Auf der Annoncen-Seite, die am 11. April 1897 im Niederschlesischen Anzeiger erschien, gaben sich der Glogauer Einzelhandel als auch einige Kulturveranstalter der Stadt ein Stelldichein. Wenn ich die Wirkung der über einhundert Jahre alten Aufmachung damaliger Kundenwerbung über den Glogauer Tellerrand hinaus betrachte und dabei meine Familie in Betracht ziehe, dann kommen dabei recht bemerkenswerte Erkenntnisse heraus.
Meine Mutter war damals knapp 8 Jahre alt und lebte im Hause ihrer Eltern zusammen mit ihren 4 Geschwistern in Rostersdorf, einem Reihendorf etwa 22 Kilometer von Glogau entfernt. Ihr täglicher Schulweg und sonntäglicher Weg zur Kirche nach Rietschütz betrug hin und zurück 8 Kilometer. Die räumliche Distanz zur 22 Kilometer entfernten Kreisstadt Glogau war also zu dieser Zeit nur mühsam zu überwinden. Jeder Gedanke daran war nahezu überflüssig. Einkaufen in der Stadt war eine Unternehmung, die zur Tagesreise wurde. Das Angebot der Glogauer Geschäftswelt erreichte somit eigentlich nur ein kleineres Einzugsgebiet, es sei denn, man nahm die Unwägbarkeiten solcher Einkaufsexpedition in Kauf.
Für eine Fahrt ins Einkaufsparadies Glogau blieb also allein die eigene Pferdekutsche, so man eine besaß - vielleicht auch nur bis zum Bahnhof Gramschütz und von dort mit dem Bummelzug in die Kreisstadt.
Das Automobil fuhr zwar schon auf den Straßen der großen weiten Welt, jedoch waren diese Benzinkutschen noch kritisch und ängstlich beäugte Vehikel, deren Benutzung enthusiastischen Sportsgeist erforderte. Nichts für bäuerliche Landleute.
Auch das Veloziped war am Ende des 19. Jahrhunderts noch eine Kuriosität, dem ganze Kinderscharen belustigt hinterherliefen, und keinesfalls geeignet für eine Fahrt von 22 Kilometern. Erst in den sogenannten "Goldenen Zwanzigern" hat sich das geändert, als Dunlop den Luftreifen und Sachs den Freilauf erfunden hatte. Damit wurde zum ersten Mal daraus ein richtiges Fahrrad.
Bedeutende Ereignisse am Rande des Geschehens, besser gesagt der vorliegenden Annoncenseite, waren etwa der Bau des Eiffelturms anlässlich der Pariser Weltausstellung mit einer Höhe von 300 Metern durch Gustave Eiffel und die Erfindung der laufenden Bilder, also des Films. Max Skladanowski führte diese epochemachende Erfindung 1895 im Berliner Wintergarten vor. Ohne Ton versteht sich, denn das kam erst später auf die Leinwand von Schauburg und Primus-Palast. Diese beiden Amüsiertempel gab es übrigens zu dieser Zeit noch nicht.
Erst das 20. Jahrhundert brachte mit der Industrialisierung die großen Veränderungen in das Leben der Menschheit.
Uns, die wir bereits die ersten Schritte in das 21. Jahrhundert gegangen sind, blieb es vorbehalten zu erleben und zu erleiden , was Wissenschaft, Forschung und Technik in immer neuen Erfolgswellen auf die Märkte brachten. Und wenn wir heute mit den Erzeugnissen der Elektronik umgehen, wie unsere Großeltern etwa mit einem Telegraphenapparat , dann ist dieser Sprung kaum zu bemessen. Bereits unsere Enkelkinder sind per SMS auf dem eigenen Handy - spätestens ab Einschulung - mit der Welt verbunden!
So hat die Annonce von David Scheier, Alois Hoffmann oder Franz Ceglarski, von Valentin Kronheim oder dem Schützenhaus dieses liebenswürdige Flair, die Beschaulichkeit einer Zeit, die uns in der Hektik der letzten Jahrzehnte verloren ging.
|