Elf Windmühlen drehten um die Jahrhundertwende in Polkwitz ihre Flügel, zehn Bockwindmühlen und, als vornehmste ihrer Art, ein Holländer, darum so genannt, weil er nach der Bauart der Mühlen in Holland, wie man sie so oft auf Landschaftsbildern von dort sieht, gebaut war, ein großer, gemauerter, hoher Kegelstumpf, der oben die drehbare Haube mit den Flügeln trug, während die Bockwindmühlen ganz aus Holz gebaut waren und die ganze Mühle gedreht wurde. Wenn man von Lüben her in die Stadt kam, sah man sechs Windmühlen zusammenstehen, vier links der Straße, in einer Reihe, ausgerichtet wie Soldaten, die von Weiß, Werner, Schönaich und Moshack, rechts die von Buchelt und Müller. Am Stadtausgang nach Glogau standen ebenfalls vier Mühlen zusammen, westlich der Straße die von Krause, Rutsch und Obst, gegenüber die von Becker und, näher an die Stadt gerückt, der Holländer von Reichelt.
Wer kennt nicht die vielen Lieder von der Mühle in der volkstümlichen Dichtung? „In einem kühlen Grunde", „Dort unten in der Mühle", „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach", „Das Wandern ist des Müllers Lust". Allerdings besingt der Dichter da immer die romantisch, im kühlen Grunde am rauschenden Bach liegende Wassermühle, die auf dem kahlen, luftigen Windmühlenberge stehende Windmühle ist ohne jede Romantik. Nun ja, in Polkwitz gab es keinen rauschenden Bach, da musste man eben mit Windmühlen zufrieden sein. Aber keine noch so idyllisch gelegene Wassermühle hätte dem Stadtbild so sein Gepräge geben können wie die vielen Windmühlen. Von welcher Himmelsrichtung man auch in die Stadt kommen mochte, immer fielen sie zuerst ins Auge. Am eindrucksvollsten gestalteten sie das Stadtbild, wenn man von Nd. Polkwitz herauf kam. Von dort aus gesehen, wurde die Stadtsilhouette abschließend durch die vielen Windmühlen rechts und links begrenzt. Eindrucksvoll und einmalig war das Bild dieser Mühlenreihe zu beiden Seiten der Stadt, diese eigenartigen, hohen Holzbauten mit hurtig sich drehenden Flügeln, als wenn eine immer schneller sein wollte als die andere, oder das typische Bild bei Windstille, alle nach Westen zu ausgerichtet, die Flügel gekreuzt, die mächtigen Arme in den Himmel reckend.
„Es klappert die Mühle am rauschenden Bach." Aber klappern tat es in der Windmühle genauso wie in der Wassermühle. Und woher kam das Klappern in beiden? Vom Mahlgang her. Es ist ja bekannt, dass das Mahlgut zwischen den Steinen zerrieben wurde, der untere lag fest, der obere drehte sich. Darüber war eine Schütteleinrichtung, die dauernd an der Seite anschlug. Daher das Klappern. Durch den Anschlag wurde erreicht, dass das Mahlgut gleichmäßig durch das Loch in der Mitte des oberen Steines zwischen die Steine geschüttet wurde. Die Steine selbst waren aus Kunststein, viele Zentner schwer. Mitunter sah man ja einen abgenutzten Stein auf dem Mühlberg liegen. An den Innenseiten, die gegeneinander liefen, waren sie gerieft, gerillt. Von Zeit zu Zeit mussten die Rillen neu ausgehauen, die Steine „geschärft" werden. Das war eine schwierige Arbeit. Der obere Stein wurde mittels eines Kranes abgehoben und auf den Rücken gelegt, und der Müller ging nun daran, mit scharfem Pickel wie ein Steinmetz die Rillen frisch nachzuhauen. Das Schärfen der Steine war auch stets eine Aufgabe in der Gesellenprüfung.
Nur wenige, insbesondere ältere Mühlen, waren unten nicht verkleidet, da konnte man den in Kreuzform angeordneten und fest mit dem Untergrund verankerten Bock sehen, aus mächtigen, dicken Balken gezimmert, jeder wohl 50x50 cm im Querschnitt. Sie stützten und hielten den Ständer, einen noch dickeren hölzernen Pfeiler, der in ihrer Mitte nach oben ging.
