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In der Heimat wanderte der Tischlermeister Peschel an jedem Sonntag vier Meilen weit nach Neusalz an der Oder, wo er am Gottesdienst der Herrnhuter Brüdergemeinde, der er angehörte, teilnahm.
Des Tischlermeisters Peschel einziger Sohn Gottlieb, im Jahre 1818 geboren, hatte das Handwerk seines Vaters erlernt und von ihm künstlerisches Talent und Geschick ererbt, so dass er schon frühe Neigung verspürte, den Bewohnern seines Heimatdorfes ihre Taschenuhren und Seiger zu reparieren. Und
weil er bei allem großes Talent bewies, brachte man ihm auch Drehorgeln zur Reparatur. Ja, er wagte es eines Tages sogar, eine neue Drehorgel anzufertigen, und hat wohl - wenn ich mich recht erinnere - viele Leierkästen zusammengebaut, mit denen dann die Drehorgelmänner über die Straßen Schlesiens zogen und in Dörfern und Städten lustige Lieder spielten.
Gottlieb Peschel verstand auch, mit dem Schnitzmesser zu hantieren. Er hat die holzgeschnitzten Verzierungen am Orgelprospekt in der katholischen Kirche zu Altstrunz angefertigt. Die Gedenktafel für die in den Kriegen 1866 und 1870/71 Gefallenen aus der Gemeinde Altstrunz, die in der evangelischen Kirche aufgehängt wurde, stammte auch von ihm.
Gottlieb Peschel war ein Allerweltskerl; auch Kirchenorgeln zu reparieren, bedeutete für ihn keine Schwierigkeit, ja, er errang einen guten Ruf als Orgelbauer, so dass er immer wieder hierhin und dorthin gerufen wurde, um eine asthmatische Orgel in Ordnung zu bringen.
Natürlich hatte er Neider, Leute, die da glaubten, er pfusche ihnen ins Handwerk und bringe sie um den Verdienst. Sie zeigten ihn wegen unerlaubter Ausübung seines Handwerks an. Aber Peschel gab sich so leicht nicht geschlagen. Die Klage gelangte bis an das Justizministerium in Berlin, wo die Angelegenheit jedoch zu seinen Gunsten entschieden wurde. "Wenn Peschel", so erklärte man höchsten Ortes in Berlin, "seine Aufträge zur Zufriedenheit der Auftraggeber ausübe, so sei es ihm auch fürderhin erlaubt, Reparaturen oder den Bau neuer Orgeln vorzunehmen."
Nun ergingen an ihn erst recht immer wieder Aufforderungen, nach manchem Dorfe des Schlesierlandes oder auch der benachbarten Provinz Posen zu kommen, um Orgeln zu reparieren und neue Kirchenmusikinstrumente zu erstellen.
Ich entsinne mich, dass die Orgeln der Kirche zu Hinzendorf und der Klosterkirche zu Fraustadt sowie auch des Gotteshauses zu Ulbersdorf im Kreise Fraustadt von ihm stammten. Doch es müssen viel, viel mehr Instrumente gewesen sein, die Peschel gebaut hat, nur kann ich mich der Namen dieser Ortschaften
- ich zähle ja beinahe 80 Jahre - nicht mehr erinnern.
Und wenn ich jetzt von dem alten Peschel erzähle, da sehe ich ihn wieder quicklebendig vor mir, von kleiner Statur, das lange Haar bis In den Nacken zurückgekämmt, eine große Hornbrille auf der Nase. Wenn er nicht gerade an einer Orgel arbeitete, dann beschäftigte er sich mit seinen alten Uhren, deren er viele, viele besaß. Nicht weniger als achtzig Taschenuhren, die er sein Eigen nannte, besaßen den Wert kostbarer Antiquitäten. Doch er nannte auch sechsundzwanzig Tischuhren sein Eigen, viele Spieluhren, die schöne Lieder anstimmten, und eine kostbare Wanduhr, die von August dem Starken, Kurfürsten von Sachsen und König von Polen, stammte. Manche dieser Kostbarkeiten mochte er erworben haben, wenn er mit seinem Vater auf die Schlösser und Herrensitze des Glogauer Landes gerufen wurde, um an alten Kaminuhren und ebensolchen Standuhren Reparaturen vorzunehmen.
In Meister Peschels Hause befand sich auch ein Musikschrank, der auf einer Auktion erworben worden sein mochte. Er hatte die Mechanik dieses Musikschrankes mit viel Mühe repariert und das Schrankgehäuse aus Eichenholz angefertigt und mit Schnitzereien verziert. Auf sechs Walzen, die ausgewechselt werden konnten, spielte er uns zuweilen die Lieder vor, und für uns Kinder aus Altstrunz war es immer ein besonderes Erlebnls, von Peschel eines seiner Musikinstrumente vorgespielt zu bekommen.
