Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2003

Unser Gramschützer Dominium

Auszug aus dem Buch "Heimatblätter von Gramschütz"

von Oskar Hoffmann†

2. Absatz

Bild der Schlosstreppe

3. Absatz

4. Absatz

5. Absatz

6. Absatz

7. Absatz


I.

Mitten im Dorf lag es. Die weißen Wagentafeln, die blanken Messingschilder an den Pferdegeschirren der Gespanne trugen die Aufschrift: Dominium Gramschütz, Kreis Glogau. Von der Einfahrt zum Gutshof, gegenüber der katholischen Kirche, erstreckte es sich über das Schloss mit anschließendem Park und die Schlossgärtnerei in einer Länge von etwa 400 m und in einer Breite von etwa 200 m als größtes zusammenhängendes Areal durchs Dorf. Der Gutsbezirk wurde seitlich von der Dorfstraße (alte Seite), der evangelischen Kirche mit Schule und nördlich von einer hohen Mauer längs des Dominialweges begrenzt. Die beigegebene Lageskizze sucht dies zu verdeutlichen.

II.

Die älteste Nachricht über die Besitzverhältnisse des Dominiums Gramschütz gibt die “Geschichte der Evgl.-Luth. Kirchengemeinde Gramschütz” (1) wieder, die ich auszugsweise handschriftlich August 1934 fertigte. Danach lagen “die Patronatsrechte der Kirche mehrere Jahrhunderte in Händen der Herren von Loß”, die bis 1743 Besitzer des Dominiums Gramschütz waren. Es ist also ein “Rittergut”, das vermutlich seit der Dorfgründung (9. oder 10. Jhdt.) bestand. Leider ging die Schloss-Chronik, wie der Bruder des letzten Pächters, Herr Oberst. a.D. Karl Metscher, mitteilt, 1945 verloren. “Unter Hans von Loß, der im Jahre 1597 starb, und dessen Grabplatte sich noch an dem Ostgiebel der hiesigen katholischen Kirche eingemauert findet, hat die Reformation in Gramschütz Eingang gefunden.” Derselbe hatte 1552 den ersten evangelischen Prediger nach Gramschütz berufen. Als dieser “nach 45-jähriger reich gesegneter Tätigkeit 1597 starb, wurde 1598 sein Nachfolger durch den Patronatsherrn Ernst von Loß berufen.” – 1742 ist Siegismund von Loß “Erb- und Lehnsherr auf Gramschütz und Simbsen”, auch Patronatsherr. Von diesem berichtet die genannte Schrift, nachdem sie die Einnahme von Glogau durch Friedrich II. (Winter 1740/41) vermeldete, Folgendes: “Herr Siegismund von Loß hatte sich in die neuen Verhältnisse und in die preußische Herrschaft nicht finden können, dazu kamen wohl auch noch persönliche und andere Schwierigkeiten, die ihm das Bleiben in Gramschütz verleideten. Anfang 1743 verschwand er unter Zurücklassung vieler Schulden aus der Heimat und überließ seine Güter Gramschütz, Simbsen mit Bautsch und Dammer seinen Gläubigern, von denen sie durch Kaufvertrag vom 21. Juli 1743 in den Besitz König Friedrichs II. kamen.” Die Kgl. Kriegs- und Domänenkammer zu Glogau wird Träger der Verwaltung und übt fortan auch das Patronatsrecht aus. Die Gutsherren von Gramschütz waren traditionsgemäß stets Inhaber des Patronats beider Kirchgemeinden.
Die Besitzverhältnisse gestalteten sich weiterhin wie folgt:
1766 schenkt Friedrich II. das Gut seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich von Preußen.
1802 geht es nach dessen Tode in den Besitz des jüngsten Bruders des Königs, des Prinzen Ferdinand von Preußen, über und gelangt 1814 durch Erbschaft an dessen Sohn Friedrich August von Preußen. 1819 wird durch Abkommen zwischen König Friedrich Wilhelm III. und dem Prinzen August am 29.5. festgelegt, dass das Amt Gramschütz fortan nicht als Krongut, sondern zu den Fideikommissgütern der Preußisch-Brandenburgischen Häuser zählen solle. (2)
1843 (19.7.) stirbt Prinz August ohne Erben, und Gramschütz gelangt in den Besitz des regierenden Königs.
