Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2012

Zu Besuch in Heerwegen (Polkowice) und Rodetal (Trzebcz)

 

von Dr. Reinhard Winter

 

Der im folgenden kurz dargestellte Besuch im ehemaligen Heerwegen und Rodetal wurde von Hfrd Gerhard Schwabe (Wetter) vorbereitet. Er war speziell seinem Cousin Dr. med. Gustav Schwabe aus Florida (USA) gewidmet, der - 1931 in Trebitsch geboren - dort seine Kinderjahre und Schulzeit bis zur Ausweisung im Juni 1945 verlebt hatte. Mit ihm reiste seine Tochter Martha.
Die seit längerem engen Verbindungen zu polnischen Partnern in Polkowice und Trzebcz durch Hfrd Gerhard Schwabe und die damit verbundene Hilfe durch eine polnische Dolmetscherin, ermöglichten einen sehr schönen, erlebnisreichen und erinnerungswerten Besuch.
Bereits unmittelbar nach der Ankunft erfolgte eine herzliche persönliche Einladung zum Abendessen von Herrn Kardys aus Polkowice. Das Besondere
dieses Abends war nicht nur die überbordende polnische Gastfreundschaft, sondern gleichermaßen eine ungewöhnliche Überraschung. Sie bestand in seiner archivarisch in vielen Ordnern abgelegten und überaus reichhaltigen Sammlung historischer Dokumente vom ehemaligen Heerwegen bzw. Polkwitz und den umliegenden Ortschaften aus der länger zurückliegenden deutschen Vergangenheit sowie den Vorkriegs- und Kriegsjahren bis 1945.
Diese Überraschung wurde am darauf folgenden nächsten Vormittag noch entschieden vertieft. Herr Kardys - Angestellter in der Kommunalverwaltung von Polkowice - demonstrierte uns mit Dolmetscherin „Lydia" das von ihm im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung eingerichtete Museum zum gleichen Gegenstandsbereich. Im Mittelpunkt dieses Museums steht ein eindrucksvolles Großmodell des heutigen Polkowice mit seinen alten und neuen Wohngebieten, den kulturellen Einrichtungen und nicht zuletzt den bedeutenden industriellen Unternehmen (u.a. z.B. dem „Vokswagen Motor Polska" Werk mit über 1000 Mitarbeitern oder der ebenfalls für den VW-Konzern arbeitenden Firma SITECH mit derzeit ca.- 1300 Festangestellten). Von besonderem Interesse für den deutschen Heimatfreund ist jedoch fraglos das in den rundum hohen Regalen außerordentlich reichhaltig gesammelte und archivierte Material verschiedenster Art aus der deutschen Vergangenheit wie z. B. Urkunden, zahlreiche Postkartenansichten von Heerwegen und den umliegenden Ortschaften, Privatfotographien verschiedenster Art bis hin zu historischen Gegenständen des seinerzeitig täglichen Gebrauchs usw. Diesbezüglich wird von Herrn Kardys - gestützt durch die Kommunalverwaltung von Polkowice - fraglos eine kulturhistorische Arbeit geleistet, deren Wert und Würde nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und die deshalb höchste Anerkennung verdient. Sie wird zweifelsfrei mit wachsendem Abstand von der „deutschen Zeit" ständig an Bedeutung gewinnen, da die diesbezüglichen „Zeitzeugen" - im weitesten Sinne - erklärlicherweise immer spärlicher fließen und schließlich versiegen werden.

