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Gramschütz, an der Bahnstrecke Grünberg - Glogau - Breslau gelegen, gehörte bis zum Kriegsende 1945 zu den größten Orten des Kreises Glogau. Der gute Boden brachte den Bauern - überwiegend Großbauem mit etwa 100 ha Ackerland - gute Erträge. Gramschütz war ein ,,reiches Dorf". Außerdem gab es an landwirtschaftlichen Betrieben noch das ,,Dominium", ein Staatsgut. Wen wundert es, dass auf diesem Hintergrund auch Handwerk, Handel und Gewerbe florierten. Es gab die Molkerei, außerdem Müller, Bäcker, Fleischer, Tischler, Schlosser, Klempner, Sattler, Schuhmacher, Böttcher u. a.; natürlich auch Lebensmittelgeschäfte, Ärzte, eine Apotheke, so dass man alle für einen geregelten Ablauf wichtigen Dinge am Ort erledigen konnte und nicht mit der Bahn die etwa 15 km nach Glogau fahren musste. Gramschütz hatte am Ende des 2. Weltkrieges 1365 Einwohner.
Neben den genannten handwerklichen Betrieben, meist Einmann oder Familiengeschäfte, gab es in Gramschütz aber auch einige ,,Großbetriebe" mit regionaler und zum Teil überregionaler Bedeutung. Vom Umfang und der Anzahl der Beschäftigten war die Firma Anton Müller am Bahnhof Gramschütz am bedeutsamsten. Lassen wir unsere Heimatfreundin Brigitte Golz, ehemals Müller, aus ihrer Erinnerung über den Betrieb ihres Vaters Georg Müller berichten:
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Mein Großvater Anton Müller, Jahrgang 1838 gründete 1880 in Gramschütz die Firma Anton Müller. Ich habe noch die Anzeige, die er in der Glogauer Zeitung aufgegeben hat, als kleines Bild in meinem Zimmer hängen. Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke an zu hause und für mich darum besonders kostbar. Der beigegebene Ausdruck ist eine Kopie der damaligen Anzeige.
Im Januar 1884 heiratete mein Großvater eine Bauerntochter aus Gramschütz, Frau Berta Hirschfelder, und am 20. Oktober desselben Jahres kam mein Vater Georg Müller zur Welt. Nach ihm wurden noch weitere 6 Kinder geboren. Anton Müller starb durch einen Unfall. Als er im Sommer 1896 im Garten für seine Kinder Kirschen pflückte, fiel er vom Baum und starb kurz darauf. Im folgenden Februar kam noch die jüngste Tochter Maria auf die Welt. Großvater hatte also 7 Kinder, 5 Söhne und 2 Töchter. Nach dem ersten Weltkrieg übernahmen die Söhne Georg, Alexander und Edmund die Firma als OHG (= offene Handelsgesellschaft), wobei Georg Müller, er kam aus russischer Gefangenschaft nach 6 Jahren Sibirien erst 1921 zurück, für das Geschäft in Gramschütz zuständig war. Alexander leitete die inzwischen gegründete Niederlassung in Schrepau (Schwarztal) und Edmund übernahm das Geschäft in Glogau.
Das Geschäft in Gramschütz wurde immer größer, und mein Vater zählte wohl zu den wichtigsten Arbeitgebern im Umkreis.
Im Zuge der Umbenennung slawisch klingender Ortschaften sollte vor dem 2. Weltkrieg (etwa 1935) auch Gramschütz umbenannt werden und zwar in ,,Bischofsfelde". Man hatte ausgegraben, dass ein Gramschützer, Hieronimus Schultetus, im 16. Jahrhundert Bischof von Havelberg und Brandenburg war. Als mein Vater davon hörte, ging er ,,auf die Barrikaden" und hat an verschiedenen Stellen dagegen protestiert. Seine Worte klingen mir heute noch im Ohr: ,,Bevor Glogau und Breslau nicht umbenannt werden, darf auch Gramschütz nicht umbenannt werden". Es hat ja auch geklappt, denn um uns herum bekam ja alles andere Namen.
Nach einer Aufstellung meines Onkels Edmund Müller waren 1932 in der Firma 140 Personen beschäftigt. Ich glaube 1939 waren es über 200 Beschäftigte, einige immer im Außendienst, die meisten aber im Betrieb selbst.
Die Waren- und Handelspalette der Firma Anton Müller war bis zum Kriegsende sehr umfangreich: Kohle, Baumaterial, Düngemittel, Landmaschinen. Dazu noch ein Sägewerk und eine Trocknungsanlage für Getreide. Natürlich war dazu auch ein gut ausgestatteter Fuhrpark nötig. In den ersten Jahren genügten Pferdefuhrwerke, zuletzt gab es dafür Traktoren und Zugmaschinen. Das erste Bild zeigt den Bürotrakt, wie ich ihn noch in Erinnerung habe, das zweite Bild das Wohngebäude, mein Heimathaus. Nach Kriegsende besetzten die Russen das Haus, die Möbel wurden abtransportiert. Später war in unserem Wohnhaus zunächst eine polnische Kommandantur stationiert. In unser ehemaliges Wohnhaus zog 1946 oder 1948 die polnische Familie Baginski - auch sie waren Vertriebene. Sie kamen vom Bug und leben bis heute in Gramschütz.
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Am 27. Januar 1945 kam das Ende für uns. Wir nahmen in einem Lastzug 40 Leute mit, wir selbst hatten jeder nur einen Koffer. Wir glaubten ja auch, dass wir in 14 Tagen wieder zurück sein würden. Eine Woche nach Beginn unserer Flucht - wir waren damals für einige Tage in einer Schule in Rhone bei Weißwasser untergebracht - kam die Order, dass unser Trecker mit Herrn Greiser (Treckerfahrer), Schnabel (Prokurist) und Ronge (Monteur) nach Gramschütz zurückfahren sollte, um Roggen zu holen, der noch in großen Mengen in unseren Lagern vorhanden war. Der Lastzug erreichte auch Gramschütz, bevor die Russen kamen, und konnte Getreide laden. Wie sie uns dann berichteten, war in unserem Haus nur Chaos: Alles Geschirr zerschlagen, die Einweckgläser gegen die Wände geworfen und alles andere geplündert oder zerstört.
Im März 1945 wurden noch durch Kriegseinwirkung (Beschuss) 50 Waggon Getreide, 25 Waggon Düngemittel, 16 Waggon Raps, 7 Waggon Blaumohn, 10 Waggon Futtermittel und 7 Waggon Kohlenkoks vernichtet. Ich selbst war bei unserer Flucht 17 Jahre alt und habe mich damals um geschäftliche Dinge wenig gekümmert. Manches kam nach dem Lesen der Zusammenstellung von 0. Hoffmann in seinen ,,Heimatbuchblättem" über Gramschütz wieder ins Bewusstsein.
Die Firma Anton Müller gibt es heute nicht mehr. Mein Vater Georg Müller ist 1954 in Weißwasser verstorben. Auch seine Brüder Alexander und Edmund leben nicht mehr. Ich selbst war inzwischen mehrfach in Gramschütz, das erste Mal im Mai 1958. Unsere ehemaligen Lagerräume zerfallen langsam. Die Familie Baginski hat mich damals und auch bei meinen späteren Besuchen immer freundlich aufgenommen. Inzwischen wohnen dort 3 Familien aus der gleichen Sippe. Auch unser ehemaliges Büro wird jetzt als Wohnung für eine polnische Familie genutzt.
Brigitte Golz, geborene Müller
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