1843 (11.12.) wird König Friedrich Wilhelm III. als Eigentümer des Amtsgutes Gramschütz in das Grundbuch des Glogauischen Fürstentums eingetragen.
1872 pachtete Herr Amtsrat Alexander Metscher das Dominium Gramschütz von Herrn Amtsrat Bormann und hat es bis zu seinem Tode (Ende 1919) bewirtschaftet. Sowohl er wie sein Vater waren anerkannt tüchtige Landwirte. Der 1872 geschlossenen Ehe entstammen neun Kinder (6 Töchter, 3 Söhne), alle in Gramschütz geboren. Die letzten lebenden Mitglieder der Gutsherrschaft sind Fräulein Toni Metscher, 87-jährig, allen älteren Gramschützern wohlbekannt, und Herr Oberst a.D. Karl Metscher. Durch Kauf war 1874 das große Gut Skeyden mit der Brauerei Mathildau eigentümlich an die Familie gefallen. Dazu kaufte Herr Amtsrat Alexander Metscher 1876 das an der Oder landschaftlich sehr schön gelegene Gut Rabsen mit vielen ertragreichen Teichen. Da sich ein zunehmendes Starleiden auch trotz Operation beider Augen nicht besserte, sah sich der Gutsherr im April 1918 zum Verkauf von Skeyden und Rabsen gezwungen. Beide großen Betriebe konnten trotz der auf jedem Gut tätigen Inspektoren neben der Domäne Gramschütz nicht mehr zufriedenstellend geleitet werden. In Gramschütz waren in letzter Zeit die Herren Scheler, Ursel und Mende als Gutsinspektoren tätig. Nach dem ersten Weltkrieg (1914/18) war der später der Hofkammer in Liegnitz unterstehende Privatbesitz der Hohenzollern wie alle Domänen Staatseigentum geworden. Der letzte Pächter, Herr Alexander Metscher, Sohn des 1919 verstorbenen Vaters gleichen Namens, wurde am 27. Januar 1945 durch Vertreibung zum Verlassen von Schloss und Gut Gramschütz gezwungen. Nach kaum überstandener Grippe wieder aufgestanden, führte er am 27.1.1945 den Dominium-Treck aus der Heimat weg, erkrankte aber bereits nach drei Tagen erneut und musste die Führung des Trecks seinem Bruder Karl übergeben. Er verstarb nach schwerem Leiden, das noch durch die Folgen eines Unfalls vermehrt wurde, in der Nacht vom 1. zum 2. Februar in einer Bodenkammer des Forsthauses Tauer, Kreis Cottbus, und wurde am 4.2. dort beerdigt.
“Das war das Ende!” – so lautet der Titel eines Schreckensberichts aus jenen Tagen. Auch unsereinem entringt sich rückblickend in wenigen Worten zusammengefasst nur der Klageruf: Das war das Ende!
Der Treck: Auf Pferdewagen (16 Zug-, 4 Kutschpferde) und einem Trecker mit 2 gummibereiften Wagen wurden einschließlich der durch die Gemeinde zugeteilten Handwerker 210 Personen befördert. Erschwerend wirkte, dass den Pferden der Winterbeschlag und sämtlichen Wagen die Bremsen fehlten. In Niesky wurden die 6 jüngsten und kräftigsten Pferde für eine Neuformation der Wehrmacht beschlagnahmt. Personen und Gepäck dieser drei Wagen mussten auf die anderen Wagen verteilt werden, was zur Überbeanspruchung der Pferde führte. Außerdem verfohlten zwei Stuten und mussten geführt werden, fielen somit auch als Zugpferde aus. In Ölsnitz musste der Trecker mit den beiden Gummiwagen zurückbleiben, da die Fahrbereitschaft den Brennstoff versagte. Die Wehrmacht beschlagnahmte auch diesen Zug. Leute und Gepäck wurden mit der Bahn nach Kulmbach befördert.
Der Vertreibungsweg führte über Niesky, Meißen, Ölsnitz im Vogtland, Hof (Saale), Münchberg nach Kulmbach. Ankunft Anfang März 1945. Die Unterbringung der Treck-Teilnehmer erfolgte außerdem in Mangersreuth, Weiher, Wiekenreuth und Forstleben. Verluste waren nicht entstanden. Ab Meißen hatte sich der Dominium-Treck selbstständig gemacht und marschierte allein, was sich in jeder Beziehung günstig ausgewirkt hat: leichtere Unterbringung und Verpflegungs-Beschaffung für Mensch und Tier.

