Mannschaftsfoto

Foto vom Kassierer

Foto vom Schatzmeister

Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2001

Wenn "unsere" Preußen schossen!

Zum 90-jährigen Vereinsjubiläum
Wenn "unsere" Preußen schossen!
Erinnerungen an Ligaspiele der
Meisterkicker vom SC Preußen 1911

In meinem immer noch ziemlich frischen Fernzeitgedächtnis dämmern die ersten Besuche auf dem Preußenplatz hinter dem Schützenhaus auf. Ich war noch ein Knirps von etwa 10 bis 12 Jahren, aber doch schon ein echter Lausebengel mit dem unwiderstehlichen Drang zu Streichen und ungebührlichem Unfug. Natürlich war es ungebührlich, zum sonntäglichen Spiel unserer 1. Herrenmannschaft in der Weise auf den Preußenplatz einzudringen, einzubrechen, wie wir es damals taten, mein Freund und Klassenkamerad, der “Knochen”, Bruder des berühmten Halbrechts Bubi Böttcher von der 1. Jugendelf, und ich.

Die ersten Male hatten wir ja noch den Sechser Eintrittsgeld im Kassenkabüffchen gezahlt, nachdem uns der pausbäckige, grauhaarige Kassierer Kamps mit der stets gleichen Frage “haste überhaupt Schnee? (Geld)” griesgrämig und mißtrauisch beäugt hatte. Er war damals schon so tattrig, dass der gewiefte Schatzmeister des Vereins, Herr Vogel, ihm meist zur Seite stehen mußte. Aber natürlich war er immer noch für alle der “Käptn”, weil er stets eine weiße Matrosenmütze trug.

Eines Sonntags aber kam der Knochen auf die lausige Idee: “Du, wir versuchen’s heute mal ohne Schnee, machste mit?” Na Ehrensache, wie denn? “Wir klettern über’n Absperrzaun an der Ecke des Platzes gleich neben den Eisenbahngleisen. Oder haste Schiß?” Wo denkste hin, ich doch nicht! – Los geht’s. Entlang dem Gebüsch vor dem Drahtzaun schleichen wir uns an die hinterste Stelle bis zur Ecke. Dann mit einem Sprung, gefolgt von zwei, drei Kletteransätzen, auf das oberste Maschengeflecht. Schwupp-dich, schon sind wir drüber weg, Absprung nach unten, und wir stehn wieder auf dem Boden, jetzt aber auf dem Platzgelände. Geschafft! Glaubten wir. Aber da hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht, sprich: ohne den vereinskassentreuen Kamps. Hatte ihm doch irgend ein gemeiner, humor- und verständnisloser Federfuchser Kunde von unserer schamlosen Gesetzesübertretung zugetragen. Der alte Griesgram drauf aus seinem Kabuff hinaus und hinter uns her, rot angelaufen, mit wütendem Geschrei: “Einbrecher, Diebe, Mörder! Faßt sie !!” – Wir beide aber, der Knochen jetzt hinter mir her, hatten uns eilig davon gemacht, teils gebückt und auf allen vieren krabbelnd. Durch die dich gedrängte Zuschauermenge gemogelt. Zugegeben, anfangs war es uns da doch etwas mulmig in der Magengegend zumute. Bald aber waren wir Kampses Aktionsradius entschlüpft. Der schnaubende Kassierer zog sich geschlagen in seine Hütte zurück.

Aufatmend und erleichtert konnten wir uns endlich dem Geschehen auf dem Rasen widmen. Unsere erste Jugendmannschaft bestritt noch das Vorspiel, überlegen und siegreich wie meist. Die Helden von damals: Rauhut im Tor (vom Reichsbahnsportverein zu Preußen gewechselt); dann die Verteidiger Knoblich und Matthäus (oder war der im Sturm?); in der Läuferreihe, heute Mittelfeld genannt, dann Eckerland, Dünnebier (Kapitän und Kopf der Mannschaft), Schliemann; im Sturm die Kanonen Heinz Knappe (der Fußballweise, auch heute noch), ‘Bomber‘ Bayer‘, Mittelstürmer ’Butze‘ (der bullige Rotschopf), ’Bubi‘ Böttcher (der Publikums- und Frauenliebling) und Vogt (der Hüne). Ich sehe sie alle noch deutlich vor mir, unsere Idole damals. Die meisten von ihnen sind im Krieg geblieben. . . .