Wenn man bedenkt, dass die ganze Mühle nur auf diesem einen Ständer ruhte, sich darum noch drehen ließ und auch den stärksten Stürmen Trotz bot, bekommt man Achtung vor der Kunst der Mühlenbauer in früherer Zeit. Und wie oft musste die Mühle gedreht werden, damit die Flügel gegen den Wind standen. Auf dem Mühlberge waren im Kreise in gewissen Abständen kurze hölzerne Pfähle eingerammt, an denen ein schweres, fahrbares hölzernes Gestell verankert wurde. In dem Gestell war die senkrecht stehende Spindel einer Winde eingebaut, durch den Kopf der Winde wurde eine lange Stange gesteckt. Mit diesem langen Hebelarm drehte der Müller die Winde, immer brav im Kreise herumtrottend wie die Pferde am Göpel. Dabei wickelte sich eine eiserne Kette um die Winde und zog langsam das Ende der Deichsel heran, jenes langen Balkens, der aus der Wand gegenüber den Flügeln schräg zur Erde ragte. Dann wurde die Winde bis zum nächsten Pfahl gezogen, und so ging das Karussell weiter, manchmal um den halben Mühlberg herum, je nach der Windrichtung. Mit der Deichsel drehte sich das ganze Mühlgehäuse.
Nur wenige haben wohl Gelegenheit gehabt, eine Mühle innen bis unters Dach sich richtig anzusehen. Da, wo oben die Treppe im ersten Stock endete, begann sozusagen erst richtig die Mühle. Die Mühle meines Vaters hatte drei Böden übereinander. Im Innern einer Windmühle war sehr wenig Platz. Im ersten Stock war noch verhältnismäßig viel Raum, aber wenn nach tage- oder wochenlangem scharfen Wind die Mehlsäcke hier aufgestapelt waren, konnte man sich kaum noch hindurchwinden. Auf dem zweiten Boden war es schon enger, auf den dritten Boden ist kaum ein Besucher vorgedrungen. Sowie er von der ganz steilen, schmalen Treppe aus den Kopf auf diesen Boden steckte und dieses Gewirr von Balken, Rädern, Wellen und Treibriemen unter dem schrägen Mühldach sah, wagte er sich nicht weiter. Hier lag quer durch den Raum von Giebel zu Giebel die mächtige hölzerne Welle, die an ihrem Kopf die vier Flügel trug. Von dieser Welle aus wurde durch Räder, Wellen und Treibriemen die Kraft auf die Maschinen übertragen, manchmal ein sehr kompliziertes Problem, da man wegen der Enge des Raumes diese Maschinen nicht hübsch nebeneinandergeordnet wie etwa in einer Großmühle aufstellen konnte, sondern dorthin setzen musste, wo Platz war. Die große Welle trug auch das mächtige Kammrad von mehreren Metern Durchmesser, um die Welle herumgebaut und ganz aus Holz. Der Zahnkranz bestand aus fest eingestemmten hölzernen Pflöcken, die in ein kleines, ebenfalls hölzernes Zahnrad eingriffen, das die Mahlsteine trieb.
Nun der Mahlvorgang. Er begann ganz oben unterm Dach. Dort stand der Spitzgang. An einer Kette, die über eine Seilwinde lief, wurden die Getreidesäcke von ganz unten heraufgezogen. Für mich als kleinen Jungen war das immer ein sehr interessanter Vorgang. Langsam ging die blanke Kette nach oben. Jetzt hoben sich die beiden Klappen im Boden, der Sack kam zum Vorschein, zwängte sich in seiner ganzen Dicke durch die Öffnung, die beiden Klappen fielen hinter ihm zu, leise schwankend schwebte er im Raum nach oben, stieß die oberen Klappen auf, zwängte sich durch, verschwand. In den großen Trichter des Spitzgangs wurde das Getreide geschüttet. Der Spitzgang hatte wie der Mahlgang zwei Steine, zwischen denen die Körner aber nicht zermahlen, sondern nur die Spitzen abgerieben wurden, daher der Name Spitzgang. Spitzen und Unreinigkeiten im Getreide wurden durch ein Gebläse ausgeschieden. Dann liefen die Körner auf den Walzenstuhl, zwischen dessen eisernen Walzen sie zerquetscht wurden. Erst dann kam das Mahlgut in den Mahlgang. Hier zwischen den Steinen wurde es erst richtig zu Mehl zerrieben. Die nächste Station war die Sichtmaschine, ein langer, achteckiger, waagerecht liegender Zylinder, dessen Wände mit Seidengewebe von verschiedener Dichte bespannt waren. Langsam drehte sich der Zylinder, das Mahlgut wurde ausgesiebt in Schalen, groben und feinen Grieß und feines Mehl, daneben noch mehrere minderwertige Mehlsorten. Gewöhnlich wurde der Weizen zu 65 Prozent ausgemahlen, Schalen und Grieß vom Weizen wurden für sich verkauft, vom Roggen zusammengemischt als „Futter". Getreide mahlen ist etwas anderes als Getreide schroten. Beim Schroten werden die Körner zwischen den Steinen mit den Schalen einfach klein zerrieben, ohne Aussonderungsvorgang. Roggen- oder Gerstenschrot dient als Viehfutter. In unserer Mühle stand auch ein Schrotgang und noch eine Haferquetsche, zwischen deren eisernen Walzen der Hafer zerquetscht wurde für die alten Pferde, deren Zähne stumpf geworden waren.
