Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2002

Auch Wegkreuze haben eine Geschichte

Bei einem Gespräch zur Dorfgeschichte, zu Besonderheiten, die man sich im Dorf erzählte, berichtete eine Frau aus Bruchdorf (Gemeinde Schussenze), daß man sich Spukgeschichten im Dorf erzählte. In dem Wald zwischen Bruchdorf und Lupitze an der alten Wegabzweigung nach Altkloster sollen wunderliche Dinge vorgehen. Man erzählte sich, daß dort im 30jährigen Krieg Kinder von Soldaten ermordet worden sein sollen. Ein Bauer aus Bruchdorf kam von dort ganz verstört wieder. Sein Pferd hatte dort gescheut und ihn vom Wagen geworfen. Als er aufstand sah er am Straßenrand einige enthauptete Kinderleichen liegen. In Panik lief er weg ins Dorf und weigerte sich dorthin zurück zu gehen. Einige Männer machten sich daraufhin auf den Weg an die besagte Stelle, konnten aber außer dem Fuhrwerk dort nichts finden. Der Bauer hat sich seither immer geweigert hier wieder dran vorbei zu fahren und nahm lieber einen großen Umweg in Kauf, um nach Lupitze zu kommen. Aber da er darauf beharrte, daß er dort Leichen gesehen habe, schürte das den Aberglauben in der Bevölkerung.

Diese Geschichte wird als Spukgeschichte abgetan, aber ist es möglich, daß ein Körnchen Wahrheit daran sein kann? Polen war doch gar nicht am 30jährigen Krieg beteiligt, wie kann es da zu Morden gekommen ein. Außerdem existierte das Dorf Bruchdorf zu jener Zeit noch gar nicht. Wenn es solche mündlichen Überlieferungen gab, können die höchsten aus Schussenze oder Lupitze stammen. An jener Stelle, wo das passiert sein soll befand sich ein altes Wegkreuz. Eine Recherche vor Ort und natürlich in den Geschichtsbüchern war nun notwendig. Dort, wo mal ein Kreuz stand, wird auch jetzt noch eines stehen, hieß es, denn die Polen sind sehr gläubig und würden niemals ein Kreuz entfernen. Dieses Argument ist schlüssig, denn aus Altkloster berichtete man über die evangelische Kirche, daß man den gekreuzigten Christus und auch das evangelische Kirchenkreuz zwar abgenommen habe, es aber in der Wallfahrtskirche wieder aufgestellt hatte. Das Kreuz am Kirchturm sollte wegen Baufälligkeit entfernt werden, aber alle polnischen Handwerker in Kaszczor (Altkloster) weigerten sich daran Hand anzulegen, so kam man zu einem Kompromiß: man brachte eine Metallplatte an, um das Kreuz vor dem Absturz zu schützen. Dieses pietätvolle Verhalten sprach dafür, daß sich das Kreuz im Wald bei Lupitze immer noch befand. Beim nächsten Besuch in Polen fuhr ich diese Strecke entlang und entdeckte an der beschriebenen Stelle wahrhaftig noch ein Wegkreuz, aber ein ganz neues. Das alte war verfallen und wurde durch ein neues ersetzt, sogar eines mit einer Christusfigur aus Metall. Man hatte also keine Kosten und Mühen gescheut. In Polen findet man sonst oft große Kreuze mit winzigen Christusfiguren, die durch die Größenverzerrung skurril aussehen. Hier hatte man nicht gespart.

Auch die zweite Recherche, die in der Literatur über die Geschichte Schlesiens im 30jährigen Krieg, brachte erstaunliches Zutage:

Nach dem Ausbruch des Krieges durch den Prager Fenstersturz (1618) kam es zum Krieg zwischen Katholiken und Protestanten. Nach dem Tod Kaiser Matthias II. (*1557, Ks. 1612-1619) erkannten die Tschechen seinen Nachfolger, Kaiser Ferdinand II. (*1578, Ks. 1619-1637), nicht als König von Böhmen an, sondern wählten den reformierten Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz (*1596, Kg. 1619-1620) zum König. Damit war nur auch Schlesien direkt vom Krieg gefährdet, denn das Fürstentum Glogau unterstand der böhmischen Krone. In Breslau huldigten die niederschlesischen Städte dem neuen Herrscher (1620). Die Glogauer Ritterschaft fehlte jedoch. Man berief sich auf ein altes Privileg, dem König nur im eigenen Fürstentum zu huldigen und gewann so Zeit, denn der junge König fand keine Zeit dorthin zu reisen, da er sich mit seinen Truppen den anrückenden Katholiken stellen mußte. In der Schlacht am Weißen Berge, am 8. November 1620, zerplatzten die Träume der Böhmen. Friedrich, den man spöttisch den Winterkönig nannte, weil er nur einen Winter lang herrschte, floh gen Schlesien.

