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Am 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation, ließ uns die Führung des Wehrertüchtigungslagers buchstäblich auf der Straße stehen - auf einer Nebenstraße in Hohenelbe -nach der Devise: "Nun schaut mal schön, wie Ihr allein weiterkommt!" Erste Überlegungen, uns zu den Amerikanern durchzuschlagen, wurden wieder verworfen; wir wollten nach Hause. Und so machten wir uns, eine 8-köpfige Gruppe, auf den Weg: 2 Glogauer, 1 Heerwegener (Dieter Krems), 2 Breslauer, unser Ex-Ausbilder Sinnig aus Saalfeld/Thüringen und 2 Schwarztaler, Albert Hoffmann und ich.
Aus Furcht vor den Russen hielten wir es für das beste, uns soweit wie möglich in den Bergen fortzubewegen in der Annahme, dort oben vor unliebsamen Begegnungen am sichersten zu sein. Als Ziel peilten wir den Westausläufer des Hohen Iserkammes (nördliches Isergebirge) mit der "Tafelfichte" bei Bad Flinsberg an. Geländebedingt kamen wir nur mühsam voran; für die etwa 45km lange Strecke, zunächst entlang des Riesengebirges mit Durchquerung der Kl. Iser im knietiefen Wasser, benötigten wir 5 Tage inclusive unvorhergesehener Verzögerungen. Mehr als einen halben Tag verloren wir z.B. südlich von Harrachsdorf, wo wir die Straße Hirschberg-Reichenberg überqueren mussten, uns wegen vorbeiziehender russischer Einheiten aber nicht trauten. Erst bei Einbruch der Dunkelheit konnten wir eine günstige Gelegenheit nutzen. Als einzige Orientierungshilfe diente uns meine sehr detaillierte Landkarte, die mir in den letzten Tagen in Glogau zufällig in die Hände geriet; trotzdem gab es eine Überraschung, als wir in der Gegend um Polaun zu einem Eisenbahntunnel gelangten, dessen Eingang mit dem Schild ,,Isertunnel ..." uns bekannt vorkam - tatsächlich hatten wir ihn schon einmal begangen und waren hernach in Kreise gelaufen.
Zum Glück zeigte sich das Wetter im Mai 1945 von der schönsten Seite: warm und trocken, von den Eisheiligen kein Hauch. Daher waren die 3 Nächte in den Bergen einigermaßen erträglich, die Nacht in einer Wildhütte etwas mehr, die beiden anderen unter freiem Himmel, an kleinen Bergbächlein mit kristallklarem, köstlichem Quellwasser, auf nacktem Waldboden, zugedeckt mit einer Zeltplane und Reisig, etwas weniger. Dafür durften wir an einem späten Abend schwermütigen russischen Liedern lauschen, die aus dem Tal bis zu uns herauftönten.
Auf der ,,Tafelfichte" (1123m) entdeckten wir auf dem unbewaldeten Gipfel einen verlassenen Erdbunker mit 4 Stockbetten darin, genau richtig für uns. Ein Stück bergab im Wald eine Baude, draußen ein paar frei herumlaufende Kühe, aber keine Menschenseele, auch drinnen nicht, wo es chaotisch aussah. Schnaps und Wein in angebrochenen Flaschen, in Gläsern, im Spülbecken oder vergossen, verströmten dazu einen penetranten Geruch. Im Keller fanden sich Lebensmittel, die wir dringend benötigten, da unsere Rationen aus dem Proviantvorrat des WE nahezu erschöpft waren und so konnten wir, auf offenem Feuer vor unserem Bunker, eine schöne Nudelsuppe bereiten, uns an Kirschkompott laben und auch dem Rotwein tüchtig zusprechen. Den nächsten Tag genossen wir trotz eines leichten Katers noch einmal bei herrlichem Sonnenschein und guter Fernsicht, ehe wir uns in der Abenddämmerung zum Aufbruch ins flache Land rüsteten.
