertage sah man gern lieben Besuch bei sich oder man war selbst irgendwo zum Kaffee eingeladen; schön war es immer, und wer von uns erinnerte sich nicht gern daran, wie es früher einmal war?