Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2004Staatsdiener, Chronist und HeimatdichterLeben und Wirken von Eugen Niedergesäßaus Polkwitz (1873 - 1952) |
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Oltmanns Strandhof in Das Polkwitzer Heimatlied |
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Eugen Niedergesäß,
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Von Horst G.W. Gleiss
(Rosenheim/Obb.) Nein, persönlich habe ich ihn nicht mehr kennengelernt, obwohl ich am Breslauer Benderplatz nur drei Häuser von seiner "Residenz", dem sog. "Odertorschlösschen", wo das Standesamt Breslau III war, aufgewachsen bin. Und ich würde über diesen stillen, unauffälligen und korrekten Beamten und sein Schaffen auch nichts zu schreiben wissen, wenn ich nicht vor über 20 Jahren brieflichen Kontakt zu seiner Großnichte Anneliese Barre, geb. Neiweiser (Bielefeld) und zu seinem Großneffen Georg Friedrich Neiweiser (Hannover) bekommen hätte. Seit dieser Zeit bin ich im Besitz der Kopien von 12 heimatgeschichtlich und genealogisch wertvollen Dokumenten, die aus der Feder des Standesbeamten Eugen Niedergesäß stammen und sich vor allem auf Polkwitz, das spätere Heerwegen, beziehen. Einen Teil dieser Schriftstücke habe ich bereits im Jahre 1983 in einer schlesischen Wochenzeitung inhaltlich besprochen und auszugsweise wiedergegeben. Gegenstand des vorliegenden Beitrages ist es, ein Lebensbild des Chronisten zu entwerfen und auf die von ihm nachgelassenen historischen Quellen hinzuweisen. Eugen Niedergesäß wurde am 13.April 1873 als Sohn des Pfefferküchlers (Friedrich) Adolf Niedergesäß und dessen Ehefrau Johanne Marie Amalie, geb. Vetter, in Polkwitz (Kr. Glogau) geboren. Eugen war der jüngste Sohn von 10 Geschwistern (6 Buben und 4 Mädchen), von denen jedoch drei schon im Säuglingsalter starben. Sein Vater starb bereits, als Eugen zwei Jahre alt war, am 3.Januar 1875 an einer Lungenentzündung, seine Mutter fünf Jahre später, am 2.September 1880 an Wassersucht als Folge eines Herz- und Nierenleidens. Die drei noch nicht volljährigen Kinder (Emma, Reinhold und Eugen) erhielten als Vormund den Kantor Schmidt in Polkwitz. Ansonsten kümmerte sich Onkel (Johann) Hermann Niedergesäß (Frankenstein), am 1.3.1827 geboren, um die drei Vollwaisen. Michaelis 1878, also schon mit fünf Jahren, begann für Eugen die Zeit in der Polkwitzer Volksschule, die damals drei Knaben- und drei Mädchenklassen hatte. In jener Zeit nahm, wie er in seinem Bericht "Unser Vaterhaus" schreibt, Onkel Hermann "uns Jungen oft mit, auch auf größere Wanderungen, z.B. durch den Obischer Wald nach Gramschütz und zurück über Hochkirch, oder nach Lübenwalde durch die Wälder. So wurde in uns die Liebe zum Wandern erweckt." Eugen und Bruder Reinhold lernten auf Wunsch von Onkel Hermann vom 10.Lebensjahr an zusätzlich bei Hauptlehrer Kionka Latein und bei dessen Ehefrau, einer früheren Lehrerin, auch Französisch. Zu diesem Zweck hatten beide täglich an allen Wochentagen nach der Schule noch zwei Stunden Privatunterricht in der Wohnung der Familie Kionka. Dadurch hatten sie jeden Mittwoch und Samstag sechs, an den anderen vier Tagen der Woche sogar acht Stunden Schule und Privatunterricht. "Das war eine ziemlich starke Belastung für uns", meint der Chronist auf der letzten Seite seiner 19 Seiten umfassenden Maschinenschrift, "zumal wir abends oft noch Schularbeiten machen mussten." "Ein Kuriosum aus der Polkwitzer Schulzeit" so heißt es weiter, "möchte ich hier einschalten. Der Nachfolger von Kionka war ein etwas scharfer Lehrer, bei dem die Schüler sehr viel auswendig lernen