Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2006

Erinnerungen an meinen Heimatort Fähreichen

im "Schwarzen Winkel"

Fähreichen ist der Ortsname für zwei Dörfer: Ober- und Nieder-Fähreichen. Vor 1938 nannte sich Ober-Fähreichen Leschkowitz, und Nieder-Fähreichen Kottwitz. Ober-Fähreichen hatte eine Fläche von 295,6 Hektar und etwa 160 Einwohner. Nieder-Fähreichen war etwas größer. (654,7 Hektar mit etwa 180 Einwohnern.)

Beide Orte liegen direkt an der Oder. Ein Damm schützt die Dörfer vor dem Hochwasser der Oder, welche Schlesien von Südosten nach Nordwesten durch fließt. In Ober-Fähreichen begrüßt die Oder den Kreis Glogau. Wollte man auf der Straße von Glogau nach Guhrau, musste hier die Oder mit einer Wagenfähre überwunden werden. Ober-Fähreichen war Kreuzungspunkt der Straßen Glogau-Guhrau, Ober-Fähreichen, Nieder-Fähreichen und Ober Fähreichen – Raudten, Queißen. Letzteres war unsere Bahnstation. (Entfernung 13 Kilometer). Nach Glogau kam man nach 22 Kilometern. Ober-Fähreichen hat zwei kleine Ortsteile.

Das Oberdorf mit der beschriebenen Kreuzung. Hier befand sich auch ein größeres Gut. Wir sagten dazu Dominium. Besitzer war Erich Kühn (lt. Adressbuch 1943). Weidewirtschaft und Ackerbau wurde in moderner Form betrieben. An einem Kanal, welcher oberhalb von Ursckau mit Oderwasser gespeist wurde, standen zwei große Pumpenstationen. Das eine Pumpenwerk wurde zur Beregnung von Ackerland benutzt, während das andere zur Bewässerung der Weideflächen diente. Eine Brennerei (Verw. Gerhard Zuch – Adressb. 1943) und Pferdezucht gehörten auch zum Dominium. Durch das große Gut war nun nicht mehr viel Land für die Bauern übrig. Bis 5 Hektar Land hatten etwa 5 Landwirte. Nur ein Bauer war Eigentümer über 10 Hektar. Er war auch Gastwirt und Bürgermeister der gesamten Ortschaft Fähreichen. Im Oberdorf war die Poststelle für alle Ortsteile. Das Spritzenhaus der Feuerwehr war an der Straße nach Glogau am Eingang zum Dominium. Bei Alarm, welcher manuel durch ein Hornsignal ausgelöst wurde, stellte das Dominium ein schnelles Gespann, und ab ging es zum Brandherd. Die Feuerwehr war für alle Ortsteile zuständig. Im Oberdorf stand die Windmühle meines Opas. Sie überstand das Kriegsende nicht.

Im Unterdorf, an der Oder gelegen, war wie schon erwähnt, die Fähre. Der Fuhrmann wohnte gleich hinter dem Oderdamm. Wollte jemand über die Oder ans andere Ufer, musste er sich mit Hammerschlägen an einem Stück Eisen bemerkbar machen. Hier, im unteren Ortsteil, befand sich auch die Gastwirtschaft und der Krämerladen meiner Großmutter. In dem Laden gab es alles für das tägliche Leben auf dem Dorf.

