Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2002

Große Schlesier: Adolph von Menzel 1815 - 1905

Als Menzel am 8. Dezember 1815 in Breslau geboren wurde, lebte die Familie im Haus zur goldenen Muschel in der Albrechtstraße nahe beim Palais Hatzfeldt, dem späteren Regierungssitz. Anstelle des Geburtshauses ist hier ein Bankgebäude errichtet worden, doch erinnert eine Gedenktafel an der Seitenfront des Hauses in der Langeholzgasse an den großen Maler. Der Name Menzel ist in Schlesien häufig, Vorfahren väterlicherseits besaßen eine Wassermühle nahe bei Breslau. Der Vater Carl Erdmann Menzel wäre selbst gern Maler geworden, wurde aber zunächst Lehrer und Vorsteher einer Mädchenschule und begann dann, um sein Einkommen zu verbessern, in dem damals neuen Steindruckverfahren Bücher zu illustrieren und zu verlegen, wobei er den Sohn als Mitarbeiter heranziehen konnte. Eins der noch in Breslau entstandenen Werke ist die >>Geschichte des Preußischen Staates<< von Kutzen mit Bildnissen der Landesfürsten in recht primitiven Kreidelithos, von denen neun der junge Menzel beisteuerte und auch signierte.

Menzel besuchte die Stadtschule und wurde privat in Latein unterrichtet, da sein Vater ihn für einen wissenschaftlichen Beruf ausbilden lassen wollte. Der Kunsttrieb erwachte in ihm schon in dem Alter, da er ein Stück Kreide halten konnte. Er studierte begeistert die Auslagen italienischer Kupferstichhändler, prägte sich die Kompositionen Raffaels in langem Verweilen vor den Schaukästen ein und fand darin Erbauung, Belehrung und höchsten Genuß. Andere Eindrücke der Kindheit waren die frommen Andachtsbilder in den katholischen Kirchen Breslaus, und der forschende Blick des Knaben glaubte vertrauensselig in den von Staub und Kerzenqualm verdunkelten Marterszenen die zugrundeliegenden Werke großer Meister zu erblicken.

Die Übersiedlung nach Berlin im Jahre 1830 hatte Carl Erdmann Menzel vor allem wegen einer besseren Ausbildung seines begabten Sohnes beschlossen. Lernen konnte man hier, auch ohne akademische Lehrer, auf den Straßen und Plätzen unter dem Eindruck der Monumente von Schlüter, Rauch und Schadow, vor den Schaufenstern der Kunsthandlungen oder beim Studium der Kupferstiche von Chodowiecki. Immer mußte zugleich schon produziert werden; der Vater hatte neue Verträge, zum Beispiel ein Werk über sämtliche Giftgewächse Deutschlands, wobei Vater und Sohn an der gleichen Platte arbeiteten. Der Stein wurde in Felder eingeteilt, und hüben und drüben entstanden im Familienbetrieb die Keidelithos.

Foto von Adolph von Menzel

Adolph von Menzel

Adolph Menzel war eben 16 Jahre alt, als zu Neujahr 1832 sein Vater starb. Für Mutter, Bruder und Schwester zu sorgen, traute der Sohn sich zu. Das Erwerbsleben nahm den jungen Kunsthandwerker voll in Anspruch, und der geplante Besuch der Akademie wurde aufgegeben. Diesen Entschluß bedauerte Menzel nicht. Tatsächlich hatte er außer seinem Vater, der doch nur Technisches übermitteln konnte, keinen Lehrer gehabt. Auch der eintritt in die Akademie zu Ostern 1833 führte nicht zu Anregungen auf künstlerischem Felde und wurde bald wieder aufgegeben. Menzel war vor allem bemüht, die Geldquellen aus der lithographischen Arbeit ausreichend fließen zu lassen und erledigte die Aufträge (für Musikalienvignetten, Seifenetiketten und dergleichen) so wie bisher und >>oft besser, als nötig war und verlangt wurde<<.