Doch nicht nur wir Dorfjungen und Mädchen gehörten zu den Gästen Meister Peschels, sondern auch Kunstfreunde aus den niederschlesischen Städten und Junker und Gutsherren von den Dörfern hielten bei ihm Einkehr, sogar der "Königliche Landrat" des Kreises Glogau besuchte ihn manchmal.
Natürlich hat die Anschaffung solcher Antiquitäten auch Geld gekostet, und Peschels Frau klagte oftmals darüber, dass er viele Taler dafür ausgebe. Doch es mangelte dem kunstfertigen Meister auch nicht am Verständnis für die Realitäten des Lebens. So erstand er zu seinem Anwesen einmal acht Morgen Wald. Dieser Bestand an alten Bäumen war - ehe wir die Heimat verließen - mit der schönste in den rings um das Dorf liegenden Forsten.
Meister Peschels Ehefrau war die Tochter des Oberförsters Schaper aus Thiergarten. Ich sehe sie noch vor mir, wenn sie ihre Einkäufe im Dorf besorgte. Meistens geschah das abends. Dann hatte sie
Holzschuhe an den Füßen, über dem langen Rock und der davorgebundenen Schürze trug sie - wenn es nicht gerade im Hochsommer war - einen Mantel, der Großvaters Düffelrock recht ähnlich sah. Darüber aber trug sie noch ein großes weites Umschlagtuch.
Die alte Pescheln war eine tierliebende Frau. Auf ihrem großen Hühnerhof hielt sie manchmal mehr Hähne als Hennen und war froh, als ihr meine Mutter einmal einen Zuchthahn abkaufte. Bei dieser Gelegenheit spielte Meister Peschel meiner Mutter auf seiner Hausorgel einige Strophen des Liedes "Jesu, meine Zuversicht" vor. Seine Frau und - ich glaube - auch meine Mutter sangen dazu.
Die Pescheln war also eine Tierfreundin, deshalb hielt sie auch einmal einen uralten Hahn, der völlig erblindet war und deshalb nicht mehr frei herumlaufen durfte, weil ihn sonst das Hühnervolk davon gejagt hätte. Deshalb brachte der alte Gockel hinter einem Verschlage des Stallgebäudes seinen Lebensabend zu.
Doch die Mutter Peschel hielt - neben etlichen Ziegen - auch ein paar Katzen, die sie oftmals liebkoste. Doch wenn diese der Nachtigall, die zur Sommerzeit in den hohen Obstbäumen des Gartens sang, nachstellten, konnte sie sehr böse werden. Deshalb sperrte sie die Katzen während der Brutzeit der Nachtigall kurzerhand in den Schweinestall. Und wenn es diesen gelang, einmal aus ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft zu entfliehen und im Garten auf Raub auszuziehen, dann suchte die Mutter Peschel mit der Laterne in der Hand bis spät in die Nacht die Katzen und lockte sie mit schmeichelnden Worten, um sie wieder im Schweinestall inhaftieren zu können, so dass der Nachtigall bei ihrem Brutgeschäft kein feiger Katzenüberfall drohe.
Sie lebten ein fröhliches Leben miteinander, der Meister Peschel und seine Meisterin. In den ersten Tagen des Dezember 1904 erkrankte Mutter Peschal an einer Lungenentzündung und starb nach kurzem Krankenlager. Der Orgelbauer ging ins Dorf, um einen Sarg für seine Frau zu bestellen, und als er von diesem Gang - er mochte ihm schwer genug gefallen sein - in sein Haus, in dem es nun recht still geworden war, zurückkehrte, erlitt er einen Schlaganfall, an dessen Folgen er wenige Tage nach seiner Frau starb, nachdem er ein Alter von 86 Jahren erreicht hatte.
Meister Peschel hatte zwei Söhne: Theodor und Hermann. Schon zu Lebzeiten der Eltern war der alten Peschels Anwesen durch Kauf in die Hände des Sohnes Hermann gelangt, während Theodor, der ältere, mit einer Geldsumme abgefunden worden war. Die kostbare Sammlung alter Kunstgegenstände war beim Tode des alten Meisters Peschel noch ungeteilt. Theodor erhielt von den Antiquitäten nur einen geringen Teil, sein Bruder Hermann erklärte, dass der Vater gewünscht habe, dass diese Sammlung beisammenbleiben solle.
