Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2003

Unsere Gramschützer Glocken

Abschied von den Glocken

Die "kunstvollste" Glocke

Ausschnitt der "kunstvollsten" Glocke

Glocke in Hlg. Blut in Dinslaken

Ausschnitt von dieser Glocke

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.

Wer von uns hat nicht diese Zeilen vom "Lied von der Glocke" (1799) von Friedrich von Schiller in der Schule gelesen oder gar auswendig lernen müssen! Und welches Gedicht würde nicht besser zum Anfang einer Betrachtung über unsere Gramschützer Glocken passen, als gerade dieses? Schon lange befasste ich mich mit dem Gedanken, einmal über den Verbleib unserer heimischen Glocken nachzuforschen, von denen es sechs an der Zahl gab. Drei hingen im Turm der katholischen Kirche, die bereits im 14. Jahrhundert entstanden ist und dem Heiligen Martin (11. November) geweiht war. Die anderen drei erklangen vom Turm der evangelischen Kirche, die erst im Jahre 1754 erbaut worden ist. Ermuntert hierzu wurde ich noch durch einen Artikel einer älteren Ausgabe unserer Glogauer Heimatzeitung vom Juli 1971. Darin wird berichtet, dass u.a. auch noch zwei Glocken aus Gramschütz existieren sollen. Die eine befinde sich angeblich irgendwo im Ordinariat Münster in Westfalen und die zweite im Ordinariat Freiburg im Breisgau. Genauere Angaben könnte das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg machen. Was lag also näher, als dort hinzuschreiben. Mit Spannung leerte ich daraufhin jeden Tag den Briefkasten - und siehe da, es dauerte gar nicht lange, erhielt ich bald eine Antwort:

Zu ihrer Anfrage geht aus unseren Unterlagen folgendes hervor:

1.) Die Glocke 9/34/91 C befindet sich in St. Peter, Lochheimstr. 39, Heidelberg-Kirchheim.

2.) Die Glocke 9/34/92 C hängt in HL Blut, Mathias-Claudius-Str. 8, Dinslaken.

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Zum Abschied sind unsere jeweils zwei Glocken der katholischen und evangelischen Kirche in Gramschütz im Jahre 1942 festlich geschmückt

Natürlich habe ich mich über den ersten Teilerfolg meiner Suche sehr gefreut. Jetzt hieß es weiterforschen und ich schrieb gleich beide kirchlichen Stellen an und erhielt auch erfreulicherweise bald Antworten. In Heidelberg nahm sich Herr Philipp Körner der Sache an und schickte mir Berichte und Bilder der erstgenannten Glocke, wofür ich ihm vielmals danke. Anlässlich der Weihe von fünf Glocken für die Kirche St. Peter hatte man auch eine Festschrift herausgegeben. Darin heißt es u.a.:

Eine andere Glocke des neuen Geläutes hat eine noch interessantere Geschichte. Sie entging der Einschmelzung, wurde nach dem Krieg unversehrt in Hamburg gefunden und kam zur Ergänzung unserer Glocken hierher. Sie stammt aus der katholischen Gemeinde Gramschütz in Niederschlesien und wurde 1686 in Breslau gegossen. Sie ist die kunstvollste (!) unserer Glocken und weilt als "Leihgabe" oder "Patenglocke" über uns.

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Die "kunstvollste" Glocke aus Gramschütz in St. Peter in Heidelberg-Kirchheim
Vom Archiv des Germanischen Nationalmuseums wird sie wie folgt beschrieben:

