Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 10, Oktober 2004

Unsere Gramschützer Glocken

Nachtrag zum Artikel in der
November-Ausgabe 2003 unserer Heimatzeitung

Wie im oben erwähnten Beitrag schon berichtet wurde, hängt eine unserer Gramschützer Glocken im Turm der katholischen Kirche von St. Peter in Heidelberg-Kirchheim. Hierbei wurde auch zitiert, dass sich Herr Körner unserer Glocke angenommen hat. Nun hat er sich mit Herrn Professor Reinhard Düchting, einen wohl bestens der lateinischen Sprache bemächtigen Mann und Glockenspezialisten zu Rate gezogen, um die Inschriften auf dieser Glocke zu entschlüsseln. Was dabei rausgekommen ist, wurde im Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Heidelberg 2003/04 veröffentlicht. Unter anderem heißt es in diesem Bericht;

Endlich kommen wir zur drittgrößten und bei weitem schönsten Glocke unseres Geläutes, nämlich der schon genannten Glocke aus der Kirche St Martin im schlesischpolnischen Gram(b)schütz (poln. Grebocice). Sie ist voller Verzierungen (Kreuzigung, Maria, St. Martin, Wappen) und Inschriften von vollendeter handwerklicher Arbeit aus einer Zeit, als es bei Objekten nicht nur um bloße Funktion ging, sondern auch um Ausdruck einer mit tiefer Religiosität verbundenen Kunstfertigkeit . Die lnschriften (alle in sog. Kapitalis des römischen Monumentalstils mit überhöhten Buchstaben, die deutschen Partien im folgenden Abdruck nicht in Kapitalis, doch buchstabengetreu wiedergegeben; Schrägstrich signalisiert Zeilentrennung) lauten:

"Nach Christi seligmachender Geburt /1686 /
(Wappen der Herrschaften Loss und Kreckwitz)
ist avs Hiesigen Kirchen Mitteln diese Glocke in /
Breslaw gegossen Zv Grösserer Glori Gottes vnd /
Ehren des H. Bischoffs Martini. Vnter Hoch Adelich: /
er Herrschaft Herren Hans von Loss vnd Fraven /
Barbara Eleonora Gebohrnen von Kreckwitz avf /
Grambschütz

(unter Maria im Sternenkranz)
Der Zeit war Pfarrer / der wvrdige Gregorivs /
Ambrosivs Clan Sacerdos Cathol./
Ambtmann Samvel Clarner.

(unter St. Martin)
Kirchen Vätter
Hans Kintzel
Hans Francke
Caspar Ober
Sigmund Götz goss mich."

Die Gramschützer Glocke nennt das Jahr 1686, die Kirche durch ihren Patron St. Martin, die Patronatsherrschaft derer von Loss und Kreckwitz, den residierenden Priester (sacerdos) G. A. Klan und Ortsvorsteher (Amtmann) S. Klarner, die drei Ältesten (seniores, Kirchenväter) des Pfarrgemeinderates und den Breslauer Glockengießer S. Götz. Unter einer Kreuzigungsszene stehen noch diese zwei lateinischen Zeilen:

,,en Buda nunc sceptro paret epugnata Lupoldi
aere hoc pulsato fac sacra plebs pareat"

Schon die zweite eingerückte Zeile könnte darauf hinweisen, dass es sich um Verse und zwar um Silbenlängen messende Verse handelt mit daktyIischer Ordnung: Iang, kurz kurz (oder bei möglicher Auflösung der Doppelkürze: lang lang); der Rhythmus der metrischen Verse ist so zu markieren: en Buda nunc sceptro paret epugnata Lupoldi / aere hoc pulsato fac sacra plebs pareat. Die Daktylen des Hexameters der ersten Zeile bilden mit denen des Pentameters der zweiten ein komplettes und korrektes sog. elegisches Distichon; die Übersetzung der Verse lautet:

"Wohlan denn! Das eroberte Buda ist nun (wieder) unterbötig dem Szepter Leopolds /
gib (Gott), daß (auch) das fromme Volk dem Ruf dieser Glocke folgt."

