Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 8, August 2010

Ein Turm, der es in sich hat

 

von Hans-Joachim Breske

 

Die Gründergeschichte der Kirche mit diesem Turm beginnt mit den Worten: „Anno vero Dni 1262 per ill. Principem et dnum dnum Conradem II, ducem totius Silesiae…“. Der ins Deutsche übersetzte Text lautet: „Im Jahre des Herrn 1262 aber ist sie (die Domkirche) durch den erlauchten Fürsten und Herrn Konrad II, Herzog von ganz Schlesien, Herr von Posen, Kosten und Fraustadt, Sohn des von den Tataren getöteten Herzog Heinrich II. von Schlesien und väterlicherseits Enkelsohn der heiligen Hedwig, der Herzogin und Herrin; der ihr besonders zugetan und der katholischen Religion eifriger Förderer war, auf diesen Platz verlegt worden.“
Kenner der Geschichte Glogaus haben es schon erkannt; es handelt sich um die Gründung des Domes „Unserer Lieben Frau von der Verkündigung“ auf der Dominsel, dem ältesten Teil der Stadt.
Ich vermute, dass über die wieder neu aufgebauten Kirche noch viel geschrieben wird, da 2012 ein wichtiges Jubiläum – das 750-ste der Gründung, bevorsteht. Dieser Beitrag wird sich deshalb nur auf den Turm des Domes beschränken.
Warum nur auf den Turm? Ich meine, dass allgemein über Türme zu wenig gesprochen wird, ich würde sagen fast überhaupt nicht. Normalerweise ist ein Turm der sichtbare Wegweiser zum Objekt ,das besichtigt werden soll. Befindet man sich vor ihm, bewundert man ihn oder geht vorbei. Manche schauen hinauf und staunen, andere, die ganz genauen Menschen, vergleichen die Uhrzeit der Turmuhr (wenn eine vorhanden ist) mit der eigenen, manche noch steigen die vorhandene Treppe hinauf, um den weiten Ausblick zu genießen, und das war’s. Der Domturm zu Glogau, denn um diesen geht es, ist aber etwas Besonderes und verdient unsere Aufmerksamkeit.
Als 1262 der von Fürst Konrad II gestiftete Dom zu Glogau eingeweiht wurde, war eigentlich nur der östliche Teil der heutigen Kirche, der Teil der als ‚Hohes Chor’ (oder auch Presbyterium) bezeichnet wird, entstanden. In den alten Dokumenten ist von einem Turm keine Rede. Grundriss

Wird aber der Grundriss der aktuellen Kirche analysiert (siehe Foto), so zeigen sich zwei eingezeichnete Wendeltreppen, die als Reste zweier Türme, zweier Flankentürme zu deuten wären. In einem Dokument von 1394 wird schon das Existieren eines einzelnen Turmes erwähnt, da unter ihm ein Altar zu Ehren der hlg. Sofie eingerichtet werden sollte.
In den Jahren 1415 bis 1466 wurde der Ausbau des Domes durchgeführt, und damit entstand die jetzt allen bekannte verlängerte Silhouette. Bei diesen Bauarbeiten wurde auch ein Turm, als westlichster Bau direkt an die westliche Giebelwand, in der zentralen Achse des Gotteshauses mit zentralem Eingang, angebaut. Die erste Turmform, besonders die Turmhaube, ist aber nicht bekannt.
Das Jahr 1488 ist für den ganzen Dom ein besonders schreckliches Jahr gewesen. Nach der Eroberung der Dominsel durch die Soldaten des Wilhelm von Tettau (Truppen des ungarischen Königs Mathias Korvinus) wurde die Kirche am 11. Juni geplündert und in Brand gesteckt. Die Domkirche und der Turm brannten vollständig aus. Am 28. April 1493 war der ‚Hohe Chor’ bereits wieder aufgebaut und eingeweiht worden.
Fünfzig Jahre später, am 11. 9. 1549, traf die Kirche erneut ein Unglück. Ein Blitz fuhr in den wieder aufgebauten Turm und warf den Westgiebel der Kirche ins Langhaus, wo die Orgel und einige Kapellen vernichtet wurden.


