Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 4, April 2012

Ein Streich mit Folgen – der evangelische Glockenturm in Brostau

 

von Charlotte Stritzke / Thomas Kinzel

 

Brostau, ein Dorf nahe der Stadt Glogau, wurde während der Regierungszeit des schlesischen Piastenherzogs Boleslaw des Langen im Jahre 1175 gegründet und bereits im Jahre 1399 ist im Umfang der Archipresbyterate Glogau’s eine katholischen Pfarrei in Brostau dokumentiert. Demzufolge blickte man bei der Errichtung des heute noch vorhandenen katholischen Gotteshauses Sankt Laurentius im Jahre 1502 bereits auf eine mehr als 100-jährige Kirchengeschichte zurück. Durch die Auswirkungen der Reformation wurde die Kirche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermehrt auch zur Durchführung von protestantischen Gottesdiensten genutzt, bis sie im Jahre 1582 durch Erlass Kaisers Maximilian II. „endgültig“ den evangelischen Glogauern zugesprochen wurde. Dies sollte lediglich bis zum 27. August 1625 so bleiben, denn die während der Regierungszeit Kaiser Ferdinand II. erfolgten Zwangsbekehrungen hatte auch die Rückgabe der Brostauer Kirche an die katholisch Gläubigen zur Folge. Erst drei Jahrzehnte später, d.h. nach Beendigung des 30-jährigen Krieges und dem Abschluss des Westfälischen Friedensvertrages, wurde den Glogauer Protestanten die Errichtung einer von drei Friedenskirchen in Schlesien zugestanden. Gewiss war es auch den Bemühungen der zwischenzeitlich überwiegend evangelischen Einwohner Brostau’s (etwa 70%) zuzuschreiben, dass der Bau dieser ersten Friedenskirche (1654/1655) auf Brostauer Gemeindegebiet erfolgen konnte. Demzufolge ist davon auszugehen, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt – trotz konfessioneller Unterschiede – ein friedliches Miteinander im Dorf gewährleistet war. Der schicksalbehaftete Werdegang der „Hütte Gottes“ außerhalb der Stadt ist bekannt. Erst im Laufe der Regierungszeit Friedrich des Großen erhielt die Friedenskirche – nunmehr Schifflein Christi genannt – ihren für lange Zeit endgültigen Platz innerhalb der Glogauer Stadtmauern. Und dort besuchten die evangelischen Brostauer bis 1945 sonntäglich die Gottesdienste.

In einer besonderen Angelegenheit musste man sich im Dorf seit jeher arrangieren, dies galt dem Ausläuten bei Sterbefällen. Nachdem nur eine Kirche und demzufolge auch nur ein Geläut vorhanden war, verständigte man sich darauf, dass Sterbefälle beider Konfessionen mit der Glocke der katholischen Kirche ausgeläutet werden. Dies geschah vom Tag des Ablebens an bis zum Tag der Beisetzung des Verstorbenen, regelmäßig vormittags um 11 Uhr und nachmittags um 13 oder 14 Uhr. Diese konfessionelle Übereinkunft schien lange Zeit gut zu gehen, bis ab Mitte des 19. Jahrhunderts Lehrer Witt, der gleichzeitig auch katholischer Kantor war, dachte, seinen persönlichen Teil zur Gegenreformation beitragen zu müssen. Als Kirchendiener verfügte er über den Schlüssel zum Gotteshaus und konnte demzufolge zutritt gewähren . . . oder eben auch nicht. Das die katholische Gemeinde zum damaligen Zeitpunkt keine eigene Pfarrerstelle hatte und seelsorgerisch vom Pfarrer aus Gusteutschel bedient wurde, kam Lehrer Witt wohl sehr entgegen. Kurzum, immer dann wenn ein evangelischer Brostauer verstarb und ausgeläutet werden sollte, war Herr Witt mitsamt dem Schlüssel von Sankt Laurentius nicht mehr auffindbar. Den Unmut der evangelischen Dorfbewohner kann man sich gut vorstellen, eilends musste eine Lösung für dieses Problem gefunden werden.

Turm Brostau

Um Differenzen künftig aus dem Weg zu gehen, entschied man sich für den Bau eines eigenen Glockenturmes. Binnen weniger Wochen gingen so viele Spenden ein, dass alsbald mit dem Bau begonnen werden konnte. Schnell war auch ein geeigneter Platz in der Ortsmitte ausgemacht, man entschied sich für den Anbau an das evangelische Schulhaus1, nahe dem Unterteich. Die Errichtung des Glockenturmes an der evangelischen Friedhofskapelle bzw. auf dem sie umgebenden Friedhof wäre zwar naheliegend gewesen, doch empfand man die Lage außerhalb des Ortes als nicht günstig.

Die Ausführung des Turmbaues könnte in den Händen eines Brostauer Bauunternehmens gelegen haben (Wilhelm Schönfeld, Nr. 14), die Turmuhr (... und wahrscheinlich auch die Glocke) stammte von Carl Gottlob Weiß aus Glogau. Der 48 m hohe Turm, er wies im ersten Stock eine geräumige Wohnung3 auf, wurde am 31. Oktober 18682 eingeweiht. Ab diesem Zeitpunkt dürfte der Frieden in Brostau wieder hergestellt gewesen sein. Augenzwinkernd wies man im Dorf auf eine technische Besonderheit der Turmuhr hin, sie hatte nach jeder Seite ein Zifferblatt. Damit hatten alle Einwohner die Turmuhr im Blick und auch die katholisch Gläubigen wussten nun, „was die Stunde geschlagen hat“.

Die Kriegsgeschehnisse brachten mit sich, dass der Turm 1945 von russischer Seite als Beobachtungsposten genutzt und durch deutsche Jagdflieger beschossen wurde. Die endgültige Zerstörung soll durch Kinderhände geschehen sein, die mit gefundener Munition spielten und so einen vernichtenden Brand entfacht hatten.

1 In Brostau gab zu diesem Zeitpunkt drei evangelische und zwei katholische Schulhäuser
2 Julius Blaschke, Geschichte der Stadt Glogau
3 Bewohnerin u .a. Frl. Helene Maeltzer, evangelische Lehrerin

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