Sie wiegt 14 Zentner und hat einen Durchmesser von 106 cm und ist 100 cm hoch. Sie hat eine 6-bügelige Krone, die Höhe der Bügel beträgt 21,5 cm. Bügelvorderseite 3-reihig. Holm, Randverstärkung, Schlagring 9 Stege, gestimmt ist sie auf den Ton "G". Sie hat eine flache, breite Kronenplatte mit Pfeilen, Rand fällt senkrecht ab, gewölbt sich senkende Haube. Schulter: zwischen je 2 Stegen Fries aus Ranken, Kopfmasken und Vögeln, darunter Fries aus einem hängendem Ornamentmotiv, dessen Mittelpunkt ein geflügelter Engelkopf ist. Flanke: Christus am Kreuz mit Johannes und Maria Magdalena. Unterschrift: 1.) ENBVDA NVNC SCEPTRO PARET EPVGNATALVPOLDI / AERE MOC PVLSATO FAC SACRA PLEBS PAREAT. 2.) Bischof mit Teufel. Unterschrift: 2.) KIRCHEN VATTER / HANS KINTZEL / HANS FRANCKE / CASPAR OBER 3.) 2 Wappen, darüber Inschrift: NACH CHRISTI SELIGMACHENDER GEBURT 1686, darunter: IST AUS HIESIGEN KIRCHENMITTELN DIESE GLOCKE IN / BRESLAU GEGOSSEN ZU GRÖSSERER GLORI GOTTES UND / EHREN DES H. BISCHOFFS MARTINI. UNTER HOCHADELICHER / HERRSCHAFT HERREN HANS VON LOSS UND FRAUEN / BARBARA ELEONORA GEBOHRNEN VON KRECKWITZ AUF / GRAMBSCHÜTZ. 4.) Maria mit Kind als Himmelskönigin vor Strahlenkranz, zu ihren Häupten 2 fliegende Engelchen. Darunter Inschrift: DERZEIT WAR PFARRER / DER WÜRDIGE GREGORIUS / AMBROSIUS KLAN SACERDOS CATHOL / AMBTMANN SAMUEL CLARNER. SIGMUND GÖTZ GOSS MICH.

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Ausschnitt der "kunstvollsten" Glocke in St. Peter in Heidelberg-Kirchheim
Nun zur Geschichte der zweiten Glocke. Auch sie landete auf dem sogenannten Glockenfriedhof in Hamburg, gelangte aber auf Umwegen zu ihrer heutigen Stelle in Dinslaken am Niederrhein. Auch von dort erhielt ich freundlicherweise einige Unterlagen, wofür ich Frau Ilse Fechner in Duisburg danke. Aus einem dortigen Zeitungsartikel entnehmen wir einige Zeilen:

Unsere Zeitung ging dem Schicksal von zwei Glocken einmal nach. Die eine rief vor etwa 500 Jahren im schlesischen Gramschütz die Gläubigen zum ersten Mal zum Gottesdienst. Die andere, die größere, hing im Kirchturm des schlesischen Ortes Seifersdorf. In welchem der vier Dörfer, die den gleichen Namen tragen, ist heute kaum noch zu ermitteln. Die kleinere Glocke ruft heute die Gemeinde der Heilig-Blut-Kirche zum Gottesdienst, die größere, die einen Riss im Mantel aufweist, hat am Donnerstag auf einem Postament vor der Kirche einen Ehrenplatz erhalten. Wie sind diese Glocken nach Dinslaken gekommen? Gegen Ende des Krieges, als die NS-Machthaber den "totalen Krieg" verkündet hatten, erging die Verordnung, die Kirchenglocken für die Rüstungsindustrie abzugeben. Ob es sich hierbei wirklich um eine kriegsbedingte Notwendigkeit handelte oder ob es ein erster Schritt auf dem Wege der vollständigen Beseitigung der Kirche war - das hat die zeitgeschichtliche Forschung bis heute noch nicht geklärt. Manche Pfarrer sträubten sich gegen die Abgabe und wurden als "Staatsfeinde" diffamiert. Zum Glück fanden sich nach dem Kriege noch zahlreiche Glocken wieder und konnten ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden. Aber andere Gemeinden waren inzwischen von Polen und Russen besetzt worden, die deutschen Bewohner vertrieben. Nachher konnten keine Glocken mehr überführt werden. Bald nach dem Kriege konstituierte sich in Hamburg und Hannover ein "Ausschuss zur Rückführung der Glocken". An dieses Gremium wandte sich der Orsoyer Pfarrer Möller. Das Geläute seiner St.-Nikolaus-Kirche war beim Kampf um den Rheinübergang völlig zerstört worden. Auf einem heute schon vergilbten "Merkblatt für die Ausgabe von Leihglocken" bestätigte Pfarrer Möller den Empfang der Glocken am 10. November 1952. So erscholl ihr Klang über dem kleinen Ausflugsziel am Rhein. Bald jedoch zeigte sich bei der größeren Glocke ein Riss im Mantel. Die Kriegswirrren waren offenbar nicht spurlos an ihr vorübergegangen. So war zeitweise nur die kleinere Glocke zu hören. Als sich die sparsame Gemeinde ein eigenes Geläute zulegte, lagen die beiden Glocken als mahnende Überreste des Krieges am Eingang der Kirche. Als die Dinslakener Heilig-Blut-Kirche erbaut worden war, wies der inzwischen pensionierte Orsoyer Pfarrer seinen Amtsbruder Pastor Küsters auf die beiden Glocken hin. So traten sie wieder eine Reise an. Dieses mal über den Rhein. Seit einiger Zeit ruft die Gramschützer Glocke die Gläubigen zum Gottesdienst. Hoffen wir, dass die Glocken nun in Dinslaken die letzte Station ihrer Irrfahrt erreicht haben.

