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Januar 1945: Das Weihnachtsfest war vorüber, seine Tage bescherten uns empfindliche Kälte und eine dichte Schneedecke. Eine seltsame Atmosphäre beherrschte die bisher so friedliche Stadt, ein Hasten und Treiben, das nichts mehr zu tun hatte mit der gewohnten Unbesorgtheit der Einwohner. Vom Dom her über die Hindenburgbrücke kamen die ersten Trecks, lange Wagenkolonnen aus dem Warthegau, hochbepackt mit Möbeln und Hausrat, jedem Gefährt folgten eine oder mehrere Kühe. Die Bauern, in Pelzmäntel gehüllt, trieben ihre ermüdeten Pferde. Hier und da gab es einen Achsenbruch, der Wagen musste ausscheren, denn unaufhörlich drängten die nachfolgenden Fuhrwerke. Stumm und voll Mitleid standen die Einwohner an den Straßen, sie ahnten noch nicht, wie bald sie den Dahinziehenden nachfolgen würden. Noch war Glogau von Fliegerangriffen verschont geblieben, ein einzelnes russisches Flugzeug überflog Ende Januar die Stadt und warf eine Bombe ab, die der Brücke gelten sollte, aber das Nebengebäude des Hotels Nord in der Großen Oderstraße traf und die Vorderfront zertrümmerte.
Durch die Lautsprecher versuchte zwar die Parteileitung die Bevölkerung zu beruhigen, aber die immer zahlreicher in der Stadt eintreffenden Truppenteile, die eiligst an die Front geworfen wurden, die Alarmierung des Volkssturms und dessen Übungen in den militärischen Anlagen am Gurkauer Berg brachten schließlich doch eine Unruhe in die Einwohnerschaft. Die Technische Nothilfe wurde mit allen Notwendigkeiten des Einsatzes vertraut gemacht. Auf dem Bahnhof kamen überfüllte Lazarettzüge durch, die ersten Flüchtlingszüge wurden zusammengestellt und gingen ab. Noch waren ihr Ziel die Nachbarstädte Sprottau und Sagan, man glaubte doch immer noch, dass der russische Vormarsch gestoppt werden könne. Ende Januar aber hörte der Zugverkehr nach östlicher Richtung auf.
Februar 1945: Aus Breslau kam die Nachricht, dass die russischen Truppen die Oder erreicht hatten und die ersten Kämpfe stattfanden. Nur wenige deutsche Militärabteilungen zogen durch Glogau in Frontrichtung, desto mehr kamen Einheiten aus dem Kampfgebiet. Eine starke Propaganda-Kompanie mit viel Fahrzeugen belegte das Gebäude der "Nordschlesischen" (Strahlsche Weinstuben); die Rotation musste auf Hochtouren laufen und Massen von Flugblättern liefern, die die Truppen zum weiteren Kampf anfeuern sollten (!I.).
Als aber das Geschützfeuer näher rückte, zog die Truppe ab, die Nazi-Zeitung erschien unter Zensur weiter. In den ersten Februartagen schlugen die ersten russischen Granaten in der Stadt ein; die Verteidigungswerke waren von einer zahlenmäßig kleinen aktiven Wehrmacht besetzt, das Hauptkontingent musste der Volkssturm stellen, den nur geringe artilleristische Kräfte unterstützen konnten. Vom Gurkauer Berg aus begann nun der Russe die Einschließung und Eroberung der "Festung" Glogau, rege Fliegertätigkeit begann, die Stadt wurde mit Spreng- und Brandbomben belegt, und die ersten Häuser, vor allem in der Innenstadt, gingen in Flammen auf, die Zurückgebliebene im Verein mit der T. N. zu bekämpfen versuchten. Die Zeitung hatte ihr Erscheinen eingestellt, dafür wurde ein kleines Blättchen mit dem Titel "Glogauer Festungsbote" hergestellt, das neben dem täglichen, durch Funk übermittelten Heeresbericht, Anordnungen der Kommandantur, der Partei, der NSV, die die Lebensmittelverteilung organisierte, enthielt. In täglich zunehmendem Maße kamen Verwundete in die Stadt, sämtliche geeigneten Kellerräume wurden durch das Rote Kreuz für Lazarettzwecke hergerichtet. Unermüdlich war unser Chefarzt Dr. Herfarth mit seinen ärztlichen Kollegen tätig. Immer neue Unterkünfte für die Verwundeten mussten besorgt werden, so die Kellerräume der Desdner Bank, des Hotels Deutsches Haus, im Haus Spielhagen, der Fleischerei Bischof am Markt, des Rathauses usw.