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Schlosstreppe zu Gramschütz

III.

Das Herrenhaus, das sog. Schloss, wurde 1450 unter Ritter Hans von Loß und seiner Gemahlin Magdalene, geb. von Zedlitz, erbaut. Mit seinen 1 ½ m starken, aus mächtigen Feldsteinen errichteten Mauern scheint es Zeit und Ewigkeit trotzen zu können. Hätten wir doch 1950 das 500-jährige Schloss mit einem Fest des ganzen Dorfes feiern können! Doch wer sah ihm dieses Alter an? – Die Balken, bis zu 10 m lang, waren aus Eichenholz und im Laufe der Jahrhunderte fast versteinert, die Dielen vom gleichen Holz der Schrecken der mit dem Abziehen betrauten Tischler.

Das Portal stand unter Denkmalschutz. Zu beiden Seiten der Eingangstür waren runde steinerne Sitze ausgehauen. Daneben erhoben sich steinerne Säulen und Engelsgestalten. Seitlich davon trugen Medaillons die Wappensprüche der beiden Familien: (3)

Omnia madice Nec temere Nec timede

Durch das Portal betrat man die große geräumige Halle, in der wohl einst die Feste und Trinkgelage der Schloßherren abgehalten wurden. Wertvolle Einlegearbeiten (Intarsien) zierten die mächtigen eichenen Wandschränke. Sie konnten durch angebaute Flügel noch verbreitert werden. Abklappbare Türen, von schmiedeeisernen Stützen waagerecht gehalten, dienten ehedem als Kredenz für Speisen, Weinkrüge und Humpen. Da schallte es wohl aus rauhen Kehlen oft:

Frisch auf, gut gsell, laß rummer gan!
Das gläslein sol nicht sille stan,
tummel dich, gut’s weinlein!
Er setzt das gläslein an den mund,
er trunks herauß bis auf den Grund,
tummel dich, gut’s weinlein!
Er hat sein sachen recht getan,
das gläslein sol herummer gan,
tummel dich, gut’s weinlein! (16. Jhdt.)

Im Parterre lag ein Raum, der in der Schloss-Chronik als “Das grüne Gewölbe” bezeichnet wird. Hier soll ein Ritter Siegismund von Loß eines unnatürlichen Todes gestorben sein, wie die genannte Chronik besagt. In diesem Raume einquartierte und nächtigende Offiziere gaben ihm den Namen “Das Ahnengrab”.

Nachweislich gab es zwischen Schloss und Katholischer Kirche einen unterirdischen Gang, den wohl Schlossherrschaft und Priester benutzt haben mögen. Er mündete in eine Steintreppe, dicht beim “Grünen Gewölbe” gelegen, aus.

Das Haus war sehr geräumig gebaut. Es hatte im Hochpaterre und ersten Stockwerk 24 große Räume (4,50 m hoch) und einen sich über den ganzen Bau erstreckenden Boden. Herr Amtsrat Metscher hat durch Einbauten wie Wasserleitung, Kanalisation, elektr. Licht und Speisenaufzug zum oberen Stock viel zum bequemeren und gesünderen Wohnen beigetragen. Auch der Anbau einer Terrasse (10 x 16 m) an der Rückseite des Schlosses mit breiter Freitreppe in den ostwärts anschließenden Park hinein, ist ihm zu danken. Dieser, in der respektablen Größe von 250 x 150 m, wurde von einem Breslauer Kunstgärtner angelegt. Hier war sommers tagsüber stets großes Vogel-Konzert in Baum und Busch. Und spät abends – sei ganz still – horch! Hörst Du?:

Voran die liebe Nachtigall
macht alles fröhlich überall
mit ihrem lieblichen Gesang:
des muß sie haben immer Dank.

M. Luther 1538

Und im Herzen gaben wir Antwort:
Gut Nacht, gut Nacht, Frau Nachtigall,
grüß meinen Schatz viel tausendmal!
Grüß sie aus Herzensgrund,
daß sie bleibe lang gesund!

