Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 10, Oktober 2003

Die Schulstraße in Glogau

Die Ruine der Friedenskirche

Der Moment der Zündung

Lageplan der Schulstraße

Generalfeldmarschall von Hindenburg

Der uns unter Schulstraße bekannte Glogauer Straßenzug, erhielt seinen Namen nach der am 8. Oktober 1877 eingeweihten Evangelischen Bürger- und Volksschule. Der städtische Schulneubau stand auf der Alten Wallstraße 4/5. Die zuletzt als Heinrich-Lersch-Schule benannte Bildungseinrichtung, war der westliche Abschluss der Schulstraße. Der rote Backsteinbau, etwas abfällig als Behördenromantik apostrophiert, stand am westlichen Ende der Straße wie ein diagonaler Querriegel, der den weiteren Straßenverlauf verengte. Eine Gabelung verlief nach rechts in die alte Wallstraße, bis zur Preußischen und nach links, vorbei am Schulhof, der Turnhalle und dem Eingang zum Wallgraben endete am Soetbeerring. Dieses kleine Straßenstück hatte keinen Namen.

Zurück zur Schulstraße, die, bevor sie diesen Namen erhielt, Salzring hieß. Die Stadt war damals in fünf Quartiere aufgeteilt. Das erste umfasste, von der Topfgasse, der späteren Poststraße nach Westen ausgehend, auch die Schulstraße, den damaligen Salzring.

Der untere Abschnitt, zwischen Jesuiten- und Poststraße, hieß Badergasse. Als in der Badergasse 101, später Schulstraße 21, ein sehr geräumiges Postgebäude errichtet wurde, erhielt die vom Markt kommende Straße den Namen Poststraße. - So steht es im Blaschke nachzulesen.

Auf der Titelzeichnung geht der Blick von Ost nach West über diese stille Straße, die, besonders am unteren Ende, Dienstags und Freitags zu Leben begann. Sie war dann Teil des Glogauer Wochenmarktes. Die Fleischer, so ist es in meiner Erinnerung, belegten mit ihren Verkaufsständen den Hauptteil beiderseits des Pflasters. Auch mit Butter und Eiern kamen die Landfrauen, die ihre Buttersorten, fein geformt und mit Blüten verziert feilboten, in den unteren Teil der Schulstraße. Einen deutlichen Geschmacksverlust habe ich auf der Zunge, wenn ich heute zum Frühstück die Butter aus dem SB-Kühlregal aufs Brötchen streiche. Übrigens durfte man damals die Butter vorher verkosten.

Der Verlauf der Schulstraße nimmt seinen Anfang dort, wo sie von der Jesuitenstraße berührt wird, die vormals Spitalgasse hieß. An der Stelle, wo der Fleisch- und Butterhandel zu Ende war, kam vom Markt her die Kirchstraße herauf. Das war etwa in Höhe der 3 Portalpfeiler, die den Eingang zum Pfarrhof der Kath. Stadtpfarrkirche bildeten. Zwischen den zwei ein wenig weiter auseinander stehenden Pfeilern war eine schwere Eisenkette befestigt, welche den dahinter liegenden Kirchplatz markierte.

In das Quadratische Profil, der offenbar handgeschmiedeten Kette, waren nagelspitze Stifte eingearbeitet. Damit war verhindert, was wir alle gern auf der hängenden Kette gemacht hätten. Ich habe auch niemals jemanden darauf schaukeln sehen. Die Hosenböden dieser Jahrgangsklasse gingen auch auf andere Weise kaputt.

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Die Ruine der Friendenskirche "Zum Schifflein Christi". Im Hintergrund links die Kath. Stadtpfarrkirche St. Nikolaus. Rechts die Ruine des Gefängnisses.

Das niedrige Haus mit dem torartigen Zugang, war eine Wagenremise. Als in Glogau noch Pferdedroschken auf dem Markte vor dem Stadttheater standen, hatte dort der Droschkenbesitzer Bogedain seinen Kutschwagen und für den Winter einen Schlitten stehen. Die Pferde standen im Haus gegenüber. Im Hof dieses Hauses gab es ein Stallgebäude.

In den Häusern bis zur Kirchstraße, und auf der Südseite bis zur Wagenremise befanden sich ausnahmslos bürgerliche Wohnungen. Durchschritt man den Zugang zwischen den kugelgekrönten Portalpfeilern, war man auf dem Areal, das sich um den Ost- und Südteil der Pfarrkirche ausdehnte. Links das Pfarrhaus, in dem der Stadtpfarrer Wagner residierte. Die kath. Verbände hatten ebenfalls dort ihre Unterkünfte und auch das Waisenhaus war in dieser Gruppierung zu finden, mit der Wohnung des Kirchendieners von St. Nikolaus. Deider war sein Name. Er ging auch während einer Messe mit dem Klingelbeutel durch die Reihen der Gläubigen. Letztlich war Herr Deider auch Herr über das Glockengeläut. Eine Arbeit die wir ihm allzu gern abnahmen. Da oben im Turm, über dem Glockenstuhl, habe ich oft ins Glogauer Land geschaut. Die kleinen runden Öffnungen unterhalb der Dachkante, gaben den Blick frei bis zum Horizont. Der Wasserspiegel der Oder schickte sein gleißendes Licht zu uns herauf. Ein unvergessliches Erlebnis.

