Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2003

"Die Freude am Gottesdienst wird zur Tat!"

Gemeindeleben der evangelischen Kirche im Kreis Glogau vor der Zeit des Nationalsozialismus

Werner Eberlein / Gottfried Schröter

In einem ersten Aufsatz hatte ich auf der Basis eines Berichtes von Superintendent Werner Eberlein (aus Anlass einer Generalkirchenvisitation des Kirchenkreises Glogau) einige Aspekte des evangelischen kirchlichen Lebens dargestellt und im Rahmen des Möglichen durch die Erinnerung an eigenen Erfahrungen erweitert.

Als ein Ergebnis dieser großen Visitations- und Besuchsreise in der Pfingstzeit 1931 durch alle Kirchengemeinden unseres Kreises zieht Kreis-Superintendent Eberlein in seiner Eigenschaft als Vorstand der Kreissynode folgendes Visitations-Fazit:

1. Wir haben mitten in der schweren Not der Zeit große Tage erleben dürfen. Dabei spürten wir, was wir an unserer evangelischen Kirche haben.

2. Wir haben gefühlt, dass wir einzelnen von einer großen Glaubensgemeinde getragen werden und an ihr einen Halt haben.

3. Wir haben erkannt, dass wir alle an unserer Kirche mitarbeiten und für sie einstehen müssen.

Große Bereitschaft zu finanziellen Opfern trotz schwieriger Zeiten

Bekräftigt der Superintendent, wie wir im vorigen Beitrag ausführten, dass der Kirchenbesuch im Kreis erfreulich gut ist, so beschreibt und belegt Eberlein des weiteren, dass die evangelische Kirche auch in dieser schweren Zeit mit hoher Arbeitslosigkeit zum Opfer für den Erhalt und Weiterbau ihrer Gotteshäuser bereit ist.

Er schreibt: "Die Freude am Gottesdienst wird (im Kreis Glogau) zur Tat, denn unsere Gemeindemitglieder sind bereit, für ihre Gotteshäuser auch zu geben und zu opfern. Damit beweisen sie sich als echt. Denn so wenig es das Geld ist, auf das es uns im kirchlichen Leben ankommt, so sehr zeigt sich doch auch in der Bereitschaft, Geld zu opfern, dass die Liebe zur Kirche tief und gesund ist.

Aus alten Bethäusern werden "Schmuckstücke"

Manchen unserer alten Gotteshäuser gerade in unserem Kreise sieht man deutlich an, dass sie einst schlichte Bethäuser und Fachwerkbauten waren. Viele davon wurden unter Aufbringung nicht geringer Kosten geradezu zu Schmuckstücken ihrer Gemeinde gemacht. Sie wirken bei aller Schlichtheit gepflegt und warm."

Die Kirche von Grochwitz

Tschepplau

Die Kirche in Nilbau

Kirchspiel Schlawa

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Federzeichnung von Pastor Graetz, Schlawa

Die Kirche von Grochwitz wurde zwar laut Visitationsbericht 1922 zu ihrem 300jährigen Kirchenjubiläum "mit elektrischem Licht versehen". Andererseits war diese Kirche die einzige im Kreis, die - im Gegensatz zu allen anderen - im Berichtsjahr 1931 noch keine neuen Glocken und Orgelpfeifen besaß. Alle Gotteshäuser hatten Glocken und Orgelpfeifen wegen des Metalls bis spätestens 1917 für "Volk und Vaterland" spenden müssen.

Hier einige Beispiele:

Buchwald: Die Kirche wurde 1875 untermauert und renoviert.

Kunzendorf (1885), Klein Tschirne (1887), Kuttlau (1913) und Herrndorf (1902) haben ihre Glockentürme gebaut.

Eberlein hält es auch für erwähnenswert, darauf hinzuweisen, dass Grochwitz 1922 zu seinem 300jährigen Kirchenjubiläum bei einer Renovierung "mit elektrischem Licht versehen" wurde. In Gramschütz, dessen Kirche 1929 für 28.500 Mark gründlich renoviert wurde, hatte bereits mitten im ersten Weltkrieg (1917) eine elektrische Lichtanlage erhalten.

