Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 8, August 2003

Evangelische Kirchen im Kreis Glogau im Jahre 1931

Prof. Dr. Gottfried Schröter

Mit einem Generalsuperintendenten unterwegs

Wer kennt heute noch das kirchliche Leben im Kreis Glogau näher, so, wie es sich vor über 70 Jahren darstellte? Es dürften nur noch wenige direkte Zeitzeugen geben.

Die Kirchen des Kreises werden visitiert

Daher bin ich dem Heimatfreund und ehemaligen Schulkameraden vom Gymnasium in Fraustadt Dr. med. vet. Dr. Kurt Anders (Bremen) dankbar, dass er mir eine vollständige Kopie der 92seitigen Festschrift "Kirche unterm Kreuz" zur Verwendung für Aufsätze im Neuen Glogauer Anzeiger überlassen hat. Die festliche Gabe wurde anlässlich der "Generalkirchenvisitation des Kirchenkreises Glogau vom 25. April bis 15. Mai 1931" herausgegeben.

Hauptbearbeiter war der Glogauer Superintendent Werner Eberlein, der den Kirchenkreis leitete. Zum besseren Verständnis: Ein Superintendent entspricht in etwa dem Dekan (z.B. in Hessen) oder dem Propst (in Schleswig-Holstein).-

Eberlein wurde bei seiner schriftstellerischen Arbeit von einigen örtlichen evangelischen Pfarrern unterstützt.

Leiter der Visitation war der Generalsuperintendent D. Dr. Martin Schian aus Breslau. Er war der oberste evangelische Kirchenführer von ganz Schlesien. Die gleiche Berufsbezeichnung haben wir auch heute noch in einigen Teilen der evangelischen Kirche, z.B. in Cottbus, wo gegenwärtig der Generalsuperintendent Dr. Rolf Wischnath amtiert. Die Berufsbezeichnung kennzeichnet einen Theologen, der einem Bischof oder Regionalbischof (wie es ihn heute noch in Württemberg gibt) vergleichbar ist.

Der Kirchen-Zeichner Pastor Kurt Graetz schenkte mir Süßigkeiten in Zellophan

Der freundliche Übersender Dr. Anders teilt mir zu den in der Festschrift vorhandenen Abbildungen mit: "Die Federzeichnungen dieses Berichtes stammen alle von meinem Großvetter und Patenonkel Kurt Graetz, der seit etwa 1932 bis zu seiner Emeritierung Pastor in Görlitz-Rauschwalde war."

Superintendent Eberlein schreibt dagegen: "Die schönen Abbildungen unserer Gotteshäuser verdanken wir alle der Freundlichkeit des Herrn Pastor Graetz in Schlawa."

Das ist kein Widerspruch, denn ein Jahr nach Erscheinen dieser Festschrift verließ Pastor Graetz Schlawa, das damals noch nicht Schlesiersee hieß.

Der Zufall will es, dass der Abschiedsbesuch dieses Pfarrers bei meinen Eltern im Rädchener Schulhaus zu meinen allerersten Erinnerungen an einen Pastor überhaupt gehört. Und zwar deshalb, weil er mir gerade sechs Jahre alt gewordenem Jungen eine Tüte mit Süßigkeiten mitbrachte. Sein Geschenk prägte sich deshalb bei mir fest ein, weil es in einer der damals noch seltenen Zellophantüten lag und mir allein gehörte. Eine solche durchsichtige Tüte hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Und er war so freundlich zu mir! Wahrscheinlich hatte er mich auch im Januar 1926 in der Schlawaer Kirche getauft.

Ein erster Überblick

Aber beginnen wir mit einem Überblick über die evangelischen Kirchengemeinden des Kirchenkreises Glogau und ihre Pfarrer im Überblick:

Es waren damals:

Kirchen in der Kreisstadt Glogau:

Friedenskirche Zum Schifflein Christi mit folgenden Geistlichen:

Superintendent Werner Eberlein, geb. am 7. Dezember 1888, in Glogau seit 1929.

Pastor Paul Lehmann, geb. am 2. Februar 1877, als Vikar in Glogau seit 1903, als Pastor in Glogau seit 1908.

