Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2002

Große Schlesier: Joseph Freiherr von Eichendorff 1788 - 1857

Eichendorffs Familie wurzelte in Oberschlesien und Mähren und verzweigte sich bis nach Niederschlesien und Niederösterreich. Im Raum zwischen Troppau und Ratibor, im alten österreichischen Oberschlesien lag der Kern ihrer Besitzungen, Breslau und Wien markierten die Randzone ihrer Familienbeziehungen. Ihr Stammsitz wurde der Ort Deutsch-Krawarn, nördlich von Troppau. Das Geschlecht der schlesischen Eichendorffs war aus einer Verbindung märkischen und mährischen Adels hervorgegangen; es vereinte offenbar Herbheit und Nüchternheit märkischen Geistes mit schlesisch-mährischer Lebenslust und Mystik.

Der Vater des Dichters, Adolf Theodor Rudolf, 1756 geboren, schied 1784 aus dem preußischen Offiziersdienst aus und heiratete in demselben Jahr die erst 18-jährige Karoline Freiin von Kloch, einzige Tochter des Majors Wenzel von Kloch auf Lubowitz und Radoschau und dessen Gattin Marie Eleonore geborene von Haym. 1785 kaufte er von seinem Schwiegervater die beiden Güter, erweiterte seinen Besitz in den Jahren 1791 und 1793 noch beträchtlich um die Herrschaften Tost-Peiskretschan – die er 1797 wieder weiterverkaufte – und Slawikau. Als die mährische Linie 1795 ausstarb, wurde er Mitbesitzer des Lehngutes Sedlnitz. Er hatte das Amt eines >>Landesältesten<< inne. Der Vater des Dichters gehörte also zum wohlhabenden, aber noch verhältnismäßig >>einfachen<< Landadel. Seine Nachbarn waren Standesgenossen von ähnlichem Besitz und Rang.

Lubowitz war der Mittelpunkt der Familie des Freiherrn Adolf von Eichendorff. Der Ort liegt am linken Hochufer des weiten Urstromtals der oberen Oder, etwa zwei Wegstunden flußabwärts von Ratibor entfernt. Das Schloß, dicht am Steilrand des Odertals erbaut, ist weithin sichtbar; das Dorf im Talgrund schmiegt sich in die Uferhöhe ein. Das Tal ist bei Lubowitz wohl eine Wegstunde breit, es zerteilt ein Hügelland, dessen Höhen sich nur bis zu 300 m erheben. Dennoch genießt man von der Uferhöhe wie auch von einzelnen Punkten im Hinterland eine großartige Fernsicht. Man überblickt eine anmutige Landschaft mit Wiesen, Äckern und Wäldern. Am Horizont taucht im Süden die Silhouette der Beskiden auf, im Westen erblickt man von bestimmten Punkten des Geländes aus die höchsten Berge des Altvaters in der blauen Ferne.

Hier kam Joseph Karl Benedikt von Eichendorff am 10. März 1788 zur Welt als zweites Kind und zweiter Sohn seiner Eltern. Joseph verbrachte mit dem um anderthalb Jahre älteren Bruder Wilhelm gemeinsam die Kindheitsjahre in Lubowitz und die Schul- und Studienzeit in Breslau, Halle, Heidelberg und Wien. Die Lubowitzer Kindheit bildet den tiefsten Erlebnisbereich des zukünftigen Dichters. In Lubowitz schaute er die Rätselbilder des Gartens, des Tales, der weiten Landschaft mit dem sie durchziehenden Fluß, fühlte er die geheimnisvolle Bewegung in der Natur, hörte er ihre Sprache im Rauschen der Bäume und Sträucher, im Plätschern der Brunnen, im vielfältigen Vogellaut der Lerchen, Nachtigallen, Finken und Schwalben. Er erlebte hier zuerst den funkelnden Morgen, die träumerische Dämmerung, die Stille der Nacht, den schwülen Sommernachmittag. Hier senkten sich Bilder in seine Seele, die zur Sprache des Dichters wurden. Spätere Eindrücke und Erfahrungen variierten und bereicherten diese Urerlebnisse.