Die weit über hundert Federlithos der Jahre 1832 bis 1839 sind reich an Formerfindung, Naturbeobachtung und Bildsymbolen. Was der junge Menzel dachte, sprechen sie aus, oft deutlicher als die Briefe. Eine Fundgrube köstlicher Einfälle, mit heiterer oder bitterer Satire gepfeffert. In Ranken und Arabesken, im Rahmenwerk der Titelblätter, Gesellenbriefe, Festprogramme und Besuchskarten finden sich so ganz nebenbei aufschlußreiche Dokumente über Menzels seelische Entwicklung und seine Haltung zu Problemen der Umwelt. Im Titelblatt zu Raszynskis >>Geschichte der neueren deutschen Kunst<< zeichnet er die Gefahren des Künstlers, der sich entweder zu sehr der Akademie ergibt oder der Tagesmode huldigt. Zwischen erstarrter Form und Schlendrian verläuft der Mittelweg. Das Studium der Natur und das Vorbild Dürer sind zu beherzigen.

Schon 1832 hatte sich Menzel eine Aufgabe gestellt, die erkennen läßt, auf welchem Gebiet der Sechzehnjährige glaubte, etwas Besonderes leisten zu können. Er begann aus eigenem Antrieb eine Serie >>Große Männer der Weltgeschichte<< in aquarellierten Federzeichnungen zu entwerfen, jeweils mit Lebensbeschreibungen auf der Rückseite der Blätter, von denen acht in der Schweinfurter Sammlung Schäfer vorhanden sind. Geschichtliche Helden wollte er feiern, ihr Erscheinungsbild statuenhaft erhöhen, durch menschliche Züge beleben und dem Betrachter als Leitbild einprägen. Das erschien ihm damals als die Aufgabe des Künstlers. Sehr bald wandelten sich seine Vorstellungen von Grund auf. Realismus wurde der Maßstab, und nicht die Isolierung der Figur, sondern ihre Verflechtung zu Handlungen im Wirklichkeitsraum wurde das bevorzugte Thema seiner Kunst. In den >>Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte<<, den lithographierten Geschichtsbildern, die der Achtzehnjährige mit Hilfe des Bibliothekars Dr. David Friedländer entwarf, sind die letzten beiden Blätter den Freiheitskriegen gewidmet: Blatt 11, der Auszug der Freiwilligen, Blatt 12, der Sieg bei Leipzig.

In seinen aufnahmefähigsten Jahren erlebte der junge Menzel in Berlin die letzten 10 Jahre der Regierung Friedrich Wilhelms III., dann seit 1840 das Werben Friedrich Wilhelms IV. um die Sympathien seines Volkes mit dem für den König enttäuschenden Ergebnis von 1848. 1853 folgte König Wilhelm I., und Bismarcks Wirken wurde sichtbar. Wer in dieser Zeit Historienmaler sein wollte – und das hatte sich Menzel ja vorgenommen -, mußte sich politisch entscheiden. Menzel dachte zwar nicht daran, seine Kunst in den Dienst einer Volksbewegung zu stellen, wie etwa Daumier mit seinem Karikaturenwerk oder Delacroix mit seinem Barrikadenbild. Aber er wollte auch nicht Franz Krüger folgen, der Königen und Zaren treu ergeben diente und seine loyale Gesinnung in der Darstellung eines widerspruchslos akklamierenden Bürgertums dokumentierte.

