Als die Evakuierung Glogaus begann, musste ich mich abermals von meiner Familie trennen. Meine Frau und die Kinder fanden zunächst in Sprottau, Neustr. 11, bei meinen Eltern Unterkunft. Ich hatte auch das Glück, sie hin und wieder von Glogau aus besuchen zu können.
Als ich am 9. Februar Sprottau verließ, begann für mich eine schwere Zeit, die ich nie vergessen werde. Meine Frau und Tochter waren noch mit auf dem Bahnhof, um noch einmal den Versuch zu machen, mit nach Glogau zu fahren. Leider wurden Frauen und Kinder nicht mehr mitgenommen. Meine Frau wollte am selben Tag noch einmal versuchen, mit einem Auto nach Glogau zu kommen. Es muss wohl nichts daraus geworden sein, und so wurden wir getrennt, ohne Abschied genommen zu haben. Meine Stimmung war sehr gedrückt. Auf dem Bahnhof Glogau war reger Verkehr. Ein Flüchtlingszug stand wieder abfahrtsbereit.
Zu meiner größten Freude traf ich hier meinen Sohn. Die gesamte Hitler-Jugend und noch viele andere verließen Glogau. Mein Sohn Hans beauftratge ich, in Sprottau auszusteigen. Ob er es versucht hat, weiß ich nicht, denn ich war von diesem Tag an von jeder Nachricht abgeschnitten. (Hans hat es nicht versucht; lebt heute in Kiekebusch.)
Habe also keine Post mehr bekommen und war mit vielen anderen dem Schicksal in Glogau überlassen. Ein Glück, dass ich noch am selben Abend meinen Schwager Georg traf. Bei mehreren Flaschen Wein, die ich organisiert hatte, beschlossen wir die Flucht aus Glogau.
Leider wurde nichts daraus, denn der zu viel getrunkene Wein, womit ich meinen Kummer betäuben wollte, trug dazu bei, dass ich zu Hause eingeschlafen bin.
Als ich am nächsten Tag erwachte, hörte man bereits das Donnern der Geschütze in der Ferne, und einzelne Einschläge erreichten bereits die Innenstadt Glogaus.
Im Laufe des Nachmittags erschienen die ersten russischen Flieger und warfen Bomben in der Nähe des Bahnhofes und am Flemmingteich ab. Ich war gerade in der Nähe der Firma Bauch und habe im großen Toreingang Deckung genommen, wo ich den Angriff der Flieger beobachten konnte. Eine Fliegerabwehr konnte ich nicht feststellen.
Am 11. Februar habe ich mich mit vielen anderen im katholischen Konvikt in der Promenade melden müssen. Aus meiner Wohnung habe ich alles in den Keller geschafft, was irgend ging, packte meine notwendigsten Sachen und machte mich auf den Marsch zum Konvikt.
Als ich auf dem Promenadenweg zwischen Ebertdenkmal und Goethepavillon war, erfolgte ein Einschlag auf der Wiese am Pavillon, direkt in einen Munitionsstapel. Hier lag ich das erste Mal platt am Boden, bis die Gefahr vorüber war. Die Brocken flogen ganz anständig in der Gegend herum. Aber Glück muss man haben, und es hat mich auch nie verlassen.
Vom Konvikt aus gingen die ersten Volksstürmer am Stadion in Stellung. Am Nachmittag wurden bereits die ersten Verwundeten gebracht. Die russische Artillerie legte nun noch ein lebhaftes Artilleriefeuer in die Promenade und die umliegenden Straßen. Unser Sammelquartier blieb verschont. Gegen Mitternacht kam der Befehl; alles raus nach der Herrndorfer Straße. Von hier aus sollte mit bereitgestellten Autos ein Durchstoß durch eine noch offene Lücke in Richtung Beuthen erfolgen. Ich saß bald frohen Herzens im Auto und wartete auf die Abfahrt.
Plötzlich tauchte der Kreisleiter auf und befahl: "Alles aussteigen! Es bleibt alles hier!"
Der zweite Versuch, Glogau zu verlassen, war missglückt. War es nun Bestimmung oder Schicksal? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ging ich nun die Herrndorfer Straße entlang, um noch einmal selbstständig den Marsch in die Freiheit anzutreten, wurde aber bald zurückgewiesen und landete, ob gewollt oder ungewollt, in der Hindenburgkaserne. Habe mich bei einer Baupionierkompanie gemeldet und beteiligte mich als Gruppenführer beim Kampf um die Verteidigung Glogaus.
