Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 8, Juli 2001

Kommste mit nach Kamerun?

Eine meiner ersten, noch heute bildhaften Wahrnehmungen des Lebens, macht sich an Kamerun fest. Dort haben sich vermutlich meine Gene für das nasse Element als lebensnotwendiger Glücksspender formatiert und bilden seither ein stets abrufbares Programm. Der Unachtsamkeit meines Vaters ist es zuzuschreiben, denn er war es, der mich für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen ließ. Er war damit beschäftigt, mich für Spiel und Spaß am Oderstrand aus- und anzukleiden, als ich ihm beim Anblick des vielen Wassers entglitt.

Mit dem laut-begierigen Schrei aus Kindermund: “Wasser!”, tobte ich spontan den plätschernden Wellen, dem Ufer entgegen. Es schien mir dabei völlig egal zu sein, dass ich bei diesem Husarenstück noch die piekfeinen Lackschuhe an den Füßen trug - Wasser war Weg und Ziel. Vor meinem Vater schaffte ich es die Landlinie zu überschreiten und planschte fröhlich im knietiefen Oderwasser. Die Lackschuhe und das Hemd, was ich noch am Leibe hatte, trockneten später an Land, aber ich war mit dem frischen Wasser der Oder getauft.

Hans J. Gatzka
Blick über den Domhafen zu Oderbrücke und Schloss

Noch heute kommt mir, angesichts des Elements manchmal diese kleine Episode in den Sinn. Kamerun ist also noch immer lebendig und liegt wohl auch für viele Glogauer meiner Generation nicht unbedingt in Afrika.

Unter uns Glogauer Jungmannen war die Frage: “Kommste mit nach Kamerun?”, sicher ein oft gestelltes Ansinnen. Die Oder war unser Spielplatz im Sommer und nicht selten auch im Winter. Unsere Mütter atmeten erleichtert auf, wenn sie uns wenigstens in Kamerun wußten, wenngleich das auch nicht so ganz zuverlässig war und es auf dem Weg dorthin noch ausreichend Gelegenheiten gab, irgendwelchen Unsinn anzustellen. Mit einer Flasche Brauselimonade, hergestellt aus einem “Clio-Würfel” - wer kennt das nicht, (?) zogen wir los. Die Badehose und vielleicht auch ein Handtuch unterm Arm.

Es gab damals noch kein Wiesenstrandbad, sondern nur die sogenannte “Pio”, die Pionierbadeanstalt am stadtseitigen Oderufer.
Kamerun lag also auf der anderen Seite des Stroms, den Oderwiesen vorgelagert.

Zu der Zeit, von der hier die Rede sein soll, lagen beide Badeanstalten noch am strömenden Wasser. Die Oder floß noch in ihrem ursprünglichen Bett. Auf die Kameruner Seite zu gelangen, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man ließ sich vom Fährmann über den Strom schippern, dessen Anlegestelle sich zwischen der Pio und der Mündung des Rauschwitzbaches befand, oder man benutzte den Treideldamm. Den Treideldamm erreichte man über eine schmale Eisentreppe, die von der Oderbrücke hinabführte. Im Brückengeländer befand sich dafür eine Tür, direkt über dem Damm.

Für uns Kinder bot dieser Weg ein abwechslungsreiches Panorama. Im ersten Teil lag links der Domhafen. Die Hecken an den Ufern beidseits des Damms gaben ihre Himbeeren frei und kostenlos her. Der Hafenbetrieb und die dort liegenden Schiffe erzählten ihre Geschichten. Auf jedem Kahn der längsseits festgemacht hatte, kläffte mindestens ein Hund den wir ärgerten bis der Schiffer seine Faust erhob. So trödelten wir den Damm entlang. Am anderen Ufer lag der Ruderclub und die Oderterrasse, die Bootshäuser der Schulen, das große Gebäude des Segelklubs und schließlich die Pio.