Theodor - der ältere der Söhne - wurde am 7. Mai 1850 geboren. Er erlernte das Müllerhandwerk, was ihn jedoch nicht befriedigte, so dass er sich auch mit dem Reparieren von Uhren beschäftigte, welche Kunst er ja seinem Vater abgesehen hatte. Als Geselle des Müllerhandwerks hat er das liebe Deutschland durchquert. Am Rhein arbeitete er etliche Jahre und kehrte dann allerdings in die Heimat zurück, wo er in Carolath eine Windmühle kaufte, wozu ihm die Eltern ein Erbteil von 700 Talern aushändigten. Doch nach etlichen Jahren kehrte Theodor nach Altstrunz zurück und pachtete dort die Krugsche Windmühle, bis er schließlich an der Müllerei gar keinen Gefallen mehr fand und nur noch als Uhrmacher tätig war. Seine Ehefrau Auguste, geb. Kutzner, übte in Altstrunz den Beruf der Hebamme aus, und beide hatten - da sie fleißig und sparsam waren - ihr Auskommen. Ihre einzige Tochter wurde am 15. Mai 1917 meine Ehefrau.
Theodor Peschel war ein ausgezeichneter Rechenkünstler, als solcher half er dem Uhrmacher Julius Späth in Steinmauern bei Rastatt bei seinen Berechnungen zum Bau einer Kunstuhr, die ähnlich wie die des Straßburger Münsters - Stunden und Tage, Monate und Jahre, Sonnen- und Mondfinsternisse sowie den Umlauf der Planeten anzeigte. Auch einem Berliner Uhrenbauer - er hieß Oswald Schulz und hatte sich an Theodor Peschel um Hilfe gewandt - half er bei seinen Berechnungen, mit denen sich Schulz längst festgefahren hatte, und gab ihm Hinweise und Fingerzeige, wie er mit seiner Arbeit vorankommen könne.
Als im Herbst 1924 der Turm der evangelischen Kirche zu Altstrunz repariert und ein hohes Gerüst errichtet worden war, bestieg Peschel das Gerüst, um das Zifferblatt der Turmuhr, die ihm zur Pflege anvertraut war, zu streichen. Dabei aber - es waren ja stürmische Herbsttage - zog er sich eine Erkältung zu, von der er sich nicht erholen konnte, so dass er am 7. November 1925 im Alter von mehr als 75 Jahren starb.
Theodor Peschels Bruder Hermann - er wurde am 5. Dezember 1858 geboren - besuchte bei Kantor Badermann die Dorfschule zu Altstrunz. Er erhielt von diesem Unterricht im Klavierspiel. Und der Kantor hat mehrfach erklärt, dass in Hermann Peschel besondere Begabungen steckten. Doch nach etlichen Jahren verließ Kantor Badermann Altstrunz, statt seiner unterwies die Kinder des Dorfes nun Kantor Fischer, der bald ein täglicher Gast im Hause des Meisters Peschel wurde. Dann musizierten sie gemeinsam, denn Fischer interessierte sich für die Musikinstrumente wie auch für die Kunst des Orgelspielens. Und Hermann Peschel, der bei dem Kantor zur Schule ging, wuchs zu einem geübten Klavier- und Orgelspieler heran. Er blieb nach seiner Schulentlassung auch im Elternhause und erlernte die Uhrmacherei und den Orgelbau. Überdies besaß er eine besondere Befähigung zum Klavierstimmen. Des Sonntags, wenn Kantor Fischer auf der Orgelbank der Kirche zu Altstrunz saß, dann hockte Hermann Peschel neben ihm, so dass der Kantor an ihm immer besondere Freude hatte.
Allerdings war Hermann nicht so bescheiden wie sein Vater und sein Bruder, sondern er ließ es seine Mitmenschen immer wieder spüren, wie begabt er war und welche Fähigkeiten er besaß. Ehe er im Jahre 1907 eine Bauerntochter aus Rädchen bei Schlawa heiratete - sie hieß Auguste Büttner - ließ er an Stelle seines alten Vaterhauses ein neues Wohnhaus errichten, wo auch die Sammlungen gut untergebracht werden konnten.
Hermann hatte für alle technischen Neuerungen Interesse. Er war deshalb der erste im Dorfe, der sich ein Fahrrad anschaffte und mit diesem nähere und weitere Wegstrecken zurücklegte. Wenn er einmal von Freunden der edlen Musica besucht wurde und denen etwas auf den Instrumenten vorspielen wollte, dann rief er seine Frau herbei, dass sie den Blaseblig bediene. "Weib, zieh!" lautete sein Befehl, dem seine Frau gehorsamst nachkam.