Über die Kirche in Schlawa berichtet Eberlein: "Die vielen Besucher des Schlawaer Sees grüßt seit 1930 die evangelische Kirche auf dem Markt, umgeben von jungen Linden, im neuen, würdigen Gewand. Auch innerlich wurde die Kirche einer gründlichen Reinigung unterzogen. Dabei wurden Orgel, Chor und Sakristei umgestaltet. Bereits 1926 wurde im Turmeingang vom Ortspfarrer Graetz und seiner Frau eine "Heldenhalle" geschaffen."!

Obwohl ich (G. Schröter, Jahrgang 1925) zunächst als Kindergottesdienst-Besucher und später als Erwachsener junger Kirchgänger natürlich oft durch den Haupteingang unter dem Turm ging, kann ich mich nicht an einen Bereich erinnern, den man zu recht eine "Heldenhalle" nennen darf. Wohl waren an den Wänden dieses erweiterten Eingangs die Namen der im Krieg Gefallenen zu lesen. Aber ich habe nichts als besonders heldenhaft empfunden, sondern eher als eine Anordnung von Namenstafeln, wie bei einem schlichten Kriegerdenkmal.

Vielleicht haben ältere Leser eine erweiterte Erinnerung, die sie uns mitteilen können

Neukauf oder Renovierung von Pfarrhäusern

In Polkwitz wurde 1893 ein neues Pfarrhaus erworben, und in Quaritz und Schlawa geschah viel für die Verbesserung der Wohnqualität in den Pfarrhäusern.

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Federzeichnung von Pastor Graetz, Schlawa

Superintendent Eberlein schreibt merkwürdigerweise: "Tschepplau wehte am 14. Juni 1904 seinen neuen Dom und wndte zum 25jährigen Jubelfest für ihn 5000 Mark auf." Warum diese Kirche "Dom" genannt wurde, bleibt dem Bearbeiter bisher unerklärbar.

Eberlein berichtet über neue Gotteshäuser:

"Die Gemeinde Nilbau, die seit 1815 mit der katholischen Gemeinde zusammen die alte Kirche benutzt hatte, baute sich, nachdem ihr der Zutritt zur Kirche am 1. April 1864 verweigert worden war, ihre schöne Kirche, die bereits zwei Jahre später im Mai 1866 geweiht werden konnte.

1871 war in Wiesau eine neue Kirche fertiggestellt worden. Und die "dicht vor den Toren Glogaus gelegene große Gemeinde Zerbau erhielt am 31. Oktober 1911 ein stattliches Gotteshaus."

Nicht ganz verständlich ist mir Eberleins Satz: "Tschepplau weihte am 14. Juli 1904 seinen neuen Dom (?) und wandte zum 25jährigen Jubelfest 1929 für ihn 5000 Mark auf." Ein Dom für Tschepplau? Vielleicht weiß ein Leser unserer Zeitschrift, wie Tschepplau zu einer Kirche mit diesem Namen kam.

Acht Kapellen errichtet

Dazu kommen aber noch acht schöne Kapellen, die im Kirchenkreis neu gebaut werden konnten.

Seit 1900 steht in Oberzauche eine Kapelle, und seit 1914 in Priedemost. Beide werden ein- oder mehrmals im Monat zu Gottesdiensten genutzt. Von 1908 bis 1910 wurde in Polkwitz eine Friedhofskapelle gebaut. Eberlein weist darauf hin, dass während der Kirchenreparatur im Jahr 1917 dort nicht nur Gottesdienste, sondern auch "Kriegsgebetsstunden" stattfanden.

Stiftungen

Einige Kapellen wurden von großzügigen Spendern gestiftet, das heißt vollständig finanziert. Im einzelnen wird berichtet:

"Am 31. Oktober 1902 hielt Herr Generalsuperintendent Nehmitz die Weihe der von Frau Lehrer Anna Dorothea Renner, geb. Trautmann, gestifteten Kapelle in Klein Gräditz." - Stifter einer Kapelle in Brostau (Weihe 1912) waren die Geschwister Heinrich und Luise Demuth sowie ihr Vetter, der Rittergutsbesitzer Gustav Schulz aus Brostau. Einmal im Monat findet dort Gottesdienst statt.

In Obisch stiftete 1914 der Landesälteste Herr von Jordan eine neue Friedhofskapelle, die ebenso wie die alte Kapelle in Klein Schwein seit 1915 zu regelmäßigen Gottesdiensten Verwendung findet." (Unter der Bezeichnung "Frau Lehrer" verstand man damals die Ehefrau eines Lehrers und nicht eine Lehrerin. Ebenso war die "Frau Pastor" im allgemeinen Sprachgebrauch damals die Ehefrau des Pastors, wie auch die "Frau Doktor" im Normalfall die Frau des Arztes war.)