Pastor Paul Schwarz, geb. am 27. Oktober 1882, in Glogau seit 1912.

Pastor Hans Georg Fiedler, geb. am 29. Oktober 1895, in Glogau seit 1922.

Reformierte Gemeinde Glogau: sie war zur Zeit unbesetzt.

Die Kirchengemeinde in Nilbau wird von den Pastoren aus Glogau mitversorgt.

Kirchen im weiteren Kreisgebiet:

Alt-Strunz mit Pastor Alexander Klinkert, geb. am 18. April 1875, der seit 1929 dort amtierte.

Buchwald und Wiesau mit Pastor lic. (d.h. heute: Dr. theol.) Jentsch, geb. am 29. April 1862, der dort seit 1890 Pastor war

Dalkau: mit Pastor Hermann Lindemann, geb. am 5. September 1900, in Dalkau seit 1926.

Glogau (Schifflein Christi)

Ev. Kirche in Schlawa

Die Kirche von Kunzendorf

zum Seitenanfang

"Wer den Ostergottesdienst 1930 im "Schifflein Christi" (dieser Glogauer Kirche) miterlebte und die 3000 Personen, die ihn besuchten, sich vor den Kirchentüren drängen sah, der hat einen überwältigenden Eindruck", weiß der Pastor der Kirche und Superintendent des Kirchenkreises Glogau Werner Eberlein zu berichten. "Manchmal mussten Gottesdienste verdoppelt und neu eingerichtet werden!"
Der Bericht vermerkt weiter: "Das Vikariat Zerbau wird zurzeit von dem emeritierten Pastor Kanus aus Tost betreut." - Auch nach Befragung mehrerer Nachschlagewerke konnte ich nicht herausfinden, welche sinnvolle Bedeutung der Ausdruck "Vikariat" in diesem Zusammenhang haben kann. Denn ein Vikar ist ein "Jung-Pastor vor seiner zweiten Dienstprüfung". Das kann aber kein Amtssitz sein, den ein emeritierter (im Ruhestand befindlicher) ausfüllt.

Gramschütz: Pastor Johannes Wieder, geb. 8. Juli 1880, im Gramschütz seit 1915.

Herrndorf: Pastor Albert Anschütz, geb. am 24. Februar 1880, in Herrndorf seit 1916.

Jakobskirch: Pastor Erich Lenski, geb. am 26. Juli 1904, in Jakobskirch seit 1929.

Klein Tschirne: Pastor Arnold Hübner, geb. am 10. März 1866, in Klein Tschirne seit 1897.

Kunzendorf: Pastor Karl Mühlichen, geb. am 10. Dezember 1898, in Kunzendorf seit 1925.

Kuttlau, demnächst in Verbindung mit Grochwitz: zurzeit unbesetzt.

Polkwitz: Pastor Heinz Hellmuth Arnold, geb. am 8. Februar 1892, in Polkwitz seit 1928.

Quaritz: Pator lic. (heute: Dr. theol.)Heinrich Petran, geb. am 16. Februar 1902, in Quaritz seit 1929.

Schlawa: Pastor Kurt Graetz, geb. am 16. Mai 1897, in Schlawa seit 1925.

Schönau: zurzeit unbesetzt..

Tschepplau: Pastor Alfred Bayer, geb. am 18. Januar 1871, in Tschepplau seit 1914.

Weißholz: Pastor Hans Prietzel, geb. am 7. November 1891, in Weißholz seit 1920 als Verweser, ab 1923 als Pastor.

Doppelte Freude am Anfang

Superintendent Eberlein gab zunächst einen allgemeinen Überblick über die Situation im Kirchenkreis. (Ob der Kirchenkreis mit dem politischen Kreis identisch war, konnte ich nicht mehr feststellen. Vielleicht kann dies einer unserer Leser!)