Die Mutter des Dichters war eine schöne, temperamentvolle und tatkräftige Frau, der Vater wirkte eher etwas in sich gekehrt mit einem Zug zur Melancholie. Josephs Wesen ähnelte mehr dem der Mutter, besaß aber auch die Neigung, sich von der Geschäftigkeit des Tages zu distanzieren, das Leben zu beobachten, bis es ihm fremd erschien. >>Schwarze Bangigkeit<< ist der Ausdruck den er für die Stimmungen von Lebensangst schon als Knabe findet und noch als junger Mann verwendet.

Den ersten Unterricht erhält er von einem jungen geistlichen Hofmeister. Die Bücher eröffnen ihm neue Welten. Am stärksten wird er von der Leidensgeschichte Jesu ergriffen, von der Dichtung des Matthias Claudius und den Sagen und Märchen, die er in den >>Deutschen Volksbüchern<< findet. Natur- und Kunsterleben verschmelzen zu einer Einheit: Er liest seine Lieblingsbücher oft im Wipfel eines Baumes. Innere und äußere Landschaft spielen ineinander, verweben sich zu einem zauberhaften Teppich des Lebens. Vom >>Versteck<< in den Zweigen nahm er den Klang, die Geräusche des Lebens, der Arbeitswelt in der Nähe wahr, etwa den Takt der Dreschflegel, das Gollern der Truthähne – kurz >>all jene wunderliche Musik des ländlichen Stillebens<<, wie er in seinen Erinnerungen sagt, >>die den Landbürtigen in der Fremde wie das Alphorn den Schweizer oft unversehens in Heimweh versenkt<<.

Als die Söhne im 15. und 13. Lebensjahr standen, 1801, wurden sie aus der Obhut des Hofmeisters genommen und auf das ehemalige Jesuitengymnasium in Breslau gebracht. Die Internatszöglinge erhielten sehr häufig die Erlaubnis zum Theaterbesuch in der Stadt. Eichendorff sah damals neben vielen Modestücken Dramen Schillers und hörte Mozart-Opern. Zur Erziehung der jungen Leute, die zum großen Teil dem schlesischen Adel angehörten, dienten Feiern, Feste, Ausflüge, Theaterspiele im Winter und Bälle, zu denen Gäste aus der Stadt geladen waren. Seligste Zeit während der Breslauer Schuljahre waren die Ferien in Lubowitz. Die jungen >>Studenten<< wurden von den Schloß- und Dorfbewohnern – mit denen die Söhne der Herrschaft in einer vertrauten, familienhafte Beziehung standen – mit größter Herzlichkeit willkommen geheißen, mit komödiantischen Zeremoniell empfangen. Und im Stil komödiantischen Übermuts spielte sich noch manches angesagte oder bloß improvisierte Fest zu Hause ab, wobei der Kaplan des Ortes, Paul Ciupke, der beiden Brüder bester Freund, oft den einfallsreichsten und übermütigsten Oberregisseur abgab.

In den Gedichten aus der Schulzeit, deren es nicht wenige gibt, treten schon Themen, Motive und Bilder auf, die den unverwechselbaren Eichendorff später kennzeichnen werden. Langsam löst sich der junge Poet von seinen Vorbildern (Gellert, Gleim, Bürger). Er liest in diesen Jahren bereits Jean Paul. Und wenn er 1805 das Panorama beschreibt, das er von der Burgruine auf der Landecke im Süden des Kreises Ratibor – die später >>Hultschiner Ländchen<< genannt werden sollte – mit Entzücken genießt, dann verwendet er bereits das Wort >>romantisch<<.