Westfalen

Aber haben wir nicht aus regennasser Herbstnacht auch noch den Schrei des Käuzchens im Ohr? Suchten wir dann nicht unwillkürlich schneller aus dem dunklen Gewölbe der hohen Kastanien heraus – und von der bleichen Kirchhofsmauer auf der anderen Straßenseite wegzukommen? – Lang, lang ist’s her!

IV.

Die Domäne hatte 350 ha = 1400 Morgen Äcker und Wiesen. Davon waren 1030 Morgen Oberfelder und 370 Morgen beim Teichvorwerk gelegen. Im Jahre 1926 wurden etwa 50 ha nach Gramschütz und Priedemast abgesiedelt.

Jedes der drei Güter (Gramschütz, Skeyden, Rabsen) besaß einen Dampfpflug der englischen Firma Fowler (John F., 1826–64, erfand 1855 den Dampfpflug). Sie waren die ersten in Schlesien und erregten verständliches Aufsehen weithin. Bis zum Aufkommen der Motorpflüge und Trecker haben sie beim Pflügen der großen Äcker und beim Rübenheben gute Dienst geleistet. Jedes Gut besaß auch einen vollständigen Dreschsatz. Da der Gramschützer Dampfpflug sehr reparaturbedürftig geworden war, musste er 1928 durch zwei Lanz-Bulldogs ersetzt werden (Hch. Lanz, 1838–1905, Erb. landw. Masch.).

Bis 1939 verfügte Dominium Gramschütz zur Bewirtschaftung neben den erwähnten dampfbetriebenen Ackergeräten über 14 Pferde und 34 Zugochsen. Und schließlich standen 21 Familien mit ca. 55 Arbeitskräften im Dienste der Herrschaft. Die Söhne übernahmen in den meisten Fällen nach der Verheiratung die Stellen ihrer Väter, die teils bis 50 Jahre, teils bis 25 Jahre in Arbeit blieben. Daneben wurden 6–10 Saison-Arbeiter beschäftigt, die vor 1928 aus Polen, später aus Oberschlesien und nach 1933 aus Italien kamen. Die Erstgenannten waren eine bekannte Erscheinung im Dorfe, fleißig, sparsam, freundlich, sangeslustig, fromm, die Frauen an ihrer schlichten, bunten Tracht leicht kenntlich. Sie sollen stets ansehnliche Ersparnisse mit heimgenommen haben. Sie wohnten in einem der Arbeitshäuser gegenüber der Molkerei. Die ständigen Arbeitskräfte erhielten ihren Unterhalt meist in Form von Deputat, d.h. in Naturalien. Für die Arbeitsveteranen waren Altenteil-Wohnungen vorhanden.

Das Dominium Gramschütz, zu dessen Bewirtschaftung dem jeweiligen Pächter stets ein Gutsinspektor zu Seite stand, besaß erstklassigen Boden und stand in hoher Kultur. Dementsprechend waren auch die Erträge. Dominium Gramschütz erbrachte den höchsten Grundsteuer-Reinertrag des Kreises Glogau. Auf den drei Gütern wurden manches Jahr an 2000 Morgen Zuckerrüben angebaut. Zu deren Bearbeitung waren dann von April bis November zusätzlich etwa 300 Saison-Arbeiter erforderlich, die aus Russisch-Polen kamen und in besonderen Häusern untergebracht wurden. Die gesamte Ernte musste per Achse (Pferdegespanne) der Zuckerfabrik Zarkau bei Glogau zugeführt werden. Die beiden an der Oder gelegenen Güter dagegen brachten sie, teils per Kleinbahn, in großen Lastkähnen zur Verladung und belieferten die Zuckerfabrik Nenkersdorf damit. Zum Ausdrusch der Getreide-Ernte war ein moderner Lanz-Dreschsatz vorhanden. Diese Arbeit wurde meist im Akkord vergeben.

Das Dominium Gramschütz erzeugte jährlich zum Verkauf, Eigenverbrauch und Deputate vorweggenommen, in runden Zahlen angegeben:

45–50.000 Ztr. Zuckerrüben, 20.000 Ztr. Kartoffeln, 1.500 Ztr. Flachs, 4.500–5.000 Ztr. Weizen, ca. 400 Ztr. Roggen, ca. 1.000 Ztr. Sommergerste.