Es war der 12. Februar. Der Ring um Glogau war geschlossen. Ein Zurück gab es nicht mehr. Ich habe nun sieben Wochen lang den Untergang der einst so schönen Stadt miterlebt. Gegen Mittag ging die Kompanie auf der linken Seite der Lindenruher Straße, beim Grundstück des Zahnarztes Fust, bzw. in der Nähe meines Schrebergartens, in Stellung.
Der Russe hatte sich bereits auf dem evangelischen Friedhof festgesetzt. Ein kurzes Feuergefecht setzte ein, was aber bald von der russischen Seite aus nachließ.
Wahrscheinlich hatte er nur mit schwachen Kräften einen Vorstoß versucht. Die Kompanie bekam bald den Rückzugsbefehl.
Nach kurzer Ruhepause wurden wir abermals alarmiert. Es war schon dunkel, aber klares und trockenes Wetter, auch nicht zu kalt. Wir wurden vor dem Lazarett an der Brostauer Straße eingesetzt. Die Russen müssen wohl unser Unternehmen gemerkt haben, denn es setzte ein kräftiges Feuer aus Richtung Paulinenhof ein, durch welches wir gezwungen waren, einzeln, sprungweise in Stellung zu gehen. Es glückte ohne Verluste. Ich selbst lag mit meiner Gruppe am linken Flügel in Richtung Rauschwitzer Straße. Rechts an uns angelehnt aktive Pioniere, die sich bis an die Brostauer Straße heranzogen. Wenn auch das Wetter von oben trocken war, so standen wir im Graben in einem schlammigen Lehmdreck.
Die Nacht verlief sehr ruhig. Aber das Stehen in dem lehmigen und nassen Graben hat manchem Lanzer das Leben sauer gemacht. Da hat uns ein Schluck Schnaps wohl getan, den wir kurz vor dem Ausrücken in Empfang nehmen durften.
Bei Tagesanbruch war es noch verhältnismäßig ruhig, wenn auch einzelne Granaten die Siedlungshäuser beschädigten.
Solange ich dort in Stellung lag, war das Haus der Schwägerin Grete noch unversehrt. Am Paulinenhof beobachteten wir lebhaften Betrieb der Russen, was auf irgend ein Unternehmen hindeutete. Tatsächlich erfolgte bald ein schwerer Feuerüberfall mit Granatwerfern auf unsere Stellung. Gott sei Dank sind keine Verluste eingetreten, denn die Einschläge waren immer vor und hinter dem Graben. Wir lagen ganz stur an der Grabenwand und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Denn das war uns gewiss, ein russischer Angriff würde erfolgen. So lange wir unter Granatwerferfeuer lagen, war nichts zu befürchten.
Plötzlich verstummte das Feuer, und nun aufgerichtet und den Blick nach vorn! Tatsächlich kam der Russe! Unsere MG's lichteten die Reihen der Angreifer zusehends. Aber trotzdem kam der Angriff langsam vorwärts. Unsererseits waren zu wenig MG's vorhanden. Trotzdem auch unser Gewehrfeuer einsetzte, schob sich der Russe immer weiter nach vorn, besonders am linken Flügel, wo ich mit meiner Gruppe lag. Zu allem Unglück hatte mein MG noch Ladehemmung, die nicht beseitigt werden konnte. Der Russe schob immer näher. Meine Durchsagen nach rechts MG-Ausfall, Handgranaten nach links blieben erfolglos. Als ich selbst nach rechts lief, um Hilfe zu holen, und gerade auf dem Rückweg war, kamen mir schon meine Kameraden entgegen und riefen: "Der Russe kommt in den Graben!" Mir blieb nichts anderes übrig, als mit zu türmen. Es waren meist alles alte Familienväter. Wir haben uns hinter die Siedlungshäuser zurückgezogen. Nun erfolgte ein Gegenangriff vom rechten Flügel aus, den ich gut beobachten konnte und der auch Erfolg hatte. Ich habe auch weiterhin gesehen, wie zehn bis dreizehn Mann zu den Russen überliefen und gut durchgekommen sind. Sie wurden von unseren Kameraden beschossen, aber sie sind doch durchgekommen. Der Gegenangriff hatte Erfolg, der Russe wurde wieder zurück gejagt. Auf unserem linken Flügel sind die Russen bis zum Lazarett vorgedrungen - mit großen Verlusten.
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