Nun nach Nieder-Fähreichen. Von Ober-Fähreichen oberer Ortsteil auf der Straße nach 1,5 Kilometern zu erreichen. Vom unteren Ortsteil konnte man zu Fuß oder mit dem Fahrrad an der alten Oder entlang. Der Oderdamm konnte auch benutzt werden. Die Entfernung beider Wege war etwa 1 Kilometer. Feldwege führten von Nieder-Fähreichen über Kattschütz, Pürschen, Würchland auf die Straße nach Glogau. Ebenfalls kam man auf einem Feldweg nach Wettschütz, was auch auf dem Oderdamm von Nieder-Fähreichen aus erreicht werden konnte. Im Ort war ebenfalls ein Dominium (Bes.: Georg Furchheim, Adressb. 1943), was den größten Teil der landwirtschaftlichen Fläche im Besitz hatte. 15 Landwirte hatten ein Anwesen unter 8 Hektar. 2 Bauern waren Eigentümer über 10 Hektar und mehr. An Handwerkern waren im Dorf: ein Stellmacher, ein Schmied, ein Tischler, zwei Maurer, ein Schuster und ein Straßenwärter. Eine Gastwirtschaft und ein Krämerladen waren ebenfalls vorhanden. Alles was im Dorf gebraucht wurde. Auch eine Volksschule war im Ort. Die Kinder von Nieder- und Ober-Fähreichen, so wie etwa bis 1940, auch von Kattschütz gingen hier zur Schule. Der Unterricht fand in einem Klassenraum statt. Vormittags wurde das dritte bis achte Schuljahr unterrichtet. Nachmittags war das erste und zweite Schuljahr dran. Das alles bei einem Lehrer. Prügelstrafe und Nachsitzen waren unliebsame Nebenerscheinungen.

Auf den großen Gütern wurden hauptsächlich Weizen, Zuckerrüben und Kartoffeln angebaut. In kleineren Mengen Roggen, Hafer, Gerste und so weiter. Die kleineren Betriebe bauten alles an. Vor allem Futter für die Viehwirtschaft. So durfte in der Anbaufläche die Futterrübe nicht fehlen. Früher war das Besitz des Dominiums. Durch die schwierige Bewirtschaftung wurde der größte Teil an die Bauern verkauft. Die Fläche bestand aus 95 % Wiese. Der Rest waren Bäume.

Zur Heuernte musste irgendwie die andere Oderseite erreicht werden. Zu Handarbeiten im Heu wurde mit eigenen Kähnen übergesetzt. Brauchte man aber das Gespann zum Mähen oder Heueinfahren, wurde die Fähre in Ober-Fähreichen in Anspruch genommen. Für uns Kinder gab es immer einen großen Spaß. Viele male überwanden wir die Oder schwimmend. Die Oder beeinflusste unser Leben sehr. Bei Hochwasser musste besonders aufgepasst werden. Obwohl die Dämme immer in Ordnung gehalten wurden, musste bei sehr hohem Wasser auf dem Damm Wache gegangen werden. Vor allem war nachts ein gutes Gehör von Nutzen, um feststellen zu können, wo Wasser durch den Damm drang. Mäuse und Maulwürfe waren da unliebsame Tierchen.

Ganz dramatisch war es bei Eisgang. Viele Winter brachten bei Temperaturen unter 20 Grad im Minusbereich die Oder zum Stehen. Das heißt: Der Fluss war starr und steif, einfach zugefroren. Die „Brieger Gänse“ Eisschollen, hatten keinen Platz mehr zum Schwimmen. Im Frühjahr nun kam bei Regen und Tauwetter alles wieder in Bewegung. Hochwasser kam auch noch dazu.

Mit großem Getöse machte sich die Oder von ihrem Eispanzer wieder frei. Ein besonderes Naturschauspiel. Es bedurfte der besonderen Aufmerksamkeit. Eisstau und Dammbeschädigungen konnten eintreten. Dann war das Unglück da. Bei brenzligen Situationen machten die Pioniere aus Glogau mit Sprengungen der Oder Platz. Für uns Kinder hatte die Oder eine besondere Anziehungskraft. Im Sommer baden, Kahn fahren und spielen am Ufer. Auch wurde der rege Schiffsverkehr mit Aufmerksamkeit beobachtet. Wir kannten fast jeden Schleppdampfer mit Namen. Der Winter, wenn er auch manchmal hart war, bescherte er uns Freuden. Kilometer lange Eisbahnen zum Schlittschuhlaufen, rodeln vom Oderdamm und vieles mehr. Viele solche Erinnerungen tauchen nun im Alter wieder auf.

Kurt Seipolt, Penig

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