Außerdem wurden rd. 2.500 Ztr. Wintergerste und 500 Ztr. Hafer geerntet und im eigenen Betrieb verfuttert. Als Futtergrundlage dienten darüber hinaus ein Teil Zuckerrüben, die in der Zuckerfabrik Zarkau getrocknet wurden, ferner die minderwertigen Kartoffeln und die zweite Sorte des Verkaufs-Weizens. Auch das anfallende Rübenblatt wurde in den letzten Jahren vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges schon z.T. getrocknet, der größte Teil aber eingesäuert für die Futtergrundlage reserviert.

An Schlachtvieh kamen jährlich zum Verkauf: 150 Jungbullen und Stiere, ca. 70 Kälber und Ausmerzungstiere, 5–6.000 Ztr. Schweine, ca. 100 Hammel und 50–100 Bracken (alte Schafe), je nach Nachwuchs.

Durch natürlichen Verschleiß von Kühen und Ochsen gingen im Jahre zusätzlich ca. 150 Ztr. ab. Nach 1939 konnten auch Jungbullen zur Zucht abgegeben werden.

In den Viehställen des Gutes stand 1939 eine eingetragene Herdbuchherde von 60 Stück hochwertigen Kühen mit einer Jahresleistung von 4.000–4.500 l Milch. Der Jungviehnachwuchs war ebenso zahlreich. Der Futterbereitung und Lagerung dienten zwei Silos, die 75 bzw. 50 cbm Eiweißfutter fassten (Zwischenfruchtbau: Bohnen und italienischer Rotklee).

Zur Domäne Gramschütz gehörte auch, wie allbekannt, das etwa 3 km entfernt in Richtung Simbsen liegende Teichvorwerk. Dort waren die Schäferei und die Schweinezucht untergebracht. 200 Mutterschafe und die entsprechenden Hammel, sowie 25–30 Zuchtsauen, ein Eber und ca. 200 Mastschweine wurden hier gehalten. 1928 wurden im Teichvorwerk Zweifamilien-Wohnungen für den Schäfer und den Schweinemeister ausgebaut.

Stehen wir nicht alle, die “unser Dominium” nun von außen und die Arbeits- und Ertragsleistungen wenig und gar nicht kannten, staunend und bewundernd vor dieser Darstellung! Gedenken wir nicht mit warmen Herzen der treuen Männer und Frauen, die tagaus, tagein die Mühsal schwerster Feld- und Stallarbeit bei Wind und Wetter, in sengender Hitze, beißender Kälte auf sich nahmen. Namen wie Bartsch, Daum, Franziskowski, Gaskar, Handke, Hartmann, Herberger, Ismer, Jahner, Joite, Jungnickel, Katschmarek, Karsch, Kurzmann, zwei Familien Lange, Meißner, Mühmel, Müller, Otto, Schauer, Schröder und Wende stehen mir als Verkörperung des unermüdlichen, zuverlässigen “How-Orbäter” – ja, so sagte man damals – vor Augen. Ihnen allen sei mit den Worten Conrad Ferdinand Meyer in unseren Herzen ein bleibendes Denkmal gesetzt:

Einem Tagelöhner

Lange Jahre sah ich dich
führen deinen Spaten,
und ein jeder Schaufelstich
ist dir wohlgeraten

Nie hat dir des Lebens Flucht
bang gemacht, – ich glaube,
sorgtest für die fremde Frucht,
für die fremde Traube.

Nie gelodert hat die Glut
dir in eignem Herde;
doch du fußtest fest und gut
auf der Mutter Erde.

Nun hast du das Land erreicht,
das du fleißig grubest.
Laste dir die Scholle leicht,
die du täglich hubst!

Zur Zeit der Flucht wiesen die Gramschützer Ställe 64 hochwertige, eingetragene Milchkühe, 2 Bullen, 80 einjährige Jungtiere, 16 Zugpferde, 4 Kutschpferde, 24 Zugochsen und 10 Fohlen auf, das Teichvorwerk 300 Schafe und 150 Schweine. Alles musste verlassen werden und sich selbst überlassen bleiben! Arme Kreatur! Welch ein Jammer! Auch die beiden eisenbereiften Trecker mussten zurückbleiben. Doch gibt dieser an sich so traurige Tatbestand einen Begriff von dem ausgezeichneten Zustand der Domäne am Ende eines langen, schweren Krieges!

