Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2004

Zwei Bilder erzählen von daheim

Gottfried Schröter

Vorbemerkungen

Beide Fotos sind fast an der gleichen Stelle aufgenommen worden. Allerdings liegt zwischen Aufnahme eins und Aufnahme zwei ein Zeitraum von 47 Jahren. Es handelt sich im ersten Bild um den rechten Teil des privaten Hofes des Rädchener Dorflehrers. Er lag zwischen dem ziemlich großen Haus, das die einklassige Dorfschule mit etwa 45 Schülern und die Lehrerwohnung (mit 6 Zimmern und Küche) umfasste, und dem Wirtschaftsgebäude, in dem alles das untergebracht war, was man damals, wir schrieben das Kriegsjahr 1942, für Schule und Familie ebenfalls benötigte. Aufgenommen ist das Wirtschaftsgebäude.

Der Rädchener Dorflehrer Friedrich Schröter erholt sich im Kriegsjahr 1942 ein wenig bei einem kurzen Siel mit seiner ersten (dreijährigen) Enkelin Wiltrud Eisele von der anstrengenden Schularbeit in seiner Schule, außerdem von seiner Zusatztätigkeit als Vertreter für eingezogene Kollegen und als Fortbildungslehrer für die ältere Jugend. Das Wirtschaftsgebäude im Hintergrund ist für die große Familie bedeutsam. Was hinter den Türen liegt, beschreibt der Aufsatz.
Foto 1 : Ein normaler Hof im dritten Kriegsjahr (1942)

Für mich, das jüngste, das sechste Kind der Familie spricht dieses eher karge Bild natürlich intensiver als für den fremden Betrachter von heute. Was zu sehen ist, bildet ja einen bedeutsamen Teil meiner damaligen Alltags-Lebenswelt ab, der für mich auch in meiner Erinnerung wichtig bleibt.

Und etwas sehr Bedeutsames gilt: Die Heimatliebe sieht auch nach einem halben Jahrhundert noch, was hinter den Türen wartet!

Im Vordergrund steht mein Vater, damals 56 Jahre alt. Neben ihm seine dreijährige erste Enkelin Wiltrud, die Tochter meiner älteren Schwester Hanna Eisele. Sie hatte 1938 einen Tag vor Weihnachten einen (als engagierten Christen) politisch unerwünschten Professor geheiratet und ihre Hochzeit in unserer festlich ausgeschmückten großen Schulklasse gefeiert.

Die Aufnahme muss an einem Nachmittag gemacht worden sein. Denn Vormittags war Vater ja in der Schule. Und oft war er - es war ja Krieg - auch nachmittags eingesetzt, um in einem Nachbardorf einen Kollegen zu vertreten, der als Soldat an der Front war. Zudem hatte Vater noch ein weiteres Mal in der Woche in seiner Schulklasse die ,,Fortbildungsschule" zu halten. Sie war für die (überwiegend bäuerlich geprägte) 14- bis 18jährige Jugend Pflicht. Man kann in ihr die Vorstufe zu der erst später auch auf dem Lande institutionalisierten Berufsschule sehen.

Aber gehen wir in dem Bild spazieren: Rechts steht ein Kirschbaum. Wie oft bin ich als Kind in seinem Geäst herumgeklettert und habe die reifen Früchte gepflückt und in meinen Mund gesteckt!

Dahinter erkennen wir eine eher unscheinbare Tür. Sie öffnete sich aber zu einem für die Familie bedeutsamen Raum: die Waschküche. Bei acht Familienmitgliedern musste es schon mehr als einmal im Monat einen Waschtag geben! Manche Zeitgenossen der Gegenwart, die ihre Waschmaschine in der Küche oder im Flur stehen haben, können sich nicht mehr vorstellen, wie zeitaufwendig damals das notwendige Reinigen der vielen Wäsche war. Denn die Waschmittel waren in jenen Jahren im Gegensatz zu heute von geringer Reinigungskraft. Daher war ein Waschbrett sehr wichtig, auf dem die robustere Wäsche geschrubbt werden musste. Meist mit bescheidenem Erfolg.

Neben einer großen runden Waschmaschine, die mit der Hand mechanisch hin- und herbewegt werden musste, hatten wir als neuzeitlich ausgerichtete Menschen noch aus der Vorkriegszeit her eine der ersten elektrischen Waschmaschinen. Sie nannte sich Wäschesprudler". Obwohl wir zunächst dem damaligen Werbeslogan

Beruhigt schläft die Hausfrau ein.