Am 30. April 1805 zogen die Brüder Eichendorff in Halle ein, um Jura zu studieren. Aber Joseph und Wilhelm hätten keine Poeten sein müssen – Wilhelm galt in dieser Beziehung eine Zeitlang als der Begabtere -, wenn sie sich nur dem Fachstudium hingegeben hätten. Joseph hörte Vorlesungen bei dem berühmten Altphilologen Friedrich August Wolf und selbstverständlich auch philosophische Kollegs, wobei die Naturphilosophie des jungen Henrik Steffens ihn mächtig anzog. Sie erlebten Goethe in Halle und im nahen Lauchstädt, wo das Weimarer Hoftheater im Sommer Gastspiele gab. Den romantischen Geist Eichendorffs nährt in Halle die Lektüre von Tiecks Dichtung >>Franz Sternbalds Wanderungen<< und von Novalis. Mit dem Tieck-Buch hält er sich oft auf dem Giebichenstein auf. Im Herbst 1805 unternehmen die Brüder eine Wanderung durch den Harz und anschließend eine Reise nach Hamburg, Lübeck und Travemünde. Natur und Geschichte offenbaren ihm das Dasein Gottes in immer klarerer Weise, offenbaren ihm die von Gott gewollte Bestimmung des Menschen.

Die Brüder Eichendorff verlassen Halle Anfang August 1806, um in Lubowitz Ferien zu machen. Der Herbst wird ein großes ununterbrochenes Fest der Musensöhne; das gewohnte gesellige Leben in der Heimat schlägt hohe Wellen. Josephs Herz wird getroffen von der Erscheinung eines lieblichen >>Genius von 1806<< - einer jungen Demoiselle -, aber mehr noch von dem Zauber einer charmanten, geistvollen Dame, der noch jugendlichen Gattin eines Ratiborer Beamten. Es geht ein verlockender Reiz von ihr aus, der die Gefahr spüren läßt, in einen Strudel hinabgerissen zu werden. Jetzt entstehen wieder Verse, konventionelle zwar, aber künftige Dichtung schon andeutend.

Über dem Lubowitzer Paradies sind im Winter 1806/07 die unheilvollen Zeichen des Krieges aufgestiegen: Die Truppen Napoleons schließen die nahe gelegene Festung Cosel ein. Flüchtende Standesgenossen dringen plötzlich in den freudenreichen Lubowitzer Alltag ein und erscheinen auf dieser Lustspielbühne wie Boten des Todes und der Zerstörung. Aber der kräftige Rhythmus des Lubowitzer Lebens stockt nur; der Zug des Oberschlesiers zum Optimismus, der dem österreichischen >>Leicht-Sein<< ähnelt, die Kraft zum Überfliegen des Leides – wie es der Dichter später ausdrücken wird – überwinden den Schrecken. Die Gefahr läßt sich jedoch nicht wegdenken.

Im Mai 1807 nehmen die Brüder ihr Studium in Heidelberg wieder auf. Joseph geht einem Höhe- und Wendepunkt seines Lebens entgegen. Heidelberg, das Eichendorff am frühen Morgen eines Maitages zum ersten Mal erblickt, bietet sich ihm in überwältigender Schönheit dar: in Blüten eingehüllt. Sie Stadt, die Landschaft, die Menschen, denen er begegnet, versetzen ihn in eine Hochstimmung wie wohl nie zuvor.

Die stärkste geistige Anregung ging für ihn von Joseph Görres aus, der seit kurzem an der Universität lehrte. Die religiöse Deutung, die Görres den geschichtlichen Ereignissen gab, die positive Wertung des Mittelalters weiteten Eichendorffs Religiosität ins weltgeschichtliche Denken, bestätigten aber im Grunde seinen Kindheitsglauben und lösten ihn aus der Erstarrung traditioneller Kirchlichkeit. Ein zweiter Strom von Anregungen ging für Eichendorff in Heidelberg von dem jungen Grafen Heinrich Loeben und dessen Freundeskreis aus, dem Eichendorff sich anschloß. Graf Loeben war bereits ein erfolgreicher Literat in der Moderichtung mystizierender Romantik. Seiner Vermittlung verdankte es Eichendorff, daß einige seiner Gedichte in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlicht wurden, freilich noch unter dem Namen Florens, den er im Freundeskreis trug. In die schwärmerische Richtung Loebens ließ er sich nur eine kurze Strecke seines Weges mitreißen. Daß er sich bald von ihr löste (sicher 1809), verdankte er wohl seiner Beobachtungsgabe, die ihn mit Schärfe und oft mit Ironie das Charakteristische einer Person oder Sache erkennen ließ, wohl auch seiner Schlichtheit und Wahrhaftigkeit, nicht zuletzt der Erschütterung durch die Liebe.