mussten. Vielleicht in der Absicht, bei der Schulprüfung zu glänzen, kam er auf den Gedanken, die Jungen so zu dressieren, dass sie auswendig und außer der Reihe beliebige Verse aller erlernten Gesangbuchlieder auf die Fragen des Lehrers aufsagen konnten. Wenn er z.B. nach dem 5. Vers von "Befiehl du deine Wege", dem 10.Vers von "Gelobet seist du, Jesu Christ" oder dem 4. Vers von "Was Gott tut, das ist wohlgetan" fragte, sollte der Vers sofort, wie aus der Pistole geschossen, auswendig aufgesagt werden. So viel ich weiß, hat er dies Experiment bald aufgegeben" Reinhold ging Ostern 1884 auf die Ritterakademie (das spätere Gymnasium Johanneum) in Liegnitz und kam in die Quarta; Eugen folgte ihm Ostern 1887 in die Untertertia. Die Mutterrolle übernahm in all diesen Jahren Schwester Selma. Direktor der Akademie war damals Professor Dressel, genannt "Kalle". Dass die beiden Jungen nicht - was natürlich gewesen wäre - auf das nahe Glogauer Gymnasium geschickt wurden, hatte einen besonderen Grund. Ihr ältester Bruder Paul hatte 1875 in Glogau das Abitur bestanden und wollte als junger Student einem befreundeten Schüler, der in einzelnen Fächern schwach war, bei der schriftlichen Prüfung helfen. Er ging dabei so weit, den Pedell zu bestechen, dass er ihm die Themen in seine Wohnung bringe, wo sie bearbeitet und dann dem Prüfling heimlich zugesteckt werden sollten. Da die Sache schief und damals durch mehrere Zeitungen ging, hatte der Name Niedergesäß im Gymnasium Glogau keinen guten Klang mehr. Professor Karl Dressel siezte die erst l4-jährigen Knaben zwar schon, geizte aber nicht mit despektierlichen Bezeichnungen wie "Sie Ross" oder "Sie Faulpelz", wenn er meinte, dass das Schüler verdienten. Dazu knuffte und boxte er mit Hilfe eines Buches so empfindlich, dass "man sich recht klein vorkam", wie Eugen Niedergesäß versichert. Um Pfingsten 1887 erwartete Liegnitz den Besuch von Kaiser Wilhelm I. - leider vergeblich. Er sollte als Chef des Königs-Grenadier-Regiments an der Feier dessen 7o-jährigen Bestehens teilnehmen. Tags zuvor hatten die Schüler auf den Feldern ringsum schon große Sträuße von Kornblumen gepflückt... Als der Kaiser am 9.März 1888 starb, war das auch für Eugen nicht nur ein großer trauriger Verlust, sondern noch ein Extraschmerz. Bruder ReinhoId, der als der ältere die gemeinsame Kasse führte, hatte es nämlich gar nicht so eilig, zwei der obligatorischen Trauerflore zu kaufen. Wegen des Fehlens dieses Requisits wurde Eugen daraufhin von etlichen Zöglingen des Gymnasiums als "Erzdemokrat" verdächtigt und sogar verschnickt! Alle 14 Tage wanderten Reinhold und Eugen jeweils am Sonnabend nachmittags nach Mühlrädlitz zu Schwester lda und deren Familie und kamen dann immer Sonntag abends mit der Post über Vorderheide und mit der Lübener Bahn wieder zurück. An freien Nachmittagen wanderten sie z.B. zum Kunitzer oder dem Jakobsdorfer See, zu den Denkmälern der Schlacht bei Liegnitz, nach Hummeln, Dohna oder Elbradshöhe. In der Schule ließ Professor Pfudel damals noch Aufsätze in lateinischer Sprache Schreiben, und Oberlehrer Anschütz hatte die Marotte, dass man im Altgriechischen den Artikel "men", der normalerweise unübersetzt bleibt, verdeutscht, und zwar mit nichtssagenden Floskeln wie "nun, ja, eben, denn, also oder nämlich". Diese musste sich jeder Schüler - dem Sinn des Satzes entsprechend - aussuchen. - Ab Untersekunda konnten Schüler fakultativ je zwei Wochenstunden Hebräisch und/oder Englisch bekommen. Eugen meldete sich gleich für beide Fächer, merkte jedoch nach einem Jahr, dass ihm dies zu viel der Wissensbereicherung wurde. Nach dem Abitur