Heute? Ist der Zustand des Schlosses und der Gutseinfahrt typisch und maßgeblich für die ganze ehemalige Domäne, – dann ist es entsetzlich traurig darum bestellt. Allein der Gedanke daran ist allen Gramschützern sehr schmerzlich.

Der in Wien geborene Kommentator in kanadischen Diensten Charles Wassermann (4) unternahm 1950 eine 7.000 km lange Reise durch die deutschen Ostgebiete unter polnischer Verwaltung. Er schreibt u.a.: “Unterwegs nach Breslau ... Es ist schwer, sich eine grüne Wüste vorzustellen. Aber das gibt’s! Hier ist sie, zu meiner Rechten wie zu meiner Linken. Eine liebliche Landschaft muß hier gewesen sein ... Hier und da in der Ferne Dörfer – sonst ein Gebiet, das sicher zur Landwirtschaft wie geschaffen war. Und was wächst hier? Buschwerk, etwas Gras und Unkraut, das nun in den unbesäten Ackerfurchen hervorschießt.” O du Heimatflur! O du Heimatflur!

Und Glogau, unsere Kreisstadt – “Von Glogau stehen nur noch Fragmente ... Reste des Schlosses, Reste des Rathauses, Reste der Kirche ... Eine quälende Stille lastet auf den Schutthalden und über den bizarren Gebilden, die die Artillerie-Walze von Häusern, Kirchen und Türmen übriggelassen hat ... Es ist schwer, hier einen frohen Gedanken zu haben ...” (5)

Aus einer weiteren authentischen Quelle (6) ist zu hören: “In der Umgebung Beuthens und dem südlichen Teil des Kreises Glogau findet man noch eine Anzahl von Landsleuten ... Monatlich einmalig wird das Schlachtvieh in Beuthen aufgetrieben. Dabei ist interessant, dass auch Pferde zu den Schlachttieren gerechnet werden ... Oderschiffe mit behelfsmäßigen Kühleinrichtungen bringen die geschlachteten Tiere nach Breslau und sogar bis Oberschlesien. Fleisch und Knochen der Mähren wandern in die Breslauer Ross-Wurstereien. Im Gegensatz zu früher dürfen Kälber nicht mehr aufgetrieben werden, da es an Vieh zur Aufzucht fehlt. Viehfarmen wurden eingerichtet in: Herrndorf (Zukowice), Brieg bei Glogau (Brzeg Glagowski), Nilbau (Nielubia) und Gramschütz (Grebocice)."

Zum Abschluss ein Erlebnisbericht: “1945, kurz nach der Besetzung des Dorfes, standen auf dem Gut alle Ställe voll Großvieh, das zusammen getrieben worden war. Von Tauer aus mussten wir das Vieh nach Gramschütz treiben. Es waren wohl 50–60 Kühe. Sie litten teilweise an Maul- und Klauenseuche. Sicher wurde das gesunde Vieh auf Gut Gramschütz angesteckt ... Alles Stroh und Heu aus der weiteren Umgebung war in Ballen gepresst worden. Zehntausende solcher Ballen lagen, zum Abtransport bereit, hoch aufgestapelt auf dem Güterbahnhof. Eines Tages brannten diese Riesenvorräte restlos ab.” (E.M.)

V.

