Am Anfang musste ich um Vertrauen werbenNorbert Conrads leitet an der Universität Stuttgart das Projekt schlesische Geschichte - dabei geht es um Sachthemen, nicht um Politik (Stuttgarter Zeitung, 10.06.2000)Seit Jahren befasst sich Norbert Conrads, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart, mit Schlesien. Sein Buch Schlesien ist mittlerweile zu einem Standardwerk geworden. Von seinen Neuen Forschungen zur schlesischen Geschichte liegen sieben Bände vor. Vor kurzem erhielt er in Breslau den Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen. Annette Pfeiffer und Tim Schleider haben sich mit dem gebürtigen Breslauer über seine Forschungen und aktuelle Fragen der Vertriebenenkultur unterhalten. |
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Wie kam es zu dem Projektbereich schlesische Geschichte? Der Projektbereich schlesische Geschichte war eine eigene Initiative. Am Anfang stand die Feststellung, dass an keiner deutschen Universität mehr systematisch über schlesische Geschichte geforscht wird. Zwischen meiner hauptamtlichen Tätigkeit für Frühe Neuzeit und der schlesischen Geschichte ließen sich viele Querverbindungen ziehen. |
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Und es mag eine Rolle gespielt haben, dass ich aus jener Gegend stamme und mich auch früher schon wissenschaftlich mit schlesischer Geschichte befasst habe.
Was sagte denn die Universität zu Ihren Plänen? Für mein Vorhaben fehlte anfangs ein geeigneter Raum. Noch heute bin ich den Studenten der Fachschaft Geschichte dankbar, dass sie mir ihren Fachschaftsraum zur Verfügung stellten. Das war im Jahre 1985. Ich bin dann relativ rasch mit Studenten nach Polen gefahren. Eine große Hilfe war, dass die Universität Stuttgart eine Partnerschaftsbeziehung zur Technischen Hochschule in Breslau unterhält. Daraus ergaben sich Kontakte zum Institut für Geschichte, Kunst und Technik der Politechnika Wroclawska. Ihnen folgten sehr intensive Beziehungen zu mehreren Instituten der traditionsreichen Universität Breslau. Was war denn damals das Besondere an der Thematik? Musste man an das Thema mit besonderer Sensibilität herangehen? Also, nach meinem Verständnis war und ist schlesische Geschichte ein Forschungsgebiet wie jedes andere auch. Aber Schlesien lag damals jenseits der DDR, es war nicht nur ein verlorenes, sondern ein fast unbekanntes Land. Wenn man sich für Schlesien interessierte, so musste man mit dem Verdacht rechnen, hier könnte die Wissenschaft für politische Zwecke missbraucht werden. Gerade 1985 gab es ja eine Debatte um die Parole Schlesien ist unser. Da wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn mancher meine Pläne mit Skepsis beobachtet haben sollte. Als Sie 1985 zum ersten Mal nach Schlesien fuhren, mussten Sie da auch dort um Vertrauen werben? Ja. Ich musste in ganz Polen um Vertrauen werben. Später habe ich erfahren, dass man von Breslau aus in Warschau nachfragen ließ, wie man sich mir gegenüber verhalten solle. Aber andererseits habe ich von Anfang an empfunden, dass man sich freut, wenn jemand als Wissenschaftler kommt und an Sachfragen zur schlesischen Landesgeschichte interessiert ist. Minister Naumann hat kritisiert, dass die Landsmannschaften die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Osteuropa vernachlässigen würden. Teilen Sie die Kritik? Diesen Vorwurf hatte Naumann vor einem Jahr in einem Grundsatzkonzept erhoben, doch die kürzlich vorgelegte Neufassung seiner Konzeption zur Kulturförderung wiederholt ihn nicht mehr. Hier hat Naumann die Erlebnisse einer Bundestagsanhörung vom letzten Herbst berücksichtigt, die Pläne an sich hat er aber nur wenig geändert. Aber ich kann ja nicht für die Landsmannschaften sprechen, denn meine eigenen Bemühungen sind anderer Art. Allerdings informiere ich mich über die Arbeit der Landsmannschaften und weiß ihre Tätigkeit zu würdigen. Was würdigen Sie daran? Die Landsmannschaften haben vielfach einen wichtigen Beitrag zur Integration