Von nun an wollten wir nachts laufen und tagsüber ruhen bzw. uns versteckt halten, ohne zu ahnen, dass dieses Unterfangen schon sehr schnell ein jähes Ende finden würde.- Nach dem ersten Nachtmarsch lagerten wir in einem Waldstück und wurden am Vormittag durch lautes Gewehrfeuer erschreckt. Nicht lange danach hörten wir verdächtige Geräusche im Unterholz, die näher und näher kamen, bis wir uns von einem halben Dutzend Rotarmisten umstellt sahen, die Maschinenpistolen in Anschlag. Sie durchsuchten uns gründlich, nahmen manches an sich, z.B. einen Pullover, den ich mir erst am Vortage zugelegt hatte, schienen aber mit dem Ergebnis insgesamt unzufrieden. Bald merkten wir, dass sie nach Waffen fahndeten, obwohl wir doch gar nicht mehr so kriegerisch aussahen, seit wir schon in Hohenelbe Dank gütiger Spender unsere Uniformjacken gegen Zivil vertauschen konnten. Sie fanden natürlich nichts dergleichen, nahmen uns aber trotzdem mit zur nahen Straße, wo wir einem Gefangenentrupp einverleibt wurden. ,,Nacht bloß keine Dummheiten, Jungs!", raunte man uns zu. Ja, warum sollten wir denn? - Des Rätsels Lösung: Die Kolonne war aus dem Wald heraus beschossen worden; man suchte die Schützen und fand uns, im Glauben, wir wären diese gewesen.
Am Bahnhof in Friedeberg/Queis übernahm uns ein Offizier und führte uns nach einer kurzen Ansprache in deutsch, währenddessen ich meinen Wehrpass über einen Gartenzaun warf, in einen Gast-/Bauernhof, ein Gefangenensammellager. Dort trafen wir einen WB-Kameraden aus der Umgebung wieder, der bereits einige Tage zu Hause war, als er und sein Vater bei der Feldarbeit festgenommen wurden. - Nach 2 Tagen und Nächten, in denen wir mehrfach von uniformierten Beutejägern, gierig besonders nach Uhren, heimgesucht wurden, ließ man uns in Reih und Glied auf der Straße antreten. Anfangs beunruhigt, stimmte mich die Aufforderung: "Unter 18- und über 45-Jährige vortreten!" zuversichtlicher - und tatsächlich wurden die Betreffenden, ausgestattet mit einem auf einem Fetzen Papier gekritzelten Passierschein, entlassen. Pech hatten etliche, denen man auf Grund ihrer äußeren Erscheinung nicht abnahm, unter bzw. über der jeweiligen Altersgrenze zu liegen und sie es nicht nachweisen konnten; sie mussten bleiben, wie leider auch unser Ex-Ausbilder (um die 40), einst einer der gefürchtetsten Schleifer, zuletzt wie ein väterlicher Freund. (Einflechten möchte ich, dass ich im Sommer 1946 in Glogau einem weiteren ehem. WE-Kameraden begegnete, der weniger glimpflich davongekommen war als wir und 1 Jahr in einem Lager bei Breslau zubrlngen musste).
Erleichtert, hinter uns zu haben, wovor uns am meisten bange war, legten wir nun zu siebt die restlichen ca. 130km über Greiffenberg, Löwenberg, Haynau und Heerwegen ohne größere Behinderungen zurück. Leerstehende Häuser für ein Nachtlager gab es genug und auch ein Stück Brot konnten wir hie und da ergattern, sogar von Russen. - Einmal gerieten wir jedoch in eine Situation, die wir brenzlig einschätzten, als uns ein russ. Offizier, hoch zu Roß, aufforderte, ihm zu folgen. Wohin und wozu blieb wegen Verständigungsschwierigkeiten unklar; vielleicht nur ein harmloses Ansinnen. Wir weigerten uns jedenfalls vehement, pochten auf unseren Passierschein und durften schließlich unseren Weg fortsetzen. - Eine Begegnung anderer Art hatten wir am Ortsausgang von Löwenberg, wo uns eine herumirrende junge Frau völlig aufgelöst von den Qualen berichtete, die ihr von russ. Soldateska vielfach zugefügt worden waren.
In Heerwegen lieferten wir unseren dort ansässigen ,,Mitläufer" ab. Er freute sich, seine Familie anzutreffen, bei der wir noch eine Nacht verbrachten. Tags darauf, am frühen Nachmittag des 17.Mai, standen wir in Rauschenbach und konnten von einer Anhöhe aus einen ersten Blick auf Glogau werfen, d.h. auf das, was davon noch übriggeblieben war: eine einzige Trümmerwüste. - So hatte ich mir das Wiedersehen mit meiner Heimatstadt nicht vorgestellt und war gespannt, was uns wohl in Schwarztal erwarten würde.