studierte Eugen Niedergesäß an der Universität Breslau die Rechte und wurde Mitglied der "Macaria", einer schlagenden Verbindung. Aber noch vor dem Staatsexamen wechselte er in den Staatsdienst über und wurde Standesbeamter: anfangs als Mitarbeiter im Standesamt Breslau II im Websky-Schlösschen (Klosterstr.), später als Leiter des Amtes III am Benderplatz. Seine Wohnung nahm er im Erdgeschoss des Hauses Schleiermacherstr.1O. Er blieb unverheiratet, hatte aber in Breslau langjährig eine Wirtin und Betreuerin: Martha Münzberg. Im Jahre 1938 trat er altersbedingt in den Ruhestand. Als die schlesische Landeshauptstadt 1945 Festung wurde, blieb der inzwischen 72-jährige Pensionär in der Stadt in der Erwartung, dass der Spuk sehr schnell zu Ende sein würde. Er täuschte sich freilich - wie viele - gewaltig und verfasste über seine "Erinnerungen an die Belagerung" einen wertvollen Bericht (28 Seiten), der vollinhaltlich in mein Werk "Breslauer Apokalypse 1945" Eingang finden konnte. Auch über die Zeitspanne nach der Okkupation liegt aus seiner Feder eine Schilderung seiner Erlebnisse vor. Er benannte sie "Aus der Polenzeit in Breslau 1945/46". Im Juli 1946 wurde Eugen Niedergesäß aus der Metropole Schlesiens ausgewiesen und gelangte nach Königshain bei Mittweida (Kr. Rochlitz/Sachs.). Anfang 1952 traf ihn ein letzter harter Schicksalsschlag: Martha Münzberg, die ihn auch bei der Vertreibung begleitete, starb ganz überraschend am 28. Februar. Die Beerdigung auf dem kleinen Friedhof in Königshain fand bei großer Kälte statt. Dabei zog sich der schon gebrechliche Ruheständler eine schwere Lungenentzündung zu, die ihn ebenfalls aufs Sterbebett zwang. Am 7. April 1952 starb er einsam und verarmt in seiner Zwangsheimat DDR, sechs Tage vor seinem 79. Geburtstag. Seine Grabstätte erhielt er unmittelbar neben seiner einzigen Gefährtin, mit der er Bombennächte und Plünderungen durchlitten hatte. |
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Gedichtet und zum ersten Male vorgetragen und gesungen am 16.Mai 1922 in Polkwitz (Kreis Glogau) im Hotel "Zum russischen Thronfolger" bei der Hochzeit von Charlotte und Otto Moshack |
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Wenngleich er beruflich lange in Breslau tätig war, so blieb er im Herzen ein echter Polkwitzer. So dichtete er zur Melodie "O Straßburg, du wunderschöne Stadt" das Polkwitzer Heimatlied "O Polkwitz, du altes, liebes Nest". Es wurde am 16.5.1922 im Hotel "Zum russischen Thronfolger" in Polkwitz bei der Hochzeit von Charlotte und Otto Moshack erstmals vorgetragen und gesungen. Die handschriftliche Originalfassung vom Autor ist uns überliefert und ist als Faksimile beigefügt. Den Text habe ich als Abschrift erstmals am 30.9.1983 in einer schlesischen Wochenzeitung veröffentlicht. Wenn man die Einstellung von Eugen Niedergesäß zum Land seiner Väter und Vorväter kennt, dann drängen sich einem unwillkürlich zwei Zeilen aus einem Gedicht von Theodor Fontane auf die Lippen. Der Dichter schrieb sie 1851. Sie finden sich in der Ballade "ArchibaId Douglas" im vorletzten Vers und lauten: "Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du". -
Kopie der handschriftlichen Originalfassung des Autors. Original im Privatarchiv von Georg Friedrich Neiweiser (Hannover) Abgedruckt in dem Aufsatz von Horst G.W.Gleiss (1983): Das wertvolle Vermächtnis des Standesbeamten Eugen Niedergesäß in: Der Schlesier (Recklinghausen) 35.Jahrg., Nr.39 v.30.9.1983, p.4. Der Bücherei des deutschen Ostens (Herne) überreicht am 21.10.1983 von Horst G.W.Gleiss |
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