Auf dem weiteren Weg durch die Schulstraße, befinden sich zwischen der Kirchstraße und der nächsten Ecke, auf der rechten Seite einige Wohnhäuser. Die Arnoldstraße, früher Poststraße, kommt vom Markt her. Sie führt zunächst auf den großen, freien Platz vor der Kath. Pfarrkirche St. Nikolaus. Unter deren mächtigen Turm zeigt sich das Hauptportal des Gotteshauses als gotisches Treppenportal.

Eine Baumreihe auf der Platzmitte betont die Bedeutung dieser wuchtigen Architektur aus dem 13. Jahrhundert.

An der Ecke Arnold-/ Schulstraße lag das Fahrradgeschäft der Firma Emil Stoll. Die dort in den Schaufenstern ausgestellten Fahrräder kamen in so manchem Kindertraum vor, der nicht immer in Erfüllung ging. Der meinige erfüllte sich bei der Fa. Robert Seiler. Irgendwann zu Beginn der 30-er Jahre stand es unter dem Weihnachtsbaum.

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Ein seltenes Dokument: Der Moment der Zündung. Links: Der Turm von St. Nikolaus. Rechts: Das Amtsgericht.
Auf der anderen Seite dieser Kreuzung lag das Kolpinghaus. Ein Lokal mit vielfältiger Nutzung. Es war u.a. Domizil des Kath. Gesellen- und Meistervereins. Auch Ausstellungen, z.B. der Firma Wilhelm Engwitz, fanden dort statt. Etwa in der Adventszeit eine Spielwarenausstellung, in der ich mich hochinteressiert als Dauergast aufhielt, wegen der im ersten Stock aufgebauten Eisenbahnanlage. Eine elektrische Eisenbahn war damals eine absolute Besonderheit, selbst für Kinder gut betuchter Eltern. Die sogenannte Schmalspur kam seinerzeit gerade auf den Markt. Ich besaß nur eine Lok zum Aufziehen, war aber auch damit ganz zufrieden, da ich ohnehin niemals den Drang verspürte Lokomotivführer zu werden.

Auf der Seite des Kolpinghauses, die Schulstraße entlang bis zu dem Punkt wo von der Preußischen Straße die Mohrenstraße herauf kam, standen weitere 5 Wohnhäuser, die bis auf das letzte, 4 Etagen hoch waren. Darunter eine Gaststätte "Meine Schule", die von der Gastwirtin Martha Wuller betrieben wurde. Die einzige Gaststätte auf der gesamten Schulstraße. An der Ecke bevor man den Platz vor der Rückseite des Schifflein Christi betrat, war die Viehhandlung Arthur Hoffmann etabliert.

Vormals, vermutlich bis 1938 hieß der Geschäftsmann in diesem Hause Plachte. Altwaren, also Metallschrott, Lumpen, Altpapier usw. wurden dort vermarktet. Plachte, der auf der anderen Seite der Straße auch einen Viehhandel betrieb, war Jude. Er musste sicherlich seinen Handel aufgeben und die Schulstraße verlassen. Unter einer anderen Adresse, in den sogenannten Judenhäusern, taucht sein Name nochmals auf. So hat auch diese Straße einen schwarzen Fleck in der Geschichte hinterlassen.

Die Schulstraße öffnet sich nun im weiteren Verlauf ein wenig und tritt aus ihrer Altstadtenge heraus. Das Schifflein Christi beherrscht bis zu ihrem Ende die Südseite der Straße. Das Evangelische Gotteshaus war ein Gebäude von schlichter Schönheit. Die klaren, strengen Linien des Klassizismus gaben ihm jenes unverwechselbare Aussehen. Erbaut wurde es im Jahre 1773 von Langhans, als eine der drei schlesischen Friedenskirchen. Langhans schuf auch das Brandenburger Tor in Berlin. Ein Gebäude mit hohem symbolischen Wert, das heute, man kann es nur beklagen, durch sogenannte Events nahezu ohne Unterlass malträtiert wird. Den Höhepunkt bildet die Love-Parade oder der Christopher-Street-Day, was immer man darunter zu verstehen hat.