Menzel war ein grübelnder, über die Ursprünge Preußens nachsinnender Patriot und tief erfaßt von der demokratischen Zeitströmung. Daher kam 1838 der Auftrag, Kuglers >>Geschichte Friedrichs des Großen<< zu illustrieren, wie eine Berufung. Diese Arbeit wurde zum Ventil für seinen nach Ausdruck drängenden Bestätigungswillen. Wie sehr mußte es ihn reizen, mit den Napoleon-Illustrationen des Horace Vernet in Wettstreit zu treten! Denn darum ging es: Der Verlag Weber in Leipzig wollte zu dem 1839 erschienenen Napoleon-Buch, das der Verlag in deutscher Übersetzung herausbrachte, ein Gegenstück schaffen und trat daher auf Kuglers Rat an Menzel heran. Von 1838-1840 schuf Menzel etwa 400 Zeichnungen für den Holzschnitt. Mit heller Begeisterung und einer unermüdlichen Arbeitslust versetzte er sich aus der nüchternen spröden Biedermeierzeit in die Welt der kriegerischen Abenteuer, in die Zeit des Spätbarocks und der philosophischen Aufklärung. Etwa 30 Jahre seines Lebens hat Menzel der Darstellung dieser Epoche gewidmet. Er studierte äußere Aspekte ebenso wie die Gesinnung des Eroberers Schlesiens, zumal er sich für dieses Land zuständig fühlte.

Nach den drei Jahre in Anspruch nehmenden Kugler-Illustrationen begann er gleich anschließend mit den Zeichnungen für 600 Holzschnitte zu den Werken Friedrichs des Großen, die auf Anregung König Friedrich Wilhelm IV. von der Akademie 1840-57 in 30 Bänden herausgegeben wurden. Als Holzschnitt-Faksimile erschienen dann auch 1850-52 Menzels Zeichnungen zu dem Werk von Lange, >>Die Soldaten Friedrichs des Großen<<, und 1851-57 schuf Menzel für das Armeewerk 174 Federlithos, die er eigenhändig kolorierte – das Exemplar befand sich noch in seinem Nachlaß – und in kleiner Auflage von anderen kolorieren ließ.

Menzels Vorstellung vom Geschichtsbild stand im Gegensatz zur Ästhetik der Kartonkunst des Cornelius, der 1841 nach Berlin berufen worden war und hier durch den Monumental-Entwurf seiner apokalyptischen Reiter Aufsehen erregte. Menzel fühlte sich als Realist und hat alle erreichbaren Dokumente, Porträts und anderes Bildmaterial genau studiert und verwendet, aber man spürt immer den persönlichen aufrichten Anteil an den historischen Vorgängen und ihren Protagonisten. Die Quellen benutzte er kritisch. Anregungen hat er von den großen Barockmalern aufgenommen. 1847 entstand seine Gouachemalerei >>Gustav Adolf begrüßt seine Gattin am Tor des Schlosses zu Hanau<<, ein Begegnungsbild in der Art von Velasquez‘ >>Übergabe von Breda<<. Auch an Rubens erinnert oft die leidenschaftliche Bewegtheit seiner Figuren und die Komposition in kontrastierenden Gruppen. Historienbild und Genre grenzen bei Menzel nahe aneinander. So hatte er beim Anblick hessischer Bauern in ihrer schönen Landestracht den Plan gefaßt, einen Wochenmarkt in Marburg (auf der Ketzerbach vor der Elisabeth-Kirche?) darzustellen. Skizzen sind erhalten, doch zum Bilde kam es nicht.

In Sorge um seine Angehörigen reiste er in den Revolutionstagen 1848 von Kassel nach Berlin zurück, und es entstand das einzigartige Historienbild aus der Gegenwart, die >>Aufbahrung der Märzgefallenen<<auf dem Gendarmenmarkt vor dem Deutschen Dom. Es schildert den vom Künstler selbst erlebten Anblick, den ein Platz der preußischen Hauptstadt am Tage nach den Kämpfen bot. Die Opfer des Aufstandes und der militärischen Abwehraktion sind in schwarzverhangenen Särgen vereint, eine bedrückende Anklage. Die Bürgerwehr, die nach der Zurückziehung der Garden aus dem Stadtinnern die Ordnung wahrt, drängt die unruhigen Leute vom Platz weg, hin zur Treppe des Schauspielhauses, wo sich Neugierige und Unzufriedene gesammelt haben. Rechts im Vordergrund diskutiert man heftig über den Fehlschlag des Aufstandes, links, wo Trauernde einen Sarg bringen, sieht man einige standesbewußte, über die Revolution empörte Herren. Hier ist vieles ungemalt geblieben, aber doch sehr entschieden vorgezeichnet. Die innere Beteiligung Menzels an den Vorgängen war so stark, daß er nicht imstande war, das Bild zu vollenden, nachdem ihm Zweifel über seinen eigenen Standpunkt gekommen waren. Er wollte sich weder mit dem >>Janhagel<< noch mit der Reaktion identifizieren. Das Bild fand keine Nachfolge.