Bleibt noch übrig, von den Flügeln zu erzählen. Wenn ein Flügel abbrach, war das ein großes Malheur, noch größer aber war der Schaden, wenn er nicht am unteren Ende abbrach, sondern oben. Dann war nämlich das „Bruststück" gebrochen, dann musste auch der gegenüberliegende Flügel abgenommen werden. Die vier Flügel hingen an den zwei „Bruststücken", starken eichenen Balken, die fest in das gusseiserne Gehäuse des Wellkopfes eingefügt waren, so, als wenn ich zwei Stäbe kreuzweise übereinander lege. Da, wo sie sich kreuzen, stecken sie im Wellkopf. Jedes der freistehenden Enden reichte bis über die Mitte eines Flügels. An jedem der vier Enden war eine „Spitze" festgemacht, ein starker Balken, der vom Wellkopf bis kurz über den Boden reichte und beiderseits ein Rahmenwerk trug, in das die „Türen" eingehängt wurden, Einzelrahmen in Mannshöhe, quer mit schmalen, dünnen Holzplatten bespannt. Die konnten wie eine Fensterjalousie auf und zugeklappt werden. Jeder kann sich gewiss an die aufgezogenen Jalousien an den gekreuzten Flügeln einer stehenden Mühle erinnern. Nur ganz alte Mühlen hatten keine Jalousie, da musste der Müller, wenn die Mühle stand, an jedem Flügelende drei oder vier Türen herausnehmen, um den Winddruck zu verringern. Die Jalousie wurde von innen aufgezogen und war so eingerichtet, dass sie sich selbst regulierte. Bei zu starkem Winddruck gaben die Plättchen etwas nach und öffneten sich einen Spalt, bei nachlassendem Druck schlossen sie sich wieder. Doch bei Sturm nahm auch hier der Müller einige Türen heraus. Zu schnell
sich drehende Flügel hätten die Maschinen kaputtgefahren.
Bei gutem Winde wurde Tag und Nacht gemahlen, mit zwei Gängen, nachts mit Ablösung. Zum Ausruhen und Schlafen war ein kleiner Raum neben dem Treppenpodest eingerichtet, in dem Ausbau, der aus dieser Mühlenwand herausragte, ein kleiner, abgeschlossener Raum, kaum zwei mal zwei Meter groß, mit einer Koje zum Schlafen, einem Brett als Tisch darüber, einem Hocker und einem kleinen Kachelofen. Wie gemütlich warm war es hier drin im kalten Winter, wie gern schlüpfte da jeder einen Augenblick hinein, um sich aufzuwärmen, während in der Mühle eisige Kälte herrschte. Bei Sturm zitterte und bebte die Mühle in allen Fugen, Räder und Maschinen machten einen ohrenbetäubenden Lärm, dass man kaum das eigene Wort verstand, der Sturm heulte in den Flügeln und um die Mühle. Das war für den Müller die schönste Musik. Aber bei lauem Wind, wenn er zeitweise die Maschinen ganz ausschalten und die Mühle leer laufen musste, wenn sie nur klapperte, aber nicht mehr mahlte, da wurde er übellaunig, und bei andauernder Windstille munterte er seinen Lehrjungen auf, er solle alte Besenstrünke suchen und zerhacken. Das sollte nach altem Mülleraberglauben wieder den Wind bringen. Von Wind und Wetter war der Windmüller abhängig. Damals gab es noch keine Wettervoraussage, so musste der Müller sein eigener Meteorologe sein. Ich glaube, dass damals ein erfahrener Windmüller aus der ständig notwendigen Beobachtung von Wind und Wolken das Wetter so gut voraussagen konnte wie heut ein schlechter Meteorologe. Jedenfalls fragten die Leute damals immer den Müller, wenn sie wissen wollten, wie das Wetter wird. Und noch etwas. In der MüIlersprache hieß es nicht: Der Wind kommt aus Westen oder Südosten, sondern er kam aus dem Abend und, in der Windrose rechts herum weitergehend, aus dem Feierabend, aus der Nacht, dem Frühmorgen, dem Morgen, nur für den Südosten hatten die Müller an der Lübener Straße keine Tageszeitbezeichnung, dann kam der Wind „über Petersdorf", das ja im Südosten lag, dann weiterhin aus dem Mittag, aus der Vesper, dem Abend.