Aus einem Gemälde von 1698 hat man versucht, die Ansicht des Domes mit Turm bildlich zu rekonstruieren. Der massive, quadratische Bau reichte mit seinen Mauern nur wenig über das Hauptgesims der Kirche hervor. Der Turm war mit einem Satteldach in Richtung des Hauptdaches eingedeckt. Im 16. Jahrhundert soll dieser Turm mit zwei hintereinander stehenden Dachreitern geschmückt gewesen sein (siehe Foto), die aber nur bis 1705 stehen sollten. In diesem Jahr wurde das Satteldach des Domturmes abgerissen, seine Mauern etwas über das Kirchdach erhöht und mit Glockenstuhl und einer einmal durchbrochenen Zwiebel versehen. Das Dach der Kirche und des Turmes wurden mit Kupferblech gedeckt. Trotzdem, der Bau des Turmes behielt ein schwerfälliges Aussehen. Auch sollen vier Glocken im Glockenstuhl des Turmes Platz gefunden haben.

Turm
In dieser Gestalt erhielt sich dieser Turm 126 Jahre (siehe Foto) bis zu seinem Einsturz am 7. September 1831 (siehe Foto). Bei diesem Unglück wurden die Anbauten des Turmes, also die Giebelwand der Kirche wie auch viele Kunstwerke, besonders aber das Denkmal Konrads II, vollständig zertrümmert. Die vier Glocken blieben unbeschädigt und fanden später ihren Platz im neuen Turm.
Nach dem Einsturz wurde der Turm gänzlich abgetragen. Der Wiederaufbau fand zwischen 1838 und 1842 statt. Wegen des schlechten Baugrundes (Grundwasser von der Oder) wurde der Turm, im neogotischen Stil, von der Kirche getrennt und weiter nach Westen versetzt. Zwischen ihm und der Kirche entstand eine geräumige Eingangshalle.
Am 3. Juli 1905 vormittags traf den Turm wiederum ein Blitzschlag, der aber nur wenig Schaden am Portal anrichtete. Dieses Ereignis bewirkte, dass der Turm und die Kirchdächer 1906 eine Blitzableiteranlage erhielten.
Um diesen Bericht etwas ausführlicher zu gestalten, betrachten wir noch kurz den Grundriss des Domes (nach E. Lange – siehe Foto). 1. - Hoher Chor, 2. – Kleinchor, 3. bis 7. – Kapellen, 8. – Westgiebel und Turm, 9. bis 13. – Seitenkapellen, 14. – Hauptschiff, 15. – Sakristei. Die aktuelle Gesamtlänge des Domes beträgt 73 Meter und ist orientiert von West nach Ost. Der Turm hat eine Höhe von 75 Metern, sein Unterbau erhebt sich auf quadratischer Grundlage. Durch eine Galerie wird der Turm zum Achteck überführt, in dessen unterem Geschoß 4, in den oberen 8 Fenstern sich befinden. Ein Kranz mit einer durchbrochenen Galerie und 8 kleinen Fialen leitet zum Turmhelm über. Dieser ist in massiver Bauart ausgeführt und verjüngt sich ohne weitere Gliederung in schlanker Spitze bis zur Kreuzblume, die von einem mächtigen, etwa 4,7 Meter hohen, aus Kupferblech angefertigten und vergoldeten Kreuz überragt wird. Von Westen führt ein Portal ins Turm- und Kircheninnere.
Im Nachwort zur „Geschichte des Domes zu Glogau“ hatte der Autor, Pfarrer Maximilian Hilger (1915), folgenden Schlusssatz beigefügt: „Möge der gütige Gott unsere Domkirche auch vor aller außer menschlicher Berechnung liegenden Zerstörung behüten, auf dass sie weiter die Zierde und den Schmuck unserer Stadt bilde; auf dass sie aber auch ihren würdigen und heiligsten Zweck bis in die fernsten Zeiten erfüllen möge.“
Herr Hilger konnte es nicht ahnen, dass schon nach 30 Jahren durch einen wahnsinnigen Menschen, die Stadt sinnlos zur Festung erklärt wurde und dadurch das vernichtende Schicksal für die ganze Stadt seinen Lauf nahm.
Die Kirche ist im Februar 1945 ausgebrannt. Der Turm aber, dank seines massivgemauerten, achteckigen Turmhelmes, trotz einiger Treffer, blieb 1945, als einziger von allen Kirchtürmen Glogaus, in seiner ganzen Höhe und Schönheit, erhalten. Das Funkeln des vergoldeten Kreuzes, das ich als Gymnasiast 1951 bis 1955 bewundern konnte, strahlte mit den Sonnenstrahlen über den Ruinen der Stadt. Es soll Leute gegeben haben, die unbedingt diesem Lichtspiel ein Ende setzen wollten, aber es ist ihnen nicht gelungen.
Bis 1973 waren der Dom, wie auch vieles in den Westgebieten Polens, Eigentum des Staates. Am 11. 11. 1986 wurde zwischen der Stadtverwaltung und den örtlichen Geistlichen (unter der Führung Pfarrers Ryszard Dobrolowicz) vereinbart, den Dom aufzubauen. Es fehlten noch die finanziellen Mittel, aber diese Hürde wurde glücklich überwunden, und ab 1995 begann der Aufbau des Domes.
Natürlich hat man sich auch des Turmes angenommen. Die Mühe, den Turm in wissenschaftlicher Mission zu besteigen, hatte sich für die Bauherren sofort gelohnt. Man hat 1997 im Kreuz 19 Durchschüsse, aber im massiven Turmhelm, unter dem Kreuz, eine eingemauerte Metallschatulle entdeckt. Diese Schatulle beinhaltete einen gläsernen Behälter, in dem, wie vermutet, eine Reihe von Dokumenten enthalten waren, aus der Zeit, als die letzte Instandsetzung des Turmes durchgeführt wurde. Aus denen geht hervor, dass der Turm zuletzt im Jahr 1927 renoviert wurde. Die Dokumente und Presseberichte aus diesem Jahr, die in der Schatulle verborgen waren (siehe Foto), berichten über Ereignisse (Hochwasser und Überschwemmungen der Oder) und über Persönlichkeiten des politischen und gesellschaftlichen Lebens der Stadt. Über die feierliche Öffnung der Schatulle bei Anwesenheit hoher Persönlichkeiten hat die Presse ausführlich berichtet.