Menzel flüchtete nun für ein Jahrzehnt ins Reich des Fridericus, wo keine aktuelle Stellungnahme von ihm gefordert werden konnte. In privatem Auftrag wollte er, aufbauend auf die Illustrationen zu Kuglers Buch, die der alte Schadow als Vignetten abfällig beurteilt hatte, monumentale Leinwandbilder aus der Geschichte Friedrichs des Großen schaffen. Den Auftakt bilden zwei Werke, das kleine Bild >>Die Bittschrift<<, 1849 (Burg Hohenzollern), und das Aquarell >>Husaren bringen eine polnische Familie auf<<, 1850 (Sammlung Schäfer, Schweinfurt), wobei die Uniformstudien verwendet wurden. Beide Male sieht man, daß der Krieg nicht immer Helden hervorbringen konnte. Vielmehr wird hier das >>große Schicksal<< als ein ärgerliches, fast lächerliches Ereignis bewertet. Die Bittschrift will ein junger Bauernbursche erreichen, der vom Militärdienst befreit werden möchte und dem seine Liebste Mut macht, dem König entgegenzutreten. Die Husaren leisten sich ein freches Abenteuer, und trotz der peinlichen Belästigung der Reisenden bleiben sie noch höflich zu den Damen. Im Jahrzehnt der fünfziger Jahre entstanden dann die acht großen Friedrich-Bilder, die lange Zeit für den Ruhm Menzels ausschlaggebend waren: 1. >>Die Tafelrunde<<, 1850 (verbrannt), 2. >>Das Flötenkonzert<<, 1852 (Neue Nationalgalerie, West-Berlin), 3. >>Friedrich auf Reisen<<, 1854 (nur fragmentarisch erhalten, Neue Nationalgalerie), 4. >>Breslauer Huldigung<<, 1855 (Neue Nationalgalerie), 5. >>Überfall bei Hochkirch<<, 1856 (verbrannt), 6. >>Begegnung mit Joseph II. in Neisse<<, 1857 (National-Galerie, Ost-Berlin), 7. >>Friedrich in Lissa, Bonsoir Nessieurs<<, 1858 (Kunsthalle Hamburg), 8. >>Ansprache vor der Schlacht bei Leuthen<<, 1858 (verbrannt).

Menzel ist aber nicht nur Interpret der friderizianischen Ära. Zwischen der Vollendung der Kugler-Holzschnitte (1840) und dem Beginn der Friedrich-Bilder (1850) liegt ein Zeitabschnitt, in dem sich die imponierende Vielseitigkeit der Menzelschen Begabung zeigt. Seine souveräne Malkunst leite sich her von einem wahren Durchbruch in den Jahren um 1845. Ausgangspunkt waren die Studien in den Räumen seiner Wohnung, der Blick aus seinem Fenster, Bildnisse seiner Familie und seiner Freunde. Alles gelingt ihm damals beispielhaft, selbst die Landschaft in allen Spielarten vom Intimen zum Heroischen; alles atmet eine beglückende Frische und zeugt von Sicherheit des Geschmacks und Beherrschung des neuen Mediums. In Pastellen, in Gouachen hat er keine solche Großzügigkeit entwickelt, obgleich er in diesen Techniken bisher sein Bestes geleistet hatte. Höchst eigenartig ist in diesem Zusammenhang ein Ausspruch Menzels: >>Wenn ich in Öl male, dann mit der Rechten; Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen mit der Linken.<<