Das Schifflein Christi liegt mir aber näher und so möchte ich noch einige Anmerkungen machen. Leider, und das beklagte schon der Superintendent Werner Eberlein, stand die Kirche mit ihren Doppeltürmen sehr beengt. Sie konnte in dieser Bedrängnis nicht in ihrer ganzen Schönheit zur Geltung kommen. Als aber der Bauplatz von Friedrich II persönlich festgelegt wurde, gab es womöglich solche Erwägungen gar nicht. Es musste eine Kirche her. Ihr Schicksal wurde bei der Belagerung der Stadt im 2. Weltkrieg vorgezeichnet. Stark beschädigt, wurde sie von der polnischen Verwaltung in den 50-er Jahren gesprengt. Kein Stein blieb übrig und kaum ist ihr ehemaliger Standort noch zu erkennen.

Es gab, und das soll an dieser Stelle einmal ausdrücklich gesagt werden, in Glogau auch kriegsbeschädigte Kirchen, deren Zerstörungsgrad vermutlich sogar höher war, die aber noch heute an ihrem Platz stehen oder auch mit großem Aufwand wieder aufgebaut wurden und werden.

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Lageplan der Schulstraße

Bitte klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf die Zeichnung.

Gegenüber dem Schifflein Christi, bildet die Heinrich-Lersch-Schule den Abschluss der Schulstraße. Hinter seiner Fassade haben einige Generationen Glogauer Schüler versucht, die Liebe zur Schule zu entdecken. Es waren evangelische Schüler, manchmal auch Schülerinnen. Die Konfessionen waren damals noch streng getrennt. Das konnte leider auch zur Folge haben, dass man gleichaltrige Jungen oder Mädchen weniger gut kannte, weil wir durch die Schulbänke getrennt, nebeneinander her lebten.

Wenn wir nun auf der Südseite der Schulstraße, also der Seite gegenüber dem Schifflein Christi, zurückgehen, dann waren die ersten Häuser bewohnt von den Pastoren und Kirchendienern. Superintendent Werner Eberlein, Pfarrer H. Georg Fiedler und Paul Lehmann wohnten dort mit ihren Familien. Das Kirchenbüro und der Küster Theodor Beerbaum waren darin untergebracht.

Die nächsten 2 Häuser beherbergten die Städtische Kaufmännische- und Gewerbliche Berufsschule und die Handelsschule.

Das letzte Haus an der Ecke Mohrenstraße war ein Wohnhaus, postalisch Mohrenstraße 30. Es ist deshalb erwähnenswert, weil in diesem Hause die Spielgefährtin des späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zuhause war. Hindenburg wohnte während seiner 4 oder 5-jährigen Glogauer Schulzeit im Nebenhaus, Mohrenstraße 29. Als er in der Zeit seiner Präsidentschaft einen Truppenbesuch in Glogau machte - etwa Ende der 20-er Jahre - stieg er auch vor seinem ehemaligen Schülerquartier aus seiner Limousine und begrüßte seine Freundin Berta persönlich mit Verbeugung und einem Blumenstrauß.

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Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg begrüßt auf der Mohrenstraße seine Spielgefährtin Berta. Hindenburg wohnte während seiner Schulzeit im Haus Mohrenstr. 29, Frau Berta im Haus Nr. 30
Gegenüber, im Eckhaus an der Mohren-/Schulstraße, befand sich die Glaserei Paul Hellmich, ein angesehener Handwerksbetrieb. Bleiverglasungen waren seine Spezialität. Die seinerzeit obligaten Wohn- und Schlafzimmer-Bilddrucke, meist sechseckig gerahmt, hingen in seinem Schaufenster. Das Motiv mit dem Hirten und seinen Schafen im Goldrahmen, waren noch die erträglichste Form vom Kunstgeschmack der Zeit.

Auf dem letzten Stück des Weges stehen nochmals einige 3-stöckige Wohnhäuser. Vor dem letzten Haus war zu meiner Zeit ein Kuhstall, der von einem der Plachte-Brüder gehalten wurde. Zu diesem besonderen Thema empfehle ich das Buch von Franz D. Lucas u. Margret Heitmann:

Stadt des Glaubens - Geschichte und Kultur der Juden in Glogau. Georg Olms Verlag Hildesheim.

Damit sind wir wieder bei den Fahrrädern der Firma Emil Stoll angekommen.

Das Leben in dieser Straße war von vielfältigen sozialen Interessen geprägt. Es war nie von spektakulärem aufwand, eher still und bescheiden. Bereits die Glogauer Kinder bekamen ihre ersten Eindrücke vom ernst des Daseins vermittelt. Die Konfirmanten, die Jungkaufleute und Handelsschüler gingen dort zum Unterricht. Die Konfirmation, die Kommunion und Eheschließungen riefen in die Gotteshäuser. Das Leben der Glogauer Bürger fand dort statt.

Wir haben keine Schulstraße mehr!

Hans-J. Gatzka

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