Fundstücke
Um dieses Thema abzuschließen: Die Schatulle ist mit den alten und neu hinzugefügten Dokumenten wieder an der alten Stelle im Turm eingemauert worden. Auch das Kreuz strahlt nach der Renovierung wieder in voller Pracht, und im Inneren des Turmes befinden sich drei Glocken: Florian, Barbara, Anna.
Das Hochwasser am 16. und 27. Juli 1997 (7,17 m Wasserstand) hat die Dominsel überflutet, wodurch die Arbeiten zwar eingehend behindert wurden, der Aufbau aber nicht unterbrochen wurde. Aber auch das Hochwasser in diesem Jahr, vom 25. bis 30. Mai 2010, (6,85 m Wasserstand) hat den Dom nicht verschont. Die für Besucher zugängliche romanische Krypta, in der die alten Mauern der ersten Kirche zu besichtigen sind, füllte sich mit Grundwasser. Dieses kann aber nicht abgepumpt werden und muss von selbst wieder versickern (Unterspülung der Fundamente).
Nach 44 Jahren kompletter Zerstörung, zwischen Bauschutt, Baugerüsten, Baumaterial und kahlen Wänden des Domes, wurde am 30. Mai 1999 von einem jungen Priester die erste hlg. Messe – die zugleich die erste Messe des Stanis?aw Brasse war, feierlich zelebriert.
Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass der Dom zu G?ogów (Glogau) auch als „Kollegiate“ oder „Stiftkirche“ bezeichnet wird. Jede dieser Benennungen ist sicher berechtigt, aber es handelt sich immer um das gleiche Bauwerk; um das eine und dasselbe Gotteshaus.
ßend möchte ich den Herren Klemens Fiedler aus Cottbus und Herrn Anton Bok aus G?ogów danken für das zur Verfügung gestellte Fotomaterial und Informationen.

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