Nur wenige Pfarrer der Gegenwart können so optimistisch wie er berichten, wenn er zum Beginn seines Rechenschaftsberichtes summarisch konstatiert: "Ich darf mit großer Freude und Dankbarkeit feststellen, dass Glogau ein ausgesprochen kirchlicher Kreis mit starkem kirchlichen Sinn ist. Es ist doch eine helle Freude, wenn wir die Gemeinden zu den Gottesdiensten in solcher Fülle strömen sehen. Und das in einer Zeit, die im tiefsten Grunde unchristlich ist, in der der Kirchgang weithin aufgehört hat, zu den schlichten Selbstverständlichkeiten zu gehören.

zum Seitenanfang

Der Zeichner dieser drei Kirchen war der Pastor Kurt Graetz aus Schlawa. Mit geschickter Hand und Feder hat er alle evangelischen Gotteshäuser des Kreises Glogau im Bild festgehalten. Der Autor dieses Beitrags Gottfried Schröter (geboren am 17. Dezember 1925) erinnert sich noch an ein besonderes Geschenk, das er als Sechsjähriger von seinem Tauf-Pastor im elterlichen Rädchener Schulhaus erhielt.
Die Gegner der Kirche hatten Unrecht:
Volle Gotteshäuser überall

Dieser allgemeinen Würdigung folgt nun die Darstellung einzelner Aspekte des kirchlichen Lebens im Kirchenkreis Glogau:

Das gilt nicht nur für die Städte des Kreises, sondern auch für die zerstreuten, entlegenen Landgemeinden. Wenigstens ein Familienmitglied findet sonntags aus jedem Haus, aus jeder Wohnung den Weg zur Kirche, selbst dort, wo sie besonders weite Wege zum Gotteshaus haben, wie z.B. in Jakobskirch. Auch Arbeiter, die auf einem Dominium tätig sind, kommen zum Gottesdienst. Ausdrücklich wird dabei Kunzendorf genannt.

Kämpferisch kann Eberlein 1931, also zwei Jahre vor Hitlers "Machtübernahme", noch schreiben: "Wenn ein Gegner christlichen Glaubens einmal schreibt, dass die Gottesdienste wegen Mangels an Gläubigen ausfallen müssten, nun, so gibt es so etwas in unserem Kirchenkreis jedenfalls nicht. Wohl aber, dass Gottesdienste verdoppelt und neu eingerichtet werden müssen, um den Bedarf zu befriedigen."

Ob Eberlein auch wenige Jahre danach diese Meinung weiterhin vertreten konnte, sei dahingestellt.

Da ich erst als Zehn- bis Zwölfjähriger in die (zwei Kilometer von Rädchen entfernte) Kirche von Schlawa zum Hauptgottesdienst zu gehen begann (ab 1935, vorher ging ich in den Kindergottesdienst), kann ich nur sagen, dass in meiner Jugendzeit der Gottesdienstbesuch zunehmend geringer wurde. Wahrscheinlich hat das nicht in erster Linie an den seelsorgerischen Qualitäten des neuen Pastors Schumann, dem Nachfolger von Pastor Graetz, gelegen, sondern daran, dass die Zeit des Nationalsozialismus" immer deutlicher ihr kirchenfeindliches Gesicht zeigte.

Denn wer sich weiterhin zu seiner Kirche bekannte, hatte ab 1933 zunehmend mit beruflichen Nachteilen zu rechnen - wie später in der DDR.

Ich erinnere mich noch daran, dass mir HJ-Scharführer von 16 Jahren der energische NSDAP-Ortsgruppenleiter von Schlesiersee 1942 in einem privaten Streitgespräch ärgerlich und heftig (dem Sinne nach) erklärte: "Wenn erst der Krieg vorbei ist, dann kommen die Christen dran. Und mit euch (!) wird dann der Führer schon fertig werden und aufräumen!"-

zum Seitenanfang

Die Kirche von Kunzendorf

Der Superintendent vermerkt, dass auch in entlegenen Bezirken des Kreises ein guter Gottesdienstbesuch festzustellen ist. Er weist darauf hin, dass auch auf dem Dominium tätige Landarbeiter einen guten Bezug zur Kirche hatten. Ausdrücklich nennt er in diesem Zusammenhang die Kirche von Kunzendorf.

zum Seitenanfang

Mein Vater war als bekennender (und trotzdem staatstreuer) Christ und Nicht-Parteigenosse bekannt. Und auf ihn zielten diese finsteren Sätze in erster Linie.

(eine Fortsetzung soll gelegentlich folgen.)