Dieses Erlebnis, das sein Wesen und sein Künstlertum reifen ließ, ihm zum Durchbruch verhalf, brachte ihm die Begegnung mit einem sehr schönen Mädchen >>aus dem Volke<<, einer Küfermeisterstochter aus dem nahen Rohrbach: Katharina Barbara Förster. Die Andeutung, die das Tagebuch über die Begegnung mit Katharina Förster enthält, lassen auf eine aus einem Flirt jäh aufbrechende Liebe schließen, die abrupt endete und beiden jungen Menschen großes Leid zufügte. In der Romanze >>Das zerbrochene Ringlein<< hat es offenbar dichterische Gestalt gewonnen und klingt wohl noch in mancher anderen Dichtung Eichendorffs nach.

Im Hochsommer 1808 trafen die Brüder über Frankfurt, Würzburg, Regensburg und Wien wieder in der Heimat ein. Sie blieben für die Dauer von zwei Jahren zu Hause, abgesehen von einem Aufenthalt in Berlin im Winter 1809/10. Es sah so aus, als wollten sich die Brüder nun als Landwirte betätigen, ein Gut übernehmen, ansässig werden. Eichendorff lernte in jenem Jahr, selbst gerade 20 Jahre alt, seine spätere Frau, die 1808 erst 16jährige Aloysia Anna Viktoria von Larisch (genannt Luise), näher kennen. Sie war die älteste Tochter eines im Kreise Ratibor, in Pogrzebin, auf den Höhe des rechten Oderufers ansässigen Gutsbesitzers, keines reichen Mannes, sondern eines Adeligen bescheidenen Besitzes. Es spricht für Eichendorffs Einschätzung des ländlich-tätigen Adels, wenn er sich in der Familie des Gutsherrn in Pogrzebin wohlfühlte. (Am vornehm-nichtstuenden Adel übte er später harte Kritik und warf ihm vor, die Revolution mit verschuldet zu haben.) Es kam wohl in diesen Jahren zur Verlobung. Eichendorff war oft in Pogrzebin, das drei bis vier Wegstunden von Lubowitz entfernt ist. Aus den Jahren 1808 bis 1810 gibt es Dichtungen, die offenbar von der Liebe zu Luise bewegt sind, auch wenn der Name der Geliebten nicht genannt wird: etwa >>Intermezzo<< (Dein Bildnis wunderselig), >>An die Entfernte<< (Denk ich, du Stille, an dein ruhig Walten), wohl auch das Novellen-Märchen >>Die Zauberei im Herbste<< (1809). Das Motiv der Zauberin im Wald, die den Jüngling in Liebesglut versetzt – eine frühe Form des später von Eichendorff häufig verwendeten Venus-Motivs-, bestimmt Fabel und Atmosphäre dieser Dichtung. Eichendorff hatte sich jetzt vom Einfluß Loebens gelöst. Er kehrte sich ab von bläßlicher Ästhetik und fand den Weg zu den >>frischen Farben<< des Lebens.

Im Oktober 1810 fuhren die Brüder nach Wien, um die juristische Staatsprüfung abzulegen und sich damit für den österreichischen Staatsdienst zu qualifizieren. Sie blieben gemeinsam bis zum April 1813 dort, dann trennten sich ihre Wege für immer. Joseph kehrte nach Preußen zurück, um am Befreiungskrieg gegen Napoleon teilzunehmen, Wilhelm blieb in Österreich und wurde Staatsbeamter; er wirkte die längste Zeit als Kreishauptmann in Trient.