Die Bezirksmeisterjugend des SC Preußen 1938

Dann endlich, so gegen 16.00 Uhr, Anpfiff zum Hauptspiel. Die Unsrigen in roter Hose, weißem Hemd, rot-weißen Stutzen. Ratzei im Tor (immer mit grauem Pullover), dann die Heroen vom Schlage eines Stasch, John, Moll, Nadolny usw. – für uns Drei-Käse-Hochs unerreichbare, unnahbare Matadoren des hehren Kicker-Galas. Ich erinnere mich an die Spiele gegen die Mannschaften der niederschlesischen Bezirksliga, gegen VfR Liegnitz (gegen die wir meist den kürzeren zogen), an die Teams von Jauer, Goldberg, Sagan, Grünberg, Neusalz u.a. Unvergessen auch die Freundschaftsspiele gegen Mannschaften aus der Gauliga, also aus der <belle etage> des Fußballs. Mannschaften von der Klasse Breslau 02 (in schwarz-blau) oder Breslau 06 (in weinrot-gelb). Gegen die letzteren haben wir einmal ’nur‘ 3:6 verloren, was tags darauf in der Zeitung als unerhörte Bravourleistung der Preußenelf gefeiert wurde. . .

Ach, und wie ungemein aufregend waren diese Siele schon für mich kleinen Pimpf. Allein vom Atmosphärischen her. Ich stand stets auf einer der drei, vier Stufenreichen an der Eisenbahnseite des Feldes, also gegenüber der anderen, ganz schmalen Zuschauer-Längsseite entlang der hohen Kieselsteinmauer zum Schießstand hin. Diese Front war kaum über einen Meter breit, so dass man sich auch bei nur normalem Zuschauerandrang immer nur mühsam hindurch quengeln mußte. Aber auch auf meiner Seite stand alles auf hautenger Tuchfühlung, wohl um die fünfhundert und mehr Preußenanhänger, heute ’Fans‘ genannt. Nein, Sitzplätze gab es natürlich nicht, folglich auch keine eigentliche Tribüne. Dazu fehlte der Platz und wohl auch das Geld. Mein Standort war meist unmittelbar an der Mittellinie. Hinter mir hing ein halbes Dutzend Eisenbahner wie eine dunkler Taube aus einem Stellwerk und schrie sich die Kehle aus dem Mund, ohne Entgelt dafür bezahlt zu haben. Auch die anderen Fußball-Enthusiasten um mich herum tobten und brüllten, was das Zeug hielt. Besonders wenn der Schieri eine Entscheidung gegen die heiß geliebten Preußen pfiff, fauchten und schnaubten alle lauthals los “Schiedsrichter ans Telephon ! Schweinehund ! Saukerl !” Es war zu schön, es war erhebend: So viel ungeteilte Einhelligkeit und wütende Eintracht!

Neben mir trat und trampelte ein hagerer Alter mit schwarzem Bart – ich sehe ihn noch heute deutlich vor mir – vor lauter Erregung, Begeisterung oder Empörung, immer von einem Bein aufs andere. Die ganze Zeit über, neunzig Minuten lang. Er konnte einfach nicht zur Ruhe kommen. Vielleicht kickte er das Leder im Geiste auch nur so, wie es nach seiner Ball-Strategie die Akteure auf dem Rasen hätten tun sollen. Manchmal dachte ich schon, er pullerte sich in seiner Ekstase in die Hosen. Genau die gleichen Hin- und Herbewegungen habe ich ja selber oft genug durchstehen müssen, wenn ich mal mußte und nicht durfte oder konnte. Ich mochte daher den Alten von Herzen und plazierte mich, wenn irgend möglich, neben ihn. Zuletzt ahmte ich unwillkürlich sein Wipptreten nach, linker Fuß – rechter Fuß. Wir beide bildeten so ein harmonisch stampfendes Fußtreter-Team. Aber gesprochen haben wir nie ein Wort zueinander. Man verstand sich eben über die Magie Fußball auch ohne Worte.

