Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2019

Das Schicksal der Zurückgebliebenen (1945/51) - Der Untergang der Rostersdorfer Kirche

 

nach einem Bericht von Frau R. H. geb. Rüdiger

 




Als die Russen Anfang Februar 1945 in Rostersdorf eindrangen, befanden wir uns in Klein Schwein. Sie waren bei Fähreichen (Leschkowitz) über die Oder und über den Mittelhof ins Dorf gekommen, wo sie allerdings nur kurze Zeit verblieben. Als wir mit unserer kleinen Gruppe, die sich von dem großen Treck getrennt hatte, am 21. Februar in unsere Heimat zurückkamen, waren nur noch zwei Offiziere mit ihren Burschen im Hof von Eitner-Reisdorf. Der russische Kommandant befand sich bis 1949 in Roggenfelde (Rietschütz). Hinter dem Wohnhaus der Bäckerei Wolf fanden wir die Leichen von 30 deutschen Soldaten, die dort als Verwundete den Tod gefunden hatten. Wir bestatteten sie auf der Waldlichtung nach Rietschütz zu. Die Erkennungsmarken, die wir gesondert vergruben, wurden später ausgegraben und von den Polen vernichtet.
Schon bald wurden die zurückgebliebenen bzw. zurückgekehrten Deutschen in Rietschütz zusammengezogen und in den von der sowjetischen Militärverwaltung gebildeten Kolchosen zur Arbeit eingesetzt. Bei unserer Rückkehr fanden wir viele Häuser des Dorfes völlig zerstört, so ein Arbeiterhaus des Niederhofes, das gräfliche Schloss im Mittelhof, die Wohnhäuser von Großmann, Viereck, Geppert Bernhard, Reibeholz, Hartmann, Zwicker, Mühmelt, Srippek, Kieslat und Schuppke, die Bäckerei Wolf, die Scheune von Pohl und die Windmühle von Obst. Am 27. Juni kamen die ersten Polen nach Rostersdorf, und es wurde ein polnischer Bürgermeister eingesetzt. Die polnische Miliz befahl allen Deutschen, den Ort sofort zu verlassen. Im Fußmarsch ging es mit nur wenig Gepäck bis Forst a. d. Lausitzer Neiße. Doch schon Ende August 1945 kamen wir auf eigene Verantwortung wieder zurück; sogar per Bahn, wenn auch im verschlossenen Waggon. Wir konnten nur staunen, als wir die vielen Polen sahen, die in den sieben Wochen unserer Abwesenheit in Rostersdorf sesshaft geworden waren. Durch die polnische Verwaltung wurde bekannt gemacht, dass sich jeder Deutsche einen Ausweis ausstellen lassen müsse. Außerdem habe jeder eine weiße Armbinde zu tragen. Das Tragen der Armbinden wurde in den letzten Jahren erlassen. Radiogeräte, Fotoapparate, Feldstecher und andere wertvolle Gegenstände waren sofort abzuliefern.
Wir mussten viel erdulden. Oft wurden wir von Russen mit der Pistole gezwungen, mitzugehen. Einmal kamen bei Tage zwei Russen ins Haus und schauten sich alles an, besonders die Frauen und uns Mädchen. Gegen Abend ging ich mit meiner Schwester zu unserer Tante nach Urschkau, weil wir annahmen, dass die beiden in der Nacht wiederkommen würden. Sie kamen tatsächlich und suchten nach uns. Da unsere Mutter nicht sagte, wo wir waren, schlug man sie mit einer Eisenstange zu Boden. Als wir am Morgen zurückkamen, fanden wir unsere Mutter schwer nach Atem ringend vor. Sie war kaum in der Lage, uns über das Vorgefallene zu berichten. Die Kolchosen, auf denen wir arbeiteten, wurden 1949 von den Russen den Polen übergeben.
Die evangelische Kirche des Pfarrorts Rostersdorf (Kreuzkirche) war eine mit Schindeln gedeckte Schrotholzkirche, bei der die tragenden Teile der Wände aus Holzbalken zusammengesetzt und die Gefache in Lehmbauweise geschlossen oder ausgemauert waren (Fachwerk). Wenige Tage nach dem 27. Januar 1945, dem Tag der Ausweisung der Dorfgemeinde Rostersdorf, wurde der weithin sichtbare Kirchturm von Soldaten der Wehrmacht abgerissen mit der Begründung, man wolle eventuelle feindliche Beobachter verunsichern. Als wir, die wir uns vom Treck getrennt hatten, am 21. Februar 1945 wieder in unseren Heimatort zurückkamen, war die Kirche noch vorhanden, aber schon stark ausgeraubt. Die Schindeln, die schon seit der Vorkriegszeit zur Neueindeckung des Daches bereitlagen, wurden als willkommenes Brennmaterial verwertet. Die Leichenhalle nahe bei der Kirche diente den Russen als Schlachthaus. Auf der Totenbahre erstach man die Schweine und brannte sie ab.

Das Vieh, Rinder, Kälber, Schafe usw. wurde, bevor es geschlachtet wurde, an die Grabsteine unweit der Halle angebunden. Die eigentliche Zerstörung und Vernichtung der Kirche begann, als sich im August immer mehr Polen im Dorf niederließen. Zuerst wurden die Bänke und Stühle, dann die Dielen, die Orgel und die Kanzel und schließlich das gesamte Balkenwerk und die restlichen Holzteile zu Brennmaterial gemacht. Später entdeckte man die Grüfte, die sich im vorderen Teil der Kirche unter dem Fußboden befanden. Die darin befindlichen Särge wurden geöffnet und geschändet Am Totensonntag 1946 stieg Qualm aus einer Gruft. Man hatte in einem Sarg Feuer entzündet, das wir sofort nach Entdeckung löschten. Es hatten Hobelspäne gebrannt. Mehr konnte man in diesem kleinen Sarg nicht entdecken. Wir schauten uns nun die Gruft, von der ja auch die Rostersdorfer Kirchenchronik berichtet, genauer an. Die Inschrift war noch lesbar. Drei Särge waren abgedeckt. Durch ein kleines viereckiges Fenster konnte man die noch sehr gut erhaltenen Leichen sehen. Die Gesichter waren wie verwelkt, die Gewänder anscheinend unverändert. An diese Särge hatte man sich nicht herangewagt. Nur die äußeren Sargdeckel hatte man entfernt. Da sich alle Neubewohner des Dorfes an der Ausbeutung des Holzes als Brennmaterial beteiligten, reichte dieses natürlich nicht lange. Schließlich waren nur noch wenige Steine, Lehmbrocken und der aus Stein gemauerte Altar von dem einstmals so stolzen Bau übriggeblieben. Auf dem verwahrlosten Friedhof hüteten die Polen ihr Vieh. Es sei noch erwähnt, dass man die Glocke eines Nachts gestohlen hatte. Sie wurde dem Vernehmen nach nach Grünberg und von dort weiter nach Polen transportiert.
Bevor wir 1951 endgültig unsere Heimat verließen, nahmen wir wehmütig Abschied vom Friedhof und von dem wenigen, was von unserer schönen alten Kirche übriggeblieben war. Vielleicht musste es sein, dass wir noch so lange in der Heimat unter fremden Menschen leben mussten, um von all dem, was geschehen war, berichten zu können.




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