Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2004

Eine Wohltat in der alten Heimat

Herzliches Willkommen in Mährisch-Schlesien

von Wolfgang Klerner

Liebe Heimatfreunde,

wäre es zu phantastisch, sich vorzustellen, dass wir bei einem Besuch in unserer alten Heimat

• deutsche Gräber finden
• mit frisch vergoldeten Inschriften in deutscher Sprache?
• mit frischem Blumenschmuck
• auf Grabanlagen, die durch Pachtvertrag zu angemessenen Preisen für die nächsten 10 Jahre gesichert sind?

Wäre es zu phantastisch, sich vorzustellen,

• dass diese deutschen Gräber nach gründlicher Renovierung durch lokale Arbeiter von dem jetzt ortsansässigen Pfarrer geweiht werden?

• und dass sein Bischof eine weite Reise unternimmt, um an einem Gottesdienst mit den deutschen Heimatvertriebenen teilzunehmen?

Wäre es zu phantastisch, sich vorzustellen,

• dass in einem zweisprachigen Gottesdienst die Vertriebenen ihre Fürbitte in deutscher Sprache vortragen dürfen,

• dass der Ortspfarrer Kaffeetassen mit einem Kupferstich ihrer alten Ortskirche herstellen lässt und jedem Teilnehmer der Gruppe persönlich überreicht?

Wäre es zu phantastisch, sich vorzustellen,

• dass die jetzt in unserer alten Heimatgemeinde lebenden Einwohner aus Anlass des deutschen Besuches ein Schwein schlachten und ein großes Essen spendieren?

• und einen mit Volksmusik und Volkstänzen umrahmten, gemütlichen Abend gestalten?

• dass der jetzige Bürgermeister der Gemeinde den deutschen Besuchern Aquarelle mit lokalen Motiven ihrer altvertrauten Heimat schenkt?

• dass die deutschen Vertriebenen zum Dank für diesen außerordentlich herzlichen Empfang in deutscher Sprache das Lied singen ,,Kein schöner Land . "

Wäre es schließlich zu phantastisch, sich vorzustellen,

• dass an beiden Seiten der Staatsgrenze eine ,,Straße der Verständigung" entsteht, zu der Menschen und Organisationen Pflastersteine spenden und jährlich eine europäische Feldmesse stattfindet?

Die Frage, ob das alles nur eine Vision sein kann, wird durch die Realität beantwortet, wie der folgende Bericht von Josef Christ zeigt, der zu dem wachsenden bilateralen Miteinander gestaltend und organisatorisch wesentlich beigetragen hat. Alles, was hier eingangs erwähnt wurde, ereignete sich leider nicht in Glogau und nicht in Niederschlesien sondern im heute tschechischen Mährisch-Schlesien, wo die Oder ihren Lauf durchs Schlesierland beginnt.


Eine Straße der Verständigung

und gepflegte deutsche Gräber

Eine ,,Straße der Verständigung" entsteht in Mähren im Odergebirge. In aller Stille und aus besonderen Anlässen stiften einzelne Bürger und Organisationen - Tschechen, Deutsche, Polen und andere - Pflastersteine und Wegeplatten für diese Straße. Kommunale Paten und Partnerschaften fördern diesen internationalen Straßenbau. Jedes Jahr findet eine Europäische Feldmesse statt - unter Beteiligung der Bundeswehr. Auf der Expo 2000 in Hannover wurde das Projekt vorgestellt.

Deutsche Heimatvertriebene aus der Gemeinde Mankendorf im Kuhländchen besuchten die Straße der Verständigung und spendeten eine Wegeplatte mit der Aufschrift ,,Für Frieden und Freiheit".

An historischer Stätte

Die Straße der Verständigung liegt an historischer Stätte, nahe Gundersdorf, in einem Feld, das im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) Schauplatz verlustreicher Gefechte zwischen Soldaten des preußischen Generals Ziethen und Truppen des österreichischen Generals Laudon war. Friedrich der Große verfolgte aus dem nahen Bärn den Opfergang seiner Soldaten. Ein Feldkreuz aus dieser Zeit kennzeichnet noch heute zwei große Massengräber, in denen Soldaten verschiedener Nationalitäten nebeneinander liegen.