Das Wien der Jahre 1810 bis 1813 wirkte auf Eichendorff besonders in politischer, literarischer und religiöser Hinsicht ein. Wien war damals ein Sammelplatz freiheitliebender politischer Geister, die auch nach der vergeblichen Erhebung Österreichs gegen Napoleon am Widerstand gegen die französische Beherrschung Europas festhielt. Eichendorff wurde mit den führenden Persönlichkeiten der geistigen Bewegung bekannt. Befreundet wurde er vor allem mit Friedrich Schlegel und dessen Frau sowie deren Sohn Philipp Veit. Schlegels Vorlesungen priesen das Kaisertum und die Kirche des Mittelalters. Die Antike galt in der christlich-katholischen Sicht Schlegels nicht mehr als vorbildliche Stufe der Menschheitskultur, sondern als Vorstufe des Christentums. Der Katholizismus gewann an Anziehungskraft. Unter den führenden Geistern Wiens waren mehrere Konvertiten, zu ihnen gehörten Friedrich und Dorothea Schlegel und die beiden Söhne Dorotheas, die Maler Johannes und Philipp Veit; es gehörte Adam Müller dazu, dem die Brüder Eichendorff bei pädagogischen Plänen und staatstheoretischen Arbeiten halfen. Zur Erneuerung des Glaubenslebens trug am meisten der Redemptoristenpater Clemens Maria Hofbauer bei. Er war ein guter Freund der Familien Schlegel und Müller.

In diesen Jahren schrieb Eichendorff den Roman >>Ahnung und Gegenwart<< zu Ende, der offenbar schon in Lubowitz begonnen wurde und der fertig war, bevor Napoleon Moskau erreichte. Außerdem entstanden zahlreiche Gedichte. Den größten Teil (50) nahm er in seinen Roman hinein. Zu diesen gehörten so berühmte wie >>Dämmerung will die Flügel spreiten<<, >>Die Welt ruht still im Hafen<<, >>In einem kühlen Grunde<<, >>Laue Luft kommt blau geflossen<<, >>O Täler weit, o Höhen<<, >>Vergangen ist der lichte Tag<<, >>Schlafe Liebchen, weils auf Erden...<<, >>Der Tanz ist zerstoben<<. In diesem seinem epischen Erstling spiegelt sich sowohl seine bisherige Entwicklung wie die Situation seiner Zeit: Unter jungen Leuten geht die Auseinandersetzung zwischen neuer und alter Zeit vor sich, aber es fällt keine Entscheidung. Der Hauptgestalt des Romans erscheint es am besten, den entscheidenden Kampf in religiöser Vorbereitung, in klösterlicher Zurückgezogenheit abzuwarten. Der Roman ist überreich an großen Gedanken, die in Bildern anschaulich werden. Er ist die erstaunliche Leistung eines jungen Mannes von 24 Jahren. Erschienen ist er erst 1815, durch die Vermittlung Fouqués. Der Dichter Joseph von Eichendorff, wie wir ihn kennen, wurde in Wien geboren.

Am Befreiungskrieg teilzunehmen, war für eichendorff ein sittliches Gebot: >>Denn anders sein und singen / Das ist ein dummes Siel.<< Er kam aber nicht dazu, seine Tapferkeit vor dem Feind zu beweisen. Ein seltsames Schicksal ließ ihn nur am Rande des Kriegsgeschehens eine Rolle spielen. Im Frühsommer 1814, nach Abschluß des Ersten Pariser Friedens, konnte er zu längerem Urlaub nach Hause reisen; er reichte bald sein Gesuch um Entlassung aus dem Heere ein.