Zwischen Dominium und Gemeinde bestanden von altersher enge Beziehungen. Nach einem bis 1945 im Gemeindebüro befindlichen Rezess (schriftlich niedergelegtes Ergebnis von Verhandlungen) vom Jahre 1838 gehörte die ganze Gemarkung Gramschütz einst zur Domäne. Schon im 15. Jhdt. war der Junker Grund- und Gerichtsherr und der eigentliche Landesherr seiner erbuntertänigen Bauern. Im 16. und 17. Jhdt. hatte die Knechtung des Bauernstandes weitere Fortschritte gemacht. Dorfflur und Bauernallmende (gemeinschaftlicher Besitz der Dorfgemeinde) wurden in Herrschaftsflur umgewandelt und den Bauern neue Lasten in Form von Hand- und Spanndiensten sowie Abgaben aufgebürdet. Weithin waren sie besitzlose, leibeigene Arbeiter, die wie eine Ware verkauft werden konnten. Wie es in Gramschütz war, wissen wir nicht, dies aber, dass Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, 1799 die Umwandlung unerblichen Besitzes in erblichen verfügte. Die Frondienste der Dominialbauern wurden in demselben Jahre aufgehoben. An ihre Stelle traten sog. Dienstgelder. Diese Bestimmung war für die Provinzen Preußens obligatorisch (verbindlich), für Pommern beispielsweise nicht. Der Bauer war jedoch nach wie vor Untertan, nicht Staatsbürger. Erst das “Edikt vom erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Gemeindeeigentums sowie der persönlichen Befugnisse der Landbewohner” des Reichsfreiherrn vom und zum Stein vom 9. Oktober 1807 hob die Erbuntertänigkeit auf. Die Verpflichtung zu Fronden und Abgaben bestand jedoch weiter. Erst ein weiteres Kgl. Edikt vom 27. Juli 1808 brachte den Dominialbauern Preußens das volle Eigentumsrecht und die Ablösung von Dreivierteln der dinglichen Lasten binnen 24 Jahren. Über die Durchführung beider Edikte in unserem Heimatdorf wissen wir auch nichts. Aufschlussreich ist aber, dass ein Rezess erst 1838 die Besitzverhältnisse klärte. Geschichtlich verbürgt ist nur, dass von der 5.000 Morgen großen Dorfgemarkung 1.236 Morgen der Domäne verblieben und 3.764 Morgen Rustikal-Besitz wurden, d.h. in Bauernhände übergingen. Nach dem Rezess war der Rustikalbesitz in Vollbauern-, Gärtner- und Häuslerstellen aufgeteilt. Der genannte Rezess von 1838 enthielt ein genaues Verzeichnis der Liegenschaften mit Größenangaben und den Namen der Besitzer. Diese Besitz-Struktur hatte sich aber im Laufe des darüber vergangenen reichlichen Jahrhunderts durch An- und Verkäufe erheblich verschoben.

Äußerst bemerkenswert ist auch Folgendes: In Gemeinden mit Rittergut oder Domäne gehörten alle öffentlichen Plätze, Straßen, Wege, Fußwege, sogar Hofeinfahrten, ebenso Teiche und Gräben zum Gut. In Gramschütz fielen auch die Vorgärten von Kirch-Röhr bis zum Jägerhof unter das Auenrecht. Wollte ein Anlieger einen Zaun oder eine Mauer ziehen, benötigte er dazu die Erlaubnis des Gutsvorstandes.

Unser Alt-Gemeindevorsteher, Herr Alfred Schulz, berichtet dazu wie folgt: “Während meiner Amtszeit habe ich jahrelang persönliche Verhandlungen mit Herrn Ober-Regierungsrat Herzog von der Regierung zu Liegnitz geführt, um diesen alten Zopf endlich abzuschneiden. Tatsächlich war dann (1928/29) Gramschütz das erste Dorf in ganz Niederschlesien, in dem das Auenrecht abgeschafft wurde. Damit gingen alle vorgenannten Objekte, von denen nur der Teich, der Dominalweg in seiner ganzen Länge bis zum Zollhaus, der schnurgerade “Totenweg” Gramschütz – Priedemast und die sog. “Treibe” vom Bahnübergang bis zum Teichvorwerk genannt seien, entschädigungslos in Besitz der politischen Gemeinde über. Allerdings musste sie damit auch die Instandhaltung übernehmen. Genaue Karten darüber, viele Quadratmeter groß, von der Regierung zu Liegnitz erstellt, befanden sich bis zuletzt im Gemeindebüro. Die ganze Aktion gründete sich auf die von Ober-Regierungsrat Herzog erarbeiteten Unterlagen.

Wie reich wären wir, wenn uns die alten Quellen alle noch zur Verfügung stünden! Unermessliche und unersetzliche Werte gingen verloren. Wir müssen uns mit dem verbliebenen Rest begnügen.

VI.

Die Gutsanlage, bestehend aus Wirtschaftshof mit Ställen, Scheunen, Arbeiterwohnungen etc., dem Schloss mit Park und der stets verpachteten Schlossgärtnerei, ist aus der Lageskizze ersichtlich, die wir Herrn Bauunternehmer Willy Hellmich verdanken.