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Federzeichnung von Pastor Graetz, Schlawa

Von 1815 bis 1864 benutzten Evangelische und Katholiken gemeinsam die alte Kirche in Nilbau. Dann verweigerten die Katholiken die weitere Gemeinsamkeit. Daraufhin wurde in nur zwei Jahren diese eigenwillig geformte ev. Gotteshaus erbaut.

Eine turm- und glockenlose Kapelle

Wahrscheinlich waren es die Beschaffungsprobleme des letzten Kriegsjahres, die dafür verantwortlich zu machen sind, dass am 28. April 1918 auf dem neu angelegten Rauschwitzer evangelischen Friedhof zwar eine schöne Kapelle eingeweiht wurde, "die nicht nur zur Trauerfeier, sondern auch an besonderen Tagen, etwa am Ostermorgen oder am Totensonntag für eindrucksvolle Feiern Raum bietet." Aber diese Kapelle hat noch keinen Turm und natürlich auch keine Glocke. Denn - so Eberlein - :" Überall büßten die Kirchen 1917 Orgelpfeifen und Glocken ein, außer in Kunzendorf, das eine Stahlglocke hatte", die sich offensichtlich nicht zu Kriegsmaterial umschmelzen ließ.

Besonders betrüblich war dies für Kuttlau. Denn dort hatte man erst 1913 neue Glocken beschafft.

Urzeit des Berichtes von Eberlein (1931) war durch die Opferfreudigkeit der Gemeinden erreicht worden, dass inzwischen alle Gotteshäuser wieder über Glocken verfügten - mit einer Einschränkung, auf die der Bericht hinweist: "Nur in Grochwitz war es noch nicht möglich, Glocken oder Orgelpfeifen wiederzubeschaffen."

Damit die Leser eines Berichtes die Bereitschaft richtig bewerten konnten, erläutert Eberlein: "Man wird diese Opferwilligkeit, die sich auch in den kirchlichen Sammlungen zeigt, um so höher einschätzen müssen, als sie bis in die Gegenwart sich bewährt, obwohl unser fast durchgehend ländlicher Kreis unter der Wirtschaftsnot ganz besonders schwer zu leiden hat. Ist doch die Not des Landwirts auch der Ruin des Geschäftsmannes!"

Folgen der deutsch-polnischen Grenzziehung im Kirchspiel Schlawa

Dazu schreibt Werner Eberlein: "Eigentümlich war die Entwicklung im Kirchspiel Schlawa. Es erhielt als Ersatz für die an Polen gefallenen Dörfer Scharne und Weine zahlreiche einstige evangelische Bewohner dieser Dörfer als Neusiedler. Ja, ein eigenes Siedlerdorf Krempine."

Ich erinnere mich daran, dass am Beginn der zwanziger Jahre auch unser Rädchener neuer Nachbar Karl Kluge aus Altkloster, das nun polnisch geworden war, zu uns nach Rädchen gezogen war. Denn er hatte für Deutschland optiert. Das bedeutete, dass er seinen Grundbesitz im nun polnischen Heimatort aufgeben musste und dafür von Deutschland mit einem entsprechenden Bauernhof entschädigt wurde.

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Federzeichnung von Pastor Graetz, Schlawa

Als nach Kriegsende die Dörfer Scharne und Weine polnisch wurden, siedelten viele Evangelische in den Grenzort Lache über, der bis dahin fast nur von Katholiken bewohnt worden war. Sie benötigten ein eigenes Gotteshaus. Das ist die neue evangelische "Grenzkirche Lache", die zum Kirchspiel Schlawa gehörte.

Zur kirchlichen Situation im Kirchspiel Schlawa schreibt Eberlein weiter: "Durch diesen Zuzug verschob sich auch im bis dahin rein katholischen Grenzort Lache die Seelenzahl so zugunsten der Evangelischen, dass ein Drittel des Dorfes evangelisch wurde. Der 2. Lehrer der Dorfschule wurde daher trotz eines kurzen Schulstreiks von katholischer Seite durch einen evangelischen Lehrer ersetzt. Und am 14. Juli 1929 konnte in Lache eine neu erbaute evangelische Kirche eingeweiht werden."

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