Sehen wir das >>Balkonzimmer<< von 1845, das er unvollendet ließ, oder >>Emilie mit der Kerze in der Wohnzimmertür<< (1847), das >>Gewitter am Tempelhofer Berg<< oder die >>Berlin-Potsdamer Bahn<<, so kann kein Zweifel sein, daß Menzel den Kontakt zur großen Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts gefunden hatte, daß er etwas gelernt hatte, was aus der Berliner Tradition nicht zu lernen war. Er hat selbst erzählt, daß er in den vierziger Jahren eine Constable-Ausstellung im Hotel de Rome gesehen habe. Sie muß ihm neue Vorstellungen erweckt haben. Der Genius John Constables hatte ihn berührt. Zugleich aber wagte er auch die große realistische Landschaft: Ein Blick aus dem Fenster in den Garten des Palais des Prinzen Albrecht inspirierte ihn zu einem streng und monumental gebauten Bild. In Maltechnik, Bildtypus und Themenwahl stand Menzel in diesem Gemälde 1846 in vorderster Linie der modernen Malerei. Er war also damit weit entfernt davon, etwa aus dem durch die Kugler-Illustrationen gewonnenen Ruhm eine Pfründe zu machen und sich in vorgeschriebenen Geleisen zu bewegen.

An Einfällen fehlte es ihm nicht. Die Vignetten zu den Werken Friedrichs des Großen zeigen, wie er mit Phantasiegebilden so realistisch umging, daß man Kentauren und Geister leibhaftig vor sich zu sehen meint. Da aber seine Zeichnungen notwendigerweise im Buchdruck nur durch Fach-Holzschneider faksimiliert erscheinen konnten, interessierte ihn nun besonders die Radierung, die es ebenso wie das Litho erlaubt, unmittelbar seine persönliche Handschrift zu zeigen. Zu den ersten Versuchen gehört die eingeschlafene Näherin am Fenster (1843), ein Bildnis seiner Schwester Emilie. 1844 folgen dann die sieben Radierversuche, vorwiegend Landschaften. Der Widerhall war gering. Erst 1885 bildete sich in Berlin der Verein für Originalradierung, an dem Menzel lebhaften Anteil nahm.

In dem selbsterfundenen lithographischen Verfahren, bei dem durch Bearbeitung des Steins mit Pinsel und Schabeisen malerische Wirkungen erreicht werden können – sechs Blatt dieser Versuche erschienen 1851 -, porträtiert Menzel sich in höchst eigenartiger Verfremdung als Althändler, in der Hand eine Kleinplastik haltend, einen weiblichen Drachen mit Fledermausflügeln. Dies >>Selbstbildnis als Antiquar<< zeigt in erstaunlicher Offenheit den Menschen Menzel, dessen Lebensweg durch bewußte Vorsätze und einen planenden Willen bestimmt wurde. Menzel war Junggeselle und wollte es bleiben. Schon einige Jahre zuvor hatte sich der auffällig kleine, kahlköpfige Mann zu diesem unumstößlichen Entschluß durchgerungen, etwa gleichzeitig mit der Rückkehr aus Kassel nach Berlin 1848. Nun war er etwa 36 Jahre alt und im Panzer des selbstgewählten Zölibats unangreifbar für Versuchung oder Spott. Die mögliche lachende Partnerin, zum Dämon zusammengeschrumpft, konnte dem Selbstbewußtsein des Mannes nicht mehr gefährlich werden. Aber auch seine eigene Rolle in der Welt hat er verkleinert, indem er sich als Trödler und nicht als Künstler darstellt, als einen Krämer, der beim Anblick des kleinen Dämons für Augenblicke von seinem geschäftlichen Denken abgelenkt wird und sich auf das ursprüngliche gottgewollte Verhältnis zwischen den Geschlechtern besinnt. Dem Künstler hat die Kalamität seines Mißwuchses, seine Zwergengestalt, sein Glatzkopf in jedem Lebensalter erneut und auf andere Weise Kummer bereitet. Der Humor dieses Blattes scheint aber zu sein, daß der zweifelnde Trödler in Wirklichkeit ein seiner Sache völlig sicherer Künstler ist, wohl imstande, selbst Dinge von Dauer zu schaffen.