Zu Weihnachten 1620 traf er mit 300 Rittern von Breslau kommend in Glogau ein. Bereits am folgenden Morgen reiste er über Beuthen/ O. nach Carolath weiter, wo er beim Freiherren Johann von Schönaich frühstückte, ehe er gen Züllichau und Küstrin weiterreiste. Schlesien mußte sich unterdessen Kaiser Ferdinand II. unterwerfen und erhielt durch die Vermittlung des Kurfürsten von Sachsen im sogenannten Dresdener Akkord (1621) vom Kaiser Verzeihung für seine Abtrünnigkeit. Den Majestätsbrief vom 20. August 1609, der die Freiheit des religiösen Bekenntnisses zusicherte, erklärte er hingegen aber für verwirkt und hob ihn auf. Damit nahm die Gegenreformation auch in Glogau Einzug. Seitdem wurden die Ratsstellen nur noch mit Katholiken besetzt. Durch die Flucht Friedrichs war der Krieg vorerst entschieden, ging aber dennoch weiter, weil sich die Protestanten neu formierten und die Nachbarstaaten nun eingriffen, schon allein um die Habsburger zu schwächen. Schlesien litt nur über fast drei Jahrzehnte hinweg am Krieg, der Einquartierungen, Rekrutierungen und Plünderungen brachte. Da spielte es keine Rolle, ob Freund oder Feind das Land drangsalierte und ausraubte. Im Jahr 1622 zog ein Korps von 6-8000 Kosaken aus dem Rückmarsch von Hirschberg kommend über Neustädtel, Beuthen nach Glogau und von hier aus bis nach Schlawa, wo sie nach längerem Verweilen aus dem kaiserlichen Dienst entlassen wurden. Sie erhielten ihren Sold und wurden nach Polen entlassen, damit sie in ihre russische Heimat zurückkehren. Die wilden Horden verwüsten das gesamte Umland und verübten überall Greueltaten auf ihrem Weg durch das neutrale, aber wehrlose Polen.

Es ist also durchaus wahrscheinlich, daß sie die nördlich von Schlawa gelegenen Dörfer heimsuchten und die Bauernkinder töteten, weil die Bevölkerung üblicherweise seine Habseligkeiten in das Obrabruch brachten, um es vor marodierenden Soldaten in Sicherheit zu bringen.

Der Krieg ging unterdessen weiter. 1622 wurden die kurfürstlich sächsischen Truppen abgezogen, da die Kriegsgefahr vorüber war. Bereits 1623 bedrohte der tolle Christian von Halberstadt das Glogauer Land und man bat um militärischen Schutz vor den anrückenden Protestanten und den immer noch anwesenden marodierenden Kosaken.

1625 rückte der von Wallenstein besiegte protestantische Heerführer Ernst von Mansfeld mit 20.000 man von Frankfurt/ O. kommend auf Glogau zu, das er als möglichen Helfer betrachtete, da hier viele Protestanten lebten. Die Kaiserlichen in Glogau trafen Vorberei-tungen für den Angriff. Im Juli 1626 streiften die Mansfeld'schen Truppen plündernd das Gebiet bis nach Kontopp und den Raum Kuttlau, wobei sie auch die polnische Grenze nicht respektierten. Auch zu diesem Zeitpunkt ist ein Überfall auf die Dörfer südlich des Obrabruches möglich.

Mit dem Erscheinen Wallenstein wurden die Protestanten vertrieben, doch schon bald erschienen neue kriegs- und beutelüsterne Truppen in Schlesien. Der Krieg ging bis zur totalen Ausblutung und Erschöpfung weiter.

Erstaunlich daran ist, daß man damals auf Staatsgrenzen keinerlei Rücksicht nahm und auch das am Krieg nicht beteiligte Polen schon damals Opfer von Überfällen und Angriffen wurde, wenn auch nur im Grenzgebiet.

Ein Beweis sind diese historischen Schilderungen noch nicht, aber es spricht doch vieles dafür, daß dieses Wegkreuz an eine Greueltat erinnern soll. Auch aus dem Dorf Mauche (Mochy) gibt es solche Erzählungen. Am Mühlberg gab es eine kleine Kapelle, die von der Familie Furmanek gestiftet worden sein soll für einen aus See ertrunkenen Sohn. Und im Garten der Familie Wittke gab es eine uralte gemauerte Kapelle mit einer Jahreszahl, die dem Wüten der Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Da sie mitten im alten Dorf lag, ist es möglich, daß dieses Kreuz an die Ermordung des Abtes Peter mit 3 weiteren Brüdern erinnern soll. Im Jahre 1309 hatte die erboste bäuerliche Bevölkerung sich heftig über ihre Not bei dem Abt beschwert, der daraufhin in ein Haus geflüchtet war, das die wütende Menge daraufhin anzündete.

Man sieht, daß auch Kreuze ihre Geschichte haben, nur daß man diese zumeist nicht mehr kennt, bzw. beweisen kann.

Dr. Martin Sprungala, Heinrichstr.56, 44137 Dortmund

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