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Gramschützer Glocke in Hlg. Blut in Dinslaken
Soweit der Bericht, der mir aus Dinslaken zugeschickt wurde. Heimatfreund Werner Mik aus Haselquell (Gleinitz) berichtet, dass er jeden Morgen, Mittag und Abend den Klang unserer Gramschützer Glocke hören kann. Doch nun zum Steckbrief der Glocke, wieder laut Bericht des Germanischen Nationalmuseums. Sie hat einen Durchmesser von 93 cm, ist 91 cm hoch und wiegt 10 Zentner. Ein genaues Jahr ihrer Entstehung ist nicht bekannt, es ist nur die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts angegeben. Verzierung und Inschrift: Kronenplatte mit Pfeilen, unregelmäßiger Rand auf Wulst, steil und gewölbt abfallende Haube. Schulter: zwischen je 2 Stegen Meniskulinschrift * o* rex* glorie * vene * cum *pace * (O, König der Herrlichkeit, komm mit Frieden) * hilf * got* maria * berot * uns *allen * ave* maria * mb *nx * ycvhgakxno * die einzelnen Buchstaben nach der Schablone geschnitten, Buchstabenhöhe 3,5 cm. Bandhöhe 4,2 cm, Flanke glatt, Schlagring Wulst, Holm gebogen mit Randverstärkung. 6-bügelige Krone, Bügelvorderseite bandartig geflochtener Zopf zwischen Stegen. - Die dritte, kleinere Glocke der katholischen Kirche in Gramschütz durfte weiterhin ihren Dienst verrichten und wird es wahrscheinlich auch heute noch tun. Etwas Genaueres weiß ich nicht. Damit wäre alles erwähnt, was ich über die Glocken unserer katholischen Kirche in Gramschütz erfahren konnte. Wer weiß mehr darüber oder kann mich berichtigen?

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Ausschnitt von der Glocke in Hlg. Blut in Dinslaken

Alle Glockenbilder v. Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg

Da die evangelische Kirche erst viel später erbaut worden ist, als die katholische, sind auch die Glocken jüngeren Ursprungs. Am 21. Dezember 1853 war das Geläut von drei Glocken feierlichst eingeholt und aufgehängt worden, berichtet Oskar Hoffmann im Buch "Heimatblätter von Gramschütz" und fährt weiter fort: Glockengießer Eggeling-Hirschberg hatte sie gegossen.

Die große, 12 1/2 Ztr. schwer, trug die Inschrift:
Horch, sie zeigt mit ehrnem Munde dir des Tages Stunde an;
fraget dich zu jeder Stunde: Hast du deine Pflicht getan?

Die mittlere, 6 1/2 Ztr. schwer, ihre Inschrift:
Früh, Morgens, Mittags, Abend spät
ruft Alt und Jung hier zum Gebet!

Die kleine, 3 1/2 Ztr., erinnerte uns:
Merkt auf, ihr Menschenkinder, die Glocken rufen euch!
Sie rufen euch, ihr Sünder, in Jesu Gnadenreich.

Die große verkündete die volle Stunde, die mittlere die Viertelstunde. Da schlug immer ein Klöppel an den Glockenrand, dass es weithin schallte. Damit dieser Vorgang auch wirklich klappte, dafür sorgte Uhrmachermeister Alfred Stellmacher. Jeden Morgen, wenn wir in der Schule große Pause hatten, kam er daher geschrittten und stieg auf den Turm. Die Kirchturmuhr, die drei dem Dorfe zugewendete Zifferblätter hatte, musste täglich aufgezogen werden.

Die beiden großen Glocken waren durch Sammlungen beschafft worden. Die kleine war ein Geschenk des Freigärtner-Auszüglers Johann Gottlieb Lorenz aus Priedemost.