Die Liebe zwischen Luise und Eichendorff entfaltete sich jetzt, im Sommer und Winter 1814, voll und innig. Gedichte aus dieser Zeit von großer Schönheit und Kraft bewahren Innigkeit, Schmerz und Kummer jener Jahre, sind durchströmt von einer großen Bewegung des Herzens. Sie tragen in der Gedichtsammlung die Überschrift >>Mädchenseele<<, >>Trennung<<, >>Die Einsame<<, >>Abschied und Wiedersehen<<. Sie sind in Eichendorffs Lyrik einzigartig nach Form und Sprache. Im weitschwingenden Rhythmus der Verse und im dunkelgefärbten Klang der Worte, die unmittelbar die Empfindung und den Gedanken aussprechen, teilen sie Glück und Sorge jener Zeit mit.

Ende Dezember 1814 begab Eichendorff sich nach Berlin, um eine Anstellung zu erhalten und heiraten zu können. Gneisenau und Wilhelm von Humboldt verhalfen ihm zu einem bescheidenen Posten (beim Kriegs-Commissariat). Am 7. April 1815 fand die Trauung Eichendorffs mit Luise statt, in Breslau, in der Sankt-Vinzenz-Kirche. Kurze Zeit später ging er wieder zum Heer; der Krieg gegen Napoleon war von neuem ausgebrochen. Seine Frau ließ Eichendorff in der Obhut einer befreundeten Familie in Berlin zurück. Hier wurde ihm Ende August ein Sohn geboren.

Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, entschloß sich Eichendorff, in den preußischen Verwaltungsdienst einzutreten. Im Sommer 1816 nahm die Familie in Breslau Wohnung; Ende des Jahres wurde Eichendorff zum Regierungsreferendar ernannt, nachdem er noch einmal ein juristisches Examen, nun nach preußischem Ritus, mit bestem Erfolg absolviert hatte. Es begann für ihn ein im ganzen unerfreuliches, glückloses, an beruflichen Erfolgen armes, an Enttäuschungen reiches Beamtendasein.

Die Liebe zu Luise war der Quellengrund des innersten, blühenden Lebensbereiches. Aus dem Jahre 1816 stammen die Verse >>An Luise<<, die mit den Worten beginnen: >>Ich wollt‘ in Liedern oft dich preisen...<<. Es ist eines der schönsten Liebesgedichte unserer Literatur. 1817 begann Eichendorff mit der Niederschrift der Erzählung >>Das Marmorbild<< (1819 gedruckt), und auch diese Dichtung ist eine Liebesgeschichte und eine Spiegelung des persönlichen Schicksals: die Hinwendung des Jünglings zu dem jungen, noch unerblühten Mädchen, die Umkehr, die Abwendung von >>Frau Venus<<.

Luise und die Pogrzebiner Familie wurden Eichendorff zum eigentlichen Zuhause. Denn sein Kindheitsparadies Lubowitz erlitt einen grausamen Untergang. Als der Vater 1816, 62jährig, starb, mußten die verschuldeten Güter veräußert werden; nur Lubowitz durfte die Mutter als Witwensitz behalten. Sie starb schon 1822 mit 56 Jahren. Eichendorff war damals Regierungsrat in Danzig. Das ganze ehemalige väterliche Besitztum ging nun in andere Hände über, auch Schloß und Garten. Eichendorff ist nie wieder in Lubowitz gewesen.

Seine Dichtung hat das Leid des Verlustes >>überflogen<< und den Untergang als eine Hieroglyphe (oder wie ein barockes >>Emblem<<) des Lebens ergriffen. 1823 erschien das erste Kapitel des >>Taugenichts<< (die ganze Dichtung 1826): Völlig gelöst und rein erklingt das Lied der Jugend, nicht nur der historisch gewordenen eigenen Jugend Eichendorffs, sondern des jungen Menschen ganz allgemein, der sich in die Welt wagt, seiner Kunst und der Gunst Gottes vertrauend, der Schönheit und Liebe folgend und aus allen Wirren den Weg zum rechten Ziel findend.