der Vertriebenen in unseren heutigen Staat geleistet. Diese Aufgaben sind weitgehend abgeschlossen und verlagern sich immer mehr auf Traditionspflege und Kulturarbeit. Natürlich mag es unter ihnen einige, wie sagt man, Ewiggestrige geben. Aber sie sind nicht repräsentativ. Der pauschale Vorwurf des vergangenen Jahres, man habe die politische Entwicklung gänzlich verschlafen, war schlecht begründet. Der Ostdeutsche Kulturrat, also die kulturelle Dachorganisation der Landsmannschaften, unterhält schon seit vielen Jahren Kontakte mit dem Osten. Was halten Sie vom Zentrum gegen Vertreibungen, das die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, in Berlin errichten will? Wie ich höre, findet diese Idee von Frau Steinbach viele Befürworter, bis in die Regierungsparteien hinein, auch wenn die Einzelheiten des Vorhabens erst allmählich bekannt werden. Dahinter steht zunächst der Wunsch, an einer Stelle in Deutschland die Vertreibung der Deutschen aus den alten Ostprovinzen und den Siedlungsgebieten zu dokumentieren und im Bewusstsein zu halten. Das wäre ein respektables Anliegen, für das ein modernes historisches Museum genügte. Aber der Begriff Zentrum gegen ... will ein politisches Anliegen vermitteln. Hier geht es offenbar um eine vergleichende Erfassung vieler Vertreibungen. Ziel soll wohl sein, eine Art Frühwarnsystem gegen drohende Vertreibung zu errichten, damit sich dergleichen nicht wiederhole. Den dokumentarischen Teil halte ich für begrüßenswert, vorausgesetzt, die Vertreibung wird in ihren historischen Kontext gestellt, den zweiten Teil halte ich für problematischer. Was stört Sie bei der Planung? Das Zentrum gegen Vertreibung soll eine vorwiegend zeitgeschichtliche Einrichtung werden. Mir fehlt die historische Tiefendimension. Eine isolierte Herausstellung der Vertreibung lässt keinen Raum für die reiche Geschichte der jeweiligen Länder. Hinsichtlich der zeitgeschichtlichen Forschungen haben wir bereits seit langem wissenschaftliche Einrichtungen, die nicht nur, aber doch auch die gleichen Probleme untersuchen, etwa das Münchner Institut für Zeitgeschichte. Hier ließen sich wissenschaftliche Forschungen mit wenig Aufwand verstärken. Jedenfalls sollte die Berliner Planung in den Händen von Fachleuten und Wissenschaftlern liegen. Kommen wir noch einmal auf Naumanns Pläne zurück. Wo geben Sie ihm Recht? Naumann hat seine Pläne modifiziert. Eine Kulturstiftung für das östliche Europa, wie er sie vor einem Jahr vorgeschlagen hat, wird es nicht geben. Die Kritik, er begünstige damit einen Kulturzentralismus, hat offenbar Wirkung erzielt. Die Neukonzeption will eine Handvoll überregionaler Einrichtungen stärken, zu denen auch die Künstlergilde Esslingen gehört. Im Übrigen enthält Naumanns Papier nach wie vor Kritikwürdiges und Innovatives. Die Einschnitte in die Struktur der regionalen Kultureinrichtungen sind tief, ohne dass jeweils schon bessere Nachfolgeorganisationen vorhanden wären. Naumann hat auch Wildwuchs und eingefahrene Gewohnheiten vorgefunden. Doppelarbeit nannte er das. Zwei Stiftungen, die weitgehend das gleiche getan haben, der Ostdeutsche Kulturrat und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, waren noch unter der Regierung Kohl aufgefordert worden, sie mögen sich doch zusammentun und dafür selbst konkrete Vorschläge vorlegen. Beide Einrichtungen haben den Termin einfach verstreichen lassen. Die Betroffenen müssen sich heute vorwerfen, sie hätten selbst die Chance einer Neugestaltung vertan. Nun hat Naumann für sie das Ende jeglicher Bundesförderung verfügt. Wie beide Stiftungen nach dem 1. Juli weiterarbeiten können, ist ungewiss. Auch wenn Nauman in seiner Kritik formal im Recht war, so wird man sich sagen können, die Arbeit beider Stiftungen sei insgesamt unzeitgemäß oder überflüssig gewesen. Es ist geplant, dass die weiterzuführenden Aufgaben von anderen überregionalen Einrichtungen übernommen werden. |
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