Artilleriefeuer, Stalinorgeln, Bomben schwerster Art legten Straßenzug und Stadtviertel eins nach dem anderen in Schutt und Asche, ein Hauptziel des Feindes waren gerade die Gebäude mit Kommandostellen.
Vereinzelt kamen durch Lücken der Einschließung kleine deutsche Truppenteile in die Stadt, man sah ihnen die Strapazen an, aber auch die Erschütterung über den beginnenden Zusammenbruch.
März 1945: Der Einschließungsring war nun geschlossen. Besonders hart tobte der Kampf im Zarkauer Gelände um den Besitz der Kasernengebäude. Nahm es der Russe in Besitz, so trieb ihn der tapfere Volkssturm wieder hinaus, bis die weitere Verteidigung an den hohen Verlusten scheiterte. In der Vorstadt rückten die russischen Panzer an, ihr Kettengerassel war in der Stadt deutlich zu hören. In den Straßen wurden Barrikaden errichtet, in der Preußischen Straße folgte eine der andern. Sogar die Rollen Rotationspapier der Zeitung mussten dazu dienen. Brach die Nacht herein, dann kamen Versorgungsflugzeuge und warfen Waffen, Munition, Verbandmaterial im feindlichen Artilleriebeschuss ab. Die Verpflegung der Eingeschlossenen erfolgte reibungslos. Jeder holte seine tägliche Menge, die gut ausreichte. Nachts sammelten die Lazarette mit Fahrzeugen die konservierten Lebensmittel.
Vorschläge, die doch nicht zu haltende Stadt zu übergeben, wies der Kommandant ab, er hielt sich an den Befehl, Glogau bis zum Äußersten zu halten. Es wurde ein letzter Versuch des Durchbruchs unternommen, er schlug fehl, kaum einer kam zurück. Hoffnung auf Ersatz gab es nicht mehr, die Verwundeten waren kaum noch unterzubringen, und ernste Vorstellungen brachten den Kommandanten nun dazu, am 1. April, dem ersten Osterfeiertag, zu übergeben.
1. April 1945: Am Vorabend wurden die Front und die restliche Einwohnerschaft - es waren noch gegen 600 Menschen - davon unterrichtet, dass am Morgen des 1. April um 4 Uhr die Stadt dem Russen übergeben würde. Überall, wo sich noch Menschen befanden, sollten weiße Tücher ausgelegt werden. Alle Waffen, die sich noch in Unterkünften befanden, wurden sorgfältig versteckt.
Stadtbaurat Griesinger und ein Begleiter führten den Auftrag der Übergabe aus, und bald rollten die ersten russischen Panzer in die Stadt, gefolgt von johlendem Militär. Infolge der Hindernisse gab es überall Verstopfungen; wo die weißen Tücher hingen, drang man mit schussbereiter Waffe ein und die Plünderungen, Vergewaltigungen der Frauen, das Hinauswerfen von Menschen und Sachen begann.
Einzelne Trupps von Frauen und Männern wurden in die Pestalozzischule transportiert, alles, was der Einzelne besaß, wurde ihm abgenommen. Die ganz Alten schickte man wieder in die Stadt zurück, die Frauen wurden getrennt woanders hingebracht. In der folgenden Nacht wurde registriert, und am Morgen des zweiten Ostertages ging der Transport an Männern ab mit dem Ziel Grünberg. Sonst läuteten an diesem Tage die Auferstehungsglocken - noch einmal blickte ich auf die Trümmer der Heimatstadt, sie war tot.
Buchdruckmeister Carl Schätzel,
Oldenburg in Holstein
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