In seinem 50. Lebensjahr vollendet Menzel das ihm von König Wilhelm in Auftrag gegebene monumentale Bild der Königsberger Krönung, an dem er vier Jahre (1861-1865) gearbeitet hatte. Diese Hauptwerk des Meisters befindet sich jetzt im Neuen Palais in Potsdam. Die etwa 130 Bildnisstudien, noch im Werkverzeichnis Tschudis vollzählig abgebildet, sind verstreut und großenteils verschollen. Die große Menge einzelner in sich bedeutender Gestalten in einem weiten Raum zu vereinen, war für Menzel ein neues Problem, das zur Revision der in den Friedrich-Bildern erprobten Bildgestaltung führte. Dazu kam das Erlebnis des historischen Vorgangs in der Wirklichkeit. Dem Zwang, viele Menschen ohne eigene Handlung gruppenweise aufreihen zu müssen, arbeitete Menzel durch wohlbedachte Erfindungen entgegen.

Resultate zweier kurzer Aufenthalte in Paris waren der >>Nachmittag im Tuileriengarten<<, 1867 (Dresden) und >>Pariser Wochentag<<, 1869 (Düsseldorf). Er bemühte sich, bewegte Einzelpersonen im Zusammenspiel mit zahlreichen ebenfalls ungebundenen Aktionen anderer Menschen in der Einheit des freien Lichtes darzustellen. Im gleichen Sinne sind die weiteren Gemälde seines Spätwerkes komponiert: >>Die Abreise zur Armee<<, 1871 (Neue Nationalgalerie), das >>Eisenwalzwerk<<, 1875 (National-Galerie, Ost-Berlin), das >>Ballsouper<<, 1878 (Neue Nationalgalerie), die >>Gasteiner Bauernprozession<<, 1880 (Neue Pinakothek, München), der >>markt in Verona<<, 1884 (Dresden). Die gegensätzlichen Handlungen vieler verflechten sich zu einem Bild des Lebens, und der Mensch, was er aussteht und wie er aussieht, ist der Held dieser bitterernsten Komödie.

Die im Verona-Gemälde ausgeprägte Bildform bleibt in der letzten Schaffenszeit nach 1885 weiter die Grundlage und wird auch bei den dann noch entstehenden etwa 35 Gouachen angewandt. Unermüdlich bis ins hohe Alter zeichnend, wurde der Meister für diese mit virtuoser Sicherheit ausgeführten Bildchen durch neue Motive angeregt. Gern schildert er den Kurbetrieb in Bad Kissingen mit einem Hauch von Sarkasmus, zum Beispiel >>Kaffeezeit<<, 1886, >>Brunnenpromenade<<, 1890, >>Biergarten<<, 1891, >>Feinbäckerei<<, 1893. Menzels Thema ist die nervöse Unruhe am Kurort, wo immer wieder neue Menschen ins Spiel kommen und eine verwirrende Fülle von Tätigkeiten gezeigt werden kann: Bilder des Alltags, erlebt von einem, der den Menschen ins Herz sieht. Die Verhaltensweise der lieben, oft lästigen Zeitgenossen, die Verflechtung gegensätzlicher Empfindungen werden vorgeführt, Kinder und Hunde, bärtige Lebemänner und modische Damen, das Zusammentreffen der frommen Bürgersfrau mit dem Bettler an der Kirchentür, des Arbeiters mit dem Unternehmer im Fabrikraum. Menschenkenntnis und scharfe Beobachtungsgabe beleben die zahlreichen Akteure und ihre wechselnde Szene. Die wohlwollende Anteilnahme, die Kraft der Charakterisierung heben diese Werke über das Niveau des damals so beliebten Genrebildes, und mit einzelnen Schöpfungen, wie etwa mit dem >>Aschermittwochmorgen<< von 1885 (Blick vom Atelierfenster auf die verspätet heimkehrenden Masken, gesehen durch das Geäst eines winterlichen Baumes), erreicht Menzel noch einmal die überragende Höhe eines zeitlosen Kunstwerks.