Die Vertriebenen aus Deutschland besuchten jetzt zum vierten Mal den Friedhof in ihrem seit 1945 tschechischen Heimatort Mankendorf. Sie hatten Anlass zu Freude und Dankbarkeit: Alles war gepflegt, mehrere Grabstätten hervorragend renoviert.

In deutscher Sprache

Das groß angelegte Familiengrab des Religionsprofessors Wilhelm Kohlich zum Beispiel, der einst Rektor eines deutschen Gymnasiums war, trägt seinen Namen und die Namen anderer Familienangehöriger in deutscher Sprache - wie vor langer Zeit eingemeißelt. In frischem Blattgold leuchtet heute die Botschaft ,,Ruhet in Frieden". Frische Blumen schmücken das Grab.

Deutsche Spenden für die Ortskirche und für ein deutsches Kriegsgräberdenkmal tragen zur Pflege bei.

Die Grabstätte von zwei deutschen Lehrern hat die tschechische Gemeinde den deutschen Vertriebenen zu einem sehr geringen Betrag für die nächsten zehn Jahre zur Nutzung angeboten. Pressemeldungen zufolge konnten für deutsche Gräber überall in Tschechien bis Jahresende 2003 mit den Gemeinden Nutzungsverträge geschlossen werden. Die Grabpacht soll knapp 100 Euro für 10 Jahre betragen.

Segen für die Vertriebenen

Der tschechische Pfarrer übernahm die Weihehandlung der Grabstätten. Zum anschließenden Gottesdienst kam der tschechische Bischof von weit her in das kleine 700-Seelen-Dorf. Am Vormittag dieses Tages war er noch zum Papstbesuch in der Südslowakei gewesen. Im Gottesdienst sangen die deutschen Besucher Teile aus der Deutschen Messe von Schubert. In den Fürbitten, die einzelne deutsche Besucher in deutscher Sprache vortrugen, wurde auch um den Segen für die vielen Heimatvertriebenen in der ganzen Welt gebeten sowie um

den Segen für die deutsch-tschechische Verständigung. Der Bischof Frantisek Lobkowicz war danach noch mehrere Stunden Ehrengast der Besucher.

Während des Abendessens überraschte der Ortspfarrer die deutschen Besucher mit einer besonderen gastfreundlichen Geste: Er hatte eigens für diesen Anlass Kaffeebecher mit einem Kupferstich der Mankendorfer Kirche herstellen lassen und überreichte sie jeder Besucherin und jedem Besucher.

Heilige Erde

Für das von Volksmusik und alten Volkstänzen umrahmte Abendessen hatte eine tschechische Familie ein Schwein geschlachtet. Der tschechische Bürgermeister, der jeden Besucher mit Handschlag begrüßte, äußerte seine Freude über den Besuch. Er verstehe, dass den ehemaligen Dorfbewohnern, die immer wieder zum Friedhof gehen, dieses Fleckchen Erde heilig sei, weil dort ihre Vorfahren begraben liegen. Auch für die Tschechen sei dies ein Stück heilige Erde, weil dort inzwischen auch ihre Eltern und Angehörige ruhen. Der Bürgermeister schenkte den Deutschen, die vor 59 Jahren ihre Heimat verlassen mussten, fünf Aquarelle mit lokalen Motiven. Die Besucher dankten ihm, indem sie die drei Strophen des Volksliedes "Kein schöner Land..." sangen.

So kamen sich Deutsche und Tschechen gelegentlich eines Friedhofsbesuches näher. So wächst Versöhnung über Gräbern. Die leeren Straßen im Dorf zeigten allerdings, dass noch immer viele tschechische Neubürger die Begegnung mit den deutschen Alteigentümern scheuen.

Den Heimatvertriebenen bleibt die Erinnerung an die unsagbare Tyrannei, der sie nach 1945 ausgesetzt waren sowie an die Tatsache, dass bis heute weder mit Prag noch mit Warschau eine Regelung der Eigentumsfrage vereinbart werden konnte.

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