Von enormer Wichtigkeit für mein ganzes späteres Leben als Fußballa-balla-Narr war dann auch immer die Halbzeitpause. Hier lauschte ich andächtig und wie gebannt den weisen Reden meiner erwachsenen Mitgaffer. Da wurde die ganze bisherige Spielhälfte nochmals kritisch durchgekaut, einzelne Kicker teils heftig aufs Korn genommen – “so eine Flasche, haut gegen den Ball wie meine Oma mit dem Teppichklopfer . . ” und dergleichen; teils aber auch bewundernd über den Klee gelobt – “der Kalle war man wieder erste Sahne heut, wie er die Kugel mit ‘nem Fallrückzieher ins linke Toreck bugsierte, einfach Klasse der Junge . . .” und so fort. Oder es wurde vehement auf die gegnerische Mannschaft losgedroschen – “diese Mistkerle, spielen doch nur mit Haken und Ösen, Straßenbolzer die ..” usw. – Ehrlich, da konnte ich als kleiner Junge schon viel lernen. Allein schon rein sprachlich vom Fußballerjargon her. Natürlich auch ’technisch‘ und überhaupt. Seither weiß ich, wie man den Ball zu treten hat, mit Spann, Außenriß oder eben Spitze-Hacke-eins-zwei-drei. Schließlich waren meine Nachbarn auf dem Platz alle viel älter als ich und offensichtlich Kenner der Materie. Wie anders hätten sie so gescheit daher reden können!

Der Kassierer Herr Kamps

Zuletzt dann immer das Sielende, das bekanntlich unweigerlich eintritt und dem Ganzen jedesmal den Garaus beschert. Entweder tragisch niederschmetternd – bei einer Niederlage der Preußen, oder triumphierend euphorisch – bei einem Sieg der ’Unsrigen‘. Bei einem meiner ersten Spielbesuche auf dem Preußenplatz raste ich nach dem Schlußpfiff wie besessen quer über das Feld, um in nähere Sichtweite mit den angehimmelten Größen unserer Elf zu gelangen. Und zwar in der grünen Umkleidehütte, dieser wackligen, engen Holzbude an der westlichen Platzecke zur Oder hin. Als erstes stieß ich dabei auf die würdigen Herren Honoratioren des Vereins, die, Zigarren oder Stumpen schmökend, in kleinen Gruppen vor der Bruchbude standen und sich vergnügt jovial auf die Schulter klopften, offenbar aus Freude über einen der nicht zu häufigen Siege des Vereins. Allen voran der unvergessene, unverwüstliche Club-Vorsitzende, Preußengeneralfeldmarschall Adolf Motzigkeit, schlitzäugig und –ohrig, zusammen mit seiner so guten, lieben Frau und Söhnchen Harry (dem heutigen Hamburger Weltenbummler). Dann der schon erwähnte Finanzminister Vogel, ferner Ball- und Gerätewart Weimann, stets ein Riesennetz voller Bälle daherschleppend, oder auch die Jugendbetreuer Riedel und Friseur Beuthner und noch solch hohe Vorstandsvertreter.

