Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2005

Grundstein der Träume

Der Hochaltar der Stadtpfarrkirche
Einige Fälle
. . . so nennt die Glogauer Malerin MALGORZATA MACKOWIAK eines ihrer Gemälde. Treffender kann man kaum sagen, was polnische und deutsche Schlesier auch heute oft zusammenführt. Die einen träumen von "damals", die anderen von der Zukunft in diesem schönen Schlesien.

Die Bezeichnungen ihrer Gemälde hatten mich zu Malgorzata Mackowiak geführt. "Labyrinth der Einsamkeit", "Nicht hier, woanders", "Ich überreiche euch Chaos", "Haus der Geheimnisse", "Buchstabe A", "Da ist die Nacht" - solche Bezeichnungen lässt kein Schriftsteller unbeachtet.

Im Hotel Qubus hatten wir uns verabredet. Wir fuhren in ihrem Auto nach Schlawa am Schlesiersee, tranken dort auf der am See gelegenen Terrasse des Hotelrestaurants "Kleine Sonne" Kaffee, sprachen nur wenige Worte und träumten vor uns hin, jeder versunken in seine Gedanken, jeder stumm sprechend über das, was dieser See für ihn bedeutet. Für mich Kindheitserinnerungen an glückliche, unbeschwerte Badetage in Schlawa und in Laubegast, für sie Gedanken an Gemälde, die an den Ufern des Schlesiersees entstanden.

In ihrem Atelier in Zerbau (Serby) konnte ich sie bewundern. In einem richtigen "Märchenhaus" hat die Malerin ihre Arbeitsstätte; ein kleines Haus in einem Garten, in dem wild die Blumen blühen. Sie sagte: "Während ich male, spreche ich mit meinen Bildern, dabei entstehen sie; dabei entwickeln sich die Formen und es kommt zur Auswahl der Farben." Das, was sich mit Worten nicht sagen lässt, versucht sie in mit Bedeutung gefüllten Bildern auszudrücken - dabei erwartet sie keine eindeutigen Antworten, denn "das alles ist ja nur eine Suche nach der Wahrheit und ein Ausdruck meines Bedürfnisses, die Welt wahrzunehmen."

Mehrdeutigkeit findet sie spannend. Durch Mehrdeutigkeit wird vieles möglich, was bei Eindeutigkeit unmöglich wäre - und so kann sie Verrücktes, Unerwartetes, Zufälliges, Geordnetes und Chaotisches in einem Gemälde vereinen.

"Unvollkommen ist so vieles in unserem Leben - die Vergangenheit, die Gegenwart... und so sind meine Bilder für mich auch unvollkommene Erinnerungen. Kunst überhaupt", sagt sie, ,,ist Ausdruck unwahrnehmbarer Wirklichkeiten oder, mit anderen Worten, Malerei gibt es, damit Dinge sichtbar werden, die Worte nicht erklären können."

Alles Geschaffene hat seine Zeit. Es verwandelt sich, aber es gibt auch immer wieder einen Anfang. Der Buchstabe A hat für diese Glogauer Künstlerin eine fundamentale Bedeutung. "A ist der erste Laut, den Neugeborene ausstoßen, A stammt vom griechischen 'Arche' und heißt Anfang."

So hat Malgorzata Mackowiak den Buchstaben A ganz bewusst in zahlreiche ihrer Bilder eingemalt, denn ein Bild malen heißt ja jedes Mal auch, mit etwas Neuem anfangen.

Gespräche mit Künstlern sind immer interessant. Sie vermitteln Eindrücke davon, auf welch vielfältige Art wir die Welt sehen können. Aber diese Begegnung hatte für mich noch eine zusätzliche

Bedeutung: Da trifft die am 4. Mai 1964 in Glogow/Polen geborene Malerin Malgorzata Mackowiak den vor dem Krieg in Glogau/Deutschland geborenen Schriftsteller Hans Werner Gille, und es gibt keinerlei Verständigungsschwierigkeiten. Keine nationalen, politischen oder anderen "Mauern" stehen zwischen uns.

Künstler - können sie Steine aus dem Weg räumen, Fallgruben zuschütten, Unerträgliches erträglich machen? Verstehen sie, wo andere nicht verstehen? Was für ein Erlebnis: Da treffen sich zwei Glogauer mit einer unterschiedlichen Nationalität, Sprache und einer völlig anderen persönlichen Geschichte in Glogau. Sie sprechen englisch miteinander, weil keiner der beiden die Sprache des anderen spricht, obgleich sie doch beide in Glogau geboren wurden. Sie sprechen über ihre Arbeit, und es gibt keinen Hauch von Missverständnissen, Vorbehalten oder Ressentiments. Und so ist es plötzlich da - ohne dass ein Wort darüber gesagt wird - das Verständnis für den anderen.

Hans Werner Gille

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