Wir 4 Nicht-Glogauer umgingen die Stadt in Richtung Bismarckhöhe (Gurkau und näherten uns auf der Sieglitzer Straße dem Dorf, vorbei am Bahnhof und 2 zerschossenen russ. Panzern. An der Chaussee Glogau-Raudten, vor der Kohlenhandlung Anton Müller, verabschiedeten sich unsere Breslauer Freunde und 200m weiter, vorbei am Leisnerhaus und der Krause-Gärtnerei zur Rechten und an der "Pflaumallee" nach Urstetten, der Quanz-Bäckerei und Bauer Schneider zur Linken, standen wir, dort wo die Dorfstraße scharf nach rechts ins Unterdorf abbiegt, vor dem Gasthof Fengler, in dem ich wohnte. Was wir zu sehen bekamen, war nur noch eine totale Ruine, lediglich der Saalbau war stehen geblieben. (An diesem Zustand hatte sich bis zu meinem letzten Besuch 1992 nicht viel geändert, nur dass Schutt und Mauerreste beseitigt waren). Ein paar Schritte hin, nach dem Gehöft von Striese, fanden wir das Haus von Hoffmanns einigermaßen unversehrt vor, was auch bei den anderen Häusern im Dorf der Fall war, innen zwar ausgeplündert und verwüstet, wie überall, aber bewohnbar.
Kaum notdürftig eingerichtet, stellten sich auch schon die ersten Besucher ein: 2 halbwüchsige Polen. Sie beschäftigten sich eingehend mit unseren wenigen Habseligkeiten und steckten ein, was ihnen davon gefiel. - Kurz darauf beehrte uns ein berittener Russe, allerdings nicht, um uns zu belästigen, sondern eher als eine Art Schutzengel gegenüber den Polen. Er schaute in den folgenden Tagen öfter vorbei, gab uns dies und jenes - und den poln. Streunern, die die Gegend unsicher machten, schien er sichtlich Respekt einzuflößen.
Sehr schnell war uns jedoch klar, dass unser Bleiben in Schwarztal nicht von langer Dauer sein konnte; und als wir erfuhren, dass es in Vorbrücken eine deutsche ,,Kolonie" in russ. Diensten gibt, suchten wir sie am Pfingstsonntag auf, sondierten die Lage, trafen Bekannte und entschlossen uns zum Umzug am Pfingstmontag. Doch der ging nicht ganz glatt: Zwischen dem Gasthof Büttner und Beuthnig holten uns 2 junge poln. Radler ein und verschleppten uns nach Borkau in eine kleine Bauernwirtschaft gleich links am Ortseingang.
Es waren schon eine Menge Leute da, Rückkehrer, die auf dem Weg zum provisorischen Oderübergang bei Schwusen von poln. ,,Wegelagerern" in Borkau einfach abgefangen und zur Arbeit herangezogen wurden, u.a. auch zu Gartenarbeiten, wie ich. - Die Unterbringung war beengt, Männer und Frauen, Alte und Junge lagen nachts wie die Heringe nebeneinander auf dem Fußboden, das Essen knapp und schlecht, einmal gab es z.B. madiges Pferdefleisch zum Selbstkochen. - Das schlimmste geschah jedoch eines abends, als 24 russ. Soldaten ins Zimmer stürmten, in dem sich etwa 25 Personen aufhielten. Sie spähten umeinander und scheuchten uns dann alle hinaus - bis auf ein höchstens 17-jähriges Mädchen, das sie in eindeutig schändlicher Absicht zurückbehielten. Doch siehe da - das Mädchen blieb überraschend Sieger. Aber kaum war die Freude darüber verklungen, tauchten die vier erneut auf und vollzogen das Verbrechen, das ihnen zuvor verwehrt worden war, einer nach dem anderen, während jeweils einer mit der Maschinenpistole vor der Tür die Untat absicherte, der wir ohnmächtig gegenüberstanden.
Wie lange die Ärmsten noch festgehalten wurden, weiß ich nicht; Albert und mir gelang es jedenfalls bald, in einem unbeobachteten Moment nach Vorbrücken zu entwischen.
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