Der Blick wird von der machtpolitischen Historie des Krieges, einer Schlacht und vom Jubel eines Sieges auf die Gottesdienstfrömmigkeit, doch wohl auch Botmäßigkeit und römisch-katholische Kirchentreue im österreichischen Schlesien gelenkt.

Die Partikel: en, nunc zeigen, dass die Glocke bald nach der Rückeroberung von Ofen = Buda(pest) aus der Hand der Türken durch Herzog Karl von Lothringen für den habsburgischen Kaiser Leopold I. aus Freude und Dankbarkeit gegossen wurde. Die Türken hatten Buda 1541 erobert, alle Versuche es zu entsetzen waren über 145 Jahre fehlgeschlagen; nun wird die siegreiche Schlacht des 2. September 1686 im europäischen Abendland gefeiert und alle Gedenkmedaillen erinnern Verlust 1541 und Rückeroberung 1686. Die Zeilen der Glocke haben diese Jahreszahl sogar ,,in sich", handelt es sich doch um ein sog. Chronostichon, wonach die möglichen Zahlenwerte der römischen Buchstaben in summa das verlangte Datum ergeben - und tatsächlich sind die Zeilen in dieser Form also mit Überhöhung der zahlenwertigen Buchstaben gegossen und also zu lesen:

EN BVDA NVNC SCEPTRO PARET EPVGNATA LUPOLDI:

AERE HOC PVLSATO FAC SACRA PLEBS PAREAT.

ENBCDA ohne Worttrennung, AE-Ligatur in: aere; I = 1, V = 5 , X = 10, L = 50, C = 100, D = 500, M = 1000; X und M kommen hier nicht vor. Im Einzelnen summieren sich. 1 x I = 1, 5 x V = 25, 4 x L = 200, 5 x C = 500, 2 x D = 1000 nicht, wie erwartet, zu 1686 sondern zu 1726; das ist enttäuschend und mehr als merkwürdig. 1686 erhält Gramschütz nach der (prosaischen) Stiftungsinschrift diese Glocke, ebendies Jahr der Rückeroberung von Buda sollten auch die Zahlenbuchstaben ergeben. Der metrische Bau der Verse ist korrekt, zudem sehr kondensiert (mit den Namen Buda und Lupold, aes = Erz für Glocke, wiederholte Formen von: pareo), der Guss ist aus einem Guss und weist keine Korrekturen auf. Eine fehlerhafte Übertragung der geschriebenen Versvorlage durch den Breslauer Glockengießer Götz ist natürlich möglich, eine textliche Verbesserung aber kaum auszudenken; allein eine Vermutung sei ausgesprochen: die klassischere Form eXpugnata (statt der ungewöhnlichen: epugn-) würde die Jahreszahl um 10 auf 1736 erhöhen, dann müsste freilich ein L (aus Lupoldi) nicht zählen dürfen, um rninus 50 auf 1686 zu kommen - doch solche Spekulation ist gegen jedes Prinzip der Ars chronogrammatica.

Jedenfalls gelten die Verse der Votiv-Glocke von Gramschütz dem Jahre 1686 anlässlich der Rückeroberung von Buda; eine Vorauserinnerung im Jahr des Glockengusses auf 40 Jahre später ist ebenso unsinnig wie ein anzunehmender Nachtrag: 1726 spielt kaIendarisch keine Rolle mehr im Türkenkrieg, und Kaiser Leopold I. war schon 1705 gestorben. Wie erklärt sich dieser Sprung, diese chronogrammatische Dissonanz im sonst stimmigen Glockenspiel? / Philipp Körner, Reinhard Düchting.

Diesen beiden Herren haben wir Gramschützer es zu verdanken, dass wir nach fast 60-jähriger Vertreibung aus unserer Heimat soviel über die Geschichte eines unserer heimischen Glocken erfahren konnten. Wer hätte das gedacht, dass wir sie mit Budapest und den Türkenkriegen in Verbindung bringen könnten? Ob man das alles zuhause wusste und in der Chronik der katholische Kirche festgehalten hatte? Ich glaube kaum. Oder wer weiß es?

HW

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