Wind ist das Lebenselement für den Windmüller. Eine Windmühle braucht freies Windfeld nach allen Seiten, darum findet man die Windmühlen auch nur in der Ebene. Darum waren ja auch die Mühlen in Polkwitz an zwei Stellen, im Süden und Norden der Stadt, hingestellt worden, wo sie die meiste Windfreiheit hatten, vor allem nach Westen hin, der Hauptwindrichtung. Über die weite, tiefer gelegene Ebene im Westen der Stadt konnte der Wind ungehindert heranbrausen. Nach dieser Richtung hin bot sich auch dem Müller eine wunderbare Fernsicht über das weite Wäldermeer der Niederschlesischen Heide, bei ganz klarem Wetter sogar bis an den Kamm des Riesengebirges mit der Schneekoppe.
Aber indem ich das schreibe, ist es zugleich ein Schwanengesang auf die Windmühlen. Ihre Zeit ist vorbei. Das konnte man schon um 1900 voraussehen. Dieses Gewerbe stirbt aus, wie schon viele andere Kleingewerbe infolge der zunehmenden Industriealisierung eingegangen sind. So war es in Polkwitz, so ist es überall. Von den ehemals elf Windmühlen standen bei Kriegsausbruch 1939 nur
noch fünf. Erst brannte die Mühle von Rutsch an der Glogauer Straße ab, Brandursache unbekannt, bald nach 1900, dann während des ersten Krieges auf der Lübener Seite die von Werner, die inzwischen Stier gekauft hatte, infolge von Blitzschlag. Die Mühlen von Weiß, Schönaich und Moshack waren abgebrochen worden. Hier standen also zu Beginn des zweiten Weltkrieges nur noch zwei Mühlen, die meines Vaters, die Stier nach dem ersten Kriege gekauft hatte, und die von Müller, Müller-Müller genannt, die hatte Färber gekauft, auf der Glogauer Straße standen noch rechts die Mühle von Becker, Becker-Müller genannt - es gab ja in Polkwitz auch noch einen Müller-Bäcker -, sie war in den Besitz von Fröhlich übergegangen, gegenüber die Mühle von Obst war noch im Besitz derselben Familie, die Mühle von Krause hatte Metschke übernommen und in eine Ölmühle umgebaut. Der Holländer, schon 1900 mit zusätzlichem Dampfbetrieb, war in die Hände von Wurche übergegangen und später ganz stillgelegt worden. Er stand zuletzt nur noch als Torso da, seine Flügel hatte man wegen Abbruchgefahr abnehmen müssen. Und diese restlichen fünf Windmühlen sollen, wie ich gehört habe, die Russen nach ihrem Einmarsch abgebrannt haben, verbürgen kann ich mich für diese Nachricht nicht.
Wie hoch war nun damals, vor dem ersten Krieg, der Wert einer solchen Windmühle? Ich weiß, dass in der Niederschlesischen Windmühlenversicherung, einer Versicherung auf Gegenseitigkeit gegen Feuer und Sturmschäden, die besteingerichteten Mühlen nur mit 7000 bis 8000 Mark geschätzt und versichert waren. Ich kann mich nicht entsinnen, je vom Neubau einer Windmühle gehört zu haben. Es ist ja auch klar, ein solcher Bau, ganz aus Holz, kam damals schon zu teuer. Zwar ist die Kraft, der Wind, umsonst, aber er ist ein zu launischer Geselle, selten macht er es richtig, mal weht er gar nicht, ein andermal tobt er sich zu sehr aus, auf keinen Fall aber hält er sich an den Achtstundentag, fremde Arbeitskräfte kommen da bei den heutigen Löhnen zu teuer. Die Windmühle hält die Konkurrenz mit den Großmühlen nicht aus. Diese sind ja gegenwärtig selbst übersetzt, auch bei ihnen sollen Tausende von Tonnen Mahlkapazität stillgelegt werden. Ja früher,
da war eine gute Zeit für den Müller. In vielen Erzählungen ist ja von ihm die Rede, vom reichen, dicken Müller - und der schönen Müllerin. Und noch weiter zurück, im Mittelalter, da war der Müller durch das Mühlen- und Meilenrecht, das viele Städte besaßen, gegen jede Konkurrenz von außen abgeschirmt. In allen Dörfern, die innerhalb einer Meile lagen, durfte keine Mühle gebaut, alles Getreide musste in der Stadt gemahlen werden. Heute dagegen ernährt eine Windmühle allein ihren Mann nur sehr dürftig, wenn sie nicht mit einem Nebenbetrieb, zum Beispiel Landwirtschaft, verbunden ist. Die letzten Windmühlen, die heut noch ihre Flügel drehen, klappern weiter, bis sie nur noch Museumswert haben. Die Zeit der Windmühlen ist bei uns endgültig vorbei.