Der Schatzmeister Herr Vogel

Schließlich hatte ich das Ziel meiner neugierigen Heldenverehrung erreicht und wagte durch die Türluke des Umkleideasyls einen Blick in das schweißtriefende, halbnackte Männergewühl der abgekämpften Ballrecken. Zuerst dröhnte mir nur ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr entgegen. Zu erregt war man offenbar noch von der großen Kickerschlacht. Dann schlug mir der nicht minder betäubende Mief aus schweißigen Socken, durchschwitzten Hemden, Shorts, Brusthaaren und Fußquanten in die Nase. Nein, ein Waschbecken, geschweige eine Dusche gab es da noch nicht. Auch kein WC. Lediglich vor der Baracke verlor sich eine windschiefe Hütte mit einem Plumpsklo darin. Daneben eine Wasserplumpe mit Handbetrieb. Man wusch sich offenbar erst daheim bei Muttern (oder in der Kaserne) – wenn überhaupt! Augenscheinlich war man damals in punkto Hygiene noch nicht zu zimperlich wie heutzutage die Saubermänner.

Zuletzt dann aber das für mich gänzlich Unvorhersehbare, schlechthin Erschütternde, hochgradig Irritierende, Schockierende, das mich Jungelchen von vielleicht gerade mal zehn Lenzen zuerst ganz außer Fassung brachte: Saß da doch das Mensch, dieser Nadolny, Mittelstürmer seines Zeichens, splitternackt auf der Banke! Breitbeinig, mit ausgestreckten, verdreckten Füßen! Ich denk, mich laust der Affe. Nie hatte ich bisher einen Mann mit nacktem Unterkörper gesehen. Nicht einmal meinen eigenen Vater. Brav bieder, bürgerlich züchtig, wie wir alle damals erzogen waren und gehalten. Und nun mit ‘nem Male diese Entdeckung strotzender, behaarter Männlichkeit! Mir verschlug’s den Atem. Schließlich aber, nach der ersten Verblüffung, dann doch ein Anflug von verschämtem Grinsen. Eine Entdeckung mehr, die mir mein Club bescherte.

Nun, Nackedei hin, Nadolny her – am Ende beherrschte mich doch wieder das ungleich tiefer sitzende Erlebnis des grandiosen Kampfes auf dem Fußballplatz. So ging’s dann auf den Heimweg, besonders wenn wir gewonnen hatten, übermütig auf einen der zwei steinernen Bögen der Eisenbahnbrücke in Höhe des Elektrizitätswerkes. Rauf balanciert mit seitwärts ausgestreckten Armen und dann schnell runter getippelt, bevor irgend so ein Hasenfuß von ängstlichem Opa uns von dem Jungenjux abhalten konnte – von wegen lebensgefährlich und so. Mußten wir doch ’unser‘ Siegs-Hochgefühl auf die uns angemessene Weise artikulieren: im kleine Wagnis einer Brückenbogen-Balance.

Einige Jahre später bolzte ich dann selber schon mit in der jüngsten, der vierten Jugendmannschaft von Preußen. Als Halbrechts im Sturm, zusammen mit unserem Kapitän und Mittelstürmer Hotl Henke, mit Knochen Böttcher in der Verteidigung, Harry Motzigkeit als Läufer (wieselflink wie sein Alter), mit Günter Kuhnert auf halblinks, Hubsel Böhmer Rechtsaußen, Arno Gottlieb im Tor . . und mit den anderen. Mann, das waren Zeiten! Ich erinnere mich noch an unser erstes Spiel 1939 in Noßwitz; 2:1 gewonnen. Hotl und ich die Torschützen. Nächsten Tag stand’s in der Zeitung – eine Zeile breit! Was waren wir stolz. So haben wir bis zu unserer Einberufung als Luftwaffenhelfer, später noch zum Barras 1943/44 fast jeden Sonntag im Sommer für Preußens Gloria gekickt, gewonnen und verloren. Am Ende hatten wir dann alles verloren . . . 1945.

Aber in unserer Erinnerung, ganz tief, rollt immer noch der alte Preußenfußball. Und von weit, weit her, aus seligen Kinder- und Jugendzeiten, hallt es in meinem Ohr: Toooor!! Tor für Preußen Glogau!

Ferdinand Urbanek

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