Der Museumsveranstaltung folgte ein Ausflug nach Rodetal (Trzebcz), um mit dem Bürgermeister zusammenzutreffen und mit ihm und Dolmetscherin „Lydia" einen Dorfrundgang zu unternehmen. Nach gastfreundschaftlicher Begrüßung erfolgte zunächst ein Besuch des ehemaligen deutschen Dorffriedhofs. Wie an anderer Stelle bereits berichtet, wurde er vor einigen Jahren von Hfrd Gerhard Schwabe im Einvernehmen mit polnischen Behörden urbar gemacht und als ein sehr schön angelegter Ort der deutsch-polnischen Besinnung hergerichtet. Er wird seither gepflegt und nach Aussagen des Bürgermeisters unter anderem von Wanderern und Touristen entsprechend angenommen. Im Zusammenhang mit dem Dorfrundgang muss auch der Besuch einer Gedenkstätte von Rodetal (Trzebcz) hervorgehoben werden. Sie ist dem damals 21jährigen polnischen Zwangsarbeiter Ludwig Tasiemski gewidmet, der am 4. Dezember 1940 wegen einer Liebesbeziehung zu einer deutschen Frau von der Gestapo gehängt worden war. Dr. Marquardt erinnerte sich daran, wie er als damals knapp 10jähriger Junge aus einiger Entfernung unfreiwilliger Zeuge dieser Hinrichtung war und sah, wie die aus der Umgebung von der Gestapo zusammengekarrten polnischen Zwangsarbeiter offenbar „zur Abschreckung" am Galgen vorbei zu defilieren hatten. - Gottlob war unser weiterer Dorfrundgang von schönen und erfreulichen Eindrücken dominiert. Das Rodetal (Trzebcz) von heute präsentiert sich als ein bemerkenswert gepflegtes Dorf mit einigen ansehnlichen Wohnneubauten und dem generellen Eindruck, dass es den Bewohnern offenbar gut geht und sie besonders von der Arbeit im Kupferbergbau profitieren. -
Ein weiteres Ereignis des Kurzbesuchs in unserer alten Heimat war ein Empfang durch die Stellvertretende Bürgermeisterin von Polkwitz (Polkowice), zuständig speziell für „Kultur, kulturelle Beziehungen und Öffentlichkeitsarbeit". Bei einem kleinen Imbiss hatten wir Gelegenheit, über unsere ehemals heimatlichen Beziehungen und Erinnerungen zu erzählen und unsere aktuellen Besuchseindrücke mitzuteilen. Im Gedankenaustausch dazu war deutlich erkennbar, dass Besuche in der „alten Heimat" von polnischer Seite aus gern gesehen werden und ein wesentlicher aktueller wie künftiger Bestandteil der kommunalen Pflege polnisch-deutscher Beziehungen darstellen. Herr Kardys unterstrich diese
Auffassung, indem er nachdrücklich um die weitere Überlassung geeigneter deutscher Erinnerungsmaterialien für den weiteren Ausbau des Museums an seine Adresse bat (siehe unten!) und insbesondere auch anbot, nach entsprechender Vereinbarung eine Besichtigung der sehr sehenswerten Dauerausstellung zu ermöglichen.
Keinesfalls unerwähnt bleiben darf die folgende sehr schöne und erinnernswerte Begebenheit: Sowohl auf der Hinfahrt wie auch der Rückfahrt nach bzw. von Polkwitz konnte jeweils eine gastliche Kaffeepause zu einem Treffen von Dr. Marquardt und einem der wirklich letzten „Alttrebitscher" namens Herbert Gabler eingelegt werden. Beide - inzwischen über 80 Jahre - hatten in Trebitsch bzw. Rodetal nebeneinander die Schulbank „gedrückt" und konnten sich an manche gemeinsame Freizeitvergnügen und auch „Dummheiten" sehr lebhaft und mit Freude erinnern, obwohl sie sich 1945 (damals 14jährig) letztmalig hatten sehen und sprechen können. Es dürfte verständlich sein, dass die beiden Zwischenaufenthalte viel zu kurz waren, um heimatliche Erinnerungen hinreichend auszutauschen und von den inzwischen nahezu 70 verflossenen Jahren zu erzählen. Die freudige Erinnerung an die viel zu kurze, aber dennoch sehr schöne Begegnung nach so vielen Jahren wird sicherlich nachhaltig bleiben. -
Eine prinzipiell gleichartige Einschätzung muss ebenfalls für den Heimatbesuch insgesamt getroffen werden. Er war leider - von terminlichen Zwängen diktiert - nur sehr kurz. Generell war er jedoch von einem sehr hohen Erlebniswert und Informationsgehalt sowie nicht zuletzt einer herzlichen polnischen Gastlichkeit bestimmt, die alle Beteiligten in bester Erinnerung behalten werden.

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