Die Pionierbadeanstalt und das Freibad „Kamerun”. Ansicht von 1929

Im Bereich von Kamerun, den wir nun endlich erreicht hatten, ging es dann manierlich zu, denn der Bademeister fackelte nicht lange. - Das wußten wir und respektierten es auch. Franz Ober hieß der Bademeister und er konnte stolz darauf verweisen: “Bei mir is noch keener ersoffen!” Die Oder war auch für Schwimmer nicht ungefährlich!

Mit Franz Ober zusammen, waren der Fischermeister Effenberger und zuletzt Paul Besser um das Wohl und Wehe der Badenden bemüht, deren Besucherzahl an heißen Sommertagen schon mal um die Tausend lag.

Was war das eigentlich, dieses Kamerun? - Man könnte sagen: “Nichts Besonderes!” Es lag an der Innenseite der großen Oderkurve, zwischen zwei weit auseinander liegenden Buhnen und vor allem lag es den ganzen Tag in der Sonne. Das sandige Ufer und die feste Grasnarbe boten reichlich Platz für die Sonnenanbeter. Die Wasserfläche war markiert und vom Bademeister streng bewacht. Selbst Nichtschwimmer konnten sich dort sicher fühlen. Im Hintergrund ein großes Holzgebäude mit den üblichen Einrichtungen. Mit dem Blick zur Oder sah man zugleich auf den nahen Betrieb der Schiffswerft am anderen Ufer. Das trockne Rattern der Niethämmer und die gleißend blauen Lichtbogen der Schweißgeräte, schepperten und zischten herüber, - ich habe es noch immer im Ohr. Eine große Freibadestelle im fließenden Oderwasser, mit dem Gratisgeschenk der großen und kleinen Wellen, die uns von den stromaufwärts ziehenden Schleppzügen herübergeschickt wurden. Die Schaufelräder der Dampfer entwickelten mit lautem Getöse gewaltige Kräfte. Das Schleppseil zum ersten Kahn zum zerreißen gespannt, zogen sie dahin, Richtung Steinau, Breslau und weiter ins oberschlesische Revier, ein stetig wechselndes Bild, das durch die Nähe des Erlebens immer wieder von Neuem faszinierte.

Das alles war Kamerun - und ich denke es ist des Erinnerns wert, auch wenn da ein wenig Nostalgie mitschwingt.

Das Ende von Kamerun
kam mit dem sogenannten “Oder-Durchstich”, der etwa zu Beginn der 30er Jahre begann. Auf der Höhe des Ruderclubs begannen die Arbeiten, das Flußbett in eine leichte, Richtung Weidisch schwingende Linie zu verlegen. Mit dieser Begradigung wurde die gefährliche Oderkurve entschärft, die bis dahin einige schwere Schiffsunfälle verursachte.

Odernixe

Die Schiffswerft war nach Abschluß der Arbeiten nur noch über einen ca. 100 Meter langen Stichkanal zu erreichen. Es entstand ein Landriegel, der genau an der Stelle das alte Strombett verlegte, wo Kamerun lag. Damit war die Badeanstalt vom natürlichen Strom des Wassers abgeschnitten. Sie lag nun an einem stehenden Gewässer, welches zunehmend versandete und versumpfte. Das Wasser eignete sich nicht mehr zum Baden. Vom erhöhten Standpunkt an der Oderterrasse, konnte man an der Schnittstelle des stillen Wassers zum vorüber fließenden Stromwasser, einen erheblichen Farbunterschied erkennen, der letztlich den Qualitätsunterschied deutlich machte.

Auf dem stadtseitigen Ufergelände, gegenüber dem nun unbrauchbar gewordenen Kamerun, entstand das Wiesenstrandbad. Damals eine moderne Schwimmanlage aus Beton. Drei verschieden tiefen Becken und einem 5-Meter-Sprungturm. Zwei 1-Meter-Sprungbretter und Startblöcke für Wettkämpfe auf internationalen Bahnabmessungen und so manchem Komfort für Wettkämpfer und Besucher. Wie es mit der Wasserqualität stand, wage ich nicht zu beurteilen. Einige Zweifel dürften jedoch angemessen sein, denn es fehlte eine Umwälzanlage.

Das war aber auch und immer ein Kameruner Problem.

Hans J. Gatzka