Aber ein >>Unstern<< schien über seinem beruflichen Leben aufgegangen zu sein, schon seit dem Aufbruch von Wien und der Teilnahme am Krieg. Preußen behandelte ihn kühl. Er fand im allgemeinen nicht das rechte Verständnis für seine Begabung und seine Leistungen. Den Anforderungen des Staates an ihn entsprach er jedoch zu jeder Zeit: 1819 bestand er auch das Assessor-Examen mit bestem Erfolg, obwohl man es ihm nicht leicht gemacht hatte, als man ihn, den Katholiken, in der schriftlichen Prüfungsarbeit die Frage beantworten ließ, welche Vorteile und Nachteile Deutschland aus der Säkularisation erwachsen seien. Als sich die Hoffnung, Landrat im oberschlesischen Kreis Pleß zu werden, zerschlug, wurde er 1820 für kurze Zeit als >>Hilfsarbeiter<< ins Kultusministerium berufen. Die nächsten Stationen seiner Beamtenlaufbahn waren: Katholischer Konsistorial- und Schulrat beim Oberpräsidium der Provinz Westpreußen sowie der beiden westpreußischen Regierungen Danzig und Marienwerder, mit dem Amtssitz in Danzig, 1821-1824; Oberpräsidialrat der vereinigten Provinzen Ost- und Westpreußen in Königsberg 1824-1831; Hilfsarbeiter (Regierungsrat ohne festes Dezernat) im Kultusministerium in Berlin seit 1832, nachdem seine Bemühungen, im Auswärtigen Amt oder im Innenministerium einen Posten zu erhalten, fruchtlos geblieben waren. In dieser Stellung blieb er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst auf eigenen Antrag, 1844, seit 1841 geschmückt mit dem Titel eine Geheimrats.

1855 zog Eichendorff mit seiner Frau zu Schwiegersohn und Tochter nach Neisse in Oberschlesien. Dort starb Luise am 3. Dezember 1855, der Dichter hauchte sein Leben aus am 26. November 1857. Beider Grab befindet sich auf dem Jerusalemer Friedhof in Neisse. Das Schloß Lubowitz wurde während des Zweiten Weltkriegs 1945 zerstört.

Es mag merkwürdig erscheinen, das Eichendorff trotz der Ungunst der Lebensverhältnisse den größten Teil seines dichterischen Werkes in der preußischen Beamtenzeit schuf. Einige Werke wären ohne den Beamten in Preußen wohl nicht entstanden, wie das Drama >>Der letzte Held von Marienburg<< (1830), und das Drama >>Ezelin von Romano<< (1828) verdankt seine Entstehung der Bekanntschaft mit dem Historiker Friedrich von Raumer. Die große historische Studie über die Marienburg wurde im Auftrag der Regierung ausgearbeitet; der Oberpräsident Theodor von Schön war sein Freund geworden. Das bekannte Marienlied >>O Maria, meine Liebe / Denk ich recht im Herzen dein<<, als >>Kirchenlied<< bekannt, entstand im Auftrag des Fürstbischofs von Ermland.

Eichendorff lebte seit seinen Studienjahren in ständiger Auseinandersetzung mit den geistigen Tendenzen seiner Zeit und schrieb Dichtungen aus dieser Spannung heraus als Antwort, Kritik, Mahnung, Wegweisung, als grandiose Visionen künftiger Entwicklung, so, um nur einige Titel zu nennen, in den Dichtungen >>Krieg den Philistern<< (1823), >>Dichter und ihre Gesellen<< (1834), >>Das Schloß Durande<< (1837). Er ging das Wagnis der Wahrheitssuche ein und ist ein mutiger Bekenner und Verteidiger der Wahrheit geworden. Eichendorff begriff seine Zeit als eine Epoche großer geistiger Kämpfe: zwischen christentumsfeindlichem Rationalismus und dem erneuerten Glaubensleben, zwischen neuem Heidentum und Christentum, zwischen dem Geist des Mittelalters und dem der Neuzeit, zwischen Aufklärung und Romantik, zwischen dem Adel des Gemeinschaftsdenkens und der >>Philisterei<< (dem Spießbürgertum) des individuellen Egoismus und Geschäftsbetriebs. Religion ist für seine Weltauffassung die Grundlage aller Kultur und so auch der Kunst.