Wer ist Menzel? fragt Friedrich der Große in dem imaginären Gespräch, das Theodor Fontane zu des Künstlers 70. Geburtstag erfunden hat, und der Dichter spricht dann von der unerhörten Vielfalt, Vergegenwärtigung und Erfüllung mit Menschentum, die Menzels Werke auszeichnen. Fontane ahnt für Menzel noch ein Jahrzehnt des Lebens voraus, der Maler wurde indessen 90 Jahre alt. Aufgebahrt wurde er in der Rotunde des alten Museums von Schinkel, am Sarge befand sich ein Lorbeerkranz mit der Inschrift (gekürzt): >>Dem Ruhmeskünder in Dankbarkeit, Wilhelm II. und sein Heer.<< Potsdamer Grenadiere trugen ihn zu Grabe.

Sein Nachlaß kam als Leihgabe in die Nationalgalerie, darunter 29 Mappen mit Zeichnungen auf über 4000 Blättern und etwa 80 Skizzenbücher. Die damals veranstaltete Gesamtausstellung umfaßt 7000 Nummern. Den nachhaltigsten Erfolg hatte Menzel nach seinem Tod, als die Kunstkritik der Jahrhundertwende sein Werk neu bewertete und Meier-Graefe, Tschudi, Scheffler, die bereit gewesen wären, einen patriotischen Historienmaler zu vergessen, in ihm den Vorläufer der Impressionisten (in dem Bild des Balkonzimmers von 1845), den Konkurrenten Courbets (in dem Bild des Palaisgartens von 1846) und den Nachfolger Constables (in dem Bild der Berliner-Potsdamer Bahn von 1847) entdeckten. Die Sanktionierung durch die Vorkämpfer des damals noch umstrittenen Impressionismus, Max Liebermanns Vorrede zu einer Ausgabe ausgewählter Zeichnungen, französische, deutsche, englische Ausstellungen, die hohe Bewertung auf dem internationalen Kunstmarkt, die Bevorzugung durch anspruchsvolle Sammler und Museen rangierten den Meister, der als der größte deutsche Maler des 19. Jahrhunderts erkannt wurde, in ein neues Bezugssystem. Man bemerkte mit Recht, daß der 30jährige geniale Menzel sich phönixgleich über die Welt des Berliner Biedermeier erhoben hatte und daß er durch die Freiheit seiner Kunstauffassung den größten Malern und Zeichnern der Jahrhundertmitte zuzuordnen war.

Diesem ruhm hatte Menzel selbst im Wege gestanden. Die schrulligen Einfälle seiner verschachtelten Ehrenadressen, die mit genauer Naturtreue vorgeführten Anekdoten, die Betonung genrehafter Psychologie findet nicht jeder witzig. Dennoch behauptet Menzel wohl für alle Zeiten seinen Platz unter den großen Malern kraft der thematisch neutralen, das Auge bezaubernden Werke seiner Lebensmitte. Seine Wirksamkeit reicht weit über Deutschlands Grenzen, seine Kunst offenbart eine Persönlichkeit, die noch nicht voll erkannt worden ist und von kommenden Generationen neu entdeckt werden kann.

Heinrich Brauer

Literatur: Adolph von Menzel. Abbildungen seiner Gemälde und farbigen Studien auf Grund der von der National-Galerie 1905 veranstalteten Ausstellung . . . von E. Schwedeler-Meyer und G.J. Kern. Herausgegeben von Hugo von Tschudi. München 1905.
- Elfriede Bock: Adolph Menzel. Verzeichnis seines graphischen Werkes. Berlin 1923. - Karl Scheffler: Adolph Menzel.
Der Mensch - Das Werk: Berlin 1922, München 1956.

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