Angeregt durch die Nachricht, spielende Kinder haben in der Ruine der Kath. Stadtpfarrkirche St. Nikolaus den Kirchenschatz gefunden, entstand das Bild des Hochaltars. Die Meldung über den einmaligen Vorfall war so überraschend , wie kaum eine andere je zuvor. Hier an diesem Ort, dem prunkvollen Barockaltar, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts in das nach Osten weisende Presbyterium der dreischiffigen gotischen Hallenkirche eingefügt wurde, haben all die genannten Devotinalien, von denen darin die Rede war, während der kirchlichen Feiern über Jahrhunderte ihren Dienst getan.
Die Nachricht, die von Herrn Darmach übermittelt wurde, war eine Sensation. Seiner Darstellung folgend musste man annehmen, der Fund sei erst vor wenigen Wochen entdeckt worden. Wie sich einige Zeit später herausstellte, entbehrte sie jeglicher Realität und führte zu größeren Irritationen.
Nach neuestem Stand der Ermittlungen wissen wir, das die Auffindung der goldenen und silbernen Schätze bereits 1946 erfolgte. Nachzulesen im NGA 8/04, Seite 9, Protokoll. Darin ist auch festgehalten, dass es nicht nur einige wenige Dinge waren, sondern 36, meist sehr wertvolle Antiken.
Damit kann vergessen werden was beabsichtigt war, nämlich die Bitte auszusprechen, den Kirchenschatz an ein Museum in Deutschland zu übergeben. Von verschiedener Seite wurden dazu ohnehin die Bedenken geäußert, dass damit schwierige Rechtsfragen berührt würden.
Ich war jedoch immer der Auffassung, dass man im Rahmen einer humanitären Aktion, auch von polnischer Seite, einmal grundsätzliche Fragen des Rechts (Kriegsrechts) beiseite lassen könnte.
Nicht zuletzt hat der Glogauer Heimatbund anlässlich einiger Ereignisse im polnischen Glogau Hilfe von erheblicher Größe geleistet. Materielle Hilfe, versteht sich. Die zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Dom zu Glogau erneuerten farbigen Bleiglasfenster seien in diesem Zusammenhang erwähnt.
Eine weitere Diskussion hat sich also erübrigt. Die gotische und die goldene Monstranz samt allem Beiwerk kirchlichen Glanzes aus unserer Zeit bleiben uns weiterhin verborgen.
Nur in unseren Gedanken leben sie weiter, wie so vieles aus der alten Heimat. Für mich sind einige der erwähnten Dinge noch einmal sehr deutlich geworden. Als Kind und Jugendlicher war in meiner Familie der sonntägliche Kirchgang in eben diese Stadtpfarrkirche etwas Selbstverständliches. Erst als ich Soldat werden musste, nahm ich auch Abschied von diesem sonntäglichen Frieden.
In so mancher Stunde der Verzweiflung während meiner neunjährigen Odyssee durch russische Sümpfe, karge Steppen oder im Gulag nach der Befreiung hatte ich das Bild dieses Hochaltars vor Augen. Wenn sich auch die Details verschoben und teilweise kaum zu einem Gesamtbild fanden, blieb der Altar deutlich wie kaum ein anderes Stück Glogau.
Über viele Jahre stand ich in seiner Nähe, dort unten wo links und rechts die Sitzbänke der Kirchenvorstände von zwei Seiten die Pfeiler umschließen. In der Bank rechts an der Frontseite saß stets der Herr Lehrer Stolpe, erinnere ich mich. So habe in angesichts der barocken Pracht den Gottesdienst erlebt und mir auch oft Gedanken darüber gemacht, welches Motiv auf dem neun Meter hohen Altarbild zu sehen ist. Ich sah nur, dass es in sehr dunklen Farbtönen auf die riesige Leinwand gemalt war. Die wenigen sichtbaren Konturen stellten eine imaginäre Szene dar, die mir lange Zeit verborgen blieb. Heute weiß ich, dass die Verkündung Mariä dem Bild zugrunde lag. Der königliche Hofmaler van Loo aus Paris hat es geschaffen. Es war, wie es auch in anderen Bildbeschreibungen heißt, in sehr dunklen Farben gehalten.
Als ich das Gemälde auf meiner Zeichnung nachempfinden musste, weil die Postkarte, die mir als Vorlage zur Verfügung stand, außer einigen dunklen Flecken nichts hergab, halfen mir der Titel des Altargemäldes und meine eigene Fantasie. Ich bitte daher vorsorglich alle Kunstexperten um Vergebung.