Dichtung ist ihm kein Zeitvertreib, sondern eine verantwortungsvolle Aufgabe, ist die Kunst, in der sinnlichen Welt das Ewige durchscheinen zu lassen. Er weiß, daß man das Neue nicht am entstehen hindern kann, er glaubt, daß man mit ihm ringen muß, um der alten Wahrheit ihren Raum zu erhalten, denn die Wahrheit ist immer dieselbe und darum ewig jung, und das rechte Neue hebt nicht die alte Wahrheit auf. Der Mensch ist geadelt durch den christlichen Glauben; das Christentum hat die Spannung zwischen Trieb und Geist in die rechte Ordnung gebracht. In der heidnischen Antike gab sich der Mensch seinem natürlichen Begehren hin, führte ein freies, heiteres, sinnenfrohes, aber für seine eigentliche Bestimmung blindes Dasein. Frau Venus ist Eichendorff zum Sinnbild der heidnischen Sinnenlust geworden, Maria mit dem Gottessohne in ihren Armen, die mütterliche Frau, wurde ihm zum Sinnbild der vergeistigenden Kraft des Christentums.

Das Venusmotiv, das Motiv der Verlockung und der Gefahr, im Lebensrausch zu versinken, einer Gefahr, aus der die >>Melodie der Kindheit<<, die Anrufung Gottes und der männliche Entschluß hinausführten, kehrt wie ein cantus firmus des Lebensliedes sehr oft in Eichendorffs Dichtung wieder, auch noch in zwei seiner letzten Dichtungen, dem Epos >>Julian<< (1853) und dem Epos >>Lucius<<, das in seinem Todesjahr, 1857, erschien.

Wir verstehen heute den Dichter Eichendorff genauer, unbefangener, umfassender als das 19. Jahrhundert. Wir erkennen besser als früher seine Bedeutung als Epiker, als Essayist und als Literaturgeschichtsschreiber. Er ist auch als Dramatiker noch lebendig (mit dem Lustspiel >>Die Freier<<). In seiner Lyrik entdeckt unsere Zeit die Anfänge der Moderne. Wir begreifen, daß er in Bildern eine Deutung des Lebens gegeben hat, in >>Chiffren<<, in denen eine Wahrheit (>>ein Lied<<) verborgen war (>>schlief<<); es kam ihm nicht darauf an, die Natur >>realistisch<< wiederzugeben. Wir begreifen, daß der in seiner Jugend Temperamentvolle und Heißblütige, im Alter Milde, völlig uneitel war, verschwiegen, wo es um Privates ging, offen, wo es um ein Anliegen der Gesellschaft ging. Wir begreifen, daß er sich indirekt mitteilt. Daß ihm das Leben und die Natur eine Bilderschrift Gottes war, wußte man freilich schon längst.

Sein Ruhm wächst noch immer, hundert Jahre nach seinem Tod. Er ist zum Sinnbild romantischer Dichtung geworden und hat mit seiner Kunst die Herzen vieler Menschen in vielen Völkern der Erde gewonnen. Er hat einen Beitrag zur Weltliteratur geleistet, der Freiherr märkisch-mährisch-schlesischer Herkunft aus dem oberschlesischen Lubowitz.

Alois Maria Kosler

Literatur: Willibald Köhler: Joseph von Eichendorff. Augusburg 1957. – Paul Stöcklein: Eichendorff. Reinbek 1963. – Oskar Seidlin: Versuche über Eichendorff. Göttingen 1965. – Alois M. Kosler: Eichendorff. In: Lexikon der Marienkunde. Regensburg 1967.

zum Seitenanfang