Dass Hermann Peschels Sammlung einen bedeutsamen Wert darstellte, hatte sich allenthalben in Schlesien wie Im Glogauer Lande herumgesprochen. Auch Spitzbuben hatten einmal davon erfahren, so dass er einmal - es mag im Dezember 1920 gewesen sein - einen Brief erhielt, in dem Peschels Frau gebeten wurde, zu bestimmter Zeit auf dem Postamt zu erscheinen, um eine Überraschung für ihren Mann entgegenzunehmen. Hermann Peschels Weib machte sich auch auf den Weg nach dem Postamt, aber kaum hatte sie das Haus verlassen, da erschienen zwei maskierte Männer bei Peschel, ergriffen ihn und fesselten ihn an das Bett. Sie wollten Peschels Uhren, und als dieser ihnen bedeutete, sie möchten die Uhren mitnehmen und ihm das Leben lassen, entnahmen sie dem Kommodenschub, wo die Kostbarkeiten lagen, die ältesten Uhren und ließen sie in einem mitgebrachten Sack verschwinden. Danach verließen sie das Haus. Erst nach Jahresfrist - als die Diebe ihre Beute umsetzen wollten - wurden sie als die Räuber entlarvt, und Hermann Peschel konnte einen Teil der ihm entwendeten Uhren auf der Polizei in Empfang nehmen. Jedoch zehn Uhren - darunter zwei goldene - waren und blieben verschwunden.
Es mag zehn Jahre später gewesen sein, da wurde in Glogau eine Kunst- und Gewerbeausstellung veranstaltet. In der Abteilung "Musikinstrumente" fiel den Besuchern der Ausstellung ein schlichtgekleideter, alter Herr auf, der die ausgestellten Musikinstrumente mit großem Interesse betrachtete. Plötzlich legte dieser seine in ein Taschentuch gebundenen Reiseutensilien auf die Erde und setzte sich an eines der ausgestellten Instrumente. Seine Finger glitten über die Tastatur desselben. Musik von Beethoven und Chopin erklang, und viele Ausstellungsbesucher drängten sich um den Spieler im weißen Haar und lauschten voll Andacht seiner Musik. Am nächsten Tage berichteten die Zeitungen über diese kleine Episode anlässlich der Ausstellung in Glogau, und Hermann Peschels Name war wieder einmal In aller Munde.
Hermann Peschel hatte viele Freunde und Gönner, zu denen zählten namhafte Kaufleute und Ärzte aus Glogau. Manchmal allerdings war er von eigentümlichem, geltungsbedürftigen Wesen erfüllt, und wenn er glaubte, von irgend jemandem nicht recht gewürdigt zu werden, dann machte er seiner Verärgerung darüber in scharfen und heftigen Worten Luft. Nur wer ihn und seine große Begabung kannte, hielt ihm trotzdem die Treue und zog sich nicht von ihm zurück. Im Jahre 1936 starb Hermann Peschels Frau. Er überlebte sie um sieben Jahre und fristete sein Leben, indem er immer wieder Uhren reparierte, die ihm gebracht wurden. Wenn er eine Uhr in Gang bringen konnte, dann war er in seinem Element und fühlte sich glücklich. Seine Kunstfertigkeit brachte Ihm auch immer hinreichenden Verdienst, so dass er niemals Not zu leiden hatte. Am 27. November 1943 erkrankte er und starb acht Tage darauf am 3. Dezember 1943. Er war der letzte der berühmten Uhrmacher- und Orgelbauerfamilie der Peschels, die aus bäuerlichem Geschlechte kamen und bewiesen, welche ungeahnten Kräfte in der bäuerlichen Bevölkerung Schlesiens ruhten, die unserer Heimatprovinz zu Glanz und Ansehen und ihr deutsches Antlitz prägen halfen.
Robert Peschel (Offenbach am Main)
Ausschnitt aus: Buch von Ludwig Burgemeister "Der Orgelbau in Schlesien" S. 242, 2. Auflage 1973 Frankfurt/M.
Peschel, Orgelbauer und Uhrmacher aus Alt Strunz bei Schlawa. Im Febr. 1881 reparierten Peschel u. Sohn die Orgel in Q u a r i t z. In den kirchenmusikalischen Fragebögen ist für B i e l a w e , Kr. Glogau angegeben: Orgelbau 1864 von Neustädtel und 1918 von Peschel-Strunz. Wahrscheinlicher ist die Orgel im 1. Viertel des 19. Jh. von Methner/Neustädtel gebaut, 1864 von Peschel und nochmals 1918 von einem nicht genannten Orgelbauer repariert worden. (G)
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