Der Wäschesprudler schaffts allein

folgen wollten zeigte sich, dass sich schon damals Werbung und Wirklichkeit nicht miteinander deckten. Denn wenn man auch den automatischen ,,Sprudler" die ganze Nacht hindurch laufen ließ, gab es am Tage darauf kein ,,strahlendes Weiß". Außerdem zeigte sich bald, dass das neue Elektrogerät für unsere Großfamilie doch zu wenig Fassungskraft hatte. Deshalb wurde es nur hin und wieder benutzt.

Wäre die Foto-Aufnahme schärfer, könnte man an der Weiß-Qualität der bereits auf der Leine hängenden ersten Wäschestücke erkennen, ob dieser Waschtag, den die Leine andeutet, erfolgreich war. Aber auch Filme und Fotopapiere waren damals "Kriegsware"!

Hinter dem ersten Wäschestück ist ein kleiner Kaninchenstall erkennbar. Dass er so hoch liegt, hängt damit zusammen, dass dort (und im Ställchen darunter) früher Hühner aufgezogen wurden, ehe der obere und der untere Teil zu zwei Hasenställen umfunktioniert wurden. Hahn und Hennen, an die ich mich sehr wohl noch erinnere, gab es aber 1942 nicht mehr. Warum wir sie abschafften, daran erinnere ich mich doch nicht mehr.

Ganz links im Bild befindet sich, ansatzweise zu erkennen, wieder eine große Tür. Hinter ihr ist der Raum, in dem wir unsere vielen Fahrräder einstellten Aber es lagerte dort ebenfalls in großen Stapeln das Holz, das für das Beheizen der Schule und der Lehrerwohnung jahraus, jahrein zerkleinert werden musste. In manchen Jahren war ich der einzige Holzhacker, der gegen eine geringe Gebühr diese Aufgabe zu erledigen hatte. Ebenfalls gab es in dem von uns ,,Stall" genannten Raum (obwohl in ihm keine Tiere lebten) den Treppen-Aufgang zu einem geräumigen Heuboden. Auf ihm schliefen wir vier Jungen der Familie besonders gern in den heißen Sommertagen.

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Der gleiche Hof zwischen dem kombinierten Schul- und Lehrerhaus und den Wirtschaftsgebäuden 47 Jahre später im Jahre1989. Obwohl das Gebäude nur noch privat genutzt wird, scheint an ihm wenig zum Erhalt getan worden zu sein.
Foto 2: Der gleiche Platz nach 47 Jahren

Gehen wir nun zu Bild 2. Einmal weil der Aufhahmebereich etwas größer ist. Denn links von dem eben beschriebenen Eingang befindet sich ein zweiter fast gleichgroßer Abstellraum. In ihm waren zu meiner Kinder- und Jugendzeit Steinkohle und Briketts für die Schulheizung und für die Lehrerwohnung deponiert.

Ganz links ist eines der beiden nebeneinander liegenden Plumps-Klos zu erkennen, die für die Pausenbenutzung durch die älteren Schulmädchen, aber auch für die Lehrerfamihe reserviert waren. Ein WC gab es damals nicht. Ich lernte es erst bei einem Stadtbesuch kennen.

Doch ein großer Unterschied ist erkennnbar. Obwohl bei Bild 1 zu berücksichtigen ist, dass wir immerhin im dritten Kriegsjahr waren und an Schönheitsreparaturen nicht mehr zu denken war, kennzeichnet jedoch das zweite Foto das gleiche Gebäude in einer wesentlich anderen Verfassung. Das Foto wurde im Jahre 1989, also 47 Jahre später von meinem Bruder Siegfried aufgenommen, als wir zum ersten Mal in der Nachkriegszeit in Rädchen, Kreis Glogau, der alten Heimat, zu Besuch waren.

Man hat den Eindruck, dass in der Zwischenzeit nichts zur Erhaltung des Wirtschaftsgebäudes getan worden war. Und das, obwohl es, da die Schule anderswo eingerichtet worden war, keine andere Nutzung als die durch die damals in der früheren Schule wohnenden wenigen Leute gab.

Lebendig ist allein das weiße Huhn, das einen erfreulichen Mini-Stall erhalten hatte.

Wenn nun das Land Polen sich als Mitglied in der Europäischen Union eingelebt haben wird, könnte es sein, dass sich auch hier etwas positiv verändern wird. Ich hoffe es!

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