Gekrönt wurde das Altarbild (9 x 5 Meter) von einem figurenreichen GewölK (Glorie). In der Mitte Gott Vater, begleitet von Engeln, trägt überreich die Züge des Barock, besonders im oberen Teil des Abschlussbogens.
Zwei Bleiverglasungen mit den Bildnissen der Apostelfürsten Peter und Paulus gaben ihr schwaches Licht zwischen den Säulen hindurch in den Altarbereich. Die diffuse Beleuchtung des Kirchenraumes war beabsichtigt. Es sollte statt einer lichtdurchfluteten Architektur zu tieferer und innigerer Andacht führen.
Am Fuße der vier Säulen standen zu beiden Seiten jeweils zwei überlebensgroße Figuren von etwa 3 Meter Höhe. Auf der linken Seite der Namenspatron des Gotteshauses, der Heilige Nikolaus, und rechts die Heilige Katharina. Sie trägt ein Schwert und ein Rad in ihren Händen. Mittelalterliche Folterwerkzeuge, die sie selbst zu spüren bekam. Auf beiden Seiten ist eine Engelsfigur zu sehen, die allesamt vom Holzbildhauer Becker aus Breslau im Jahre 1773/74 im Barockstil geschaffen wurden. Es liegt die Vermutung nahe, dass die beiden Figuren (Nikolaus und Katharina) aus den Trümmern des Altars geborgen werden konnten und nun in ähnlicher Schmuckmission am Hochaltar der einstigen Jesuitenkirche stehen.
Bei einem Besuch der Kirche in den Jahren 1991 und 96 habe ich sie vermeintlich dort gesehen. Ich habe kaum Zweifel daran, dass es die Figuren aus St. Nikolaus waren. Wer kann mir das bestätigen? Die Plastiken waren, wie damals üblich, farbig gestaltet und zum Teil vergoldet.
Der Altaraufbau war ebenfalls ein Werk Beckers, dessen Mittelteil als eine besonders kunstvolle Arbeit galt. Während der obere Teil offen war wie eine Vitrine, befand sich im unteren Bauteil der Tabernakel. In ihm wurden stets einige Hostienbehältnisse, Messbecher und die Monstranz aufbewahrt.
Nach einem Diebstahlsversuch, bei dem die gotische Silbermonstranz stark beschädigt wurde, hat die Firma Alfons Zanke einen gepanzerten, diebstahlssicheren Tabernakel eingebaut. Wenn er geöffnet war, konnte man aus der Nähe die schweren Schließbolzen erkennen, wie bei einem Panzerschrank. Interessant wäre es zu erfahren, ob bei der Enttrümmerung der Altarruine dieses Bausegment gefunden wurde. Der Altar selbst soll sich noch sehr lange in der durch Bomben zerstörten Kirchenhalle wie ein Kleinod gehalten haben.
Erwähnenswert, weil zum Altarschmuck gehörend , sind die beiden sehr großen Sanktusleuchter, aus Holz geschnitzt und teilweise vergoldet. Einer dieser wuchtigen Leuchter trug in der Osterzeit die Osterkerze. Sie stellte durch eingesetzte, fingerdicke Goldteile die Leiden Christi dar.
Am Rande dieser Altargeschichte sei noch davon berichtet, dass man bei Fliesenarbeiten im Jahre 1902 unter dem Hochaltar eine Gruft mit 71 Särgen entdeckt hat. Die Särge samt ihren Inhalten waren in gut erhaltenem Zustand.
Das Erlebnis, noch einmal zwischen den zerschundenen Mauern dieses ehrwürdigen Kirchenhauses zu stehen, wurde uns nicht mehr zuteil. Spuren unserer Vergangenheit gibt es sicher noch viele darin zu finden. Es ist nicht der Glanz der edlen Werke, der uns an den Ort dieser totalen Zerstörung zur Besinnung hinzieht. Vielmehr ist es ein Stück erlebte Heimat, die dort vergeblich auf uns wartet.
Wir brauchen dazu keine Monstranz, jedoch verehren wir sie noch heute in ihrem, uns unbekannten Exil.
Hans J. Gatzka
Quelle: Joseph Wagner Ersatzpriester
Ehem. Stadtpfarrer in Glogau
August 2004
|