An einer der beiden sich gegenüberliegenden Einfahrten stehend, übersah man den Hof in seiner ganzen Breite. Stets herrschte dort rege Tätigkeit. Im “Pfarrgässl” ging man unter einer langen Flucht mannshoch angebrachter Klappfenster entlang und hörte das Muhen und Schlagen und Kettenklirren und Kratzen der Rinder, im Sommer von unzähligen Fliegen umschwärmt, und die Zurufe der Futterleute. Reißaus nahmen wir, wenn Jungvieh durchs Dorf getrieben wurde. Diese großen Herden zusammenzuhalten war schwer. Zutraulicher waren wir im Herbst den Rübenkutschern gegenüber. Kannten wir sie doch alle. Und so bettelten wir wie alle anderen, obgleich es uns verboten war, “im an Rieb”. Wenn genug beisammen waren, wurde Sirup daraus bereitet, den wir gern mochten. Und unter den hohen Bäumen beim Schloss sammelten wir Kastanien und Nüsse, die einen zum Verkaufen, die anderen für Weihnachten. Wer früh zuerst da war, fand am meisten. Der “Lilump” bezahlte einige kümmerliche Pfennige für unseren Kastanienschatz, wenn er das nächste Mal durchs Dorf zog und pfiff. Doch Pfennige waren damals auch Geld. Das Sammeln geschah auch nicht aus Geldgier, sondern war Sport.

Zu dieser Zeit, vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, hatte Herr Karl Kurz die Schlossgärtnerei in Pacht und versah die viele Arbeit im Garten, wozu noch die des Kranzbindens kam, still und fleißig mit seiner Tochter, der allbekannten “Gärtner-Liesl”. Sie lebten in einer Welt für sich. Nachfolger war Herr Hermann Riedel. Welch ungleiches Paar!: er ein Riese, dazu langsam und bedächtig, sie sehr klein, aber flink wie ein Wiesel, beide jedoch gesprächig und stets freundlich. Als letzter Pächter ist Herr Köhler zu nennen, der mit seiner Frau und zwei Töchtern wirtschaftete. Nach seinem Tode führten die drei Frauen den Betrieb bis zur Flucht weiter. Die Schlossgärtnerei erbrachte stets alles, was für den Hausgarten, die Küche und für alle familiären Anlässe benötigt wurde und übernahm auch Grabpflege für auswärts Wohnende und Alte.

VII.

Ein so großes Gut, das 50–60 ständige Arbeitskräfte und deren Familien zu versorgen hatte, war ein Organismus für sich, gewissermaßen ein Dorf im Dorfe. So ist es verständlich, dass es einst neben dem Dorf und seiner Verwaltung den Gutsbezirk mit der Gutsverwaltung gab. Überall dort also, wo in der Gemeinde eine Domäne lag, war auch ein Gutsbezirk anzutreffen, z.B. in Altwasser, Klein-Schwein, Obisch, Rettkau. Nach deren Auflösung gab es nur noch Gemeinden einschließlich Kleinstädten. Vorstand und Verwaltungs-Leiter eines Gutsbezirks war der jeweilige Besitzer oder Pächter, der Gutsvorsteher. Welche Amtsbefugnisse er hatte, ist leider unbekannt. Alt-Gemeindevorsteher Alfred Schulz erinnert sich aber, dass bei Wahlen Gemeinde und Gutsbezirk getrennte Wahlbezirke bildeten.

“Unser Dominium” – was war es uns? Einst sicher der Ausgangspunkt für Besiedlung und Dorfgründung; später – und das bis zur Flucht – in steigendem Maße ein bedeutender Wirtschafts-Faktor für das Dorf und weit darüber hinaus. Seine Gespanne trugen den Ortsnamen weit hinein ins Kreisgebiet, seine Erzeugnisse, besonders die große Zuckerrübenernte vermehrten den guten Ruf, den unser “Schlesien” als Agrarland hatte.

Allen denen, die an irgendeinem Platze mitschafften in diesem großen Lebensbereich, war es die Heimat im engsten Sinne, an der heute noch ihr Herz hängt. Am stärksten aber empfinden wir mit den Letzten der Familie Metscher, denen das Schloss Geburtsstätte und das Dominium Lebens- und Seinsgrund war. Uns allen, uns Gramschützern, ist es nicht wegzudenken aus dem Heimatdorf.

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