Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2004

Das Ende von Strahl & Co vor 70 Jahren

Als der Glogauer Fotograf Seidel im Jahre 1929 die um Kellermeister Johann Turbing versammelte Belegschaft des Kellereibereiches der Weingroßhandlung Strahl & Co auf die Fotoplatte bannte, ahnte noch keiner der Mitarbeiter, dass wenige Jahre danach die traditionsreiche Firma nach über 140 Geschäftsjahren aus dem Glogauer Handels- und Wirtschaftsleben ausscheiden würde.

Zum Zeitpunkt dieser Fotoaufnahme wurde die Kommanditgesellschaft von den geschäftsführenden Gesellschaftern A. Filberich und G. Fritsch geleitet. Die zur Firma gehörenden und über die Stadtgrenze hinaus bekannten Strahl'schen Weinstuben am Markt 23/24 bewirtschaftete damals der Ökonom H. Weirauch. Dem Kellereibereich und Versand in der Jesuitenstraße stand seit 1926 Kellermeister J. Turbing vor. Hierzu gehörten auch die Weinlager in den alten Kasematten am Wallgraben.

Wie uns die Jahreszahl auf dem vor das Weinfass gestellte Firmenschild verrät, war die Firma bereits 1790 von dem Glogauer Kaufmann Friedrich Strahl gegründet worden. Sein kaufmännisches Geschick brachte das Unternehmen nicht nur über die schwere Zeit der französischen Besatzung Glogaus von 1806 bis 1814 mit ihren bis etwa 1824 reichenden Nachwirkungen, er erwies sich zugleich gerade in diesen Jahren als angesehener Stadtverordneter und bedeutender Kommunalpolitiker. Seine Verdienste um den wirtschaftlichen Aufschwung Glogaus wurden mit dem Titel "Königl. Kommerzienrat" gewürdigt; und ab 1845 schmückte sein Bildnis auch den Stadtverordneten-Sitzungssaal im Glogauer Rathaus.

Durch Strahl's erfolgreiche Tätigkeit und die der Geschäftsleiter nachfolgender Generationen gehörte die Firma neben der Glogauer Weingroßhandlung Joh. u. Carl Bauch bald zu den führenden Weinhäusern Niederschlesiens und Norddeutschlands. Das Handelsgebiet reichte auch ostwärts bis in das sogenannte Posener Land hinein. Natürlich musste sich die Firma immer wieder neuen wirtschaftspolitischen Herausforderungen stellen.

So brachen z.B. nach dem 1. Weltkrieg durch die Grenzziehung im Osten die nach Polen hineinreichenden Geschäftsbeziehungen weitgehend weg und erforderten die Erschließung neuer Kundenkreise. Auch die Auswirkungen der Inflation 1923 in Deutschland und die Weltwirtschaftskrise 1929 wurden überwunden. War im Wirtschaftsteil des Glogauer Adressbuches von 1930 die Firma noch verzeichnet, so suchte man sie jedoch im Branchenteil des Glogauer Einwohnerbuches des Jahres 1936 vergebens. Was war in der Zwischenzeit geschehen?

Von meinem Vater als Insider erfuhr ich die Hauptursache. Eine jüdische stille Teilhaberin der Firma erkannte schon sehr frühzeitig die politische Entwicklung unter Hitler und verließ Deutschland. Hierbei zog sie ihre beträchtlichen Einlagen aus dem Vermögen der Gesellschaft ab. So fehlten fortan ausreichende Mittel und Rücklagen für die jährlichen Weineinkäufe bei den Winzern des In- und Auslandes, nicht zuletzt auch für die im Weingroßhandel notwendige Lagerhaltung größerer Bestände von Spitzenweinen, von den ständigen Betriebskosten ganz abgesehen. Diesen "Aderlass" und weiter entstandene Verbindlichkeiten ließen sich trotz aller Bemühungen der Geschäftsleitung nicht ausgleichen. Sie gab die Firma vor nunmehr rund 70 Jahren auf, sehr zum Leidwesen ihres Kundenstammes und nicht zuletzt auch ihrer langjährigen Mitarbeiter.

Teile der erheblichen Weinbestände erwarb die Glogauer Weingroßhandlung Joh. u. Carl Bauch. Auf deren Angebot hin setzte auch Kellermeister J. Turbing seine Tätigkeit dort fort, machte sich aber im Jahre 1936 mit einer eigenen Weinhandlung selbständig, die bis zu ihrer Zerstörung 1945 im Seitengebäude des Glogauer Kolpinghauses ihre Geschäftsräume hatte.

Manfred Turbing

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