Schon im 1. Weltkrieg 1916 mussten aber die beiden größeren zu Kriegszwecken geopfert werden. Lediglich die kleinere durfte hängen bleiben. Warum alle drei Glocken der katholischen Kirche aber den 1. Weltkrieg ohne Montage überstanden haben, ist mir unerklärlich. Wann das Geläut unserer evangelischen Kirche wieder vervollständigt wurde, ist nicht genau bekannt. Jedoch erinnere ich mich gut, dass Pastor Johannes Wieder bei einem Konfirmandenunterricht einmal erwähnte, dass in der Christnacht 1927 mit aller Freude und Berechtigung das Lied "Süßer die Glocken nie klingen, als zu der Weihnachtszeit" erschallte. Und Oskar Hoffmann, dem wir so viel über die geschichtliche Vergangenheit unseres Heimatdorfes zu verdanken haben, berichtet, dass seine Hochzeitsglocken im Mai 1928 dreistimmig erklangen. Über die Größe und das Gewicht der neuen Glocken ist nichts bekannt. Nur die Inschriften wissen wir: 'Ehre sei Gott in der Höhe' stand auf der großen und 'Friede auf Erden' und 'Mich goß Meister (Name nicht mehr bekannt) Apolda' auf der mittleren. Trotz der Erwähnung vom Frieden auf Erden mussten die beiden größeren Glocken wieder abmontiert und für Kriegszwecke geopfert werden, um Tod und Verderben zu verbreiten. Welch ein Hohn!

Ich zitiere wieder Oskar Hoffmann: Die Firma Scheinichen - Glogau hatte von Staats wegen den Auftrag, alle in Frage kommenden Glocken des Kreises abzumontieren, was dann auch mit geschultem Personal und mit den nötigen Winden und Hilfsgeräten ganz schnell und still ausgeführt wurde.

Die heute im Altenheim in Ebersdorf lebende 97-jährige Lena Kinzel, mit der ich mich manchmal gern telefonisch unterhalte, berichtete mir, das sie sich an diesen Akt noch genau erinnern kann. Es war für sie ein ergreifendes und trauriges Erlebnis.

Die kleine Glocke blieb auch diesmal verschont, aber wer weiß, was aus ihr geworden ist, nach dem die Polen doch die Kirche samt Turm abgebrochen haben. Auch von den jetzt dort lebenden Polen ist nichts über den Verbleib der Glocke zu erfahren, trotzdem sich ehemalige Gramschützer zuhause dort erkundigt haben.

Ich selbst habe die Glocken als Chorjunge oft genug läuten müssen. Wenn wir zu dritt an den Seilen zogen und alle drei Glocken in Schwung brachten, schockelte der Glockenstuhl ganz schön hin und her. Ansonsten war das Läuten Aufgabe des Küsters. Dieses Amt hatte Artur Kretschmer inne. Da er aber beruflich unterwegs war, um unsere damals noch nicht geteerten Straßen in Ordnung zu halten, musste diese Arbeit tagsüber Frau Kretschmer übernehmen. Und wie war sie froh, wenn wir Jungen uns bei ihr den Schlüssel abholten, um das Mittag- oder Feierabendläuten zu übernehmen.

Wenn eines Tages um 10 Uhr vom evangelischen oder katholischen Turm die kleine Glocke geläutet wurde und bald darauf die mittlere und große folgten, wusste jeder im Dorf, dass der unerbittliche Tod wieder einmal zugeschlagen hatte. An drei Tagen wurden um 10, 1/2 11 und 11 Uhr drei "Pulse" geläutet.

Von dem Dome, schwer und bang,
tönt die Glocke Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
einen Wanderer auf dem letzten Wege.

So war es auch bei uns zuhause, wie es Friedrich von Schiller schreibt. Vom Totenhaus bis zum Friedhof begleiteten den Trauerzug die Glocken unserer Kirchen. Zum letzten Male riefen unsere beiden kleinen Glocken der evangelischen und katholischen Kirchen die Gläubigen am 21. Januar 1945 zum Sonntagsgottesdienst. - Am 01. Mai 2004 hätten die Glocken der evangelischen Kirche uns zuhause zur 250-jährigen Jubelfeier anlässlich des Jahrestages der Grundsteinlegung für unsere Kirche einladen können. So können wir nur in weiter Ferne, zerstreut in alle Winde, an diesen Tag denken.

HW

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